Dieser Ausdruck mag einzelne meiner Leser überraschen; aber es hat seine Richtigkeit damit. Es giebt zwei Arten von Landpartieen. Da sind zunächst die heiteren. Sie sind weit- hin kenntlich durch ihren starken Procentsatz an Kindern; nie weniger als die Hälfte. In dem Moment der Landung, wo immer es sei, scheint die Welt aus lauter weißgekleideten kleinen Mädchen mit Rosa-Schleifen zu bestehen. Die Väter bestellen den Kaffee; das Auge der Mütter gleitet befriedigt über die glücklichen Gänseblümchen hin, von denen immer drei auf den Namen Anna und sechs auf den Namen Martha hören. Nun geht es in die Wiese, den Wald. Die Parole ist ausgegeben: Erdbeeren suchen. Alles ist Friede; die ganze Welt ein Idyll. Aber schon beginnen die dunklen Wetter zu brauen. Mit dem Eintritt in den Wald sind die weißen Kleider ihrem Verhäng- niß verfallen. Martha I. ist an einem Wachholderstrauch hängen geblieben, Martha II. hat sich in die Blaubeeren gesetzt -- wie Schneehühner gingen sie hinein, wie Perlhühner kommen sie wieder heraus. Der Sturm bricht los. Wer je Berliner Mütter in solchen Augenblicken gesehen, wird die kriegerische Haltung der gesammten Nation begreiflich finden. Die Väter suchen zu interveniren. Unglückliche! Jetzt ergießt sich der Strom in sein natürliches Bett.
Und doch find dies die heitren Landpartieen, denen wir die ernsten entgegen stellen. An diesen letzteren nehmen Kinder nie Theil. Es giebt auch rothe Schleifen, aber das Rosa ist Ponceau geworden. Man spricht in Pikanterieen, in einer Art Geheimsprache, für die nur der Kreis der Eingeweihten den Schlüssel hat. Bowle und Jeu lösen sich unter einander ab; unglaubliche Toaste werden ausgebracht und längst begrabene Gottheiten steigen triumphirend wieder auf. Sonderbar. Auf den heitren Landpartieen wird immer geweint, auf den ernsten Landpartieen wird immer nur gelacht.
Vor mir, am Staket, hielt eine ernste Landpartie. Zwei Herren, Fünfziger, mit großen melirten Backenbärten, Lebemän- ner aus der Schicht der allerneusten Torf- und Ziegel-Aristo-
Dieſer Ausdruck mag einzelne meiner Leſer überraſchen; aber es hat ſeine Richtigkeit damit. Es giebt zwei Arten von Landpartieen. Da ſind zunächſt die heiteren. Sie ſind weit- hin kenntlich durch ihren ſtarken Procentſatz an Kindern; nie weniger als die Hälfte. In dem Moment der Landung, wo immer es ſei, ſcheint die Welt aus lauter weißgekleideten kleinen Mädchen mit Roſa-Schleifen zu beſtehen. Die Väter beſtellen den Kaffee; das Auge der Mütter gleitet befriedigt über die glücklichen Gänſeblümchen hin, von denen immer drei auf den Namen Anna und ſechs auf den Namen Martha hören. Nun geht es in die Wieſe, den Wald. Die Parole iſt ausgegeben: Erdbeeren ſuchen. Alles iſt Friede; die ganze Welt ein Idyll. Aber ſchon beginnen die dunklen Wetter zu brauen. Mit dem Eintritt in den Wald ſind die weißen Kleider ihrem Verhäng- niß verfallen. Martha I. iſt an einem Wachholderſtrauch hängen geblieben, Martha II. hat ſich in die Blaubeeren geſetzt — wie Schneehühner gingen ſie hinein, wie Perlhühner kommen ſie wieder heraus. Der Sturm bricht los. Wer je Berliner Mütter in ſolchen Augenblicken geſehen, wird die kriegeriſche Haltung der geſammten Nation begreiflich finden. Die Väter ſuchen zu interveniren. Unglückliche! Jetzt ergießt ſich der Strom in ſein natürliches Bett.
Und doch find dies die heitren Landpartieen, denen wir die ernſten entgegen ſtellen. An dieſen letzteren nehmen Kinder nie Theil. Es giebt auch rothe Schleifen, aber das Roſa iſt Ponceau geworden. Man ſpricht in Pikanterieen, in einer Art Geheimſprache, für die nur der Kreis der Eingeweihten den Schlüſſel hat. Bowle und Jeu löſen ſich unter einander ab; unglaubliche Toaſte werden ausgebracht und längſt begrabene Gottheiten ſteigen triumphirend wieder auf. Sonderbar. Auf den heitren Landpartieen wird immer geweint, auf den ernſten Landpartieen wird immer nur gelacht.
Vor mir, am Staket, hielt eine ernſte Landpartie. Zwei Herren, Fünfziger, mit großen melirten Backenbärten, Lebemän- ner aus der Schicht der allerneuſten Torf- und Ziegel-Ariſto-
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Dieſer Ausdruck mag einzelne meiner Leſer überraſchen;
aber es hat ſeine Richtigkeit damit. Es giebt zwei Arten von
Landpartieen. Da ſind zunächſt die heiteren. Sie ſind weit-
hin kenntlich durch ihren ſtarken Procentſatz an Kindern; nie
weniger als die Hälfte. In dem Moment der Landung, wo
immer es ſei, ſcheint die Welt aus lauter weißgekleideten kleinen
Mädchen mit Roſa-Schleifen zu beſtehen. Die Väter beſtellen
den Kaffee; das Auge der Mütter gleitet befriedigt über die
glücklichen Gänſeblümchen hin, von denen immer drei auf den
Namen Anna und ſechs auf den Namen Martha hören. Nun
geht es in die Wieſe, den Wald. Die Parole iſt ausgegeben:
Erdbeeren ſuchen. Alles iſt Friede; die ganze Welt ein Idyll.
Aber ſchon beginnen die dunklen Wetter zu brauen. Mit dem
Eintritt in den Wald ſind die weißen Kleider ihrem Verhäng-
niß verfallen. Martha I. iſt an einem Wachholderſtrauch hängen
geblieben, Martha II. hat ſich in die Blaubeeren geſetzt — wie
Schneehühner gingen ſie hinein, wie Perlhühner kommen ſie
wieder heraus. Der Sturm bricht los. Wer je Berliner Mütter
in ſolchen Augenblicken geſehen, wird die kriegeriſche Haltung
der geſammten Nation begreiflich finden. Die Väter ſuchen zu
interveniren. Unglückliche! Jetzt ergießt ſich der Strom in ſein
natürliches Bett.
Und doch find dies die heitren Landpartieen, denen wir
die ernſten entgegen ſtellen. An dieſen letzteren nehmen Kinder
nie Theil. Es giebt auch rothe Schleifen, aber das Roſa iſt
Ponceau geworden. Man ſpricht in Pikanterieen, in einer Art
Geheimſprache, für die nur der Kreis der Eingeweihten den
Schlüſſel hat. Bowle und Jeu löſen ſich unter einander ab;
unglaubliche Toaſte werden ausgebracht und längſt begrabene
Gottheiten ſteigen triumphirend wieder auf. Sonderbar. Auf
den heitren Landpartieen wird immer geweint, auf den ernſten
Landpartieen wird immer nur gelacht.
Vor mir, am Staket, hielt eine ernſte Landpartie. Zwei
Herren, Fünfziger, mit großen melirten Backenbärten, Lebemän-
ner aus der Schicht der allerneuſten Torf- und Ziegel-Ariſto-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/189>, abgerufen am 27.11.2024.
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