Das Auf- und Abschreiten nebenan wollte kein Ende nehmen. Endlich erschien Innstetten wieder im Nebenzimmer und sagte: "Johanna, achten Sie auf Annie und daß sie ruhig auf dem Sofa bleibt. Ich will eine Stunde gehen oder vielleicht zwei."
Dann sah er das Kind aufmerksam an und entfernte sich.
"Hast Du gesehen, Johanna, wie Papa aussah?"
"Ja, Annie. Er muß einen großen Ärger ge¬ habt haben. Er war ganz blaß. So hab ich ihn noch nie gesehen."
Es vergingen Stunden. Die Sonne war schon unter, und nur ein roter Widerschein lag noch über den Dächern drüben, als Innstetten wieder zurück kam. Er gab Annie die Hand, fragte wie's ihr gehe und ordnete dann an, daß ihm Johanna die Lampe in sein Zimmer bringe. Die Lampe kam auch. In dem grünen Schirm befanden sich halb durch¬ sichtige Ovale mit Photographieen, allerlei Bildnisse seiner Frau, die noch in Kessin, damals als man den Wichert'schen "Schritt vom Wege" aufgeführt hatte, für die verschiedenen Mitspielenden angefertigt waren. Innstetten drehte den Schirm langsam von links nach rechts und musterte jedes einzelne Bildnis. Dann ließ er davon ab, öffnete, weil er es schwül fand, die Balkonthür und nahm schließlich das Brief¬
Effi Brieſt
Das Auf- und Abſchreiten nebenan wollte kein Ende nehmen. Endlich erſchien Innſtetten wieder im Nebenzimmer und ſagte: „Johanna, achten Sie auf Annie und daß ſie ruhig auf dem Sofa bleibt. Ich will eine Stunde gehen oder vielleicht zwei.“
Dann ſah er das Kind aufmerkſam an und entfernte ſich.
„Haſt Du geſehen, Johanna, wie Papa ausſah?“
„Ja, Annie. Er muß einen großen Ärger ge¬ habt haben. Er war ganz blaß. So hab ich ihn noch nie geſehen.“
Es vergingen Stunden. Die Sonne war ſchon unter, und nur ein roter Widerſchein lag noch über den Dächern drüben, als Innſtetten wieder zurück kam. Er gab Annie die Hand, fragte wie's ihr gehe und ordnete dann an, daß ihm Johanna die Lampe in ſein Zimmer bringe. Die Lampe kam auch. In dem grünen Schirm befanden ſich halb durch¬ ſichtige Ovale mit Photographieen, allerlei Bildniſſe ſeiner Frau, die noch in Keſſin, damals als man den Wichert'ſchen „Schritt vom Wege“ aufgeführt hatte, für die verſchiedenen Mitſpielenden angefertigt waren. Innſtetten drehte den Schirm langſam von links nach rechts und muſterte jedes einzelne Bildnis. Dann ließ er davon ab, öffnete, weil er es ſchwül fand, die Balkonthür und nahm ſchließlich das Brief¬
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[406/0415]
Effi Brieſt
Das Auf- und Abſchreiten nebenan wollte kein
Ende nehmen. Endlich erſchien Innſtetten wieder
im Nebenzimmer und ſagte: „Johanna, achten Sie
auf Annie und daß ſie ruhig auf dem Sofa bleibt.
Ich will eine Stunde gehen oder vielleicht zwei.“
Dann ſah er das Kind aufmerkſam an und
entfernte ſich.
„Haſt Du geſehen, Johanna, wie Papa ausſah?“
„Ja, Annie. Er muß einen großen Ärger ge¬
habt haben. Er war ganz blaß. So hab ich ihn
noch nie geſehen.“
Es vergingen Stunden. Die Sonne war ſchon
unter, und nur ein roter Widerſchein lag noch über
den Dächern drüben, als Innſtetten wieder zurück
kam. Er gab Annie die Hand, fragte wie's ihr
gehe und ordnete dann an, daß ihm Johanna die
Lampe in ſein Zimmer bringe. Die Lampe kam auch.
In dem grünen Schirm befanden ſich halb durch¬
ſichtige Ovale mit Photographieen, allerlei Bildniſſe
ſeiner Frau, die noch in Keſſin, damals als man
den Wichert'ſchen „Schritt vom Wege“ aufgeführt
hatte, für die verſchiedenen Mitſpielenden angefertigt
waren. Innſtetten drehte den Schirm langſam von
links nach rechts und muſterte jedes einzelne Bildnis.
Dann ließ er davon ab, öffnete, weil er es ſchwül
fand, die Balkonthür und nahm ſchließlich das Brief¬
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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/415>, abgerufen am 22.11.2024.
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