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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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Das fühlte Marwitz sehr wohl. Er vertheidigte also das Stän-
dische als ein äußerlich ererbtes Gut, aber er hielt es auch auf-
recht im vollen Glauben an die innerliche Berechtigung desselben.
Dieß führt mich von der einfachen Rechtsfrage auf das politi-
sche
Gebiet.

Mußte der alte ständische Bau fallen, oder nicht? Millionen
sagten ja, Marwitz sagte nein. Für ihn handelte sich alles um
Wiederbelebung; nicht Tod, nur Lähmung war über den
alten, kräftigen Organismus des Landes gekommen; es galt einen
Bann, eine Krankheit von ihm zu nehmen, und alles war wieder
gut. Nicht die Paragraphen und Institutionen, die Herzen der
Menschen wollte er wandeln; an die Stelle kleiner Gesinnung
sollte hohe Liebe und idealer Schwung, an die Stelle philiströser
Beschränktheit eine opferfreudige Begeisterung treten, -- so wollte
er reformiren. Vortrefflich; aber wie? wodurch? Um die Weckung
oder Mehrung dieser Dinge hat es sich immer gehandelt. Wie aber
wollte Marwitz an die Herzen heran, wie wollte er das Wunder
vollziehen? Die Antwort auf diese Frage ist er schuldig geblieben.
Er zeigte das Ziel, aber nicht den Weg. Die bloße Bußpredigt
und ein langes Sündenregister haben noch nie geholfen. Hier liegt
sein Fehler, sein politischer Fehler. Das Alte, ob mit Recht oder
Unrecht, war jedem ein Gräuel geworden; es war unmöglich,
wenigstens damals unmöglich, eine Begeisterung dafür wach zu
rufen; wenn Leben überhaupt geweckt werden sollte, so mußte es
für etwas Neues geweckt werden, selbst auf die Gefahr hin, daß
es sich als ein Falsches erweisen würde. Es handelte sich in diesem
Augenblick nicht um gesunde Nahrungs-, sondern um Bele-
bungs-
und Erweckungsmittel. Dieß wußte Hardenberg, in
dem Sinne handelte er und dafür haben wir ihm zu danken, sei
er im übrigen wie er sei.

Der alte ständische Staat hatte dem Sturm nicht widerstan-
den und ein neues Haus mußte bezogen werden, wenigstens
auf Probe
. Möglich, daß der Zusammensturz nicht an der
Schlechtigkeit des alten Baus, sondern an der Heftigkeit des

Das fühlte Marwitz ſehr wohl. Er vertheidigte alſo das Stän-
diſche als ein äußerlich ererbtes Gut, aber er hielt es auch auf-
recht im vollen Glauben an die innerliche Berechtigung deſſelben.
Dieß führt mich von der einfachen Rechtsfrage auf das politi-
ſche
Gebiet.

Mußte der alte ſtändiſche Bau fallen, oder nicht? Millionen
ſagten ja, Marwitz ſagte nein. Für ihn handelte ſich alles um
Wiederbelebung; nicht Tod, nur Lähmung war über den
alten, kräftigen Organismus des Landes gekommen; es galt einen
Bann, eine Krankheit von ihm zu nehmen, und alles war wieder
gut. Nicht die Paragraphen und Inſtitutionen, die Herzen der
Menſchen wollte er wandeln; an die Stelle kleiner Geſinnung
ſollte hohe Liebe und idealer Schwung, an die Stelle philiſtröſer
Beſchränktheit eine opferfreudige Begeiſterung treten, — ſo wollte
er reformiren. Vortrefflich; aber wie? wodurch? Um die Weckung
oder Mehrung dieſer Dinge hat es ſich immer gehandelt. Wie aber
wollte Marwitz an die Herzen heran, wie wollte er das Wunder
vollziehen? Die Antwort auf dieſe Frage iſt er ſchuldig geblieben.
Er zeigte das Ziel, aber nicht den Weg. Die bloße Bußpredigt
und ein langes Sündenregiſter haben noch nie geholfen. Hier liegt
ſein Fehler, ſein politiſcher Fehler. Das Alte, ob mit Recht oder
Unrecht, war jedem ein Gräuel geworden; es war unmöglich,
wenigſtens damals unmöglich, eine Begeiſterung dafür wach zu
rufen; wenn Leben überhaupt geweckt werden ſollte, ſo mußte es
für etwas Neues geweckt werden, ſelbſt auf die Gefahr hin, daß
es ſich als ein Falſches erweiſen würde. Es handelte ſich in dieſem
Augenblick nicht um geſunde Nahrungs-, ſondern um Bele-
bungs-
und Erweckungsmittel. Dieß wußte Hardenberg, in
dem Sinne handelte er und dafür haben wir ihm zu danken, ſei
er im übrigen wie er ſei.

Der alte ſtändiſche Staat hatte dem Sturm nicht widerſtan-
den und ein neues Haus mußte bezogen werden, wenigſtens
auf Probe
. Möglich, daß der Zuſammenſturz nicht an der
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[381/0393] Das fühlte Marwitz ſehr wohl. Er vertheidigte alſo das Stän- diſche als ein äußerlich ererbtes Gut, aber er hielt es auch auf- recht im vollen Glauben an die innerliche Berechtigung deſſelben. Dieß führt mich von der einfachen Rechtsfrage auf das politi- ſche Gebiet. Mußte der alte ſtändiſche Bau fallen, oder nicht? Millionen ſagten ja, Marwitz ſagte nein. Für ihn handelte ſich alles um Wiederbelebung; nicht Tod, nur Lähmung war über den alten, kräftigen Organismus des Landes gekommen; es galt einen Bann, eine Krankheit von ihm zu nehmen, und alles war wieder gut. Nicht die Paragraphen und Inſtitutionen, die Herzen der Menſchen wollte er wandeln; an die Stelle kleiner Geſinnung ſollte hohe Liebe und idealer Schwung, an die Stelle philiſtröſer Beſchränktheit eine opferfreudige Begeiſterung treten, — ſo wollte er reformiren. Vortrefflich; aber wie? wodurch? Um die Weckung oder Mehrung dieſer Dinge hat es ſich immer gehandelt. Wie aber wollte Marwitz an die Herzen heran, wie wollte er das Wunder vollziehen? Die Antwort auf dieſe Frage iſt er ſchuldig geblieben. Er zeigte das Ziel, aber nicht den Weg. Die bloße Bußpredigt und ein langes Sündenregiſter haben noch nie geholfen. Hier liegt ſein Fehler, ſein politiſcher Fehler. Das Alte, ob mit Recht oder Unrecht, war jedem ein Gräuel geworden; es war unmöglich, wenigſtens damals unmöglich, eine Begeiſterung dafür wach zu rufen; wenn Leben überhaupt geweckt werden ſollte, ſo mußte es für etwas Neues geweckt werden, ſelbſt auf die Gefahr hin, daß es ſich als ein Falſches erweiſen würde. Es handelte ſich in dieſem Augenblick nicht um geſunde Nahrungs-, ſondern um Bele- bungs- und Erweckungsmittel. Dieß wußte Hardenberg, in dem Sinne handelte er und dafür haben wir ihm zu danken, ſei er im übrigen wie er ſei. Der alte ſtändiſche Staat hatte dem Sturm nicht widerſtan- den und ein neues Haus mußte bezogen werden, wenigſtens auf Probe. Möglich, daß der Zuſammenſturz nicht an der Schlechtigkeit des alten Baus, ſondern an der Heftigkeit des

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/393>, abgerufen am 22.11.2024.