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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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feinen Ehrgefühls, das, während es selber die Grenzlinie wahrt, die
Linie des Schicklichen stillschweigend auch von anderen gewahrt
zu wissen verlangt. So schrieb er, als er bei bestimmter Gelegen-
heit sich verletzt glaubte, folgendes an Graf B.:

"Gesellschaftliche Demüthigungen sind das verletzendste, was
es giebt! Du weißt, daß ich Standes-Unterschiede ehre und liebe,
ihnen auch gern die äußere Anerkennung zolle; allein der Höhere,
der mich durch Annäherung ehrt, muß auch die Ueberzeugung
fühlen, daß ich meine eigene unantastbare Ehre habe. Nur diesem
festen Gange meines Lebens, nie andringend aber auch nie schmieg-
sam zurückweichend, hab ich wohl das reiche Maß von Huld und
Güte zu danken, welches mir bisher geworden ist. Und wie ich
war, werd' ich bleiben."

Er war heiter und gesprächig, so sagt' ich. Die Anekdote, der
Toast, der Versebrief, das Gelegenheitsgedicht, -- alles war ihm
unterthan. Seine eigentlichste Meisterschaft aber, zugleich seine
vollste Eigenart, zeigte er auf dem Gebiete des Impromptu.
Hier feierte er seine größten und entschiedensten Triumphe. "Bin
Onkel Bonbonkel ..." "Da kommt Abeken im Trabeken," --
in solchen plötzlich aufschießenden Reimen war er groß und das
geschickte Operiren mit einem epigrammatisch zugespitzten Calem-
bourg verstand er besser als einer. Er war kein Dichter, aber
man hätt ihn "Wilhelm den Reimer" nennen können. Eine
Sammlung dieser "geflügelten Worte," wenn es möglich wär'
eine solche noch nachträglich zu veranstalten, würd' ein Witz- und
Anekdotenbuch und zugleich eine Personen- und Charakterschilderung
aus dem zweiten Viertel dieses Jahrhunderts sein.

Von gesellschaftlicher Bedeutung war auch seine Kunst-
weise, zumal wenn wir von der Zeit absehen, wo er noch unmittelbar
unter dem Einfluß Italiens und der großen Meister stand. Was
er in der Gesellschaft und für die Gesellschaft schuf, das wird
unter allem, was er künstlerisch geleistet, das Dauerndste sein. Es sind
dies seine, während eines Zeitraums von 40 Jahren entstandenen
Portraits, die so weit meine Kenntniß reicht, eine in ihrer Art
einzig dastehende Sammlung bilden.

Diese Sammlung, in Händen seines Sohnes Sebastian H.
befindlich, besteht aus siebenundvierzig Jahres-Mappen, die in

feinen Ehrgefühls, das, während es ſelber die Grenzlinie wahrt, die
Linie des Schicklichen ſtillſchweigend auch von anderen gewahrt
zu wiſſen verlangt. So ſchrieb er, als er bei beſtimmter Gelegen-
heit ſich verletzt glaubte, folgendes an Graf B.:

„Geſellſchaftliche Demüthigungen ſind das verletzendſte, was
es giebt! Du weißt, daß ich Standes-Unterſchiede ehre und liebe,
ihnen auch gern die äußere Anerkennung zolle; allein der Höhere,
der mich durch Annäherung ehrt, muß auch die Ueberzeugung
fühlen, daß ich meine eigene unantaſtbare Ehre habe. Nur dieſem
feſten Gange meines Lebens, nie andringend aber auch nie ſchmieg-
ſam zurückweichend, hab ich wohl das reiche Maß von Huld und
Güte zu danken, welches mir bisher geworden iſt. Und wie ich
war, werd’ ich bleiben.“

Er war heiter und geſprächig, ſo ſagt’ ich. Die Anekdote, der
Toaſt, der Verſebrief, das Gelegenheitsgedicht, — alles war ihm
unterthan. Seine eigentlichſte Meiſterſchaft aber, zugleich ſeine
vollſte Eigenart, zeigte er auf dem Gebiete des Impromptu.
Hier feierte er ſeine größten und entſchiedenſten Triumphe. „Bin
Onkel Bonbonkel …“ „Da kommt Abeken im Trabeken,“ —
in ſolchen plötzlich aufſchießenden Reimen war er groß und das
geſchickte Operiren mit einem epigrammatiſch zugeſpitzten Calem-
bourg verſtand er beſſer als einer. Er war kein Dichter, aber
man hätt ihn „Wilhelm den Reimer“ nennen können. Eine
Sammlung dieſer „geflügelten Worte,“ wenn es möglich wär’
eine ſolche noch nachträglich zu veranſtalten, würd’ ein Witz- und
Anekdotenbuch und zugleich eine Perſonen- und Charakterſchilderung
aus dem zweiten Viertel dieſes Jahrhunderts ſein.

Von geſellſchaftlicher Bedeutung war auch ſeine Kunſt-
weiſe, zumal wenn wir von der Zeit abſehen, wo er noch unmittelbar
unter dem Einfluß Italiens und der großen Meiſter ſtand. Was
er in der Geſellſchaft und für die Geſellſchaft ſchuf, das wird
unter allem, was er künſtleriſch geleiſtet, das Dauerndſte ſein. Es ſind
dies ſeine, während eines Zeitraums von 40 Jahren entſtandenen
Portraits, die ſo weit meine Kenntniß reicht, eine in ihrer Art
einzig daſtehende Sammlung bilden.

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[444/0460] feinen Ehrgefühls, das, während es ſelber die Grenzlinie wahrt, die Linie des Schicklichen ſtillſchweigend auch von anderen gewahrt zu wiſſen verlangt. So ſchrieb er, als er bei beſtimmter Gelegen- heit ſich verletzt glaubte, folgendes an Graf B.: „Geſellſchaftliche Demüthigungen ſind das verletzendſte, was es giebt! Du weißt, daß ich Standes-Unterſchiede ehre und liebe, ihnen auch gern die äußere Anerkennung zolle; allein der Höhere, der mich durch Annäherung ehrt, muß auch die Ueberzeugung fühlen, daß ich meine eigene unantaſtbare Ehre habe. Nur dieſem feſten Gange meines Lebens, nie andringend aber auch nie ſchmieg- ſam zurückweichend, hab ich wohl das reiche Maß von Huld und Güte zu danken, welches mir bisher geworden iſt. Und wie ich war, werd’ ich bleiben.“ Er war heiter und geſprächig, ſo ſagt’ ich. Die Anekdote, der Toaſt, der Verſebrief, das Gelegenheitsgedicht, — alles war ihm unterthan. Seine eigentlichſte Meiſterſchaft aber, zugleich ſeine vollſte Eigenart, zeigte er auf dem Gebiete des Impromptu. Hier feierte er ſeine größten und entſchiedenſten Triumphe. „Bin Onkel Bonbonkel …“ „Da kommt Abeken im Trabeken,“ — in ſolchen plötzlich aufſchießenden Reimen war er groß und das geſchickte Operiren mit einem epigrammatiſch zugeſpitzten Calem- bourg verſtand er beſſer als einer. Er war kein Dichter, aber man hätt ihn „Wilhelm den Reimer“ nennen können. Eine Sammlung dieſer „geflügelten Worte,“ wenn es möglich wär’ eine ſolche noch nachträglich zu veranſtalten, würd’ ein Witz- und Anekdotenbuch und zugleich eine Perſonen- und Charakterſchilderung aus dem zweiten Viertel dieſes Jahrhunderts ſein. Von geſellſchaftlicher Bedeutung war auch ſeine Kunſt- weiſe, zumal wenn wir von der Zeit abſehen, wo er noch unmittelbar unter dem Einfluß Italiens und der großen Meiſter ſtand. Was er in der Geſellſchaft und für die Geſellſchaft ſchuf, das wird unter allem, was er künſtleriſch geleiſtet, das Dauerndſte ſein. Es ſind dies ſeine, während eines Zeitraums von 40 Jahren entſtandenen Portraits, die ſo weit meine Kenntniß reicht, eine in ihrer Art einzig daſtehende Sammlung bilden. Dieſe Sammlung, in Händen ſeines Sohnes Sebaſtian H. befindlich, beſteht aus ſiebenundvierzig Jahres-Mappen, die in

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/460>, abgerufen am 26.11.2024.