dem "Venus" und Marwitz heißt schlechtweg der "Sklave". Er rief mir nämlich zu: "Soll ich noch mehr Ihr Sklave sein?" was uns alle zum herzlichsten Lachen stimmte; denn er ist ganz despotisch." -- "Wir plaudern hier oft über Goethe und meiner Liebe und Bewunderung hab' ich nicht Hehl. Marwitz, mit dem ich hier über alles die knetendsten, herrlichsten Gespräche führe, sagt auch: kein Mensch liebe ihn mehr als ich."
Diese wenigen Auszüge gönnen uns einen Einblick in das heitere, bewegte und angeregte Leben, das jene Prager Herbst- und Wintertage ausfüllte. Endlich gegen Schluß des November heißt es: "Marwitz verläßt uns bald", und wenige Tage später brach er wirklich auf. Er ging zunächst nach Wiesbaden, dann nach Frankfurt am Main, wo er bei der ersten Brigade des York'schen Corps eintrat und als dienstthuender Adjutant zum General Pirch II. commandirt wurde. Hier war er endlich voll an sei- nem Platz. Die Idee eines großen Kampfes war nirgends leben- diger ausgeprägt, als im York'schen Corps, und ein Feuergeist, wie Marwitz, mußte sich da am ehesten heimisch fühlen, wo im gering- sten Landwehrmann ein Theil jener treibenden Kraft, jenes Blü- cher'schen Geistes zu finden war, ohne welchen jener schöne Kampf nie und nimmer siegreich hinausgeführt worden wäre.
Am 1. Januar ging es über den Rhein. Die Gefechte bei Brienne und la Rothiere eröffneten den Kampf auf französischem Boden. Der Sieg schien bei den Fahnen der Verbündeten blei- ben zu wollen, da kamen die Unglückstage von Champaubert und Montmirail. Der Kaiser warf sich auf das russische Corps unter General Sacken und war im Begriff es zu vernichten, als Sacken selbst, der leichtsinnig dieses Unheil herauf beschworen hatte, an York die dringende Bitte stellte, den Feind in der linken Flanke zu fassen. An Sieg war nicht zu denken, aber die Rettung der Russen mußte wenigstens versucht werden. Die erste (Pirch'sche) Brigade, bei der Marwitz stand, erhielt Befehl zum Angriff. Ge- neral Pirch selbst setzte sich an die Spitze der ost- und westpreu-
dem „Venus“ und Marwitz heißt ſchlechtweg der „Sklave“. Er rief mir nämlich zu: „Soll ich noch mehr Ihr Sklave ſein?“ was uns alle zum herzlichſten Lachen ſtimmte; denn er iſt ganz deſpotiſch.“ — „Wir plaudern hier oft über Goethe und meiner Liebe und Bewunderung hab’ ich nicht Hehl. Marwitz, mit dem ich hier über alles die knetendſten, herrlichſten Geſpräche führe, ſagt auch: kein Menſch liebe ihn mehr als ich.“
Dieſe wenigen Auszüge gönnen uns einen Einblick in das heitere, bewegte und angeregte Leben, das jene Prager Herbſt- und Wintertage ausfüllte. Endlich gegen Schluß des November heißt es: „Marwitz verläßt uns bald“, und wenige Tage ſpäter brach er wirklich auf. Er ging zunächſt nach Wiesbaden, dann nach Frankfurt am Main, wo er bei der erſten Brigade des York’ſchen Corps eintrat und als dienſtthuender Adjutant zum General Pirch II. commandirt wurde. Hier war er endlich voll an ſei- nem Platz. Die Idee eines großen Kampfes war nirgends leben- diger ausgeprägt, als im York’ſchen Corps, und ein Feuergeiſt, wie Marwitz, mußte ſich da am eheſten heimiſch fühlen, wo im gering- ſten Landwehrmann ein Theil jener treibenden Kraft, jenes Blü- cher’ſchen Geiſtes zu finden war, ohne welchen jener ſchöne Kampf nie und nimmer ſiegreich hinausgeführt worden wäre.
Am 1. Januar ging es über den Rhein. Die Gefechte bei Brienne und la Rothière eröffneten den Kampf auf franzöſiſchem Boden. Der Sieg ſchien bei den Fahnen der Verbündeten blei- ben zu wollen, da kamen die Unglückstage von Champaubert und Montmirail. Der Kaiſer warf ſich auf das ruſſiſche Corps unter General Sacken und war im Begriff es zu vernichten, als Sacken ſelbſt, der leichtſinnig dieſes Unheil herauf beſchworen hatte, an York die dringende Bitte ſtellte, den Feind in der linken Flanke zu faſſen. An Sieg war nicht zu denken, aber die Rettung der Ruſſen mußte wenigſtens verſucht werden. Die erſte (Pirch’ſche) Brigade, bei der Marwitz ſtand, erhielt Befehl zum Angriff. Ge- neral Pirch ſelbſt ſetzte ſich an die Spitze der oſt- und weſtpreu-
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dem „Venus“ und Marwitz heißt ſchlechtweg der „Sklave“. Er
rief mir nämlich zu: „Soll ich noch mehr Ihr Sklave ſein?“
was uns alle zum herzlichſten Lachen ſtimmte; denn er iſt ganz
deſpotiſch.“ — „Wir plaudern hier oft über Goethe und meiner
Liebe und Bewunderung hab’ ich nicht Hehl. Marwitz, mit dem
ich hier über alles die knetendſten, herrlichſten Geſpräche
führe, ſagt auch: kein Menſch liebe ihn mehr als ich.“
Dieſe wenigen Auszüge gönnen uns einen Einblick in das
heitere, bewegte und angeregte Leben, das jene Prager Herbſt- und
Wintertage ausfüllte. Endlich gegen Schluß des November heißt
es: „Marwitz verläßt uns bald“, und wenige Tage ſpäter brach
er wirklich auf. Er ging zunächſt nach Wiesbaden, dann nach
Frankfurt am Main, wo er bei der erſten Brigade des York’ſchen
Corps eintrat und als dienſtthuender Adjutant zum General
Pirch II. commandirt wurde. Hier war er endlich voll an ſei-
nem Platz. Die Idee eines großen Kampfes war nirgends leben-
diger ausgeprägt, als im York’ſchen Corps, und ein Feuergeiſt, wie
Marwitz, mußte ſich da am eheſten heimiſch fühlen, wo im gering-
ſten Landwehrmann ein Theil jener treibenden Kraft, jenes Blü-
cher’ſchen Geiſtes zu finden war, ohne welchen jener ſchöne Kampf
nie und nimmer ſiegreich hinausgeführt worden wäre.
Am 1. Januar ging es über den Rhein. Die Gefechte bei
Brienne und la Rothière eröffneten den Kampf auf franzöſiſchem
Boden. Der Sieg ſchien bei den Fahnen der Verbündeten blei-
ben zu wollen, da kamen die Unglückstage von Champaubert und
Montmirail. Der Kaiſer warf ſich auf das ruſſiſche Corps unter
General Sacken und war im Begriff es zu vernichten, als Sacken
ſelbſt, der leichtſinnig dieſes Unheil herauf beſchworen hatte, an
York die dringende Bitte ſtellte, den Feind in der linken Flanke
zu faſſen. An Sieg war nicht zu denken, aber die Rettung der
Ruſſen mußte wenigſtens verſucht werden. Die erſte (Pirch’ſche)
Brigade, bei der Marwitz ſtand, erhielt Befehl zum Angriff. Ge-
neral Pirch ſelbſt ſetzte ſich an die Spitze der oſt- und weſtpreu-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/423>, abgerufen am 22.11.2024.
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