Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Gedichte. Berlin, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn ich die Dämmrung der Gedanken klärte,
Und dich die Macht der Wissenschaften lehrte.
Das war mein Wunsch: dein kindlich frommes
Walten,

Die reine Seele rein dir zu erhalten,
Zu leiten deine Schritte, bis die Tugend
Dich wahre vor dem Flattersinn der Jugend,
Und so, geschützt vor des Versuchers Stricken,
Wollt' ich in's Weltgewühl hinaus dich schicken.
Dann wollt' ich sterben; und zum Vatersegen
Im Todeskampf die Lippen noch bewegen,
Fest überzeugt, du werdest einst erscheinen
An deines Vaters schlichtem Grab zu weinen.

So war mein Wunsch; doch wollte Gott mir
zeigen

Wie wenig Weisheit unsrem Wissen eigen;
So war mein Wunsch; doch anders war Sein Sinn,
Und fühlen muß ich, wie so klein ich bin.

Wenn ich die Dämmrung der Gedanken klärte,
Und dich die Macht der Wiſſenſchaften lehrte.
Das war mein Wunſch: dein kindlich frommes
Walten,

Die reine Seele rein dir zu erhalten,
Zu leiten deine Schritte, bis die Tugend
Dich wahre vor dem Flatterſinn der Jugend,
Und ſo, geſchützt vor des Verſuchers Stricken,
Wollt’ ich in’s Weltgewühl hinaus dich ſchicken.
Dann wollt’ ich ſterben; und zum Vaterſegen
Im Todeskampf die Lippen noch bewegen,
Feſt überzeugt, du werdeſt einſt erſcheinen
An deines Vaters ſchlichtem Grab zu weinen.

So war mein Wunſch; doch wollte Gott mir
zeigen

Wie wenig Weisheit unſrem Wiſſen eigen;
So war mein Wunſch; doch anders war Sein Sinn,
Und fühlen muß ich, wie ſo klein ich bin.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="6">
              <l>
                <pb facs="#f0118" n="104"/>
              </l>
              <l>Wenn ich die Dämmrung der Gedanken klärte,</l><lb/>
              <l>Und dich die Macht der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften lehrte.</l><lb/>
              <l>Das war mein Wun&#x017F;ch: dein kindlich frommes<lb/><hi rendition="#et">Walten,</hi></l><lb/>
              <l>Die reine Seele rein dir zu erhalten,</l><lb/>
              <l>Zu leiten deine Schritte, bis die Tugend</l><lb/>
              <l>Dich wahre vor dem Flatter&#x017F;inn der Jugend,</l><lb/>
              <l>Und <hi rendition="#g">&#x017F;o</hi>, ge&#x017F;chützt vor des Ver&#x017F;uchers Stricken,</l><lb/>
              <l>Wollt&#x2019; ich in&#x2019;s Weltgewühl hinaus dich &#x017F;chicken.</l><lb/>
              <l>Dann wollt&#x2019; ich &#x017F;terben; und zum Vater&#x017F;egen</l><lb/>
              <l>Im Todeskampf die Lippen noch bewegen,</l><lb/>
              <l>Fe&#x017F;t überzeugt, du werde&#x017F;t ein&#x017F;t er&#x017F;cheinen</l><lb/>
              <l>An deines Vaters &#x017F;chlichtem Grab zu weinen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="7">
              <l>So war mein Wun&#x017F;ch; doch wollte Gott mir<lb/><hi rendition="#et">zeigen</hi></l><lb/>
              <l>Wie wenig Weisheit un&#x017F;rem Wi&#x017F;&#x017F;en eigen;</l><lb/>
              <l>So war mein Wun&#x017F;ch; doch anders war Sein Sinn,</l><lb/>
              <l>Und fühlen muß ich, wie &#x017F;o klein ich bin.</l><lb/>
              <l>
</l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0118] Wenn ich die Dämmrung der Gedanken klärte, Und dich die Macht der Wiſſenſchaften lehrte. Das war mein Wunſch: dein kindlich frommes Walten, Die reine Seele rein dir zu erhalten, Zu leiten deine Schritte, bis die Tugend Dich wahre vor dem Flatterſinn der Jugend, Und ſo, geſchützt vor des Verſuchers Stricken, Wollt’ ich in’s Weltgewühl hinaus dich ſchicken. Dann wollt’ ich ſterben; und zum Vaterſegen Im Todeskampf die Lippen noch bewegen, Feſt überzeugt, du werdeſt einſt erſcheinen An deines Vaters ſchlichtem Grab zu weinen. So war mein Wunſch; doch wollte Gott mir zeigen Wie wenig Weisheit unſrem Wiſſen eigen; So war mein Wunſch; doch anders war Sein Sinn, Und fühlen muß ich, wie ſo klein ich bin.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_gedichte_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_gedichte_1851/118
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Gedichte. Berlin, 1851, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_gedichte_1851/118>, abgerufen am 02.05.2024.