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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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kratie, sprangen mit berechneter Leichtfüßigkeit vom Wagen und
gaben dadurch Gelegenheit, das im Wagen verbliebene Residuum
der Gesellschaft besser überfliegen zu können. Das Meiste war
Staffage, bloße Najaden und Tritonen, die als Beiwerk, auch
wohl als Folie nothwendig da sein müssen, wenn Venus aus
den Wellen steigt. Wem die Rolle der letztern oblag, darüber
konnte kein Zweifel sein. Sie war 30, überthronte das Ganze,
trug das Haar kurz geschnitten a la Rosa Bonheur und hielt
eine große italienische Laute auf ihren Knieen. Uebrigens war
sie wirklich hübsch; alles im Brunhilden-Styl; dieselbe weiße
Hand, die jetzt auf der Laute ruhte, hätte auch jeden beliebigen
Stein 50 Ellen weit geschleudert.

In diesem Moment, ehe ich noch den Kremser völlig durch-
mustert hatte, erschien Boßdorf mit einem großen Tablet. Es
war ein Morgenimbiß, der für den Rest des Tages einige Per-
spectiven eröffnete: vier Culmbacher, vier Werdersche, mehrere
Cognacs und eine Pyramide von Butterbroten. Alle Macht
ist ein Magnet; -- Boßdorf präsentirte der Lautenschlägerin
zuerst. Diese, ohne Weiteres, machte eine halbe Schwenkung,
glitt, nicht ohne einen Anflug von Entsagung, über die kleinen
Gläser hin, nahm eine Culmbacher, prüfte das Verhältniß von
Schaum und Saft, und trank aus. Ohne abzusetzen. Als ihr
Boßdorf die Butterbrot-Seite des Tablets zudrehte, nickte sie
abwehrend.

In kürzester Frist war übrigens das Tablet leer (nicht
Alle waren wählerisch); die Entrepreneurs eilten zu ihren Plätzen;
die Pferde zogen an. Ein Lindenzweig streifte noch huldigend
die Stirn der Primadonna; im nächsten Augenblick verschwand
der Kremser in einer Querstraße des Dorfes. Ich horchte ihnen
nach. Es war mir, als trüge der Wind herüber: "Im Wald,
im schönen, grünen Wald" und dazwischen verlorene Lauten-
klänge.

Ich war nun wieder allein und wollte bereits -- was
immer einen äußersten Grad von Verlegenheit ausdrückt -- zu
den "Territorien der Mark Brandenburg," einer Art märkischem

kratie, ſprangen mit berechneter Leichtfüßigkeit vom Wagen und
gaben dadurch Gelegenheit, das im Wagen verbliebene Reſiduum
der Geſellſchaft beſſer überfliegen zu können. Das Meiſte war
Staffage, bloße Najaden und Tritonen, die als Beiwerk, auch
wohl als Folie nothwendig da ſein müſſen, wenn Venus aus
den Wellen ſteigt. Wem die Rolle der letztern oblag, darüber
konnte kein Zweifel ſein. Sie war 30, überthronte das Ganze,
trug das Haar kurz geſchnitten à la Roſa Bonheur und hielt
eine große italieniſche Laute auf ihren Knieen. Uebrigens war
ſie wirklich hübſch; alles im Brunhilden-Styl; dieſelbe weiße
Hand, die jetzt auf der Laute ruhte, hätte auch jeden beliebigen
Stein 50 Ellen weit geſchleudert.

In dieſem Moment, ehe ich noch den Kremſer völlig durch-
muſtert hatte, erſchien Boßdorf mit einem großen Tablet. Es
war ein Morgenimbiß, der für den Reſt des Tages einige Per-
ſpectiven eröffnete: vier Culmbacher, vier Werderſche, mehrere
Cognacs und eine Pyramide von Butterbroten. Alle Macht
iſt ein Magnet; — Boßdorf präſentirte der Lautenſchlägerin
zuerſt. Dieſe, ohne Weiteres, machte eine halbe Schwenkung,
glitt, nicht ohne einen Anflug von Entſagung, über die kleinen
Gläſer hin, nahm eine Culmbacher, prüfte das Verhältniß von
Schaum und Saft, und trank aus. Ohne abzuſetzen. Als ihr
Boßdorf die Butterbrot-Seite des Tablets zudrehte, nickte ſie
abwehrend.

In kürzeſter Friſt war übrigens das Tablet leer (nicht
Alle waren wähleriſch); die Entrepreneurs eilten zu ihren Plätzen;
die Pferde zogen an. Ein Lindenzweig ſtreifte noch huldigend
die Stirn der Primadonna; im nächſten Augenblick verſchwand
der Kremſer in einer Querſtraße des Dorfes. Ich horchte ihnen
nach. Es war mir, als trüge der Wind herüber: „Im Wald,
im ſchönen, grünen Wald“ und dazwiſchen verlorene Lauten-
klänge.

Ich war nun wieder allein und wollte bereits — was
immer einen äußerſten Grad von Verlegenheit ausdrückt — zu
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[172/0190] kratie, ſprangen mit berechneter Leichtfüßigkeit vom Wagen und gaben dadurch Gelegenheit, das im Wagen verbliebene Reſiduum der Geſellſchaft beſſer überfliegen zu können. Das Meiſte war Staffage, bloße Najaden und Tritonen, die als Beiwerk, auch wohl als Folie nothwendig da ſein müſſen, wenn Venus aus den Wellen ſteigt. Wem die Rolle der letztern oblag, darüber konnte kein Zweifel ſein. Sie war 30, überthronte das Ganze, trug das Haar kurz geſchnitten à la Roſa Bonheur und hielt eine große italieniſche Laute auf ihren Knieen. Uebrigens war ſie wirklich hübſch; alles im Brunhilden-Styl; dieſelbe weiße Hand, die jetzt auf der Laute ruhte, hätte auch jeden beliebigen Stein 50 Ellen weit geſchleudert. In dieſem Moment, ehe ich noch den Kremſer völlig durch- muſtert hatte, erſchien Boßdorf mit einem großen Tablet. Es war ein Morgenimbiß, der für den Reſt des Tages einige Per- ſpectiven eröffnete: vier Culmbacher, vier Werderſche, mehrere Cognacs und eine Pyramide von Butterbroten. Alle Macht iſt ein Magnet; — Boßdorf präſentirte der Lautenſchlägerin zuerſt. Dieſe, ohne Weiteres, machte eine halbe Schwenkung, glitt, nicht ohne einen Anflug von Entſagung, über die kleinen Gläſer hin, nahm eine Culmbacher, prüfte das Verhältniß von Schaum und Saft, und trank aus. Ohne abzuſetzen. Als ihr Boßdorf die Butterbrot-Seite des Tablets zudrehte, nickte ſie abwehrend. In kürzeſter Friſt war übrigens das Tablet leer (nicht Alle waren wähleriſch); die Entrepreneurs eilten zu ihren Plätzen; die Pferde zogen an. Ein Lindenzweig ſtreifte noch huldigend die Stirn der Primadonna; im nächſten Augenblick verſchwand der Kremſer in einer Querſtraße des Dorfes. Ich horchte ihnen nach. Es war mir, als trüge der Wind herüber: „Im Wald, im ſchönen, grünen Wald“ und dazwiſchen verlorene Lauten- klänge. Ich war nun wieder allein und wollte bereits — was immer einen äußerſten Grad von Verlegenheit ausdrückt — zu den „Territorien der Mark Brandenburg,“ einer Art märkiſchem

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/190>, abgerufen am 26.11.2024.