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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873.

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gezogen, so erschienen langsam und gravitätisch, aber immer
hungrig, die berühmten Mooskarpfen des Charlottenburger
Parkes an der Oberfläche. Uralte Bursche, wenn ich nicht irre,
durch König Friedrich Wilhelm I. eigenhändig an dieser Stelle
eingesetzt. Ein eigenthümlicher Sport, der darauf hinauslief,
Hellinge, Milchbrode, Kringel in die immer geöffneten Karpfen-
mäuler zu werfen, nahm dann seinen Anfang. Er erinnerte
an Aehnliches im zoologischen Garten, und man darf sagen: wie
sich die Schrippe zum Elephanten verhält, so verhielt sich die
Semmel zum Karpfen. Alte Frauen, nicht viel jünger wie die
krokodilartigen Ungeheuer der Tiefe, saßen hier sommerlang mit
ihrem Backwerk und sahen aus als gehörten sie mit dazu. Es
hatte etwas Spukhaftes diese Altersanhäufung und die Kinder-
welt dazwischen.

Dieser Sport indessen sollte plötzlich ein Ende haben. Der
Winter 64 kam, das Wasser fror bis auf den Boden, die Kar-
pfen suchten zu retiriren, immer tiefer, aber das Eis kam ihnen
nach, und eingemauert in ihrem Moorgrund, wasser- und luft-
los, mußten sie ersticken. Als im April das Eis aufging, stie-
gen sie wieder an die Oberfläche, aber todt. Noch am selben
Tage wurden sie am Ufer begraben. Es waren 36 Stück, keiner
unter 150 Jahre, keiner unter 4 Fuß; alle trugen sie die
Karpfenkrone. "Wir haben nun neue eingesetzt," brummelte der
Alte, "aber was will das sagen; sie sind wie Steckerlinge."

Dieser wohlgemeinte Satz hatte mir Muth gegeben. "Ich
will nach dem Belvedere, Papa."

"Nach's Belfedehr. Ja, ja, da müssen Sie bis auf die
Insel. Immer grad aus. Die Fähre geht nicht mehr. Aber
rechts weg, wo der rothe Werft steht, da is'n Steg. Nehmen's
sich in Acht; is alles frisch gestrichen mit Theer. Da drüber weg."

"Dank schön, Papa." Damit stapste ich weiter, durch Laub
und aufgeweichte Gänge hin, dem Rande des Parkes zu, voll
wachsenden Dankes gegen den Erfinder der Gummischuhe. End-
lich stand ich an einem schmalen, von der Spree her abgezweig-
ten Wassergraben; zwei Pfosten hüben und drüben und ein Tau

gezogen, ſo erſchienen langſam und gravitätiſch, aber immer
hungrig, die berühmten Mooskarpfen des Charlottenburger
Parkes an der Oberfläche. Uralte Burſche, wenn ich nicht irre,
durch König Friedrich Wilhelm I. eigenhändig an dieſer Stelle
eingeſetzt. Ein eigenthümlicher Sport, der darauf hinauslief,
Hellinge, Milchbrode, Kringel in die immer geöffneten Karpfen-
mäuler zu werfen, nahm dann ſeinen Anfang. Er erinnerte
an Aehnliches im zoologiſchen Garten, und man darf ſagen: wie
ſich die Schrippe zum Elephanten verhält, ſo verhielt ſich die
Semmel zum Karpfen. Alte Frauen, nicht viel jünger wie die
krokodilartigen Ungeheuer der Tiefe, ſaßen hier ſommerlang mit
ihrem Backwerk und ſahen aus als gehörten ſie mit dazu. Es
hatte etwas Spukhaftes dieſe Altersanhäufung und die Kinder-
welt dazwiſchen.

Dieſer Sport indeſſen ſollte plötzlich ein Ende haben. Der
Winter 64 kam, das Waſſer fror bis auf den Boden, die Kar-
pfen ſuchten zu retiriren, immer tiefer, aber das Eis kam ihnen
nach, und eingemauert in ihrem Moorgrund, waſſer- und luft-
los, mußten ſie erſticken. Als im April das Eis aufging, ſtie-
gen ſie wieder an die Oberfläche, aber todt. Noch am ſelben
Tage wurden ſie am Ufer begraben. Es waren 36 Stück, keiner
unter 150 Jahre, keiner unter 4 Fuß; alle trugen ſie die
Karpfenkrone. „Wir haben nun neue eingeſetzt,“ brummelte der
Alte, „aber was will das ſagen; ſie ſind wie Steckerlinge.“

Dieſer wohlgemeinte Satz hatte mir Muth gegeben. „Ich
will nach dem Belvedère, Papa.“

„Nach’s Belfedehr. Ja, ja, da müſſen Sie bis auf die
Inſel. Immer grad aus. Die Fähre geht nicht mehr. Aber
rechts weg, wo der rothe Werft ſteht, da is’n Steg. Nehmen’s
ſich in Acht; is alles friſch geſtrichen mit Theer. Da drüber weg.“

„Dank ſchön, Papa.“ Damit ſtapſte ich weiter, durch Laub
und aufgeweichte Gänge hin, dem Rande des Parkes zu, voll
wachſenden Dankes gegen den Erfinder der Gummiſchuhe. End-
lich ſtand ich an einem ſchmalen, von der Spree her abgezweig-
ten Waſſergraben; zwei Pfoſten hüben und drüben und ein Tau

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[139/0157] gezogen, ſo erſchienen langſam und gravitätiſch, aber immer hungrig, die berühmten Mooskarpfen des Charlottenburger Parkes an der Oberfläche. Uralte Burſche, wenn ich nicht irre, durch König Friedrich Wilhelm I. eigenhändig an dieſer Stelle eingeſetzt. Ein eigenthümlicher Sport, der darauf hinauslief, Hellinge, Milchbrode, Kringel in die immer geöffneten Karpfen- mäuler zu werfen, nahm dann ſeinen Anfang. Er erinnerte an Aehnliches im zoologiſchen Garten, und man darf ſagen: wie ſich die Schrippe zum Elephanten verhält, ſo verhielt ſich die Semmel zum Karpfen. Alte Frauen, nicht viel jünger wie die krokodilartigen Ungeheuer der Tiefe, ſaßen hier ſommerlang mit ihrem Backwerk und ſahen aus als gehörten ſie mit dazu. Es hatte etwas Spukhaftes dieſe Altersanhäufung und die Kinder- welt dazwiſchen. Dieſer Sport indeſſen ſollte plötzlich ein Ende haben. Der Winter 64 kam, das Waſſer fror bis auf den Boden, die Kar- pfen ſuchten zu retiriren, immer tiefer, aber das Eis kam ihnen nach, und eingemauert in ihrem Moorgrund, waſſer- und luft- los, mußten ſie erſticken. Als im April das Eis aufging, ſtie- gen ſie wieder an die Oberfläche, aber todt. Noch am ſelben Tage wurden ſie am Ufer begraben. Es waren 36 Stück, keiner unter 150 Jahre, keiner unter 4 Fuß; alle trugen ſie die Karpfenkrone. „Wir haben nun neue eingeſetzt,“ brummelte der Alte, „aber was will das ſagen; ſie ſind wie Steckerlinge.“ Dieſer wohlgemeinte Satz hatte mir Muth gegeben. „Ich will nach dem Belvedère, Papa.“ „Nach’s Belfedehr. Ja, ja, da müſſen Sie bis auf die Inſel. Immer grad aus. Die Fähre geht nicht mehr. Aber rechts weg, wo der rothe Werft ſteht, da is’n Steg. Nehmen’s ſich in Acht; is alles friſch geſtrichen mit Theer. Da drüber weg.“ „Dank ſchön, Papa.“ Damit ſtapſte ich weiter, durch Laub und aufgeweichte Gänge hin, dem Rande des Parkes zu, voll wachſenden Dankes gegen den Erfinder der Gummiſchuhe. End- lich ſtand ich an einem ſchmalen, von der Spree her abgezweig- ten Waſſergraben; zwei Pfoſten hüben und drüben und ein Tau

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/157>, abgerufen am 29.11.2024.