Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

Und sie gedenken seiner. Der 7. Juni, der Sterbetag
des Königs, ist zu einem Gedächtnißtag geworden, und kein
Sohn oder Enkel betritt Paretz, ohne an die graue Marmor-
tafel zu treten und freiwillig zu thun, woran ihn die Inschrift
mahnt.

Der "todte Kirchhof."

"Gedenke der Abgeschiedenen!" so klingt es überall in
Paretz, auch über den Kreis des Schlosses hinaus. Erinne-
rung und Pietät, die hier ihre Stätte haben, sie haben sie
auch in den Herzen der Paretzer; still und unbemerkt üben sie
ihren Todtendienst; "Gedenke der Abgeschiedenen" durchklingt
es auch sie.

Um die Kirche herum liegt ein Kirchhof, ein sogenannter
"todter Kirchhof;" der "lebende," die Stätte, wo begraben
wird, liegt draußen, am Rande des Dorfes.

Die alte Stätte ist nur ein Grasplatz noch, niedergetreten,
ohne Kreuz und Stein, aber wer scharf zusieht, der nimmt
bald wahr, daß hinter dieser Verwahrlosung noch immer eine
Liebe lebt. Hier und dort wächst eine Schwertlilie, ein Hage-
buttenstrauch unvermittelt aus dem niedergetretenen Grase auf,
und alle diese Stellen kennen die Dörfler wohl, es sind die
Gräber ihrer Theuren, die sie verstohlen hegen und pflegen,
in heimlicher Liebe. Denn der Kirchhof soll todt sein, der
offizielle Platz für Blumen und Thränen liegt draußen.

Aber welchem Herzen ließe sich gebieten!

Paretz ist eine Stätte der Erinnerung und Pietät -- auch
der "todte Kirchhof."


Und ſie gedenken ſeiner. Der 7. Juni, der Sterbetag
des Königs, iſt zu einem Gedächtnißtag geworden, und kein
Sohn oder Enkel betritt Paretz, ohne an die graue Marmor-
tafel zu treten und freiwillig zu thun, woran ihn die Inſchrift
mahnt.

Der „todte Kirchhof.“

„Gedenke der Abgeſchiedenen!“ ſo klingt es überall in
Paretz, auch über den Kreis des Schloſſes hinaus. Erinne-
rung und Pietät, die hier ihre Stätte haben, ſie haben ſie
auch in den Herzen der Paretzer; ſtill und unbemerkt üben ſie
ihren Todtendienſt; „Gedenke der Abgeſchiedenen“ durchklingt
es auch ſie.

Um die Kirche herum liegt ein Kirchhof, ein ſogenannter
„todter Kirchhof;“ der „lebende,“ die Stätte, wo begraben
wird, liegt draußen, am Rande des Dorfes.

Die alte Stätte iſt nur ein Grasplatz noch, niedergetreten,
ohne Kreuz und Stein, aber wer ſcharf zuſieht, der nimmt
bald wahr, daß hinter dieſer Verwahrloſung noch immer eine
Liebe lebt. Hier und dort wächſt eine Schwertlilie, ein Hage-
buttenſtrauch unvermittelt aus dem niedergetretenen Graſe auf,
und alle dieſe Stellen kennen die Dörfler wohl, es ſind die
Gräber ihrer Theuren, die ſie verſtohlen hegen und pflegen,
in heimlicher Liebe. Denn der Kirchhof ſoll todt ſein, der
offizielle Platz für Blumen und Thränen liegt draußen.

Aber welchem Herzen ließe ſich gebieten!

Paretz iſt eine Stätte der Erinnerung und Pietät — auch
der „todte Kirchhof.“


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0359" n="341"/>
            <p>Und &#x017F;ie gedenken &#x017F;einer. Der 7. Juni, der Sterbetag<lb/>
des Königs, i&#x017F;t zu einem Gedächtnißtag geworden, und kein<lb/>
Sohn oder Enkel betritt Paretz, ohne an die graue Marmor-<lb/>
tafel zu treten und freiwillig zu thun, woran ihn die In&#x017F;chrift<lb/>
mahnt.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#g">Der &#x201E;todte Kirchhof.&#x201C;</hi> </head><lb/>
            <p>&#x201E;Gedenke der Abge&#x017F;chiedenen!&#x201C; &#x017F;o klingt es überall in<lb/>
Paretz, auch über den Kreis des Schlo&#x017F;&#x017F;es hinaus. Erinne-<lb/>
rung und Pietät, die hier ihre Stätte haben, &#x017F;ie haben &#x017F;ie<lb/>
auch in den Herzen der Paretzer; &#x017F;till und unbemerkt üben &#x017F;ie<lb/>
ihren Todtendien&#x017F;t; &#x201E;Gedenke der Abge&#x017F;chiedenen&#x201C; durchklingt<lb/>
es auch &#x017F;ie.</p><lb/>
            <p>Um die Kirche herum liegt ein Kirchhof, ein &#x017F;ogenannter<lb/>
&#x201E;todter Kirchhof;&#x201C; der &#x201E;lebende,&#x201C; die Stätte, wo begraben<lb/>
wird, liegt draußen, am Rande des Dorfes.</p><lb/>
            <p>Die alte Stätte i&#x017F;t nur ein Grasplatz noch, niedergetreten,<lb/>
ohne Kreuz und Stein, aber wer &#x017F;charf zu&#x017F;ieht, der nimmt<lb/>
bald wahr, daß hinter die&#x017F;er Verwahrlo&#x017F;ung noch immer eine<lb/>
Liebe lebt. Hier und dort wäch&#x017F;t eine Schwertlilie, ein Hage-<lb/>
butten&#x017F;trauch unvermittelt aus dem niedergetretenen Gra&#x017F;e auf,<lb/>
und alle die&#x017F;e Stellen kennen die Dörfler wohl, es &#x017F;ind die<lb/>
Gräber ihrer Theuren, die &#x017F;ie ver&#x017F;tohlen hegen und pflegen,<lb/>
in heimlicher Liebe. Denn der Kirchhof <hi rendition="#g">&#x017F;oll</hi> todt &#x017F;ein, der<lb/>
offizielle Platz für Blumen und Thränen liegt draußen.</p><lb/>
            <p>Aber welchem Herzen ließe &#x017F;ich gebieten!</p><lb/>
            <p>Paretz i&#x017F;t eine Stätte der Erinnerung und Pietät &#x2014; auch<lb/>
der &#x201E;todte Kirchhof.&#x201C;</p>
          </div>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[341/0359] Und ſie gedenken ſeiner. Der 7. Juni, der Sterbetag des Königs, iſt zu einem Gedächtnißtag geworden, und kein Sohn oder Enkel betritt Paretz, ohne an die graue Marmor- tafel zu treten und freiwillig zu thun, woran ihn die Inſchrift mahnt. Der „todte Kirchhof.“ „Gedenke der Abgeſchiedenen!“ ſo klingt es überall in Paretz, auch über den Kreis des Schloſſes hinaus. Erinne- rung und Pietät, die hier ihre Stätte haben, ſie haben ſie auch in den Herzen der Paretzer; ſtill und unbemerkt üben ſie ihren Todtendienſt; „Gedenke der Abgeſchiedenen“ durchklingt es auch ſie. Um die Kirche herum liegt ein Kirchhof, ein ſogenannter „todter Kirchhof;“ der „lebende,“ die Stätte, wo begraben wird, liegt draußen, am Rande des Dorfes. Die alte Stätte iſt nur ein Grasplatz noch, niedergetreten, ohne Kreuz und Stein, aber wer ſcharf zuſieht, der nimmt bald wahr, daß hinter dieſer Verwahrloſung noch immer eine Liebe lebt. Hier und dort wächſt eine Schwertlilie, ein Hage- buttenſtrauch unvermittelt aus dem niedergetretenen Graſe auf, und alle dieſe Stellen kennen die Dörfler wohl, es ſind die Gräber ihrer Theuren, die ſie verſtohlen hegen und pflegen, in heimlicher Liebe. Denn der Kirchhof ſoll todt ſein, der offizielle Platz für Blumen und Thränen liegt draußen. Aber welchem Herzen ließe ſich gebieten! Paretz iſt eine Stätte der Erinnerung und Pietät — auch der „todte Kirchhof.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/359
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/359>, abgerufen am 24.11.2024.