enfin, ihr könnt nicht reiten." Ein stilles Bedenken mischt sich, von rechts und links her, in beide Urtheile mit ein, eine leise An- deutung, daß dem perfecten Cavalier, dem perfekten Gentleman, doch noch dieß und das zu seiner Vollkommenheit fehle. Wie es mit der Kunst des Reitens ist, so mit der Kunst der feinen Sitte. Die Gesetze derselben sind überall verwandt, ein Gemeinsames liegt ihnen zu Grunde, aber ihre Formen weichen ab, sind wenigstens nicht überall dieselben. Da wo noch an eine ausschließliche Form der Sitte geglaubt wird, hat die Sitte selbst ihre höchste Blüthe und Verfeinerung noch nicht erreicht.
In Standesvorurtheilen, wie sie das Urtheil über Goethe zeigt, war und blieb Marwitz befangen; aber der gute Glaube, die volle Ueberzeugung, mit der er seine Ansichten äußerte, nahmen seinen Angriffen den Stachel des persönlich Verletzenden. Zudem hielt es nicht schwer, die Wurzel des Irrthums zu erkennen, woraus seine harten und zum guten Theil ungerechten Ansichten über den Bürgerstand empor wuchsen. Während er nämlich sich selbst als Repräsentanten des Adels nahm, nahm er den ersten besten Bürgerlichen als Repräsentanten des Bürgerstandes. Der Zufall wollte, daß er in sich selbst einen so vollkommenen Vertreter ade- liger Gesinnung zur Hand hatte, daß, bei einem Herausgreifen auf's Geradewohl aus der Reihe der Bürgerlichen, die letztern mit großer Wahrscheinlichkeit zu kurz kommen mußten. Er vergaß (viel- leicht in Bescheidenheit), daß nicht jeder Adelige ein Marwitz war, und daß viele Eigenschaften die er an den "Gebildeten" haßte, nicht Sondereigenschaften des Bürgerstandes, sondern allgemeine Eigenschaften der ganzen Epoche waren. Er geißelte das Auftreten des eitlen, leckern, gesinnungslosen Johann v. Müller (des berühm- ten Historikers) mit verdientem Spott, aber andere bürgerliche Namen, die auf solche Geißelung keinen Anspruch hatten, hätten ihm eben so nah oder näher gelegen. Hätte er Fichte, der eben damals durch seine begeisterten, aus Muth und Gesinnung her- ausgeborenen Reden, selbst wieder Muth und Gesinnung in alle Herzen goß, hätte er Fichte als Repräsentanten deutschen Bürger-
enfin, ihr könnt nicht reiten.“ Ein ſtilles Bedenken miſcht ſich, von rechts und links her, in beide Urtheile mit ein, eine leiſe An- deutung, daß dem perfecten Cavalier, dem perfekten Gentleman, doch noch dieß und das zu ſeiner Vollkommenheit fehle. Wie es mit der Kunſt des Reitens iſt, ſo mit der Kunſt der feinen Sitte. Die Geſetze derſelben ſind überall verwandt, ein Gemeinſames liegt ihnen zu Grunde, aber ihre Formen weichen ab, ſind wenigſtens nicht überall dieſelben. Da wo noch an eine ausſchließliche Form der Sitte geglaubt wird, hat die Sitte ſelbſt ihre höchſte Blüthe und Verfeinerung noch nicht erreicht.
In Standesvorurtheilen, wie ſie das Urtheil über Goethe zeigt, war und blieb Marwitz befangen; aber der gute Glaube, die volle Ueberzeugung, mit der er ſeine Anſichten äußerte, nahmen ſeinen Angriffen den Stachel des perſönlich Verletzenden. Zudem hielt es nicht ſchwer, die Wurzel des Irrthums zu erkennen, woraus ſeine harten und zum guten Theil ungerechten Anſichten über den Bürgerſtand empor wuchſen. Während er nämlich ſich ſelbſt als Repräſentanten des Adels nahm, nahm er den erſten beſten Bürgerlichen als Repräſentanten des Bürgerſtandes. Der Zufall wollte, daß er in ſich ſelbſt einen ſo vollkommenen Vertreter ade- liger Geſinnung zur Hand hatte, daß, bei einem Herausgreifen auf’s Geradewohl aus der Reihe der Bürgerlichen, die letztern mit großer Wahrſcheinlichkeit zu kurz kommen mußten. Er vergaß (viel- leicht in Beſcheidenheit), daß nicht jeder Adelige ein Marwitz war, und daß viele Eigenſchaften die er an den „Gebildeten“ haßte, nicht Sondereigenſchaften des Bürgerſtandes, ſondern allgemeine Eigenſchaften der ganzen Epoche waren. Er geißelte das Auftreten des eitlen, leckern, geſinnungsloſen Johann v. Müller (des berühm- ten Hiſtorikers) mit verdientem Spott, aber andere bürgerliche Namen, die auf ſolche Geißelung keinen Anſpruch hatten, hätten ihm eben ſo nah oder näher gelegen. Hätte er Fichte, der eben damals durch ſeine begeiſterten, aus Muth und Geſinnung her- ausgeborenen Reden, ſelbſt wieder Muth und Geſinnung in alle Herzen goß, hätte er Fichte als Repräſentanten deutſchen Bürger-
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enfin, ihr könnt nicht reiten.“ Ein ſtilles Bedenken miſcht ſich,
von rechts und links her, in beide Urtheile mit ein, eine leiſe An-
deutung, daß dem perfecten Cavalier, dem perfekten Gentleman,
doch noch dieß und das zu ſeiner Vollkommenheit fehle. Wie es
mit der Kunſt des Reitens iſt, ſo mit der Kunſt der feinen Sitte.
Die Geſetze derſelben ſind überall verwandt, ein Gemeinſames liegt
ihnen zu Grunde, aber ihre Formen weichen ab, ſind wenigſtens
nicht überall dieſelben. Da wo noch an eine ausſchließliche Form
der Sitte geglaubt wird, hat die Sitte ſelbſt ihre höchſte Blüthe
und Verfeinerung noch nicht erreicht.
In Standesvorurtheilen, wie ſie das Urtheil über Goethe
zeigt, war und blieb Marwitz befangen; aber der gute Glaube,
die volle Ueberzeugung, mit der er ſeine Anſichten äußerte, nahmen
ſeinen Angriffen den Stachel des perſönlich Verletzenden. Zudem
hielt es nicht ſchwer, die Wurzel des Irrthums zu erkennen,
woraus ſeine harten und zum guten Theil ungerechten Anſichten über
den Bürgerſtand empor wuchſen. Während er nämlich ſich ſelbſt
als Repräſentanten des Adels nahm, nahm er den erſten beſten
Bürgerlichen als Repräſentanten des Bürgerſtandes. Der Zufall
wollte, daß er in ſich ſelbſt einen ſo vollkommenen Vertreter ade-
liger Geſinnung zur Hand hatte, daß, bei einem Herausgreifen
auf’s Geradewohl aus der Reihe der Bürgerlichen, die letztern mit
großer Wahrſcheinlichkeit zu kurz kommen mußten. Er vergaß (viel-
leicht in Beſcheidenheit), daß nicht jeder Adelige ein Marwitz war,
und daß viele Eigenſchaften die er an den „Gebildeten“ haßte,
nicht Sondereigenſchaften des Bürgerſtandes, ſondern allgemeine
Eigenſchaften der ganzen Epoche waren. Er geißelte das Auftreten
des eitlen, leckern, geſinnungsloſen Johann v. Müller (des berühm-
ten Hiſtorikers) mit verdientem Spott, aber andere bürgerliche
Namen, die auf ſolche Geißelung keinen Anſpruch hatten, hätten
ihm eben ſo nah oder näher gelegen. Hätte er Fichte, der eben
damals durch ſeine begeiſterten, aus Muth und Geſinnung her-
ausgeborenen Reden, ſelbſt wieder Muth und Geſinnung in alle
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/396>, abgerufen am 22.11.2024.
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