thums und deutscher Bildung gewählt, sein Urtheil würde sich anders gestaltet haben. So aber sah er nur die weite Kluft, die allerdings zwischen seinem eigenen Empfinden und jener schnöden Niedrigkeit lag, die sich (in Berlin) danach drängte, als "Bürger- garde Marschall Victors" zu antichambriren und Schildwache zu stehen.
Aengstliche Rücksichtnahme war nicht seine Sache, wo es die Wahrheit galt, oder wenigstens das, was ihm als Wahrheit erschien. Durch Freund und Feind hin ging er seinen Weg; die Furcht, anzustoßen, war nicht seine Furcht. Selbstbewußtsein durch- drang ihn und durfte ihn durchdringen, denn die Worte seines Testaments, "daß er die ihm auferlegten Pflichten treulich erfüllt und dabei sein eigenes irdisches Wohlsein für nichts erachtet habe", waren Worte der Wahrheit. Verkannt, zurückgesetzt, verleumdet, hatten die Kränkungen, die er erfahren, doch nie schwerer in seinem Herzen gewogen, als das Gefühl seiner Pflicht. So oft es galt, war er da. Alles gab er auf, alles setzte er ein, so oft die großen Interessen des Vaterlandes auf dem Spiele standen. Das Ein- stehen für das Ganze war seinem Herzen Bedürfniß, und die höchsten Kräfte des Menschenherzens, Treue, Pietät und Opfer- freudigkeit waren in seiner Seele lebendig. Er war schroff nach außen, aber feinfühlig im Gemüth. Das Leben, ungehoben und unverklärt durch geistigen Gehalt, war ihm eine leere Schale; die Idee allein gab allem Werth und im Kampf für sie hat er sein Leben hingebracht. Möglich daß sein Kampf unbewußt im Interesse eines Irrthums, eines politischen Fehlers geführt wurde; aber selbst wenn dem so wäre, so würde es wenig ändern in der Werthschä- tzung des Mannes selbst. Denn jedem selbstsuchtslos geführten gei- stigen Kampfe gelten unsere Sympathien. "Es irrt der Mensch, so lang er strebt." Erst aus Streben und Irren gebiert sich die Wahrheit. Auch der Kampf, den Marwitz kämpfte, hat uns dieser näher geführt.
"Er war", so schließt ein Nekrolog, den befreundete Hand geschrieben, "ein Mann von altrömischem Character, eine kräftige,
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thums und deutſcher Bildung gewählt, ſein Urtheil würde ſich anders geſtaltet haben. So aber ſah er nur die weite Kluft, die allerdings zwiſchen ſeinem eigenen Empfinden und jener ſchnöden Niedrigkeit lag, die ſich (in Berlin) danach drängte, als „Bürger- garde Marſchall Victors“ zu antichambriren und Schildwache zu ſtehen.
Aengſtliche Rückſichtnahme war nicht ſeine Sache, wo es die Wahrheit galt, oder wenigſtens das, was ihm als Wahrheit erſchien. Durch Freund und Feind hin ging er ſeinen Weg; die Furcht, anzuſtoßen, war nicht ſeine Furcht. Selbſtbewußtſein durch- drang ihn und durfte ihn durchdringen, denn die Worte ſeines Teſtaments, „daß er die ihm auferlegten Pflichten treulich erfüllt und dabei ſein eigenes irdiſches Wohlſein für nichts erachtet habe“, waren Worte der Wahrheit. Verkannt, zurückgeſetzt, verleumdet, hatten die Kränkungen, die er erfahren, doch nie ſchwerer in ſeinem Herzen gewogen, als das Gefühl ſeiner Pflicht. So oft es galt, war er da. Alles gab er auf, alles ſetzte er ein, ſo oft die großen Intereſſen des Vaterlandes auf dem Spiele ſtanden. Das Ein- ſtehen für das Ganze war ſeinem Herzen Bedürfniß, und die höchſten Kräfte des Menſchenherzens, Treue, Pietät und Opfer- freudigkeit waren in ſeiner Seele lebendig. Er war ſchroff nach außen, aber feinfühlig im Gemüth. Das Leben, ungehoben und unverklärt durch geiſtigen Gehalt, war ihm eine leere Schale; die Idee allein gab allem Werth und im Kampf für ſie hat er ſein Leben hingebracht. Möglich daß ſein Kampf unbewußt im Intereſſe eines Irrthums, eines politiſchen Fehlers geführt wurde; aber ſelbſt wenn dem ſo wäre, ſo würde es wenig ändern in der Werthſchä- tzung des Mannes ſelbſt. Denn jedem ſelbſtſuchtslos geführten gei- ſtigen Kampfe gelten unſere Sympathien. „Es irrt der Menſch, ſo lang er ſtrebt.“ Erſt aus Streben und Irren gebiert ſich die Wahrheit. Auch der Kampf, den Marwitz kämpfte, hat uns dieſer näher geführt.
„Er war“, ſo ſchließt ein Nekrolog, den befreundete Hand geſchrieben, „ein Mann von altrömiſchem Character, eine kräftige,
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thums und deutſcher Bildung gewählt, ſein Urtheil würde ſich
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allerdings zwiſchen ſeinem eigenen Empfinden und jener ſchnöden
Niedrigkeit lag, die ſich (in Berlin) danach drängte, als „Bürger-
garde Marſchall Victors“ zu antichambriren und Schildwache zu
ſtehen.
Aengſtliche Rückſichtnahme war nicht ſeine Sache, wo es die
Wahrheit galt, oder wenigſtens das, was ihm als Wahrheit
erſchien. Durch Freund und Feind hin ging er ſeinen Weg; die
Furcht, anzuſtoßen, war nicht ſeine Furcht. Selbſtbewußtſein durch-
drang ihn und durfte ihn durchdringen, denn die Worte ſeines
Teſtaments, „daß er die ihm auferlegten Pflichten treulich erfüllt
und dabei ſein eigenes irdiſches Wohlſein für nichts erachtet habe“,
waren Worte der Wahrheit. Verkannt, zurückgeſetzt, verleumdet,
hatten die Kränkungen, die er erfahren, doch nie ſchwerer in ſeinem
Herzen gewogen, als das Gefühl ſeiner Pflicht. So oft es galt,
war er da. Alles gab er auf, alles ſetzte er ein, ſo oft die großen
Intereſſen des Vaterlandes auf dem Spiele ſtanden. Das Ein-
ſtehen für das Ganze war ſeinem Herzen Bedürfniß, und die
höchſten Kräfte des Menſchenherzens, Treue, Pietät und Opfer-
freudigkeit waren in ſeiner Seele lebendig. Er war ſchroff nach
außen, aber feinfühlig im Gemüth. Das Leben, ungehoben und
unverklärt durch geiſtigen Gehalt, war ihm eine leere Schale; die
Idee allein gab allem Werth und im Kampf für ſie hat er ſein
Leben hingebracht. Möglich daß ſein Kampf unbewußt im Intereſſe
eines Irrthums, eines politiſchen Fehlers geführt wurde; aber ſelbſt
wenn dem ſo wäre, ſo würde es wenig ändern in der Werthſchä-
tzung des Mannes ſelbſt. Denn jedem ſelbſtſuchtslos geführten gei-
ſtigen Kampfe gelten unſere Sympathien. „Es irrt der Menſch, ſo
lang er ſtrebt.“ Erſt aus Streben und Irren gebiert ſich die
Wahrheit. Auch der Kampf, den Marwitz kämpfte, hat uns dieſer
näher geführt.
„Er war“, ſo ſchließt ein Nekrolog, den befreundete Hand
geſchrieben, „ein Mann von altrömiſchem Character, eine kräftige,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/397>, abgerufen am 22.11.2024.
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