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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Der Boden dieses Inselgewirrs ist fast überall eine Garten-
erde. Der reiche Viehstand der Dörfer schuf hier von Alters her
einen Dünger-Untergrund, auf dem dann die Mischungen und
Verdünnungen vorgenommen werden konnten, wie sie dieses oder
jenes Produkt des Spreewaldes erforderte.

Die Wassergewächse, die von beiden Seiten her uns strom-
aufwärts begleiten, bleiben dieselben; Butomus und Sagittaria
lösen sich unter einander ab und nur hier und da gesellt sich,
unter dem überhängenden Rande geborgen, eine wuchernde Vergiß-
meinnicht-Einfassung hinzu.

Es ist Sonntag, die Arbeit ruht und die große Fahrstraße
zeigt sich verhältnißmäßig leer; nur selten treibt ein mit frischem Heu
beladener Kahn an uns vorüber und Bursche handhaben das Ruder
mit großem Geschick. Sie sitzen weder auf der Ruderbank noch
schlagen sie taktmäßig das Wasser, vielmehr stehen sie grad' auf-
recht am Hindertheile des Boots, das sie nach Art der Gondoliere
vorwärts bewegen. Dies Aufrechtstehen und mit ihm zugleich ein
beständiges Anspannen all' ihrer Kräfte, hat dem ganzen Volks-
stamm eine Haltung und Straffheit gegeben, die man bei der
Mehrzahl unserer sonstigen Dorfbewohner vermißt. Und zwar in
den armen Gegenden am meisten. Der Knecht, der vornüber im
Sattel hängt oder auf dem Strohsack seines Wagens sitzend mit
einem schläfrigen "Hoi" das Gespann antreibt, kommt kaum je
dazu seine Brust und Schulterblätter zurecht zu rücken oder sein
halb krummgebogenes Rückgrat wieder gerade zu biegen, der Spree-
wäldler aber, dem weder Pferd noch Wagen ein Sitzen und Aus-
ruhen gönnt, befindet sich eigentlich immer auf dem Qui vive.
Das Ruder in der Hand steht er wie auf Posten und kennt nicht
Hindämmern und Halb-Arbeit.

Wenn es schon ein reizender Anblick ist, diese schlanken und
stattlichen Leute in ihren Booten vorüberfahren zu sehn, so steigert
sich dieser Reiz im Winter, wo jeder Bootfahrer ein Schlittschuh-
läufer wird. Das ist dann die eigentliche Schaustellung ihrer
Kraft und Geschicklichkeit. Dann sind Fluß und Inseln eine
gemeinschaftliche Eisfläche, und ein paar Bretter unter den Füßen,
die halb Schlitten halb Schlittschuh sind, dazu eine sieben Fuß
lange Eisstange in der Hand, schleudert sich jetzt der Spreewäldler

Der Boden dieſes Inſelgewirrs iſt faſt überall eine Garten-
erde. Der reiche Viehſtand der Dörfer ſchuf hier von Alters her
einen Dünger-Untergrund, auf dem dann die Miſchungen und
Verdünnungen vorgenommen werden konnten, wie ſie dieſes oder
jenes Produkt des Spreewaldes erforderte.

Die Waſſergewächſe, die von beiden Seiten her uns ſtrom-
aufwärts begleiten, bleiben dieſelben; Butomus und Sagittaria
löſen ſich unter einander ab und nur hier und da geſellt ſich,
unter dem überhängenden Rande geborgen, eine wuchernde Vergiß-
meinnicht-Einfaſſung hinzu.

Es iſt Sonntag, die Arbeit ruht und die große Fahrſtraße
zeigt ſich verhältnißmäßig leer; nur ſelten treibt ein mit friſchem Heu
beladener Kahn an uns vorüber und Burſche handhaben das Ruder
mit großem Geſchick. Sie ſitzen weder auf der Ruderbank noch
ſchlagen ſie taktmäßig das Waſſer, vielmehr ſtehen ſie grad’ auf-
recht am Hindertheile des Boots, das ſie nach Art der Gondoliere
vorwärts bewegen. Dies Aufrechtſtehen und mit ihm zugleich ein
beſtändiges Anſpannen all’ ihrer Kräfte, hat dem ganzen Volks-
ſtamm eine Haltung und Straffheit gegeben, die man bei der
Mehrzahl unſerer ſonſtigen Dorfbewohner vermißt. Und zwar in
den armen Gegenden am meiſten. Der Knecht, der vornüber im
Sattel hängt oder auf dem Strohſack ſeines Wagens ſitzend mit
einem ſchläfrigen „Hoi“ das Geſpann antreibt, kommt kaum je
dazu ſeine Bruſt und Schulterblätter zurecht zu rücken oder ſein
halb krummgebogenes Rückgrat wieder gerade zu biegen, der Spree-
wäldler aber, dem weder Pferd noch Wagen ein Sitzen und Aus-
ruhen gönnt, befindet ſich eigentlich immer auf dem Qui vive.
Das Ruder in der Hand ſteht er wie auf Poſten und kennt nicht
Hindämmern und Halb-Arbeit.

Wenn es ſchon ein reizender Anblick iſt, dieſe ſchlanken und
ſtattlichen Leute in ihren Booten vorüberfahren zu ſehn, ſo ſteigert
ſich dieſer Reiz im Winter, wo jeder Bootfahrer ein Schlittſchuh-
läufer wird. Das iſt dann die eigentliche Schauſtellung ihrer
Kraft und Geſchicklichkeit. Dann ſind Fluß und Inſeln eine
gemeinſchaftliche Eisfläche, und ein paar Bretter unter den Füßen,
die halb Schlitten halb Schlittſchuh ſind, dazu eine ſieben Fuß
lange Eisſtange in der Hand, ſchleudert ſich jetzt der Spreewäldler

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[7/0023] Der Boden dieſes Inſelgewirrs iſt faſt überall eine Garten- erde. Der reiche Viehſtand der Dörfer ſchuf hier von Alters her einen Dünger-Untergrund, auf dem dann die Miſchungen und Verdünnungen vorgenommen werden konnten, wie ſie dieſes oder jenes Produkt des Spreewaldes erforderte. Die Waſſergewächſe, die von beiden Seiten her uns ſtrom- aufwärts begleiten, bleiben dieſelben; Butomus und Sagittaria löſen ſich unter einander ab und nur hier und da geſellt ſich, unter dem überhängenden Rande geborgen, eine wuchernde Vergiß- meinnicht-Einfaſſung hinzu. Es iſt Sonntag, die Arbeit ruht und die große Fahrſtraße zeigt ſich verhältnißmäßig leer; nur ſelten treibt ein mit friſchem Heu beladener Kahn an uns vorüber und Burſche handhaben das Ruder mit großem Geſchick. Sie ſitzen weder auf der Ruderbank noch ſchlagen ſie taktmäßig das Waſſer, vielmehr ſtehen ſie grad’ auf- recht am Hindertheile des Boots, das ſie nach Art der Gondoliere vorwärts bewegen. Dies Aufrechtſtehen und mit ihm zugleich ein beſtändiges Anſpannen all’ ihrer Kräfte, hat dem ganzen Volks- ſtamm eine Haltung und Straffheit gegeben, die man bei der Mehrzahl unſerer ſonſtigen Dorfbewohner vermißt. Und zwar in den armen Gegenden am meiſten. Der Knecht, der vornüber im Sattel hängt oder auf dem Strohſack ſeines Wagens ſitzend mit einem ſchläfrigen „Hoi“ das Geſpann antreibt, kommt kaum je dazu ſeine Bruſt und Schulterblätter zurecht zu rücken oder ſein halb krummgebogenes Rückgrat wieder gerade zu biegen, der Spree- wäldler aber, dem weder Pferd noch Wagen ein Sitzen und Aus- ruhen gönnt, befindet ſich eigentlich immer auf dem Qui vive. Das Ruder in der Hand ſteht er wie auf Poſten und kennt nicht Hindämmern und Halb-Arbeit. Wenn es ſchon ein reizender Anblick iſt, dieſe ſchlanken und ſtattlichen Leute in ihren Booten vorüberfahren zu ſehn, ſo ſteigert ſich dieſer Reiz im Winter, wo jeder Bootfahrer ein Schlittſchuh- läufer wird. Das iſt dann die eigentliche Schauſtellung ihrer Kraft und Geſchicklichkeit. Dann ſind Fluß und Inſeln eine gemeinſchaftliche Eisfläche, und ein paar Bretter unter den Füßen, die halb Schlitten halb Schlittſchuh ſind, dazu eine ſieben Fuß lange Eisſtange in der Hand, ſchleudert ſich jetzt der Spreewäldler

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/23>, abgerufen am 28.11.2024.