mit mächtigen Stößen über die blinkende Fläche hin. Dann tragen sie auch ihr nationales Kostüm: kurzen Leinwandrock und leinene Hose, beide mit dickem Fries gefuttert, und Spreewald- Stiefel, die fast bis an die Hüfte reichen.
Es ist Sonntag, sagt' ich, und die Arbeit ruht. Aber an Wochentagen ist die Straße, die wir jetzt still hinauffahren, von früh bis spät belebt, und alles nur Denkbare, was sonst auf Knüppeldamm oder Landstraße seines Weges zieht, das zieht dann auf dieser Wasserstraße hinab und hinauf. Selbst die reichen Herden dieser Gegenden wirbeln keinen Staub auf, sondern werden ins Boot getrieben und gelangen in ihm von Stall zu Stall oder von Wiese zu Wiese. Der tägliche Verkehr bewegt sich auf diesem endlosen Flußnetz und wird nur momentan unterbrochen, wenn auf blumengeschmücktem Kahn, Musik vorauf, die Braut zur Kirche fährt, oder wenn still und einsam, von Leidtragenden in zehn und zwanzig Kähnen gefolgt, ein schwarzverhangenes Boot stromabwärts gleitet.
Einzelne Häuser werden sichtbar; wir haben Lehde, das erste Spreewalds-Dorf, erreicht. Es ist die Lagunenstadt in Taschenformat, ein Venedig, wie es vor 1500 Jahren gewesen sein mag, als die ersten Fischerfamilien auf seinen Sumpf-Eilanden Schutz suchten. Man kann nichts Lieblicheres sehn als dieses Lehde, das aus eben so vielen Inseln besteht, als es Häuser hat. Die Spree bildet die große Dorfstraße, darin schmalere Gassen von links und rechts her einmünden. Wo sonst Heckenzäune sich ziehn, um die Grenzen eines Grundstückes zu markiren, ziehen sich hier vielgestaltige Kanäle, die Höfe selbst aber sind in ihrer Grund- anlage meistens gleich. Dicht an der Spreestraße steht das Wohn- haus, ziemlich nahe daran die Stallgebäude, während klafterweis aufgeschichtetes Erlenholz als schützender Kreis um das Inselchen herläuft. Obstbäume und Düngerhaufen, Blumenbeete und Fisch- kasten theilen sich im Uebrigen in das Terrain und geben eine Fülle der reizendsten Bilder. Das Wohnhaus ist jederzeit ein Blockhaus mit kleinen Fenstern und einer tüchtigen Schilfdach- Kappe; das ist das Wesentliche; seine Schönheit aber besteht in seiner reichen und malerischen Einfassung von Blatt und Blüthe: Kürbis rankt sich auf, und Geisblatt und Comvolvulus schlingen
mit mächtigen Stößen über die blinkende Fläche hin. Dann tragen ſie auch ihr nationales Koſtüm: kurzen Leinwandrock und leinene Hoſe, beide mit dickem Fries gefuttert, und Spreewald- Stiefel, die faſt bis an die Hüfte reichen.
Es iſt Sonntag, ſagt’ ich, und die Arbeit ruht. Aber an Wochentagen iſt die Straße, die wir jetzt ſtill hinauffahren, von früh bis ſpät belebt, und alles nur Denkbare, was ſonſt auf Knüppeldamm oder Landſtraße ſeines Weges zieht, das zieht dann auf dieſer Waſſerſtraße hinab und hinauf. Selbſt die reichen Herden dieſer Gegenden wirbeln keinen Staub auf, ſondern werden ins Boot getrieben und gelangen in ihm von Stall zu Stall oder von Wieſe zu Wieſe. Der tägliche Verkehr bewegt ſich auf dieſem endloſen Flußnetz und wird nur momentan unterbrochen, wenn auf blumengeſchmücktem Kahn, Muſik vorauf, die Braut zur Kirche fährt, oder wenn ſtill und einſam, von Leidtragenden in zehn und zwanzig Kähnen gefolgt, ein ſchwarzverhangenes Boot ſtromabwärts gleitet.
Einzelne Häuſer werden ſichtbar; wir haben Lehde, das erſte Spreewalds-Dorf, erreicht. Es iſt die Lagunenſtadt in Taſchenformat, ein Venedig, wie es vor 1500 Jahren geweſen ſein mag, als die erſten Fiſcherfamilien auf ſeinen Sumpf-Eilanden Schutz ſuchten. Man kann nichts Lieblicheres ſehn als dieſes Lehde, das aus eben ſo vielen Inſeln beſteht, als es Häuſer hat. Die Spree bildet die große Dorfſtraße, darin ſchmalere Gaſſen von links und rechts her einmünden. Wo ſonſt Heckenzäune ſich ziehn, um die Grenzen eines Grundſtückes zu markiren, ziehen ſich hier vielgeſtaltige Kanäle, die Höfe ſelbſt aber ſind in ihrer Grund- anlage meiſtens gleich. Dicht an der Spreeſtraße ſteht das Wohn- haus, ziemlich nahe daran die Stallgebäude, während klafterweis aufgeſchichtetes Erlenholz als ſchützender Kreis um das Inſelchen herläuft. Obſtbäume und Düngerhaufen, Blumenbeete und Fiſch- kaſten theilen ſich im Uebrigen in das Terrain und geben eine Fülle der reizendſten Bilder. Das Wohnhaus iſt jederzeit ein Blockhaus mit kleinen Fenſtern und einer tüchtigen Schilfdach- Kappe; das iſt das Weſentliche; ſeine Schönheit aber beſteht in ſeiner reichen und maleriſchen Einfaſſung von Blatt und Blüthe: Kürbis rankt ſich auf, und Geisblatt und Comvolvulus ſchlingen
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mit mächtigen Stößen über die blinkende Fläche hin. Dann
tragen ſie auch ihr nationales Koſtüm: kurzen Leinwandrock und
leinene Hoſe, beide mit dickem Fries gefuttert, und Spreewald-
Stiefel, die faſt bis an die Hüfte reichen.
Es iſt Sonntag, ſagt’ ich, und die Arbeit ruht. Aber an
Wochentagen iſt die Straße, die wir jetzt ſtill hinauffahren, von
früh bis ſpät belebt, und alles nur Denkbare, was ſonſt auf
Knüppeldamm oder Landſtraße ſeines Weges zieht, das zieht dann
auf dieſer Waſſerſtraße hinab und hinauf. Selbſt die reichen
Herden dieſer Gegenden wirbeln keinen Staub auf, ſondern werden
ins Boot getrieben und gelangen in ihm von Stall zu Stall
oder von Wieſe zu Wieſe. Der tägliche Verkehr bewegt ſich auf
dieſem endloſen Flußnetz und wird nur momentan unterbrochen,
wenn auf blumengeſchmücktem Kahn, Muſik vorauf, die Braut
zur Kirche fährt, oder wenn ſtill und einſam, von Leidtragenden
in zehn und zwanzig Kähnen gefolgt, ein ſchwarzverhangenes Boot
ſtromabwärts gleitet.
Einzelne Häuſer werden ſichtbar; wir haben Lehde, das
erſte Spreewalds-Dorf, erreicht. Es iſt die Lagunenſtadt in
Taſchenformat, ein Venedig, wie es vor 1500 Jahren geweſen ſein
mag, als die erſten Fiſcherfamilien auf ſeinen Sumpf-Eilanden
Schutz ſuchten. Man kann nichts Lieblicheres ſehn als dieſes
Lehde, das aus eben ſo vielen Inſeln beſteht, als es Häuſer hat.
Die Spree bildet die große Dorfſtraße, darin ſchmalere Gaſſen
von links und rechts her einmünden. Wo ſonſt Heckenzäune ſich
ziehn, um die Grenzen eines Grundſtückes zu markiren, ziehen ſich
hier vielgeſtaltige Kanäle, die Höfe ſelbſt aber ſind in ihrer Grund-
anlage meiſtens gleich. Dicht an der Spreeſtraße ſteht das Wohn-
haus, ziemlich nahe daran die Stallgebäude, während klafterweis
aufgeſchichtetes Erlenholz als ſchützender Kreis um das Inſelchen
herläuft. Obſtbäume und Düngerhaufen, Blumenbeete und Fiſch-
kaſten theilen ſich im Uebrigen in das Terrain und geben eine
Fülle der reizendſten Bilder. Das Wohnhaus iſt jederzeit ein
Blockhaus mit kleinen Fenſtern und einer tüchtigen Schilfdach-
Kappe; das iſt das Weſentliche; ſeine Schönheit aber beſteht in
ſeiner reichen und maleriſchen Einfaſſung von Blatt und Blüthe:
Kürbis rankt ſich auf, und Geisblatt und Comvolvulus ſchlingen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/24>, abgerufen am 28.11.2024.
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