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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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Die schönste Stunde im Schloß ist die Morgenstunde. Noch ist
Alles still; draußen leuchtet ein klarer Septemberhimmel, Luft und
Sonne strömen durch das offene Fenster ein. Unter dem Fenster
hin zieht sich ein Garten, mit Rasenplatz und Blumen-Rondel.
Die Gänge sind frisch geharkt; keine Fußspur unterbricht die glat-
ten Furchen; nur hier und da sieht man ein Gekräusel im Sand,
von einem Huhn herrührend, das sich aus dem Hof in den Gar-
ten stahl. Die Bosquets sind abgeblüht; die Spätlinge des Jah-
res, meist rothe Verbenen, haben an der Rampenwand ein war-
mes Plätzchen gesucht; dort trifft sie eben die volle Morgensonne.

Hinter dem Garten steigt der Park auf und mitten durch den
Park hin (in gerader Linie auf das Schloß zu) zieht sich, canal-
artig, ein breiter Teich. Die Bäume zur Rechten des Wassers
stehen dicht und dunkel; aber nach links hin lichten sie sich, und
durch die Lichtungen hindurch, über weiße Birkenbrücken hinweg,
blicken wir weit in das offene Wiesenland hinein.

Friede ringsum. Auf das Fensterbrett vor mir setzt sich ein
Spatz und zwitschert und sieht mich an, als erwart' er sein Mor-
genbrod von mir. Er pickt die Krume auf, die ich ihm hingewor-
fen, und unterwegs seine Flügel in's Wasser tauchend, fliegt er
über die Breite des Teiches hin.

Einzelne Sträucher lachen mit rothen Beeren aus dem Un-
terholz des Parkes hervor; die große Linde, halb herbstlich schon,
streut bei jedem Luftzug ein gelbes Blatt auf die Gänge nieder;
aber im Fallen zögern die Blätter wieder und raffen sich auf, als
überlegten sie, ob sie nicht lieber steigen sollen. Vereinzelte Vogel-
stimmen singen in den Morgen hinein; sonst alles still; nur das
Wasser, nun fast ein Jahrhundert schon, fällt an derselben Stelle
melodisch-einförmig über das Wehr, wie ein Ewiges, das die Bil-
der der Zeitlichkeit umschließt.



Die ſchönſte Stunde im Schloß iſt die Morgenſtunde. Noch iſt
Alles ſtill; draußen leuchtet ein klarer Septemberhimmel, Luft und
Sonne ſtrömen durch das offene Fenſter ein. Unter dem Fenſter
hin zieht ſich ein Garten, mit Raſenplatz und Blumen-Rondel.
Die Gänge ſind friſch geharkt; keine Fußſpur unterbricht die glat-
ten Furchen; nur hier und da ſieht man ein Gekräuſel im Sand,
von einem Huhn herrührend, das ſich aus dem Hof in den Gar-
ten ſtahl. Die Bosquets ſind abgeblüht; die Spätlinge des Jah-
res, meiſt rothe Verbenen, haben an der Rampenwand ein war-
mes Plätzchen geſucht; dort trifft ſie eben die volle Morgenſonne.

Hinter dem Garten ſteigt der Park auf und mitten durch den
Park hin (in gerader Linie auf das Schloß zu) zieht ſich, canal-
artig, ein breiter Teich. Die Bäume zur Rechten des Waſſers
ſtehen dicht und dunkel; aber nach links hin lichten ſie ſich, und
durch die Lichtungen hindurch, über weiße Birkenbrücken hinweg,
blicken wir weit in das offene Wieſenland hinein.

Friede ringsum. Auf das Fenſterbrett vor mir ſetzt ſich ein
Spatz und zwitſchert und ſieht mich an, als erwart’ er ſein Mor-
genbrod von mir. Er pickt die Krume auf, die ich ihm hingewor-
fen, und unterwegs ſeine Flügel in’s Waſſer tauchend, fliegt er
über die Breite des Teiches hin.

Einzelne Sträucher lachen mit rothen Beeren aus dem Un-
terholz des Parkes hervor; die große Linde, halb herbſtlich ſchon,
ſtreut bei jedem Luftzug ein gelbes Blatt auf die Gänge nieder;
aber im Fallen zögern die Blätter wieder und raffen ſich auf, als
überlegten ſie, ob ſie nicht lieber ſteigen ſollen. Vereinzelte Vogel-
ſtimmen ſingen in den Morgen hinein; ſonſt alles ſtill; nur das
Waſſer, nun faſt ein Jahrhundert ſchon, fällt an derſelben Stelle
melodiſch-einförmig über das Wehr, wie ein Ewiges, das die Bil-
der der Zeitlichkeit umſchließt.



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[478/0490] Die ſchönſte Stunde im Schloß iſt die Morgenſtunde. Noch iſt Alles ſtill; draußen leuchtet ein klarer Septemberhimmel, Luft und Sonne ſtrömen durch das offene Fenſter ein. Unter dem Fenſter hin zieht ſich ein Garten, mit Raſenplatz und Blumen-Rondel. Die Gänge ſind friſch geharkt; keine Fußſpur unterbricht die glat- ten Furchen; nur hier und da ſieht man ein Gekräuſel im Sand, von einem Huhn herrührend, das ſich aus dem Hof in den Gar- ten ſtahl. Die Bosquets ſind abgeblüht; die Spätlinge des Jah- res, meiſt rothe Verbenen, haben an der Rampenwand ein war- mes Plätzchen geſucht; dort trifft ſie eben die volle Morgenſonne. Hinter dem Garten ſteigt der Park auf und mitten durch den Park hin (in gerader Linie auf das Schloß zu) zieht ſich, canal- artig, ein breiter Teich. Die Bäume zur Rechten des Waſſers ſtehen dicht und dunkel; aber nach links hin lichten ſie ſich, und durch die Lichtungen hindurch, über weiße Birkenbrücken hinweg, blicken wir weit in das offene Wieſenland hinein. Friede ringsum. Auf das Fenſterbrett vor mir ſetzt ſich ein Spatz und zwitſchert und ſieht mich an, als erwart’ er ſein Mor- genbrod von mir. Er pickt die Krume auf, die ich ihm hingewor- fen, und unterwegs ſeine Flügel in’s Waſſer tauchend, fliegt er über die Breite des Teiches hin. Einzelne Sträucher lachen mit rothen Beeren aus dem Un- terholz des Parkes hervor; die große Linde, halb herbſtlich ſchon, ſtreut bei jedem Luftzug ein gelbes Blatt auf die Gänge nieder; aber im Fallen zögern die Blätter wieder und raffen ſich auf, als überlegten ſie, ob ſie nicht lieber ſteigen ſollen. Vereinzelte Vogel- ſtimmen ſingen in den Morgen hinein; ſonſt alles ſtill; nur das Waſſer, nun faſt ein Jahrhundert ſchon, fällt an derſelben Stelle melodiſch-einförmig über das Wehr, wie ein Ewiges, das die Bil- der der Zeitlichkeit umſchließt.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/490>, abgerufen am 23.11.2024.