Aber "die Noth giebt wunderliche Schlafgesellen", und die Con- servirung von Race-Dünkel und Vorurtheil wurde durch die Ver- hältnisse, durch Brand und Krieg, durch die Gemeinschaftlichkeit des Unglücks unmöglich gemacht. Das Aufeinander-angewiesen-sein riß jene Schranken nieder, die in der Fülle selbstbewußten Glücks vielleicht geblieben wären. Mehrfach ging der schwarze Tod durch das Land und entvölkerte die Dörfer; was der schwarze Tod nicht that, das thaten, in nie rastenden Kriegen, die Pommern und Polen, und was die Pommern und Polen nicht thaten, das thaten die Hussiten. Im Barnim befinden sich vielleicht 20 oder 30 Feldmarken (jetzt einfache Acker- oder Brachfelder), die Namen wie Wüste-Sieversdorf, Wüste-Gielsdorf, Wüste-Büsow etc. führen, Benennungen aus jener Epoche immer neuer Ver- ödungen her. Die wüst gewordenen Dörfer, namentlich solche, wo einzelne bewohnte Häuser und Hütten stehen geblieben waren, wieder neu zu besetzen, war die Aufgabe der Landesverwaltung, die in Brandenburg von jeher den fridericianischen Satz ver- folgte: "Menschen; vor allem Menschen". Man freute sich jeden Zuzugs, ohne nach der Racen-Abstammung zu fragen.
Das deutsche Dorf, in dem vielleicht ein Fritze, ein Han- sen, ein Dietrichs wohnte, war froh einen Kroll, einen Noack, einen Posedien die wüst gewordenen Stätten einnehmen zu sehn, und ebenso die wendischen Dörfer empfingen den deutschen Zuzug mit Freude. Die Namensverzeichnisse im Landbuch von 1375, wie die Urkunden überhaupt, lassen keinen Zweifel darüber.
Alle diese Anführungen haben selbstverständlich nur die Regel, nur die Verhältnisse in ihren großen Zügen schildern sollen, ganz besonders aber die der Mittelmark. Die Mittel- mark, im Gegensatz zu den mehr Oder- und Elb-wärts gele- genen Landestheilen, war der eigentliche Mischungsbottich; die Verhältnisse forderten dazu auf. Auf dem platten Lande war es die Noth, in den Städten war es die Gelegenheit, die die Menschen, deutsch oder wendisch, zusammenführte. Die alten Bürgerfamilien freilich beharrten in ihrer Abgeschlossenheit und betrachteten den Wenden-Kietz um kein Haar breit besser
Aber „die Noth giebt wunderliche Schlafgeſellen“, und die Con- ſervirung von Race-Dünkel und Vorurtheil wurde durch die Ver- hältniſſe, durch Brand und Krieg, durch die Gemeinſchaftlichkeit des Unglücks unmöglich gemacht. Das Aufeinander-angewieſen-ſein riß jene Schranken nieder, die in der Fülle ſelbſtbewußten Glücks vielleicht geblieben wären. Mehrfach ging der ſchwarze Tod durch das Land und entvölkerte die Dörfer; was der ſchwarze Tod nicht that, das thaten, in nie raſtenden Kriegen, die Pommern und Polen, und was die Pommern und Polen nicht thaten, das thaten die Huſſiten. Im Barnim befinden ſich vielleicht 20 oder 30 Feldmarken (jetzt einfache Acker- oder Brachfelder), die Namen wie Wüſte-Sieversdorf, Wüſte-Gielsdorf, Wüſte-Büſow ꝛc. führen, Benennungen aus jener Epoche immer neuer Ver- ödungen her. Die wüſt gewordenen Dörfer, namentlich ſolche, wo einzelne bewohnte Häuſer und Hütten ſtehen geblieben waren, wieder neu zu beſetzen, war die Aufgabe der Landesverwaltung, die in Brandenburg von jeher den fridericianiſchen Satz ver- folgte: „Menſchen; vor allem Menſchen“. Man freute ſich jeden Zuzugs, ohne nach der Racen-Abſtammung zu fragen.
Das deutſche Dorf, in dem vielleicht ein Fritze, ein Han- ſen, ein Dietrichs wohnte, war froh einen Kroll, einen Noack, einen Poſedien die wüſt gewordenen Stätten einnehmen zu ſehn, und ebenſo die wendiſchen Dörfer empfingen den deutſchen Zuzug mit Freude. Die Namensverzeichniſſe im Landbuch von 1375, wie die Urkunden überhaupt, laſſen keinen Zweifel darüber.
Alle dieſe Anführungen haben ſelbſtverſtändlich nur die Regel, nur die Verhältniſſe in ihren großen Zügen ſchildern ſollen, ganz beſonders aber die der Mittelmark. Die Mittel- mark, im Gegenſatz zu den mehr Oder- und Elb-wärts gele- genen Landestheilen, war der eigentliche Miſchungsbottich; die Verhältniſſe forderten dazu auf. Auf dem platten Lande war es die Noth, in den Städten war es die Gelegenheit, die die Menſchen, deutſch oder wendiſch, zuſammenführte. Die alten Bürgerfamilien freilich beharrten in ihrer Abgeſchloſſenheit und betrachteten den Wenden-Kietz um kein Haar breit beſſer
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Aber „die Noth giebt wunderliche Schlafgeſellen“, und die Con-
ſervirung von Race-Dünkel und Vorurtheil wurde durch die Ver-
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Unglücks unmöglich gemacht. Das Aufeinander-angewieſen-ſein
riß jene Schranken nieder, die in der Fülle ſelbſtbewußten Glücks
vielleicht geblieben wären. Mehrfach ging der ſchwarze Tod durch
das Land und entvölkerte die Dörfer; was der ſchwarze Tod nicht
that, das thaten, in nie raſtenden Kriegen, die Pommern und
Polen, und was die Pommern und Polen nicht thaten, das
thaten die Huſſiten. Im Barnim befinden ſich vielleicht 20 oder
30 Feldmarken (jetzt einfache Acker- oder Brachfelder), die
Namen wie Wüſte-Sieversdorf, Wüſte-Gielsdorf, Wüſte-Büſow
ꝛc. führen, Benennungen aus jener Epoche immer neuer Ver-
ödungen her. Die wüſt gewordenen Dörfer, namentlich ſolche,
wo einzelne bewohnte Häuſer und Hütten ſtehen geblieben waren,
wieder neu zu beſetzen, war die Aufgabe der Landesverwaltung,
die in Brandenburg von jeher den fridericianiſchen Satz ver-
folgte: „Menſchen; vor allem Menſchen“. Man freute ſich
jeden Zuzugs, ohne nach der Racen-Abſtammung zu fragen.
Das deutſche Dorf, in dem vielleicht ein Fritze, ein Han-
ſen, ein Dietrichs wohnte, war froh einen Kroll, einen Noack,
einen Poſedien die wüſt gewordenen Stätten einnehmen zu ſehn,
und ebenſo die wendiſchen Dörfer empfingen den deutſchen Zuzug
mit Freude. Die Namensverzeichniſſe im Landbuch von 1375,
wie die Urkunden überhaupt, laſſen keinen Zweifel darüber.
Alle dieſe Anführungen haben ſelbſtverſtändlich nur die
Regel, nur die Verhältniſſe in ihren großen Zügen ſchildern
ſollen, ganz beſonders aber die der Mittelmark. Die Mittel-
mark, im Gegenſatz zu den mehr Oder- und Elb-wärts gele-
genen Landestheilen, war der eigentliche Miſchungsbottich; die
Verhältniſſe forderten dazu auf. Auf dem platten Lande
war es die Noth, in den Städten war es die Gelegenheit,
die die Menſchen, deutſch oder wendiſch, zuſammenführte. Die
alten Bürgerfamilien freilich beharrten in ihrer Abgeſchloſſenheit
und betrachteten den Wenden-Kietz um kein Haar breit beſſer
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/50>, abgerufen am 28.11.2024.
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