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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Beeskow, und warum soll nicht wenigstens einer in Rauen liegen?
Er kann ja 'ne Vorliebe für Rauen gehabt haben."

"Glauben Sie?"

Diese letzten Worte waren schon vor dem vorerwähnten Altar
gesprochen worden, und wir schoben jetzt eine längliche Strohdecke
fort, unter der der angebliche Bischofsstein gelegen war. Er war
wirklich ganz abgetreten, bis auf eine einzige den Schriftzügen
oder Buchstaben nach aus der Wende des 15. und 16. Jahr-
hunderts herstammende Zeile, die durch einen schmalen, nur etwa
zwei Zoll breiten Vorsprung der Altarstufe geschützt und gerettet
worden war. Diese Zeile lautete: "v. Wulffen, Tempelb ...."
Es war also ein Tempelberger Wulffen, der hier begraben lag
und kein Bischof dieses Namens. Wie denn solcher überhaupt
nicht existirt hat, was sich aus dem vollständigen, uns von Wohl-
brück in seinem Geschichtswerke gegebenen Verzeichnisse der Lebuser
Bischöfe mit Sicherheit ersehen läßt.

Aus dem Dorfe Rauen fuhren wir abermals in eine
Schonung ein, zwischen deren Krüppelkiefern eine Fahrstraße sich
ängstlich hin und her schlängelte, fast als ob jeder einzelne Baum
zu schonen gewesen wäre. Wo so wenig ist, ist auch eine Kiefer
etwas. Endlich aber passirten wir eine halb offne Stelle, die durch
mehrere hier sich kreuzende Waldwege gebildet wurde.

"Das ist er," sagte Moll, und hielt sein Fuhrwerk an.

"Wer?"

"Der große Stein."

"Der Markgrafenstein?"

Er nickte blos und überließ mich meinem Staunen, das
weniger an den rechten Flügel der Bewunderung als an den
linken der Enttäuschung grenzte. Wirklich, ich war enttäuscht und
würde wenn es Moll vorgezogen hätte schlechtweg daran vorüber
zu fahren, im günstigsten Falle gedacht haben: "ei, ein großer
Stein." Und das sollte nun einer der berühmten Markgrafen-
steine sein, eines der sieben märkischen Weltwunder! Ich hatte
mir diese Steine halb memnonssäulenartig oder doch wenigstens
als ein paar von der Natur gebildete Riesen-Obelisken gedacht
und sah nun etwas Zusammengekauertes daliegen, das genau den
Eindruck eines todten Elephanten auf mich machte. Nun sind

Beeskow, und warum ſoll nicht wenigſtens einer in Rauen liegen?
Er kann ja ’ne Vorliebe für Rauen gehabt haben.“

„Glauben Sie?“

Dieſe letzten Worte waren ſchon vor dem vorerwähnten Altar
geſprochen worden, und wir ſchoben jetzt eine längliche Strohdecke
fort, unter der der angebliche Biſchofsſtein gelegen war. Er war
wirklich ganz abgetreten, bis auf eine einzige den Schriftzügen
oder Buchſtaben nach aus der Wende des 15. und 16. Jahr-
hunderts herſtammende Zeile, die durch einen ſchmalen, nur etwa
zwei Zoll breiten Vorſprung der Altarſtufe geſchützt und gerettet
worden war. Dieſe Zeile lautete: „v. Wulffen, Tempelb ....“
Es war alſo ein Tempelberger Wulffen, der hier begraben lag
und kein Biſchof dieſes Namens. Wie denn ſolcher überhaupt
nicht exiſtirt hat, was ſich aus dem vollſtändigen, uns von Wohl-
brück in ſeinem Geſchichtswerke gegebenen Verzeichniſſe der Lebuſer
Biſchöfe mit Sicherheit erſehen läßt.

Aus dem Dorfe Rauen fuhren wir abermals in eine
Schonung ein, zwiſchen deren Krüppelkiefern eine Fahrſtraße ſich
ängſtlich hin und her ſchlängelte, faſt als ob jeder einzelne Baum
zu ſchonen geweſen wäre. Wo ſo wenig iſt, iſt auch eine Kiefer
etwas. Endlich aber paſſirten wir eine halb offne Stelle, die durch
mehrere hier ſich kreuzende Waldwege gebildet wurde.

„Das iſt er,“ ſagte Moll, und hielt ſein Fuhrwerk an.

„Wer?“

„Der große Stein.“

„Der Markgrafenſtein?“

Er nickte blos und überließ mich meinem Staunen, das
weniger an den rechten Flügel der Bewunderung als an den
linken der Enttäuſchung grenzte. Wirklich, ich war enttäuſcht und
würde wenn es Moll vorgezogen hätte ſchlechtweg daran vorüber
zu fahren, im günſtigſten Falle gedacht haben: „ei, ein großer
Stein.“ Und das ſollte nun einer der berühmten Markgrafen-
ſteine ſein, eines der ſieben märkiſchen Weltwunder! Ich hatte
mir dieſe Steine halb memnonsſäulenartig oder doch wenigſtens
als ein paar von der Natur gebildete Rieſen-Obelisken gedacht
und ſah nun etwas Zuſammengekauertes daliegen, das genau den
Eindruck eines todten Elephanten auf mich machte. Nun ſind

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[21/0037] Beeskow, und warum ſoll nicht wenigſtens einer in Rauen liegen? Er kann ja ’ne Vorliebe für Rauen gehabt haben.“ „Glauben Sie?“ Dieſe letzten Worte waren ſchon vor dem vorerwähnten Altar geſprochen worden, und wir ſchoben jetzt eine längliche Strohdecke fort, unter der der angebliche Biſchofsſtein gelegen war. Er war wirklich ganz abgetreten, bis auf eine einzige den Schriftzügen oder Buchſtaben nach aus der Wende des 15. und 16. Jahr- hunderts herſtammende Zeile, die durch einen ſchmalen, nur etwa zwei Zoll breiten Vorſprung der Altarſtufe geſchützt und gerettet worden war. Dieſe Zeile lautete: „v. Wulffen, Tempelb ....“ Es war alſo ein Tempelberger Wulffen, der hier begraben lag und kein Biſchof dieſes Namens. Wie denn ſolcher überhaupt nicht exiſtirt hat, was ſich aus dem vollſtändigen, uns von Wohl- brück in ſeinem Geſchichtswerke gegebenen Verzeichniſſe der Lebuſer Biſchöfe mit Sicherheit erſehen läßt. Aus dem Dorfe Rauen fuhren wir abermals in eine Schonung ein, zwiſchen deren Krüppelkiefern eine Fahrſtraße ſich ängſtlich hin und her ſchlängelte, faſt als ob jeder einzelne Baum zu ſchonen geweſen wäre. Wo ſo wenig iſt, iſt auch eine Kiefer etwas. Endlich aber paſſirten wir eine halb offne Stelle, die durch mehrere hier ſich kreuzende Waldwege gebildet wurde. „Das iſt er,“ ſagte Moll, und hielt ſein Fuhrwerk an. „Wer?“ „Der große Stein.“ „Der Markgrafenſtein?“ Er nickte blos und überließ mich meinem Staunen, das weniger an den rechten Flügel der Bewunderung als an den linken der Enttäuſchung grenzte. Wirklich, ich war enttäuſcht und würde wenn es Moll vorgezogen hätte ſchlechtweg daran vorüber zu fahren, im günſtigſten Falle gedacht haben: „ei, ein großer Stein.“ Und das ſollte nun einer der berühmten Markgrafen- ſteine ſein, eines der ſieben märkiſchen Weltwunder! Ich hatte mir dieſe Steine halb memnonsſäulenartig oder doch wenigſtens als ein paar von der Natur gebildete Rieſen-Obelisken gedacht und ſah nun etwas Zuſammengekauertes daliegen, das genau den Eindruck eines todten Elephanten auf mich machte. Nun ſind

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/37>, abgerufen am 24.04.2024.