Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

Effi Briest
daß kurz vor elf Uhr Vormittags, wo sonst der Ver¬
kehr vom Dampfschiff her am buntesten vorüber¬
flutete, statt der mit Ehepaaren, Kindern und Reise¬
koffern besetzten Droschken, aus der Mitte der Stadt
her ein schwarz verhangener Wagen (dem sich zwei
Trauerkutschen anschlossen) die zur Plantage führende
Straße herunter kam und vor dem der landrätlichen
Wohnung gegenüber gelegenen Hause hielt. Die
verwitwete Frau Registratur Rode war nämlich drei
Tage vorher gestorben, und nach Eintreffen der in
aller Kürze benachrichtigten Berliner Verwandten,
war seitens eben dieser beschlossen worden, die Tote
nicht nach Berlin hin überführen, sondern auf dem
Kessiner Dünenkirchhof begraben zu wollen. Effi
stand am Fenster und sah neugierig auf die sonder¬
bar feierliche Szene, die sich drüben abspielte. Die
zum Begräbnis von Berlin her Eingetroffenen waren
zwei Neffen mit ihren Frauen, alle gegen Vierzig,
etwas mehr oder weniger, und von beneidenswert
gesunder Gesichtsfarbe. Die Neffen, in gut sitzenden
Fracks, konnten passieren, und die nüchterne Geschäfts¬
mäßigkeit, die sich in ihrem gesamten Thun aus¬
drückte, war im Grunde mehr kleidsam als störend.
Aber die beiden Frauen! Sie waren ganz ersichtlich
bemüht, den Kessinern zu zeigen, was eigentlich
Trauer sei, und trugen denn auch lange, bis an die

Effi Brieſt
daß kurz vor elf Uhr Vormittags, wo ſonſt der Ver¬
kehr vom Dampfſchiff her am bunteſten vorüber¬
flutete, ſtatt der mit Ehepaaren, Kindern und Reiſe¬
koffern beſetzten Droſchken, aus der Mitte der Stadt
her ein ſchwarz verhangener Wagen (dem ſich zwei
Trauerkutſchen anſchloſſen) die zur Plantage führende
Straße herunter kam und vor dem der landrätlichen
Wohnung gegenüber gelegenen Hauſe hielt. Die
verwitwete Frau Regiſtratur Rode war nämlich drei
Tage vorher geſtorben, und nach Eintreffen der in
aller Kürze benachrichtigten Berliner Verwandten,
war ſeitens eben dieſer beſchloſſen worden, die Tote
nicht nach Berlin hin überführen, ſondern auf dem
Keſſiner Dünenkirchhof begraben zu wollen. Effi
ſtand am Fenſter und ſah neugierig auf die ſonder¬
bar feierliche Szene, die ſich drüben abſpielte. Die
zum Begräbnis von Berlin her Eingetroffenen waren
zwei Neffen mit ihren Frauen, alle gegen Vierzig,
etwas mehr oder weniger, und von beneidenswert
geſunder Geſichtsfarbe. Die Neffen, in gut ſitzenden
Fracks, konnten paſſieren, und die nüchterne Geſchäfts¬
mäßigkeit, die ſich in ihrem geſamten Thun aus¬
drückte, war im Grunde mehr kleidſam als ſtörend.
Aber die beiden Frauen! Sie waren ganz erſichtlich
bemüht, den Keſſinern zu zeigen, was eigentlich
Trauer ſei, und trugen denn auch lange, bis an die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0192" n="183"/><fw place="top" type="header">Effi Brie&#x017F;t<lb/></fw> daß kurz vor elf Uhr Vormittags, wo &#x017F;on&#x017F;t der Ver¬<lb/>
kehr vom Dampf&#x017F;chiff her am bunte&#x017F;ten vorüber¬<lb/>
flutete, &#x017F;tatt der mit Ehepaaren, Kindern und Rei&#x017F;<lb/>
koffern be&#x017F;etzten Dro&#x017F;chken, aus der Mitte der Stadt<lb/>
her ein &#x017F;chwarz verhangener Wagen (dem &#x017F;ich zwei<lb/>
Trauerkut&#x017F;chen an&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en) die zur Plantage führende<lb/>
Straße herunter kam und vor dem der landrätlichen<lb/>
Wohnung gegenüber gelegenen Hau&#x017F;e hielt. Die<lb/>
verwitwete Frau Regi&#x017F;tratur Rode war nämlich drei<lb/>
Tage vorher ge&#x017F;torben, und nach Eintreffen der in<lb/>
aller Kürze benachrichtigten Berliner Verwandten,<lb/>
war &#x017F;eitens eben die&#x017F;er be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en worden, die Tote<lb/>
nicht nach Berlin hin überführen, &#x017F;ondern auf dem<lb/>
Ke&#x017F;&#x017F;iner Dünenkirchhof begraben zu wollen. Effi<lb/>
&#x017F;tand am Fen&#x017F;ter und &#x017F;ah neugierig auf die &#x017F;onder¬<lb/>
bar feierliche Szene, die &#x017F;ich drüben ab&#x017F;pielte. Die<lb/>
zum Begräbnis von Berlin her Eingetroffenen waren<lb/>
zwei Neffen mit ihren Frauen, alle gegen Vierzig,<lb/>
etwas mehr oder weniger, und von beneidenswert<lb/>
ge&#x017F;under Ge&#x017F;ichtsfarbe. Die Neffen, in gut &#x017F;itzenden<lb/>
Fracks, konnten pa&#x017F;&#x017F;ieren, und die nüchterne Ge&#x017F;chäfts¬<lb/>
mäßigkeit, die &#x017F;ich in ihrem ge&#x017F;amten Thun aus¬<lb/>
drückte, war im Grunde mehr kleid&#x017F;am als &#x017F;törend.<lb/>
Aber die beiden Frauen! Sie waren ganz er&#x017F;ichtlich<lb/>
bemüht, den Ke&#x017F;&#x017F;inern zu zeigen, was eigentlich<lb/>
Trauer &#x017F;ei, und trugen denn auch lange, bis an die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0192] Effi Brieſt daß kurz vor elf Uhr Vormittags, wo ſonſt der Ver¬ kehr vom Dampfſchiff her am bunteſten vorüber¬ flutete, ſtatt der mit Ehepaaren, Kindern und Reiſe¬ koffern beſetzten Droſchken, aus der Mitte der Stadt her ein ſchwarz verhangener Wagen (dem ſich zwei Trauerkutſchen anſchloſſen) die zur Plantage führende Straße herunter kam und vor dem der landrätlichen Wohnung gegenüber gelegenen Hauſe hielt. Die verwitwete Frau Regiſtratur Rode war nämlich drei Tage vorher geſtorben, und nach Eintreffen der in aller Kürze benachrichtigten Berliner Verwandten, war ſeitens eben dieſer beſchloſſen worden, die Tote nicht nach Berlin hin überführen, ſondern auf dem Keſſiner Dünenkirchhof begraben zu wollen. Effi ſtand am Fenſter und ſah neugierig auf die ſonder¬ bar feierliche Szene, die ſich drüben abſpielte. Die zum Begräbnis von Berlin her Eingetroffenen waren zwei Neffen mit ihren Frauen, alle gegen Vierzig, etwas mehr oder weniger, und von beneidenswert geſunder Geſichtsfarbe. Die Neffen, in gut ſitzenden Fracks, konnten paſſieren, und die nüchterne Geſchäfts¬ mäßigkeit, die ſich in ihrem geſamten Thun aus¬ drückte, war im Grunde mehr kleidſam als ſtörend. Aber die beiden Frauen! Sie waren ganz erſichtlich bemüht, den Keſſinern zu zeigen, was eigentlich Trauer ſei, und trugen denn auch lange, bis an die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/192
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/192>, abgerufen am 25.11.2024.