Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Beloedere
im Schloßgarten zu Charlottenburg.
Verschlossene Fenster,
Nichts ein noch aus,
Nur Spinnen und Gespenster
Sind hier zu Haus.

Es regnet. Auf den Plüschbänken des Charlottenburger Omnibus
sitzt ein halbes Dutzend fröstelnde Gestalten, gleichgiltig oder
verstimmt, jeder einen abtröpfelnden Alpacca in Händen. Keiner
spricht. Ein Dunst, wie wenn Wäsche trocknet, nebelt um uns
her, und ein Kautschuk-Mantel neben mir ist nicht angethan,
die klimatischen Verhältnisse zu bessern.

Es regnet, und am Ende mit Recht. Schreiben wir doch
den 19. November! Wer mag da Sonnenschein fordern, wenn
es ihn lüstet, den Charlottenburger Schloßgarten zu besuchen.
Was von den Menschen gilt, gilt auch von den Tagen; man
muß sie nehmen, wie sie sind.

Da ist das "Knie." Seine Rundung ist heute völlig reiz-
los. Das "türkische Zelt" sieht noch untürkischer aus als
gewöhnlich, und bei Morellis hocken drei Sperlinge auf dem
schräg gestellten Gartentisch, ziehen die Köpfe ein und schütteln
die Federn. Nur die grüne Kuppel des Schlosses hat gewon-
nen; sie sieht glau aus, frischer als sonst.

An den leeren Gewehrpfosten vorüber, tret' ich an das halb-
offene Parkgitter; der Thürhüter schüttelt den Kopf. An sol-
chem
Tage Besuch! Er scheint die Frage ergründen zu wollen,
ob ich Unthat gegen mich oder gegen andere sinne. Ein Unglück-
licher oder ...

Das Beloedère
im Schloßgarten zu Charlottenburg.
Verſchloſſene Fenſter,
Nichts ein noch aus,
Nur Spinnen und Geſpenſter
Sind hier zu Haus.

Es regnet. Auf den Plüſchbänken des Charlottenburger Omnibus
ſitzt ein halbes Dutzend fröſtelnde Geſtalten, gleichgiltig oder
verſtimmt, jeder einen abtröpfelnden Alpacca in Händen. Keiner
ſpricht. Ein Dunſt, wie wenn Wäſche trocknet, nebelt um uns
her, und ein Kautſchuk-Mantel neben mir iſt nicht angethan,
die klimatiſchen Verhältniſſe zu beſſern.

Es regnet, und am Ende mit Recht. Schreiben wir doch
den 19. November! Wer mag da Sonnenſchein fordern, wenn
es ihn lüſtet, den Charlottenburger Schloßgarten zu beſuchen.
Was von den Menſchen gilt, gilt auch von den Tagen; man
muß ſie nehmen, wie ſie ſind.

Da iſt das „Knie.“ Seine Rundung iſt heute völlig reiz-
los. Das „türkiſche Zelt“ ſieht noch untürkiſcher aus als
gewöhnlich, und bei Morellis hocken drei Sperlinge auf dem
ſchräg geſtellten Gartentiſch, ziehen die Köpfe ein und ſchütteln
die Federn. Nur die grüne Kuppel des Schloſſes hat gewon-
nen; ſie ſieht glau aus, friſcher als ſonſt.

An den leeren Gewehrpfoſten vorüber, tret’ ich an das halb-
offene Parkgitter; der Thürhüter ſchüttelt den Kopf. An ſol-
chem
Tage Beſuch! Er ſcheint die Frage ergründen zu wollen,
ob ich Unthat gegen mich oder gegen andere ſinne. Ein Unglück-
licher oder …

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0155" n="[137]"/>
      <div n="1">
        <head><hi rendition="#b">Das Beloed<hi rendition="#aq">è</hi>re</hi><lb/>
im Schloßgarten zu Charlottenburg.</head><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Fen&#x017F;ter,</l><lb/>
          <l>Nichts ein noch aus,</l><lb/>
          <l>Nur Spinnen und Ge&#x017F;pen&#x017F;ter</l><lb/>
          <l>Sind hier zu Haus.</l>
        </lg><lb/>
        <p><hi rendition="#in">E</hi>s regnet. Auf den Plü&#x017F;chbänken des Charlottenburger Omnibus<lb/>
&#x017F;itzt ein halbes Dutzend frö&#x017F;telnde Ge&#x017F;talten, gleichgiltig oder<lb/>
ver&#x017F;timmt, jeder einen abtröpfelnden Alpacca in Händen. Keiner<lb/>
&#x017F;pricht. Ein Dun&#x017F;t, wie wenn Wä&#x017F;che trocknet, nebelt um uns<lb/>
her, und ein Kaut&#x017F;chuk-Mantel neben mir i&#x017F;t nicht angethan,<lb/>
die klimati&#x017F;chen Verhältni&#x017F;&#x017F;e zu be&#x017F;&#x017F;ern.</p><lb/>
        <p>Es regnet, und am Ende mit Recht. Schreiben wir doch<lb/>
den 19. November! Wer mag da Sonnen&#x017F;chein fordern, wenn<lb/>
es ihn lü&#x017F;tet, den Charlottenburger Schloßgarten zu be&#x017F;uchen.<lb/>
Was von den Men&#x017F;chen gilt, gilt auch von den Tagen; man<lb/>
muß &#x017F;ie nehmen, wie &#x017F;ie &#x017F;ind.</p><lb/>
        <p>Da i&#x017F;t das &#x201E;Knie.&#x201C; Seine Rundung i&#x017F;t heute völlig reiz-<lb/>
los. Das &#x201E;türki&#x017F;che Zelt&#x201C; &#x017F;ieht noch untürki&#x017F;cher aus als<lb/>
gewöhnlich, und bei Morellis hocken drei Sperlinge auf dem<lb/>
&#x017F;chräg ge&#x017F;tellten Gartenti&#x017F;ch, ziehen die Köpfe ein und &#x017F;chütteln<lb/>
die Federn. Nur die grüne Kuppel des Schlo&#x017F;&#x017F;es hat gewon-<lb/>
nen; &#x017F;ie &#x017F;ieht glau aus, fri&#x017F;cher als &#x017F;on&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>An den leeren Gewehrpfo&#x017F;ten vorüber, tret&#x2019; ich an das halb-<lb/>
offene Parkgitter; der Thürhüter &#x017F;chüttelt den Kopf. An <hi rendition="#g">&#x017F;ol-<lb/>
chem</hi> Tage Be&#x017F;uch! Er &#x017F;cheint die Frage ergründen zu wollen,<lb/>
ob ich Unthat gegen mich oder gegen andere &#x017F;inne. Ein Unglück-<lb/>
licher oder &#x2026;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[137]/0155] Das Beloedère im Schloßgarten zu Charlottenburg. Verſchloſſene Fenſter, Nichts ein noch aus, Nur Spinnen und Geſpenſter Sind hier zu Haus. Es regnet. Auf den Plüſchbänken des Charlottenburger Omnibus ſitzt ein halbes Dutzend fröſtelnde Geſtalten, gleichgiltig oder verſtimmt, jeder einen abtröpfelnden Alpacca in Händen. Keiner ſpricht. Ein Dunſt, wie wenn Wäſche trocknet, nebelt um uns her, und ein Kautſchuk-Mantel neben mir iſt nicht angethan, die klimatiſchen Verhältniſſe zu beſſern. Es regnet, und am Ende mit Recht. Schreiben wir doch den 19. November! Wer mag da Sonnenſchein fordern, wenn es ihn lüſtet, den Charlottenburger Schloßgarten zu beſuchen. Was von den Menſchen gilt, gilt auch von den Tagen; man muß ſie nehmen, wie ſie ſind. Da iſt das „Knie.“ Seine Rundung iſt heute völlig reiz- los. Das „türkiſche Zelt“ ſieht noch untürkiſcher aus als gewöhnlich, und bei Morellis hocken drei Sperlinge auf dem ſchräg geſtellten Gartentiſch, ziehen die Köpfe ein und ſchütteln die Federn. Nur die grüne Kuppel des Schloſſes hat gewon- nen; ſie ſieht glau aus, friſcher als ſonſt. An den leeren Gewehrpfoſten vorüber, tret’ ich an das halb- offene Parkgitter; der Thürhüter ſchüttelt den Kopf. An ſol- chem Tage Beſuch! Er ſcheint die Frage ergründen zu wollen, ob ich Unthat gegen mich oder gegen andere ſinne. Ein Unglück- licher oder …

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/155
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. [137]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/155>, abgerufen am 30.11.2024.