Dieser Tempel, eine bloße Facade, die auf halbversun- kenen dorischen Säulen ruht und zunächst keinem anderen Zwecke gedient haben mochte, als Schutz gegen Regen und Sonne zu gewähren, scheint von Anfang an ein bevorzugter Platz gewe- sen zu sein, wie es auch in dem laubenreichsten Garten immer noch eine Lieblingslaube gibt, woran sich Leid und Freud des Hauses knüpft: der erste Kuß, die stille Verlobung, Abschied und Wiedersehen.
Zu solchem Platze wuchs der Tempel heran, und der ziemlich nichtssagende Bau, der bei seiner Anlage nichts gewesen war, als eine Gärtnerlaune, ein Schnörkelornament, wurde zu einer Familienstätte, zu einem der Erinnerung geweihten Platz.
Dieß geschah zuerst im Sommer 1797. Im Winter vor- her, am 28. Dezember, war Prinz Ludwig gestorben, der Bruder, zugleich der Schwager Friedrich Wilhelm's (damals noch Kronprinz), und an der bevorzugten Plauderstelle wurde in den Stein geschrieben: "Er ist nicht mehr."
Die Jahre gingen; so kam der Juli 1810. In die Park- gruft zu Charlottenburg senkte sich der Sarg der Königin; in die Tempelwand zu Paretz wurde eine graue Marmortafel ein- gelassen, die nunmehr die Inschrift empfing: "Gedenke der Abgeschiedenen." Mehr und mehr erhob sich der Tempel zu einer Stätte des Familienkultus; in seiner Front, an eben der Stelle, wo die heimgegangene Königin so oft geruht hatte, wurde ein Friedensengel mit Kranz und Palmenzweig errichtet; der Tempel von Paretz war zu einem Vereinigungspunkt, fast zu einem Symbol geworden, das jedem Familiengliede das Beste bedeutete, was der Mensch hat: Liebe, Treue, Pietät. In diesem Sinne schrieb König Friedrich Wilhelm III. in seinem Testament: "Meine Zeit in Unruhe, meine Hoffnung in Gott ... Wenn dieser mein letzter Wille meinen innigst geliebten Kindern zu Gesicht kommen wird, bin ich nicht mehr unter ihnen und gehöre zu den Abgeschiedenen. Mögen sie dann bei dem An- blick der ihnen wohlbekannten Inschrift: ,Gedenke der Abgeschie- denen!' auch meiner liebevoll gedenken."
Dieſer Tempel, eine bloße Façade, die auf halbverſun- kenen doriſchen Säulen ruht und zunächſt keinem anderen Zwecke gedient haben mochte, als Schutz gegen Regen und Sonne zu gewähren, ſcheint von Anfang an ein bevorzugter Platz gewe- ſen zu ſein, wie es auch in dem laubenreichſten Garten immer noch eine Lieblingslaube gibt, woran ſich Leid und Freud des Hauſes knüpft: der erſte Kuß, die ſtille Verlobung, Abſchied und Wiederſehen.
Zu ſolchem Platze wuchs der Tempel heran, und der ziemlich nichtsſagende Bau, der bei ſeiner Anlage nichts geweſen war, als eine Gärtnerlaune, ein Schnörkelornament, wurde zu einer Familienſtätte, zu einem der Erinnerung geweihten Platz.
Dieß geſchah zuerſt im Sommer 1797. Im Winter vor- her, am 28. Dezember, war Prinz Ludwig geſtorben, der Bruder, zugleich der Schwager Friedrich Wilhelm’s (damals noch Kronprinz), und an der bevorzugten Plauderſtelle wurde in den Stein geſchrieben: „Er iſt nicht mehr.“
Die Jahre gingen; ſo kam der Juli 1810. In die Park- gruft zu Charlottenburg ſenkte ſich der Sarg der Königin; in die Tempelwand zu Paretz wurde eine graue Marmortafel ein- gelaſſen, die nunmehr die Inſchrift empfing: „Gedenke der Abgeſchiedenen.“ Mehr und mehr erhob ſich der Tempel zu einer Stätte des Familienkultus; in ſeiner Front, an eben der Stelle, wo die heimgegangene Königin ſo oft geruht hatte, wurde ein Friedensengel mit Kranz und Palmenzweig errichtet; der Tempel von Paretz war zu einem Vereinigungspunkt, faſt zu einem Symbol geworden, das jedem Familiengliede das Beſte bedeutete, was der Menſch hat: Liebe, Treue, Pietät. In dieſem Sinne ſchrieb König Friedrich Wilhelm III. in ſeinem Teſtament: „Meine Zeit in Unruhe, meine Hoffnung in Gott … Wenn dieſer mein letzter Wille meinen innigſt geliebten Kindern zu Geſicht kommen wird, bin ich nicht mehr unter ihnen und gehöre zu den Abgeſchiedenen. Mögen ſie dann bei dem An- blick der ihnen wohlbekannten Inſchrift: ‚Gedenke der Abgeſchie- denen!‘ auch meiner liebevoll gedenken.“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0358"n="340"/><p>Dieſer Tempel, eine bloße Fa<hirendition="#aq">ç</hi>ade, die auf halbverſun-<lb/>
kenen doriſchen Säulen ruht und zunächſt keinem anderen Zwecke<lb/>
gedient haben mochte, als Schutz gegen Regen und Sonne zu<lb/>
gewähren, ſcheint von Anfang an ein bevorzugter Platz gewe-<lb/>ſen zu ſein, wie es auch in dem laubenreichſten Garten immer<lb/>
noch eine Lieblingslaube gibt, woran ſich Leid und Freud des<lb/>
Hauſes knüpft: der erſte Kuß, die ſtille Verlobung, Abſchied<lb/>
und Wiederſehen.</p><lb/><p>Zu ſolchem Platze wuchs der Tempel heran, und der<lb/>
ziemlich nichtsſagende Bau, der bei ſeiner Anlage nichts geweſen<lb/>
war, als eine Gärtnerlaune, ein Schnörkelornament, wurde zu<lb/>
einer Familienſtätte, zu einem der Erinnerung geweihten Platz.</p><lb/><p>Dieß geſchah zuerſt im Sommer 1797. Im Winter vor-<lb/>
her, am 28. Dezember, war Prinz Ludwig geſtorben, der<lb/>
Bruder, zugleich der Schwager Friedrich Wilhelm’s (damals<lb/>
noch Kronprinz), und an der bevorzugten Plauderſtelle wurde<lb/>
in den Stein geſchrieben: „Er iſt nicht mehr.“</p><lb/><p>Die Jahre gingen; ſo kam der Juli 1810. In die Park-<lb/>
gruft zu Charlottenburg ſenkte ſich der Sarg der Königin; in<lb/>
die Tempelwand zu Paretz wurde eine graue Marmortafel ein-<lb/>
gelaſſen, die nunmehr die Inſchrift empfing: „Gedenke der<lb/>
Abgeſchiedenen.“ Mehr und mehr erhob ſich der Tempel zu<lb/>
einer Stätte des Familienkultus; in ſeiner Front, an eben der<lb/>
Stelle, wo die heimgegangene Königin ſo oft geruht hatte,<lb/>
wurde ein Friedensengel mit Kranz und Palmenzweig errichtet;<lb/>
der Tempel von Paretz war zu einem Vereinigungspunkt, faſt<lb/>
zu einem Symbol geworden, das jedem Familiengliede das<lb/>
Beſte bedeutete, was der Menſch hat: Liebe, Treue, Pietät.<lb/>
In dieſem Sinne ſchrieb König Friedrich Wilhelm <hirendition="#aq">III.</hi> in ſeinem<lb/>
Teſtament: „Meine Zeit in Unruhe, meine Hoffnung in Gott …<lb/>
Wenn dieſer mein letzter Wille meinen innigſt geliebten Kindern<lb/>
zu Geſicht kommen wird, bin ich nicht mehr unter ihnen und<lb/>
gehöre zu den Abgeſchiedenen. Mögen ſie dann bei dem An-<lb/>
blick der ihnen wohlbekannten Inſchrift: ‚Gedenke der Abgeſchie-<lb/>
denen!‘ auch meiner liebevoll gedenken.“</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[340/0358]
Dieſer Tempel, eine bloße Façade, die auf halbverſun-
kenen doriſchen Säulen ruht und zunächſt keinem anderen Zwecke
gedient haben mochte, als Schutz gegen Regen und Sonne zu
gewähren, ſcheint von Anfang an ein bevorzugter Platz gewe-
ſen zu ſein, wie es auch in dem laubenreichſten Garten immer
noch eine Lieblingslaube gibt, woran ſich Leid und Freud des
Hauſes knüpft: der erſte Kuß, die ſtille Verlobung, Abſchied
und Wiederſehen.
Zu ſolchem Platze wuchs der Tempel heran, und der
ziemlich nichtsſagende Bau, der bei ſeiner Anlage nichts geweſen
war, als eine Gärtnerlaune, ein Schnörkelornament, wurde zu
einer Familienſtätte, zu einem der Erinnerung geweihten Platz.
Dieß geſchah zuerſt im Sommer 1797. Im Winter vor-
her, am 28. Dezember, war Prinz Ludwig geſtorben, der
Bruder, zugleich der Schwager Friedrich Wilhelm’s (damals
noch Kronprinz), und an der bevorzugten Plauderſtelle wurde
in den Stein geſchrieben: „Er iſt nicht mehr.“
Die Jahre gingen; ſo kam der Juli 1810. In die Park-
gruft zu Charlottenburg ſenkte ſich der Sarg der Königin; in
die Tempelwand zu Paretz wurde eine graue Marmortafel ein-
gelaſſen, die nunmehr die Inſchrift empfing: „Gedenke der
Abgeſchiedenen.“ Mehr und mehr erhob ſich der Tempel zu
einer Stätte des Familienkultus; in ſeiner Front, an eben der
Stelle, wo die heimgegangene Königin ſo oft geruht hatte,
wurde ein Friedensengel mit Kranz und Palmenzweig errichtet;
der Tempel von Paretz war zu einem Vereinigungspunkt, faſt
zu einem Symbol geworden, das jedem Familiengliede das
Beſte bedeutete, was der Menſch hat: Liebe, Treue, Pietät.
In dieſem Sinne ſchrieb König Friedrich Wilhelm III. in ſeinem
Teſtament: „Meine Zeit in Unruhe, meine Hoffnung in Gott …
Wenn dieſer mein letzter Wille meinen innigſt geliebten Kindern
zu Geſicht kommen wird, bin ich nicht mehr unter ihnen und
gehöre zu den Abgeſchiedenen. Mögen ſie dann bei dem An-
blick der ihnen wohlbekannten Inſchrift: ‚Gedenke der Abgeſchie-
denen!‘ auch meiner liebevoll gedenken.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/358>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.