Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Schreiben. Und dabei nascht sie beständig Kuchen,
kleine mit Kirschen und Pistazien belegte Torten¬
stücke. Schon zwischen Potsdam und Werder fing
sie damit an. Die Mutter ist doch zu schwach.
Ich würde strenger sein."

Botho legte die Karte bei Seit' und überflog,
so gut es ging, die zweite. Sie lautete:

Hannover, 12 Uhr 30 Minuten. In Magde¬
burg war Goltz am Bahnhofe und sagte mir, Du
hättest ihm geschrieben, ich käme. Wie gut und lieb
wieder von Dir. Du bist doch immer der Beste,
der Aufmerksamste. Goltz hat jetzt die Vermessungen
am Harz, d. h. am 1. Juli fängt er an. -- Der
Aufenthalt hier in Hannover währt eine Viertel¬
stunde, was ich benutzt habe, mir den unmittelbar
am Bahnhofe gelegenen Platz anzusehen: lauter erst
unter unserer Herrschaft entstandene Hotels und Bier-
Etablissements, von denen eines ganz im gothischen
Stile gebaut ist. Die Hannoveraner, wie mir ein
Mitreisender erzählte, nennen es die "preußische
Bierkirche", blos aus welfischem Antagonismus.
Wie schmerzlich dergleichen! Die Zeit wird aber
auch hier vieles mildern. Das walte Gott. --
Die Kleine knabbert in einem fort weiter, was mich
zu beunruhigen anfängt. Wohin soll das führen?
Die Mutter aber ist wirklich reizend und hat mir
schon alles erzählt. Sie war auch in Würzburg,

Schreiben. Und dabei naſcht ſie beſtändig Kuchen,
kleine mit Kirſchen und Piſtazien belegte Torten¬
ſtücke. Schon zwiſchen Potsdam und Werder fing
ſie damit an. Die Mutter iſt doch zu ſchwach.
Ich würde ſtrenger ſein.“

Botho legte die Karte bei Seit' und überflog,
ſo gut es ging, die zweite. Sie lautete:

Hannover, 12 Uhr 30 Minuten. In Magde¬
burg war Goltz am Bahnhofe und ſagte mir, Du
hätteſt ihm geſchrieben, ich käme. Wie gut und lieb
wieder von Dir. Du biſt doch immer der Beſte,
der Aufmerkſamſte. Goltz hat jetzt die Vermeſſungen
am Harz, d. h. am 1. Juli fängt er an. — Der
Aufenthalt hier in Hannover währt eine Viertel¬
ſtunde, was ich benutzt habe, mir den unmittelbar
am Bahnhofe gelegenen Platz anzuſehen: lauter erſt
unter unſerer Herrſchaft entſtandene Hotels und Bier-
Etabliſſements, von denen eines ganz im gothiſchen
Stile gebaut iſt. Die Hannoveraner, wie mir ein
Mitreiſender erzählte, nennen es die „preußiſche
Bierkirche“, blos aus welfiſchem Antagonismus.
Wie ſchmerzlich dergleichen! Die Zeit wird aber
auch hier vieles mildern. Das walte Gott. —
Die Kleine knabbert in einem fort weiter, was mich
zu beunruhigen anfängt. Wohin ſoll das führen?
Die Mutter aber iſt wirklich reizend und hat mir
ſchon alles erzählt. Sie war auch in Würzburg,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0227" n="217"/>
Schreiben. Und dabei na&#x017F;cht &#x017F;ie be&#x017F;tändig Kuchen,<lb/>
kleine mit Kir&#x017F;chen und Pi&#x017F;tazien belegte Torten¬<lb/>
&#x017F;tücke. Schon zwi&#x017F;chen Potsdam und Werder fing<lb/>
&#x017F;ie damit an. Die Mutter i&#x017F;t doch zu &#x017F;chwach.<lb/>
Ich würde &#x017F;trenger &#x017F;ein.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Botho legte die Karte bei Seit' und überflog,<lb/>
&#x017F;o gut es ging, die zweite. Sie lautete:</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Hannover</hi>, 12 Uhr 30 Minuten. In Magde¬<lb/>
burg war Goltz am Bahnhofe und &#x017F;agte mir, Du<lb/>
hätte&#x017F;t ihm ge&#x017F;chrieben, ich käme. Wie gut und lieb<lb/>
wieder von Dir. Du bi&#x017F;t doch immer der Be&#x017F;te,<lb/>
der Aufmerk&#x017F;am&#x017F;te. Goltz hat jetzt die Verme&#x017F;&#x017F;ungen<lb/>
am Harz, d. h. am 1. Juli fängt er an. &#x2014; Der<lb/>
Aufenthalt hier in Hannover währt eine Viertel¬<lb/>
&#x017F;tunde, was ich benutzt habe, mir den unmittelbar<lb/>
am Bahnhofe gelegenen Platz anzu&#x017F;ehen: lauter er&#x017F;t<lb/>
unter un&#x017F;erer Herr&#x017F;chaft ent&#x017F;tandene Hotels und Bier-<lb/>
Etabli&#x017F;&#x017F;ements, von denen eines ganz im gothi&#x017F;chen<lb/>
Stile gebaut i&#x017F;t. Die Hannoveraner, wie mir ein<lb/>
Mitrei&#x017F;ender erzählte, nennen es die &#x201E;preußi&#x017F;che<lb/>
Bierkirche&#x201C;, blos aus welfi&#x017F;chem Antagonismus.<lb/>
Wie &#x017F;chmerzlich dergleichen! Die Zeit wird aber<lb/>
auch <hi rendition="#g">hier</hi> vieles mildern. Das walte Gott. &#x2014;<lb/>
Die Kleine knabbert in einem fort weiter, was mich<lb/>
zu beunruhigen anfängt. Wohin &#x017F;oll das führen?<lb/>
Die Mutter aber i&#x017F;t wirklich reizend und hat mir<lb/>
&#x017F;chon <hi rendition="#g">alles</hi> erzählt. Sie war auch in Würzburg,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0227] Schreiben. Und dabei naſcht ſie beſtändig Kuchen, kleine mit Kirſchen und Piſtazien belegte Torten¬ ſtücke. Schon zwiſchen Potsdam und Werder fing ſie damit an. Die Mutter iſt doch zu ſchwach. Ich würde ſtrenger ſein.“ Botho legte die Karte bei Seit' und überflog, ſo gut es ging, die zweite. Sie lautete: Hannover, 12 Uhr 30 Minuten. In Magde¬ burg war Goltz am Bahnhofe und ſagte mir, Du hätteſt ihm geſchrieben, ich käme. Wie gut und lieb wieder von Dir. Du biſt doch immer der Beſte, der Aufmerkſamſte. Goltz hat jetzt die Vermeſſungen am Harz, d. h. am 1. Juli fängt er an. — Der Aufenthalt hier in Hannover währt eine Viertel¬ ſtunde, was ich benutzt habe, mir den unmittelbar am Bahnhofe gelegenen Platz anzuſehen: lauter erſt unter unſerer Herrſchaft entſtandene Hotels und Bier- Etabliſſements, von denen eines ganz im gothiſchen Stile gebaut iſt. Die Hannoveraner, wie mir ein Mitreiſender erzählte, nennen es die „preußiſche Bierkirche“, blos aus welfiſchem Antagonismus. Wie ſchmerzlich dergleichen! Die Zeit wird aber auch hier vieles mildern. Das walte Gott. — Die Kleine knabbert in einem fort weiter, was mich zu beunruhigen anfängt. Wohin ſoll das führen? Die Mutter aber iſt wirklich reizend und hat mir ſchon alles erzählt. Sie war auch in Würzburg,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/227
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/227>, abgerufen am 23.11.2024.