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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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"Ich möchte nach dem Belvedere. Erst durch die Orange-
rie, dann grad' aus; nicht wahr?" So Lokalkenntniß und
Unbefangenheit heuchelnd, schreit ich an dem Bediensteten vorüber,
der sich schließlich, seinem Mienenspiele nach, damit beruhigt:
Freitag ist Besuchstag.

Asternbeete, Balsaminen; dann vorüber an den Kübeln des
Gewächshauses; noch ein Fliesengang und die Breite des eigent-
lichen Parkes liegt vor mir. An der Rückseite des einen Schloß-
flügels hin stehen die Büsten römischer Kaiser, Nero, Titus,
Trajan; mir zunächst Tiberius. An seiner Nase hängt ein
Regentropfen, fällt ab und erneut sich wieder. Es sieht so
gemüthlich, so einfach-menschlich aus, daß man glauben könnte,
seine "Wiederhersteller" hätten Recht.

Weithin sichtbar laufen die Gänge des Schloßgartens bis
zum Flusse nieder, parallel mit ihnen ein Wasserbecken, halb
Graben, halb Teich. Die Alleen sind kahl. Nur einzelne Bäume,
die windgeschützter standen, halten noch das je nach der Art in
allen Herbstesfarben spielende Laub fest: die Eiche goldbraun,
die Birke orangefarben, der Ahorn gelb; aber die meisten Blät-
ter fielen ab und liegen an tieferen Stellen zusammengeweht,
oder schwimmen auf dem Wasser, das uns bis in die Mitte des
Parks begleitet.

Hier biegt das Wasser (der Teichgraben) plötzlich rechtwinklig
ab und durchschneidet den Weg. Eine Brücke führt darüber hin
und unterhält den Verkehr zwischen den beiden Ufern. Dies-
seits stand ein Alter und harkte das Laub zusammen.

Ist dies die Brücke mit der Klingel?

Ja. Aber es kommt keiner mehr.

Ich weiß, Papa. Die alten Moosköpfe sind todt.

Er nickte und harkte weiter.

In der That befand ich mich an der vielgenannten "Klin-
gelbrücke," einer ehemaligen Besuchsstation des Gartens, die
viele Jahre hindurch neben dem Mausoleum ihren Platz behaup-
tet hatte. Der ernsten Erhebung gab man hier ein heitres
Nachspiel. Alles drängte herzu; wurde dann die Klingel

„Ich möchte nach dem Belvedère. Erſt durch die Orange-
rie, dann grad’ aus; nicht wahr?“ So Lokalkenntniß und
Unbefangenheit heuchelnd, ſchreit ich an dem Bedienſteten vorüber,
der ſich ſchließlich, ſeinem Mienenſpiele nach, damit beruhigt:
Freitag iſt Beſuchstag.

Aſternbeete, Balſaminen; dann vorüber an den Kübeln des
Gewächshauſes; noch ein Flieſengang und die Breite des eigent-
lichen Parkes liegt vor mir. An der Rückſeite des einen Schloß-
flügels hin ſtehen die Büſten römiſcher Kaiſer, Nero, Titus,
Trajan; mir zunächſt Tiberius. An ſeiner Naſe hängt ein
Regentropfen, fällt ab und erneut ſich wieder. Es ſieht ſo
gemüthlich, ſo einfach-menſchlich aus, daß man glauben könnte,
ſeine „Wiederherſteller“ hätten Recht.

Weithin ſichtbar laufen die Gänge des Schloßgartens bis
zum Fluſſe nieder, parallel mit ihnen ein Waſſerbecken, halb
Graben, halb Teich. Die Alleen ſind kahl. Nur einzelne Bäume,
die windgeſchützter ſtanden, halten noch das je nach der Art in
allen Herbſtesfarben ſpielende Laub feſt: die Eiche goldbraun,
die Birke orangefarben, der Ahorn gelb; aber die meiſten Blät-
ter fielen ab und liegen an tieferen Stellen zuſammengeweht,
oder ſchwimmen auf dem Waſſer, das uns bis in die Mitte des
Parks begleitet.

Hier biegt das Waſſer (der Teichgraben) plötzlich rechtwinklig
ab und durchſchneidet den Weg. Eine Brücke führt darüber hin
und unterhält den Verkehr zwiſchen den beiden Ufern. Dies-
ſeits ſtand ein Alter und harkte das Laub zuſammen.

Iſt dies die Brücke mit der Klingel?

Ja. Aber es kommt keiner mehr.

Ich weiß, Papa. Die alten Moosköpfe ſind todt.

Er nickte und harkte weiter.

In der That befand ich mich an der vielgenannten „Klin-
gelbrücke,“ einer ehemaligen Beſuchsſtation des Gartens, die
viele Jahre hindurch neben dem Mauſoleum ihren Platz behaup-
tet hatte. Der ernſten Erhebung gab man hier ein heitres
Nachſpiel. Alles drängte herzu; wurde dann die Klingel

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[138/0156] „Ich möchte nach dem Belvedère. Erſt durch die Orange- rie, dann grad’ aus; nicht wahr?“ So Lokalkenntniß und Unbefangenheit heuchelnd, ſchreit ich an dem Bedienſteten vorüber, der ſich ſchließlich, ſeinem Mienenſpiele nach, damit beruhigt: Freitag iſt Beſuchstag. Aſternbeete, Balſaminen; dann vorüber an den Kübeln des Gewächshauſes; noch ein Flieſengang und die Breite des eigent- lichen Parkes liegt vor mir. An der Rückſeite des einen Schloß- flügels hin ſtehen die Büſten römiſcher Kaiſer, Nero, Titus, Trajan; mir zunächſt Tiberius. An ſeiner Naſe hängt ein Regentropfen, fällt ab und erneut ſich wieder. Es ſieht ſo gemüthlich, ſo einfach-menſchlich aus, daß man glauben könnte, ſeine „Wiederherſteller“ hätten Recht. Weithin ſichtbar laufen die Gänge des Schloßgartens bis zum Fluſſe nieder, parallel mit ihnen ein Waſſerbecken, halb Graben, halb Teich. Die Alleen ſind kahl. Nur einzelne Bäume, die windgeſchützter ſtanden, halten noch das je nach der Art in allen Herbſtesfarben ſpielende Laub feſt: die Eiche goldbraun, die Birke orangefarben, der Ahorn gelb; aber die meiſten Blät- ter fielen ab und liegen an tieferen Stellen zuſammengeweht, oder ſchwimmen auf dem Waſſer, das uns bis in die Mitte des Parks begleitet. Hier biegt das Waſſer (der Teichgraben) plötzlich rechtwinklig ab und durchſchneidet den Weg. Eine Brücke führt darüber hin und unterhält den Verkehr zwiſchen den beiden Ufern. Dies- ſeits ſtand ein Alter und harkte das Laub zuſammen. Iſt dies die Brücke mit der Klingel? Ja. Aber es kommt keiner mehr. Ich weiß, Papa. Die alten Moosköpfe ſind todt. Er nickte und harkte weiter. In der That befand ich mich an der vielgenannten „Klin- gelbrücke,“ einer ehemaligen Beſuchsſtation des Gartens, die viele Jahre hindurch neben dem Mauſoleum ihren Platz behaup- tet hatte. Der ernſten Erhebung gab man hier ein heitres Nachſpiel. Alles drängte herzu; wurde dann die Klingel

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/156>, abgerufen am 30.11.2024.