Dieu, Knesebeck, c'est vous", -- und die alten Gegner und Freunde schüttelten sich die Hand. Knesebeck hatte sein Wort ge- löst; er war gekommen, aber "in großer Gesellschaft" wie er pro- phezeit hatte.
Weihnachten 1815 kehrte er heim, ererbte bald danach Löwenbruch und zog sich 1829 nach dem benachbarten Jühnsdorf zurück. Unter allen Tagen seines Lebens blieb ihm der Sylvestertag 1807 der theuerste, wo die Stadt Ruppin ihm in festlicher Versammlung die Bürgerkrone überreicht hatte. Und in der That, mit freudigem Stolze mocht er sich der Worte erinnern, die damals, in noch frischer Dankbarkeit, an ihn gerichtet worden waren:
Als in den Tagen des Grams die blöden Gemüther erstarrten Und dem nahenden Sturm jegliche Seele erlag, Tratest Du kühnlich hervor, gesetzt und weis' und besonnen, Zu beschwören den Sturm, der uns Verderben gedroht.
Er hatte wohl Anspruch auf diese Huldigung. Der Kreis, in dem ihm zu wirken vergönnt war, war nur ein kleiner und begrenzter, aber innerhalb desselben hatte er sich bewährt. Den größern Kreis sich zu schaffen, lag außerhalb seiner Macht, indessen wo immer er stand, stand er da -- ein ganzer Mann. Er starb hochbetagt am 11. Juli 1860.
Wir sitzen im Herrenhause zu Löwenbruch.
Die Thüre des Gartensaals steht offen und Duft und Frische dringen ein. Die Sonne scheidet eben und nur ein rother Streifen liegt noch über dem Schwarzgrün der Edeltannen. Alles ist sabbathstill und geräuschlos zieht ein Schwarm Tauben durch die Luft. Erdbeer- schalen schmücken den Tisch und lachen uns an, heiter und behaglich fließt das Gespräch. Aber auch das, was uns umgiebt, führt seine Sprache. Jegliches was seit Jahrhunderten hier war und wuchs, es ist nicht todt, es lebt, und schafft und wirkt ein geheimniß- volles Band zwischen dem Vergangenen und dem Gegenwärtigen. Auf dem Tische vor uns steht ein Serpentin-Krug, der das Wappen der Otterstedts auf seinem Silberdeckel trägt; durch die zurückgeschlagene Sammt-Portiere gewahren wir im Neben-
Dieu, Knesebeck, c’est vous“, — und die alten Gegner und Freunde ſchüttelten ſich die Hand. Kneſebeck hatte ſein Wort ge- löſt; er war gekommen, aber „in großer Geſellſchaft“ wie er pro- phezeit hatte.
Weihnachten 1815 kehrte er heim, ererbte bald danach Löwenbruch und zog ſich 1829 nach dem benachbarten Jühnsdorf zurück. Unter allen Tagen ſeines Lebens blieb ihm der Sylveſtertag 1807 der theuerſte, wo die Stadt Ruppin ihm in feſtlicher Verſammlung die Bürgerkrone überreicht hatte. Und in der That, mit freudigem Stolze mocht er ſich der Worte erinnern, die damals, in noch friſcher Dankbarkeit, an ihn gerichtet worden waren:
Als in den Tagen des Grams die blöden Gemüther erſtarrten Und dem nahenden Sturm jegliche Seele erlag, Trateſt Du kühnlich hervor, geſetzt und weiſ’ und beſonnen, Zu beſchwören den Sturm, der uns Verderben gedroht.
Er hatte wohl Anſpruch auf dieſe Huldigung. Der Kreis, in dem ihm zu wirken vergönnt war, war nur ein kleiner und begrenzter, aber innerhalb deſſelben hatte er ſich bewährt. Den größern Kreis ſich zu ſchaffen, lag außerhalb ſeiner Macht, indeſſen wo immer er ſtand, ſtand er da — ein ganzer Mann. Er ſtarb hochbetagt am 11. Juli 1860.
Wir ſitzen im Herrenhauſe zu Löwenbruch.
Die Thüre des Gartenſaals ſteht offen und Duft und Friſche dringen ein. Die Sonne ſcheidet eben und nur ein rother Streifen liegt noch über dem Schwarzgrün der Edeltannen. Alles iſt ſabbathſtill und geräuſchlos zieht ein Schwarm Tauben durch die Luft. Erdbeer- ſchalen ſchmücken den Tiſch und lachen uns an, heiter und behaglich fließt das Geſpräch. Aber auch das, was uns umgiebt, führt ſeine Sprache. Jegliches was ſeit Jahrhunderten hier war und wuchs, es iſt nicht todt, es lebt, und ſchafft und wirkt ein geheimniß- volles Band zwiſchen dem Vergangenen und dem Gegenwärtigen. Auf dem Tiſche vor uns ſteht ein Serpentin-Krug, der das Wappen der Otterſtedts auf ſeinem Silberdeckel trägt; durch die zurückgeſchlagene Sammt-Portière gewahren wir im Neben-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><hirendition="#aq"><pbfacs="#f0343"n="327"/>
Dieu, Knesebeck, c’est vous“,</hi>— und die alten Gegner und<lb/>
Freunde ſchüttelten ſich die Hand. Kneſebeck hatte ſein Wort ge-<lb/>
löſt; er war gekommen, aber „in großer Geſellſchaft“ wie er pro-<lb/>
phezeit hatte.</p><lb/><p>Weihnachten 1815 kehrte er heim, ererbte bald danach Löwenbruch<lb/>
und zog ſich 1829 nach dem benachbarten Jühnsdorf zurück. Unter<lb/>
allen Tagen ſeines Lebens blieb ihm der Sylveſtertag 1807 der<lb/>
theuerſte, wo die Stadt Ruppin ihm in feſtlicher Verſammlung<lb/>
die Bürgerkrone überreicht hatte. Und in der That, mit freudigem<lb/>
Stolze mocht er ſich der Worte erinnern, die damals, in noch friſcher<lb/>
Dankbarkeit, an ihn gerichtet worden waren:</p><lb/><lgtype="poem"><l>Als in den Tagen des Grams die blöden Gemüther erſtarrten</l><lb/><l>Und dem nahenden Sturm jegliche Seele erlag,</l><lb/><l>Trateſt <hirendition="#g">Du</hi> kühnlich hervor, geſetzt und weiſ’ und beſonnen,</l><lb/><l>Zu beſchwören den Sturm, der uns Verderben gedroht.</l></lg><lb/><p>Er hatte wohl Anſpruch auf dieſe Huldigung. Der Kreis,<lb/>
in dem ihm zu wirken vergönnt war, war nur ein kleiner und<lb/>
begrenzter, aber innerhalb deſſelben hatte er ſich bewährt. Den<lb/>
größern Kreis ſich zu ſchaffen, lag außerhalb ſeiner Macht, indeſſen<lb/>
wo immer er ſtand, ſtand er da — ein <hirendition="#g">ganzer</hi> Mann. Er<lb/>ſtarb hochbetagt am 11. Juli 1860.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Wir ſitzen im <hirendition="#g">Herrenhauſe zu Löwenbruch</hi>.</p><lb/><p>Die Thüre des Gartenſaals ſteht offen und Duft und Friſche<lb/>
dringen ein. Die Sonne ſcheidet eben und nur ein rother Streifen liegt<lb/>
noch über dem Schwarzgrün der Edeltannen. Alles iſt ſabbathſtill und<lb/>
geräuſchlos zieht ein Schwarm Tauben durch die Luft. Erdbeer-<lb/>ſchalen ſchmücken den Tiſch und lachen uns an, heiter und behaglich<lb/>
fließt das Geſpräch. Aber auch <hirendition="#g">das</hi>, was uns umgiebt, führt ſeine<lb/>
Sprache. Jegliches was ſeit Jahrhunderten hier war und wuchs,<lb/>
es iſt <hirendition="#g">nicht</hi> todt, es lebt, und ſchafft und wirkt ein geheimniß-<lb/>
volles Band zwiſchen dem Vergangenen und dem Gegenwärtigen.<lb/>
Auf dem Tiſche vor uns ſteht ein Serpentin-Krug, der das<lb/>
Wappen der <hirendition="#g">Otterſtedts</hi> auf ſeinem Silberdeckel trägt; durch<lb/>
die zurückgeſchlagene Sammt-Porti<hirendition="#aq">è</hi>re gewahren wir im Neben-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[327/0343]
Dieu, Knesebeck, c’est vous“, — und die alten Gegner und
Freunde ſchüttelten ſich die Hand. Kneſebeck hatte ſein Wort ge-
löſt; er war gekommen, aber „in großer Geſellſchaft“ wie er pro-
phezeit hatte.
Weihnachten 1815 kehrte er heim, ererbte bald danach Löwenbruch
und zog ſich 1829 nach dem benachbarten Jühnsdorf zurück. Unter
allen Tagen ſeines Lebens blieb ihm der Sylveſtertag 1807 der
theuerſte, wo die Stadt Ruppin ihm in feſtlicher Verſammlung
die Bürgerkrone überreicht hatte. Und in der That, mit freudigem
Stolze mocht er ſich der Worte erinnern, die damals, in noch friſcher
Dankbarkeit, an ihn gerichtet worden waren:
Als in den Tagen des Grams die blöden Gemüther erſtarrten
Und dem nahenden Sturm jegliche Seele erlag,
Trateſt Du kühnlich hervor, geſetzt und weiſ’ und beſonnen,
Zu beſchwören den Sturm, der uns Verderben gedroht.
Er hatte wohl Anſpruch auf dieſe Huldigung. Der Kreis,
in dem ihm zu wirken vergönnt war, war nur ein kleiner und
begrenzter, aber innerhalb deſſelben hatte er ſich bewährt. Den
größern Kreis ſich zu ſchaffen, lag außerhalb ſeiner Macht, indeſſen
wo immer er ſtand, ſtand er da — ein ganzer Mann. Er
ſtarb hochbetagt am 11. Juli 1860.
Wir ſitzen im Herrenhauſe zu Löwenbruch.
Die Thüre des Gartenſaals ſteht offen und Duft und Friſche
dringen ein. Die Sonne ſcheidet eben und nur ein rother Streifen liegt
noch über dem Schwarzgrün der Edeltannen. Alles iſt ſabbathſtill und
geräuſchlos zieht ein Schwarm Tauben durch die Luft. Erdbeer-
ſchalen ſchmücken den Tiſch und lachen uns an, heiter und behaglich
fließt das Geſpräch. Aber auch das, was uns umgiebt, führt ſeine
Sprache. Jegliches was ſeit Jahrhunderten hier war und wuchs,
es iſt nicht todt, es lebt, und ſchafft und wirkt ein geheimniß-
volles Band zwiſchen dem Vergangenen und dem Gegenwärtigen.
Auf dem Tiſche vor uns ſteht ein Serpentin-Krug, der das
Wappen der Otterſtedts auf ſeinem Silberdeckel trägt; durch
die zurückgeſchlagene Sammt-Portière gewahren wir im Neben-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/343>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.