Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

Effi Briest
Erde reichende schwarze Kreppschleier, die zugleich
ihr Gesicht verhüllten. Und nun wurde der Sarg,
auf dem einige Kränze und sogar ein Palmenwedel
lagen, auf den Wagen gestellt, und die beiden Ehepaare
setzten sich in die Kutschen. In die erste -- gemein¬
schaftlich mit dem einen der beiden leidtragenden
Paare -- stieg auch Lindequist, hinter der zweiten
Kutsche aber ging die Hauswirtin, und neben dieser
die stattliche Person, die die Verstorbene zur Aus¬
hülfe mit nach Kessin gebracht hatte. Letztere war
sehr aufgeregt und schien durchaus ehrlich darin,
wenn dies Aufgeregtsein auch vielleicht nicht gerade
Trauer war; der sehr heftig schluchzenden Hauswirtin
aber, einer Witwe, sah man dagegen fast allzu
deutlich an, daß sie sich beständig die Möglichkeit
eines Extrageschenkes berechnete, trotzdem sie in der
bevorzugten und von anderen Wirtinnen auch sehr
beneideten Lage war, die für den ganzen Sommer
vermietete Wohnung noch einmal vermieten zu können.

Effi, als der Zug sich in Bewegung setzte, ging
in ihren hinter dem Hofe gelegenen Garten, um
hier, zwischen den Buchsbaumbeeten, den Eindruck des
Lieb- und Leblosen, den die ganze Scene drüben auf
sie gemacht hatte, wieder los zu werden. Als dies
aber nicht glücken wollte, kam ihr die Lust, statt
ihrer eintönigen Gartenpromenade lieber einen weiteren

Effi Brieſt
Erde reichende ſchwarze Kreppſchleier, die zugleich
ihr Geſicht verhüllten. Und nun wurde der Sarg,
auf dem einige Kränze und ſogar ein Palmenwedel
lagen, auf den Wagen geſtellt, und die beiden Ehepaare
ſetzten ſich in die Kutſchen. In die erſte — gemein¬
ſchaftlich mit dem einen der beiden leidtragenden
Paare — ſtieg auch Lindequiſt, hinter der zweiten
Kutſche aber ging die Hauswirtin, und neben dieſer
die ſtattliche Perſon, die die Verſtorbene zur Aus¬
hülfe mit nach Keſſin gebracht hatte. Letztere war
ſehr aufgeregt und ſchien durchaus ehrlich darin,
wenn dies Aufgeregtſein auch vielleicht nicht gerade
Trauer war; der ſehr heftig ſchluchzenden Hauswirtin
aber, einer Witwe, ſah man dagegen faſt allzu
deutlich an, daß ſie ſich beſtändig die Möglichkeit
eines Extrageſchenkes berechnete, trotzdem ſie in der
bevorzugten und von anderen Wirtinnen auch ſehr
beneideten Lage war, die für den ganzen Sommer
vermietete Wohnung noch einmal vermieten zu können.

Effi, als der Zug ſich in Bewegung ſetzte, ging
in ihren hinter dem Hofe gelegenen Garten, um
hier, zwiſchen den Buchsbaumbeeten, den Eindruck des
Lieb- und Lebloſen, den die ganze Scene drüben auf
ſie gemacht hatte, wieder los zu werden. Als dies
aber nicht glücken wollte, kam ihr die Luſt, ſtatt
ihrer eintönigen Gartenpromenade lieber einen weiteren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0193" n="184"/><fw place="top" type="header">Effi Brie&#x017F;t<lb/></fw> Erde reichende &#x017F;chwarze Krepp&#x017F;chleier, die zugleich<lb/>
ihr Ge&#x017F;icht verhüllten. Und nun wurde der Sarg,<lb/>
auf dem einige Kränze und &#x017F;ogar ein Palmenwedel<lb/>
lagen, auf den Wagen ge&#x017F;tellt, und die beiden Ehepaare<lb/>
&#x017F;etzten &#x017F;ich in die Kut&#x017F;chen. In die er&#x017F;te &#x2014; gemein¬<lb/>
&#x017F;chaftlich mit dem einen der beiden leidtragenden<lb/>
Paare &#x2014; &#x017F;tieg auch Lindequi&#x017F;t, hinter der zweiten<lb/>
Kut&#x017F;che aber ging die Hauswirtin, und neben die&#x017F;er<lb/>
die &#x017F;tattliche Per&#x017F;on, die die Ver&#x017F;torbene zur Aus¬<lb/>
hülfe mit nach Ke&#x017F;&#x017F;in gebracht hatte. Letztere war<lb/>
&#x017F;ehr aufgeregt und &#x017F;chien durchaus ehrlich darin,<lb/>
wenn dies Aufgeregt&#x017F;ein auch vielleicht nicht gerade<lb/>
Trauer war; der &#x017F;ehr heftig &#x017F;chluchzenden Hauswirtin<lb/>
aber, einer Witwe, &#x017F;ah man dagegen fa&#x017F;t allzu<lb/>
deutlich an, daß &#x017F;ie &#x017F;ich be&#x017F;tändig die Möglichkeit<lb/>
eines Extrage&#x017F;chenkes berechnete, trotzdem &#x017F;ie in der<lb/>
bevorzugten und von anderen Wirtinnen auch &#x017F;ehr<lb/>
beneideten Lage war, die für den ganzen Sommer<lb/>
vermietete Wohnung noch einmal vermieten zu können.</p><lb/>
        <p>Effi, als der Zug &#x017F;ich in Bewegung &#x017F;etzte, ging<lb/>
in ihren hinter dem Hofe gelegenen Garten, um<lb/>
hier, zwi&#x017F;chen den Buchsbaumbeeten, den Eindruck des<lb/>
Lieb- und Leblo&#x017F;en, den die ganze Scene drüben auf<lb/>
&#x017F;ie gemacht hatte, wieder los zu werden. Als dies<lb/>
aber nicht glücken wollte, kam ihr die Lu&#x017F;t, &#x017F;tatt<lb/>
ihrer eintönigen Gartenpromenade lieber einen weiteren<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[184/0193] Effi Brieſt Erde reichende ſchwarze Kreppſchleier, die zugleich ihr Geſicht verhüllten. Und nun wurde der Sarg, auf dem einige Kränze und ſogar ein Palmenwedel lagen, auf den Wagen geſtellt, und die beiden Ehepaare ſetzten ſich in die Kutſchen. In die erſte — gemein¬ ſchaftlich mit dem einen der beiden leidtragenden Paare — ſtieg auch Lindequiſt, hinter der zweiten Kutſche aber ging die Hauswirtin, und neben dieſer die ſtattliche Perſon, die die Verſtorbene zur Aus¬ hülfe mit nach Keſſin gebracht hatte. Letztere war ſehr aufgeregt und ſchien durchaus ehrlich darin, wenn dies Aufgeregtſein auch vielleicht nicht gerade Trauer war; der ſehr heftig ſchluchzenden Hauswirtin aber, einer Witwe, ſah man dagegen faſt allzu deutlich an, daß ſie ſich beſtändig die Möglichkeit eines Extrageſchenkes berechnete, trotzdem ſie in der bevorzugten und von anderen Wirtinnen auch ſehr beneideten Lage war, die für den ganzen Sommer vermietete Wohnung noch einmal vermieten zu können. Effi, als der Zug ſich in Bewegung ſetzte, ging in ihren hinter dem Hofe gelegenen Garten, um hier, zwiſchen den Buchsbaumbeeten, den Eindruck des Lieb- und Lebloſen, den die ganze Scene drüben auf ſie gemacht hatte, wieder los zu werden. Als dies aber nicht glücken wollte, kam ihr die Luſt, ſtatt ihrer eintönigen Gartenpromenade lieber einen weiteren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/193
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/193>, abgerufen am 22.11.2024.