als ein jüdisches Ghetto, aber dem "Zuzug" gegenüber kamen die alten, alles nach Zunft und Race sondernden städtischen Traditionen wenig oder gar nicht in Betracht, und die "kleinen Leute" thaten sich zusammen, unbekümmert um die Frage: wen- disch oder deutsch. So lagen die Dinge in der Mittelmark, d. h. also in Teltow und Barnim, im Ruppin'schen, in Bes- kow-Storkow, in der Westhälfte von Lebus, überhaupt in allen Landestheilen, in denen sich Deutschthum und Wenden- thum einigermaßen die Wage hielten. Anders freilich war es in West und Ost. Je mehr nach der Elbe zu, je exclusiver hielt sich das Deutschthum, weil es ihm leicht gemacht war, sich aus seinen Stammesgenossen jenseits der Elbe zu rekrutiren; umgekehrt, je näher der Oder und den eigentlichen slavischen Landen zu, je länger blieb das Wendenthum in Kraft. Jetzt indessen, wenige Stätten abgerechnet, ist es, in Wirklichkeit, im Leben unsres Volks verschwunden. Es lebt noch fort in der Mehrzahl unserer Städte- und Dorfnamen, in dunklen Erinnerungen, daß in einzelnen, den Namen eines Wenden- gottes bis heute festhaltenden Lokalitäten (in Jüterbog, in Jütergotz) ein Tempel stand, vor allem in den Heidengräbern und Wendenkirchhöfen, die sich allerorten in der Mark ver- breitet finden.
Aber es ist charakteristisch, daß eben das Einzige, was aus der alten Wendenwelt noch zu uns spricht, ein Begra- benes ist. Alles geistig Lebendige ist hinüber; selbst der Aber- glaube und die in ihm wurzelnden Sitten, Gebräuche und Volksweisen, die wohl dann und wann für wendische Ueberreste gehalten worden sind, lassen sich vielfach (und die neuste Wissen- schaft hat es mit Erfolg versucht) auf etwas Urgermanisches zurückführen, das, auch vor den Wenden schon, hier heimisch war. Mit Sicherheit lebt noch Alt-Deutsches in den Gemü- thern, und das Volk erzählt von Wodan und Fricke (Freia) und dem Hackelberger Jäger; aber Radegast und Czernebog sind todt. Das Wendische ist weggewischt, untergegangen in dem Stärkern, in dem germanischen Leben und Gemüth,
Fontane, Wanderungen. III. 3
als ein jüdiſches Ghetto, aber dem „Zuzug“ gegenüber kamen die alten, alles nach Zunft und Race ſondernden ſtädtiſchen Traditionen wenig oder gar nicht in Betracht, und die „kleinen Leute“ thaten ſich zuſammen, unbekümmert um die Frage: wen- diſch oder deutſch. So lagen die Dinge in der Mittelmark, d. h. alſo in Teltow und Barnim, im Ruppin’ſchen, in Bes- kow-Storkow, in der Weſthälfte von Lebus, überhaupt in allen Landestheilen, in denen ſich Deutſchthum und Wenden- thum einigermaßen die Wage hielten. Anders freilich war es in Weſt und Oſt. Je mehr nach der Elbe zu, je excluſiver hielt ſich das Deutſchthum, weil es ihm leicht gemacht war, ſich aus ſeinen Stammesgenoſſen jenſeits der Elbe zu rekrutiren; umgekehrt, je näher der Oder und den eigentlichen ſlaviſchen Landen zu, je länger blieb das Wendenthum in Kraft. Jetzt indeſſen, wenige Stätten abgerechnet, iſt es, in Wirklichkeit, im Leben unſres Volks verſchwunden. Es lebt noch fort in der Mehrzahl unſerer Städte- und Dorfnamen, in dunklen Erinnerungen, daß in einzelnen, den Namen eines Wenden- gottes bis heute feſthaltenden Lokalitäten (in Jüterbog, in Jütergotz) ein Tempel ſtand, vor allem in den Heidengräbern und Wendenkirchhöfen, die ſich allerorten in der Mark ver- breitet finden.
Aber es iſt charakteriſtiſch, daß eben das Einzige, was aus der alten Wendenwelt noch zu uns ſpricht, ein Begra- benes iſt. Alles geiſtig Lebendige iſt hinüber; ſelbſt der Aber- glaube und die in ihm wurzelnden Sitten, Gebräuche und Volksweiſen, die wohl dann und wann für wendiſche Ueberreſte gehalten worden ſind, laſſen ſich vielfach (und die neuſte Wiſſen- ſchaft hat es mit Erfolg verſucht) auf etwas Urgermaniſches zurückführen, das, auch vor den Wenden ſchon, hier heimiſch war. Mit Sicherheit lebt noch Alt-Deutſches in den Gemü- thern, und das Volk erzählt von Wodan und Fricke (Freia) und dem Hackelberger Jäger; aber Radegaſt und Czernebog ſind todt. Das Wendiſche iſt weggewiſcht, untergegangen in dem Stärkern, in dem germaniſchen Leben und Gemüth,
Fontane, Wanderungen. III. 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0051"n="33"/>
als ein jüdiſches Ghetto, aber dem „Zuzug“ gegenüber kamen<lb/>
die alten, alles nach Zunft und Race ſondernden ſtädtiſchen<lb/>
Traditionen wenig oder gar nicht in Betracht, und die „kleinen<lb/>
Leute“ thaten ſich zuſammen, unbekümmert um die Frage: wen-<lb/>
diſch oder deutſch. So lagen die Dinge in der <hirendition="#g">Mittelmark</hi>,<lb/>
d. h. alſo in Teltow und Barnim, im Ruppin’ſchen, in Bes-<lb/>
kow-Storkow, in der Weſthälfte von Lebus, überhaupt in<lb/>
allen Landestheilen, in denen ſich Deutſchthum und Wenden-<lb/>
thum einigermaßen die Wage hielten. Anders freilich war es<lb/>
in Weſt und Oſt. Je mehr nach der Elbe zu, je excluſiver<lb/>
hielt ſich das Deutſchthum, weil es ihm leicht gemacht war, ſich<lb/>
aus ſeinen Stammesgenoſſen jenſeits der Elbe zu rekrutiren;<lb/>
umgekehrt, je näher der Oder und den eigentlichen ſlaviſchen<lb/>
Landen zu, je länger blieb das Wendenthum in Kraft. Jetzt<lb/>
indeſſen, wenige Stätten abgerechnet, iſt es, in Wirklichkeit,<lb/>
im Leben unſres Volks verſchwunden. Es lebt noch fort in<lb/>
der Mehrzahl unſerer Städte- und Dorfnamen, in dunklen<lb/>
Erinnerungen, daß in einzelnen, den Namen eines Wenden-<lb/>
gottes bis heute feſthaltenden Lokalitäten (in Jüterbog, in<lb/>
Jütergotz) ein Tempel ſtand, vor allem in den Heidengräbern<lb/>
und Wendenkirchhöfen, die ſich allerorten in der Mark ver-<lb/>
breitet finden.</p><lb/><p>Aber es iſt charakteriſtiſch, daß eben das Einzige, was<lb/>
aus der alten Wendenwelt noch zu uns ſpricht, ein <hirendition="#g">Begra-<lb/>
benes</hi> iſt. Alles geiſtig Lebendige iſt hinüber; ſelbſt der Aber-<lb/>
glaube und die in ihm wurzelnden Sitten, Gebräuche und<lb/>
Volksweiſen, die wohl dann und wann für wendiſche Ueberreſte<lb/>
gehalten worden ſind, laſſen ſich vielfach (und die neuſte Wiſſen-<lb/>ſchaft hat es mit Erfolg verſucht) auf etwas <hirendition="#g">Urgermaniſches</hi><lb/>
zurückführen, das, auch <hirendition="#g">vor</hi> den Wenden ſchon, hier heimiſch<lb/>
war. Mit Sicherheit lebt noch Alt-Deutſches in den Gemü-<lb/>
thern, und das Volk erzählt von Wodan und Fricke (Freia)<lb/>
und dem Hackelberger Jäger; aber <hirendition="#g">Radegaſt</hi> und <hirendition="#g">Czernebog<lb/>ſind todt</hi>. Das Wendiſche iſt weggewiſcht, untergegangen<lb/>
in dem Stärkern, in dem germaniſchen Leben und Gemüth,<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Fontane</hi>, Wanderungen. <hirendition="#aq">III.</hi> 3</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[33/0051]
als ein jüdiſches Ghetto, aber dem „Zuzug“ gegenüber kamen
die alten, alles nach Zunft und Race ſondernden ſtädtiſchen
Traditionen wenig oder gar nicht in Betracht, und die „kleinen
Leute“ thaten ſich zuſammen, unbekümmert um die Frage: wen-
diſch oder deutſch. So lagen die Dinge in der Mittelmark,
d. h. alſo in Teltow und Barnim, im Ruppin’ſchen, in Bes-
kow-Storkow, in der Weſthälfte von Lebus, überhaupt in
allen Landestheilen, in denen ſich Deutſchthum und Wenden-
thum einigermaßen die Wage hielten. Anders freilich war es
in Weſt und Oſt. Je mehr nach der Elbe zu, je excluſiver
hielt ſich das Deutſchthum, weil es ihm leicht gemacht war, ſich
aus ſeinen Stammesgenoſſen jenſeits der Elbe zu rekrutiren;
umgekehrt, je näher der Oder und den eigentlichen ſlaviſchen
Landen zu, je länger blieb das Wendenthum in Kraft. Jetzt
indeſſen, wenige Stätten abgerechnet, iſt es, in Wirklichkeit,
im Leben unſres Volks verſchwunden. Es lebt noch fort in
der Mehrzahl unſerer Städte- und Dorfnamen, in dunklen
Erinnerungen, daß in einzelnen, den Namen eines Wenden-
gottes bis heute feſthaltenden Lokalitäten (in Jüterbog, in
Jütergotz) ein Tempel ſtand, vor allem in den Heidengräbern
und Wendenkirchhöfen, die ſich allerorten in der Mark ver-
breitet finden.
Aber es iſt charakteriſtiſch, daß eben das Einzige, was
aus der alten Wendenwelt noch zu uns ſpricht, ein Begra-
benes iſt. Alles geiſtig Lebendige iſt hinüber; ſelbſt der Aber-
glaube und die in ihm wurzelnden Sitten, Gebräuche und
Volksweiſen, die wohl dann und wann für wendiſche Ueberreſte
gehalten worden ſind, laſſen ſich vielfach (und die neuſte Wiſſen-
ſchaft hat es mit Erfolg verſucht) auf etwas Urgermaniſches
zurückführen, das, auch vor den Wenden ſchon, hier heimiſch
war. Mit Sicherheit lebt noch Alt-Deutſches in den Gemü-
thern, und das Volk erzählt von Wodan und Fricke (Freia)
und dem Hackelberger Jäger; aber Radegaſt und Czernebog
ſind todt. Das Wendiſche iſt weggewiſcht, untergegangen
in dem Stärkern, in dem germaniſchen Leben und Gemüth,
Fontane, Wanderungen. III. 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/51>, abgerufen am 29.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.