Baedeker, meine Zuflucht nehmen, als das Erscheinen unseres freundlichen Führers vom Tage vorher meiner Verlegenheit ein Ende machte und mich aus der todten Aufzeichnung in das frisch pulsirende Leben stellte. Wir schlenderten am See hin, das Dorf entlang, an Schloß und Park vorbei; es war eine an- muthige Vormittagsstunde, anregend, lebendig, lehrreich.
Caput ist eines der größten Dörfer der Mark, eines der längsten gewiß; es mißt wohl eine halbe Meile. Daß es wendisch war, besagt sein Name. Was dieser bedeutet, darüber existiren zu viele Hypothesen, als daß die eine oder andere viel für sich haben könnte. So zweifelhaft indeß die Bedeutung seines Namens, so unzweifelhaft war in alten Zeiten die Armuth seiner Bewohner. Caput besaß keinen Acker, und die große Wasserfläche, Havel sammt Schwilow, die ihm vor der Thür lag, wurde von den Potsdamer Kiezfischern, deren alte Gerecht- same sich über die ganze Mittel-Havel bis Brandenburg hin erstreckten, eifersüchtig gehütet und ausgenutzt. So stand es schlimm um die Caputer; Ackerbau und Fischerei waren ihnen gleichmäßig verschlossen. Aber die Noth macht erfinderisch, und so wußten sich denn schließlich auch die Bewohner dieses schmalen Uferstreifens zu helfen. Ein doppeltes Auskunftsmittel wurde gefunden; Mann und Frau theilten sich, um von zwei Seiten her anfassen zu können. Die Männer wurden Schiffer, die Frauen verlegten sich auf Gartenbau.
Die Nachbarschaft Potsdams, vor Allem das rapide Wachs- thum Berlins, waren dieser Umwandlung, die aus dem Caputer Tagelöhner einen Schiffer oder Schiffsbauer machte, günstig, rief sie vielleicht hervor. Ueberall an Havel und Schwilow hin ent- standen Ziegeleien, und die Millionen Steine, die Jahr aus, Jahr ein am Ufer dieser Seen und Buchten gebrannt wurden, erforderten alsbald Hunderte von Kähnen, um sie auf den Ber- liner Markt zu schaffen. Dazu boten die Caputer die Hand. Es entstand eine völlige Kahnflotte, und mehr als 60 Schiffe, alle auf den Wersten des Dorfes gebaut, befahren in diesem Augenblicke den Schwilow, die Havel, die Spree. Das gewöhn-
Baedeker, meine Zuflucht nehmen, als das Erſcheinen unſeres freundlichen Führers vom Tage vorher meiner Verlegenheit ein Ende machte und mich aus der todten Aufzeichnung in das friſch pulſirende Leben ſtellte. Wir ſchlenderten am See hin, das Dorf entlang, an Schloß und Park vorbei; es war eine an- muthige Vormittagsſtunde, anregend, lebendig, lehrreich.
Caput iſt eines der größten Dörfer der Mark, eines der längſten gewiß; es mißt wohl eine halbe Meile. Daß es wendiſch war, beſagt ſein Name. Was dieſer bedeutet, darüber exiſtiren zu viele Hypotheſen, als daß die eine oder andere viel für ſich haben könnte. So zweifelhaft indeß die Bedeutung ſeines Namens, ſo unzweifelhaft war in alten Zeiten die Armuth ſeiner Bewohner. Caput beſaß keinen Acker, und die große Waſſerfläche, Havel ſammt Schwilow, die ihm vor der Thür lag, wurde von den Potsdamer Kiezfiſchern, deren alte Gerecht- ſame ſich über die ganze Mittel-Havel bis Brandenburg hin erſtreckten, eiferſüchtig gehütet und ausgenutzt. So ſtand es ſchlimm um die Caputer; Ackerbau und Fiſcherei waren ihnen gleichmäßig verſchloſſen. Aber die Noth macht erfinderiſch, und ſo wußten ſich denn ſchließlich auch die Bewohner dieſes ſchmalen Uferſtreifens zu helfen. Ein doppeltes Auskunftsmittel wurde gefunden; Mann und Frau theilten ſich, um von zwei Seiten her anfaſſen zu können. Die Männer wurden Schiffer, die Frauen verlegten ſich auf Gartenbau.
Die Nachbarſchaft Potsdams, vor Allem das rapide Wachs- thum Berlins, waren dieſer Umwandlung, die aus dem Caputer Tagelöhner einen Schiffer oder Schiffsbauer machte, günſtig, rief ſie vielleicht hervor. Ueberall an Havel und Schwilow hin ent- ſtanden Ziegeleien, und die Millionen Steine, die Jahr aus, Jahr ein am Ufer dieſer Seen und Buchten gebrannt wurden, erforderten alsbald Hunderte von Kähnen, um ſie auf den Ber- liner Markt zu ſchaffen. Dazu boten die Caputer die Hand. Es entſtand eine völlige Kahnflotte, und mehr als 60 Schiffe, alle auf den Werſten des Dorfes gebaut, befahren in dieſem Augenblicke den Schwilow, die Havel, die Spree. Das gewöhn-
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Baedeker, meine Zuflucht nehmen, als das Erſcheinen unſeres
freundlichen Führers vom Tage vorher meiner Verlegenheit ein
Ende machte und mich aus der todten Aufzeichnung in das friſch
pulſirende Leben ſtellte. Wir ſchlenderten am See hin, das
Dorf entlang, an Schloß und Park vorbei; es war eine an-
muthige Vormittagsſtunde, anregend, lebendig, lehrreich.
Caput iſt eines der größten Dörfer der Mark, eines
der längſten gewiß; es mißt wohl eine halbe Meile. Daß es
wendiſch war, beſagt ſein Name. Was dieſer bedeutet, darüber
exiſtiren zu viele Hypotheſen, als daß die eine oder andere viel
für ſich haben könnte. So zweifelhaft indeß die Bedeutung
ſeines Namens, ſo unzweifelhaft war in alten Zeiten die Armuth
ſeiner Bewohner. Caput beſaß keinen Acker, und die große
Waſſerfläche, Havel ſammt Schwilow, die ihm vor der Thür
lag, wurde von den Potsdamer Kiezfiſchern, deren alte Gerecht-
ſame ſich über die ganze Mittel-Havel bis Brandenburg hin
erſtreckten, eiferſüchtig gehütet und ausgenutzt. So ſtand es
ſchlimm um die Caputer; Ackerbau und Fiſcherei waren ihnen
gleichmäßig verſchloſſen. Aber die Noth macht erfinderiſch, und
ſo wußten ſich denn ſchließlich auch die Bewohner dieſes ſchmalen
Uferſtreifens zu helfen. Ein doppeltes Auskunftsmittel wurde
gefunden; Mann und Frau theilten ſich, um von zwei Seiten
her anfaſſen zu können. Die Männer wurden Schiffer, die
Frauen verlegten ſich auf Gartenbau.
Die Nachbarſchaft Potsdams, vor Allem das rapide Wachs-
thum Berlins, waren dieſer Umwandlung, die aus dem Caputer
Tagelöhner einen Schiffer oder Schiffsbauer machte, günſtig, rief
ſie vielleicht hervor. Ueberall an Havel und Schwilow hin ent-
ſtanden Ziegeleien, und die Millionen Steine, die Jahr aus,
Jahr ein am Ufer dieſer Seen und Buchten gebrannt wurden,
erforderten alsbald Hunderte von Kähnen, um ſie auf den Ber-
liner Markt zu ſchaffen. Dazu boten die Caputer die Hand.
Es entſtand eine völlige Kahnflotte, und mehr als 60 Schiffe,
alle auf den Werſten des Dorfes gebaut, befahren in dieſem
Augenblicke den Schwilow, die Havel, die Spree. Das gewöhn-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/191>, abgerufen am 26.11.2024.
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