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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
paket wieder zur Hand. Es schien, daß er, gleich
beim ersten Durchsehen, ein paar davon ausgewählt
und obenauf gelegt hatte. Diese las er jetzt noch
einmal mit halblauter Stimme.

"Sei heute nachmittag wieder in den Dünen,
hinter der Mühle. Bei der alten Adermann können
wir uns ruhig sprechen, das Haus ist abgelegen genug.
Du mußt Dich nicht um alles so bangen. Wir haben
auch ein Recht. Und wenn Du Dir das eindringlich
sagst, wird, denk ich, alle Furcht von Dir abfallen.
Das Leben wäre nicht des Lebens wert, wenn das
alles gelten sollte, was zufällig gilt. Alles beste
liegt jenseits davon. Lerne Dich daran freuen."

"... Fort, so schreibst Du, Flucht. Unmöglich.
Ich kann meine Frau nicht im Stich lassen, zu allem
andern auch noch in Not. Es geht nicht, und wir
müssen es leicht nehmen, sonst sind wir arm und
verloren. Leichtsinn ist das beste, was wir haben.
Alles ist Schicksal. Es hat so sein sollen. Und
möchtest Du, daß es anders wäre, daß wir uns nie
gesehen hätten?"

Dann kam der dritte Brief.

"... Sei heute noch einmal an der alten Stelle.
Wie sollen meine Tage hier verlaufen ohne Dich!
In diesem öden Nest. Ich bin außer mir, und nur
darin hast Du recht: es ist die Rettung, und wir

Effi Brieſt
paket wieder zur Hand. Es ſchien, daß er, gleich
beim erſten Durchſehen, ein paar davon ausgewählt
und obenauf gelegt hatte. Dieſe las er jetzt noch
einmal mit halblauter Stimme.

„Sei heute nachmittag wieder in den Dünen,
hinter der Mühle. Bei der alten Adermann können
wir uns ruhig ſprechen, das Haus iſt abgelegen genug.
Du mußt Dich nicht um alles ſo bangen. Wir haben
auch ein Recht. Und wenn Du Dir das eindringlich
ſagſt, wird, denk ich, alle Furcht von Dir abfallen.
Das Leben wäre nicht des Lebens wert, wenn das
alles gelten ſollte, was zufällig gilt. Alles beſte
liegt jenſeits davon. Lerne Dich daran freuen.“

„… Fort, ſo ſchreibſt Du, Flucht. Unmöglich.
Ich kann meine Frau nicht im Stich laſſen, zu allem
andern auch noch in Not. Es geht nicht, und wir
müſſen es leicht nehmen, ſonſt ſind wir arm und
verloren. Leichtſinn iſt das beſte, was wir haben.
Alles iſt Schickſal. Es hat ſo ſein ſollen. Und
möchteſt Du, daß es anders wäre, daß wir uns nie
geſehen hätten?“

Dann kam der dritte Brief.

„… Sei heute noch einmal an der alten Stelle.
Wie ſollen meine Tage hier verlaufen ohne Dich!
In dieſem öden Neſt. Ich bin außer mir, und nur
darin haſt Du recht: es iſt die Rettung, und wir

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[407/0416] Effi Brieſt paket wieder zur Hand. Es ſchien, daß er, gleich beim erſten Durchſehen, ein paar davon ausgewählt und obenauf gelegt hatte. Dieſe las er jetzt noch einmal mit halblauter Stimme. „Sei heute nachmittag wieder in den Dünen, hinter der Mühle. Bei der alten Adermann können wir uns ruhig ſprechen, das Haus iſt abgelegen genug. Du mußt Dich nicht um alles ſo bangen. Wir haben auch ein Recht. Und wenn Du Dir das eindringlich ſagſt, wird, denk ich, alle Furcht von Dir abfallen. Das Leben wäre nicht des Lebens wert, wenn das alles gelten ſollte, was zufällig gilt. Alles beſte liegt jenſeits davon. Lerne Dich daran freuen.“ „… Fort, ſo ſchreibſt Du, Flucht. Unmöglich. Ich kann meine Frau nicht im Stich laſſen, zu allem andern auch noch in Not. Es geht nicht, und wir müſſen es leicht nehmen, ſonſt ſind wir arm und verloren. Leichtſinn iſt das beſte, was wir haben. Alles iſt Schickſal. Es hat ſo ſein ſollen. Und möchteſt Du, daß es anders wäre, daß wir uns nie geſehen hätten?“ Dann kam der dritte Brief. „… Sei heute noch einmal an der alten Stelle. Wie ſollen meine Tage hier verlaufen ohne Dich! In dieſem öden Neſt. Ich bin außer mir, und nur darin haſt Du recht: es iſt die Rettung, und wir

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/416>, abgerufen am 22.11.2024.