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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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dem Gegenstand unseres Gesprächs. Er reichte vielleicht nicht
voll an die Höhe heran, die ihm der Local-Patriotimus unseres
Freundes anzuweisen trachtete, aber er hatte doch, wie ich auf
der Stelle wahrnehmen konnte, die unerläßlichste aller Wirths-
eigenschaften: er war freundlich. Sein Bier und seine Rede
lullten mich ein und ich schlief bis an den hellen Tag. Nur
einmal wacht' ich auf; ich glaubte in einem Trichter zu liegen
(was auch zutraf) und hatte geträumt, der Schwilow habe mich
in seine Tiefe gezogen.

Unter einem Lindenbaum in Front des Hauses wurde der
Kaffee genommen; die Spatzen musicirten über mir; endlich,
als sie ihren Mann durchschaut, hüpften sie vom Gezweige nie-
der auf den Tisch und nahmen, nach dem Maß meiner Gutthat,
an meinem Frühstück Theil. Ich konnt' es ohne Opfer thun;
es waren Semmeln in großem Format. Jenseit des Staketen-
zaunes ging das Leben des Dorfes stillgeschäftig seinen Gang:
junges Volk, die Sense auf der Schulter, eilte zur Maht hin-
aus; Kinder mit Erdbeeren kamen aus dem Walde; Schiffers-
leute, in weiten Theerjacken, schritten auf den See zu. Ein
anmuthiges Bild. Ich verstand jetzt Boßdorf vollkommen und
warum er hier festsitzt.

Ein Wagen fuhr vor, ein vollgestopfter Kremser. Vor-
mittagsgäste; unverkennbar eine animirte Gesellschaft. Aeltliche
Herren, junge Damen; aber nicht zu jung.

Boßdorf sprang an den Wagen. Als er wieder an mir
vorbei wollte, suchte ich ihn zu fassen und fragte leise: "Pots-
damer?" Er aber -- mit einer Handbewegung, in der sich
eine Welt widerstreitender Empfindungen: Diensteifer und Ge-
schmeicheltsein, Verlegenheit und ironische Schelmerei aussprach
-- antwortete im Vorüberfliegen: Berliner.

Berliner. Es gereichte meiner Menschenkenntniß wenig zur
Ehre, diese Thatsache auch nur einen Augenblick verkannt zu
haben. Es war Vollblut. Dabei unverkennbar auf einer so-
genannten "ernsten Partie" begriffen.

dem Gegenſtand unſeres Geſprächs. Er reichte vielleicht nicht
voll an die Höhe heran, die ihm der Local-Patriotimus unſeres
Freundes anzuweiſen trachtete, aber er hatte doch, wie ich auf
der Stelle wahrnehmen konnte, die unerläßlichſte aller Wirths-
eigenſchaften: er war freundlich. Sein Bier und ſeine Rede
lullten mich ein und ich ſchlief bis an den hellen Tag. Nur
einmal wacht’ ich auf; ich glaubte in einem Trichter zu liegen
(was auch zutraf) und hatte geträumt, der Schwilow habe mich
in ſeine Tiefe gezogen.

Unter einem Lindenbaum in Front des Hauſes wurde der
Kaffee genommen; die Spatzen muſicirten über mir; endlich,
als ſie ihren Mann durchſchaut, hüpften ſie vom Gezweige nie-
der auf den Tiſch und nahmen, nach dem Maß meiner Gutthat,
an meinem Frühſtück Theil. Ich konnt’ es ohne Opfer thun;
es waren Semmeln in großem Format. Jenſeit des Staketen-
zaunes ging das Leben des Dorfes ſtillgeſchäftig ſeinen Gang:
junges Volk, die Senſe auf der Schulter, eilte zur Maht hin-
aus; Kinder mit Erdbeeren kamen aus dem Walde; Schiffers-
leute, in weiten Theerjacken, ſchritten auf den See zu. Ein
anmuthiges Bild. Ich verſtand jetzt Boßdorf vollkommen und
warum er hier feſtſitzt.

Ein Wagen fuhr vor, ein vollgeſtopfter Kremſer. Vor-
mittagsgäſte; unverkennbar eine animirte Geſellſchaft. Aeltliche
Herren, junge Damen; aber nicht zu jung.

Boßdorf ſprang an den Wagen. Als er wieder an mir
vorbei wollte, ſuchte ich ihn zu faſſen und fragte leiſe: „Pots-
damer?“ Er aber — mit einer Handbewegung, in der ſich
eine Welt widerſtreitender Empfindungen: Dienſteifer und Ge-
ſchmeicheltſein, Verlegenheit und ironiſche Schelmerei ausſprach
— antwortete im Vorüberfliegen: Berliner.

Berliner. Es gereichte meiner Menſchenkenntniß wenig zur
Ehre, dieſe Thatſache auch nur einen Augenblick verkannt zu
haben. Es war Vollblut. Dabei unverkennbar auf einer ſo-
genannten „ernſten Partie“ begriffen.

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[170/0188] dem Gegenſtand unſeres Geſprächs. Er reichte vielleicht nicht voll an die Höhe heran, die ihm der Local-Patriotimus unſeres Freundes anzuweiſen trachtete, aber er hatte doch, wie ich auf der Stelle wahrnehmen konnte, die unerläßlichſte aller Wirths- eigenſchaften: er war freundlich. Sein Bier und ſeine Rede lullten mich ein und ich ſchlief bis an den hellen Tag. Nur einmal wacht’ ich auf; ich glaubte in einem Trichter zu liegen (was auch zutraf) und hatte geträumt, der Schwilow habe mich in ſeine Tiefe gezogen. Unter einem Lindenbaum in Front des Hauſes wurde der Kaffee genommen; die Spatzen muſicirten über mir; endlich, als ſie ihren Mann durchſchaut, hüpften ſie vom Gezweige nie- der auf den Tiſch und nahmen, nach dem Maß meiner Gutthat, an meinem Frühſtück Theil. Ich konnt’ es ohne Opfer thun; es waren Semmeln in großem Format. Jenſeit des Staketen- zaunes ging das Leben des Dorfes ſtillgeſchäftig ſeinen Gang: junges Volk, die Senſe auf der Schulter, eilte zur Maht hin- aus; Kinder mit Erdbeeren kamen aus dem Walde; Schiffers- leute, in weiten Theerjacken, ſchritten auf den See zu. Ein anmuthiges Bild. Ich verſtand jetzt Boßdorf vollkommen und warum er hier feſtſitzt. Ein Wagen fuhr vor, ein vollgeſtopfter Kremſer. Vor- mittagsgäſte; unverkennbar eine animirte Geſellſchaft. Aeltliche Herren, junge Damen; aber nicht zu jung. Boßdorf ſprang an den Wagen. Als er wieder an mir vorbei wollte, ſuchte ich ihn zu faſſen und fragte leiſe: „Pots- damer?“ Er aber — mit einer Handbewegung, in der ſich eine Welt widerſtreitender Empfindungen: Dienſteifer und Ge- ſchmeicheltſein, Verlegenheit und ironiſche Schelmerei ausſprach — antwortete im Vorüberfliegen: Berliner. Berliner. Es gereichte meiner Menſchenkenntniß wenig zur Ehre, dieſe Thatſache auch nur einen Augenblick verkannt zu haben. Es war Vollblut. Dabei unverkennbar auf einer ſo- genannten „ernſten Partie“ begriffen.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/188>, abgerufen am 27.11.2024.