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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Dieu, Knesebeck, c'est vous", -- und die alten Gegner und
Freunde schüttelten sich die Hand. Knesebeck hatte sein Wort ge-
löst; er war gekommen, aber "in großer Gesellschaft" wie er pro-
phezeit hatte.

Weihnachten 1815 kehrte er heim, ererbte bald danach Löwenbruch
und zog sich 1829 nach dem benachbarten Jühnsdorf zurück. Unter
allen Tagen seines Lebens blieb ihm der Sylvestertag 1807 der
theuerste, wo die Stadt Ruppin ihm in festlicher Versammlung
die Bürgerkrone überreicht hatte. Und in der That, mit freudigem
Stolze mocht er sich der Worte erinnern, die damals, in noch frischer
Dankbarkeit, an ihn gerichtet worden waren:

Als in den Tagen des Grams die blöden Gemüther erstarrten
Und dem nahenden Sturm jegliche Seele erlag,
Tratest Du kühnlich hervor, gesetzt und weis' und besonnen,
Zu beschwören den Sturm, der uns Verderben gedroht.

Er hatte wohl Anspruch auf diese Huldigung. Der Kreis,
in dem ihm zu wirken vergönnt war, war nur ein kleiner und
begrenzter, aber innerhalb desselben hatte er sich bewährt. Den
größern Kreis sich zu schaffen, lag außerhalb seiner Macht, indessen
wo immer er stand, stand er da -- ein ganzer Mann. Er
starb hochbetagt am 11. Juli 1860.


Wir sitzen im Herrenhause zu Löwenbruch.

Die Thüre des Gartensaals steht offen und Duft und Frische
dringen ein. Die Sonne scheidet eben und nur ein rother Streifen liegt
noch über dem Schwarzgrün der Edeltannen. Alles ist sabbathstill und
geräuschlos zieht ein Schwarm Tauben durch die Luft. Erdbeer-
schalen schmücken den Tisch und lachen uns an, heiter und behaglich
fließt das Gespräch. Aber auch das, was uns umgiebt, führt seine
Sprache. Jegliches was seit Jahrhunderten hier war und wuchs,
es ist nicht todt, es lebt, und schafft und wirkt ein geheimniß-
volles Band zwischen dem Vergangenen und dem Gegenwärtigen.
Auf dem Tische vor uns steht ein Serpentin-Krug, der das
Wappen der Otterstedts auf seinem Silberdeckel trägt; durch
die zurückgeschlagene Sammt-Portiere gewahren wir im Neben-

Dieu, Knesebeck, c’est vous“, — und die alten Gegner und
Freunde ſchüttelten ſich die Hand. Kneſebeck hatte ſein Wort ge-
löſt; er war gekommen, aber „in großer Geſellſchaft“ wie er pro-
phezeit hatte.

Weihnachten 1815 kehrte er heim, ererbte bald danach Löwenbruch
und zog ſich 1829 nach dem benachbarten Jühnsdorf zurück. Unter
allen Tagen ſeines Lebens blieb ihm der Sylveſtertag 1807 der
theuerſte, wo die Stadt Ruppin ihm in feſtlicher Verſammlung
die Bürgerkrone überreicht hatte. Und in der That, mit freudigem
Stolze mocht er ſich der Worte erinnern, die damals, in noch friſcher
Dankbarkeit, an ihn gerichtet worden waren:

Als in den Tagen des Grams die blöden Gemüther erſtarrten
Und dem nahenden Sturm jegliche Seele erlag,
Trateſt Du kühnlich hervor, geſetzt und weiſ’ und beſonnen,
Zu beſchwören den Sturm, der uns Verderben gedroht.

Er hatte wohl Anſpruch auf dieſe Huldigung. Der Kreis,
in dem ihm zu wirken vergönnt war, war nur ein kleiner und
begrenzter, aber innerhalb deſſelben hatte er ſich bewährt. Den
größern Kreis ſich zu ſchaffen, lag außerhalb ſeiner Macht, indeſſen
wo immer er ſtand, ſtand er da — ein ganzer Mann. Er
ſtarb hochbetagt am 11. Juli 1860.


Wir ſitzen im Herrenhauſe zu Löwenbruch.

Die Thüre des Gartenſaals ſteht offen und Duft und Friſche
dringen ein. Die Sonne ſcheidet eben und nur ein rother Streifen liegt
noch über dem Schwarzgrün der Edeltannen. Alles iſt ſabbathſtill und
geräuſchlos zieht ein Schwarm Tauben durch die Luft. Erdbeer-
ſchalen ſchmücken den Tiſch und lachen uns an, heiter und behaglich
fließt das Geſpräch. Aber auch das, was uns umgiebt, führt ſeine
Sprache. Jegliches was ſeit Jahrhunderten hier war und wuchs,
es iſt nicht todt, es lebt, und ſchafft und wirkt ein geheimniß-
volles Band zwiſchen dem Vergangenen und dem Gegenwärtigen.
Auf dem Tiſche vor uns ſteht ein Serpentin-Krug, der das
Wappen der Otterſtedts auf ſeinem Silberdeckel trägt; durch
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[327/0343] Dieu, Knesebeck, c’est vous“, — und die alten Gegner und Freunde ſchüttelten ſich die Hand. Kneſebeck hatte ſein Wort ge- löſt; er war gekommen, aber „in großer Geſellſchaft“ wie er pro- phezeit hatte. Weihnachten 1815 kehrte er heim, ererbte bald danach Löwenbruch und zog ſich 1829 nach dem benachbarten Jühnsdorf zurück. Unter allen Tagen ſeines Lebens blieb ihm der Sylveſtertag 1807 der theuerſte, wo die Stadt Ruppin ihm in feſtlicher Verſammlung die Bürgerkrone überreicht hatte. Und in der That, mit freudigem Stolze mocht er ſich der Worte erinnern, die damals, in noch friſcher Dankbarkeit, an ihn gerichtet worden waren: Als in den Tagen des Grams die blöden Gemüther erſtarrten Und dem nahenden Sturm jegliche Seele erlag, Trateſt Du kühnlich hervor, geſetzt und weiſ’ und beſonnen, Zu beſchwören den Sturm, der uns Verderben gedroht. Er hatte wohl Anſpruch auf dieſe Huldigung. Der Kreis, in dem ihm zu wirken vergönnt war, war nur ein kleiner und begrenzter, aber innerhalb deſſelben hatte er ſich bewährt. Den größern Kreis ſich zu ſchaffen, lag außerhalb ſeiner Macht, indeſſen wo immer er ſtand, ſtand er da — ein ganzer Mann. Er ſtarb hochbetagt am 11. Juli 1860. Wir ſitzen im Herrenhauſe zu Löwenbruch. Die Thüre des Gartenſaals ſteht offen und Duft und Friſche dringen ein. Die Sonne ſcheidet eben und nur ein rother Streifen liegt noch über dem Schwarzgrün der Edeltannen. Alles iſt ſabbathſtill und geräuſchlos zieht ein Schwarm Tauben durch die Luft. Erdbeer- ſchalen ſchmücken den Tiſch und lachen uns an, heiter und behaglich fließt das Geſpräch. Aber auch das, was uns umgiebt, führt ſeine Sprache. Jegliches was ſeit Jahrhunderten hier war und wuchs, es iſt nicht todt, es lebt, und ſchafft und wirkt ein geheimniß- volles Band zwiſchen dem Vergangenen und dem Gegenwärtigen. Auf dem Tiſche vor uns ſteht ein Serpentin-Krug, der das Wappen der Otterſtedts auf ſeinem Silberdeckel trägt; durch die zurückgeſchlagene Sammt-Portière gewahren wir im Neben-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/343>, abgerufen am 19.05.2024.