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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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ner beiden Frauen (die zweite war eine geborene Gräfin Moltke,
gestorben am 18. November 1848) schmückt, wie bereits erzählt,
die Friedersdorfer Kirche.



Ich habe in Vorstehendem die äußeren Lebensfakten Marwitz's
gegeben und versuche zum Schluß eine Charakteristik, eine Kritik.
Ich knüpfe zu diesem Behuf an die Vorgänge des Jahres 1811
an. Das Auftreten Marwitz's in jener Epoche, wenn man ihm
irgend wie gerecht werden will, muß von zwei Gesichtspunkten aus
betrachtet werden, -- juristisch und politisch. Das Urtheil über
dieselben Vorgänge wird sich danach sehr verschieden gestalten.

Was zunächst die juristische Seite angeht, so hatte Harden-
berg selbst das Recht der Stände anerkannt und mehr denn ein-
mal der patriotischen Haltung derselben die königliche Anerkennung
ausgesprochen. Nichts konnte deßhalb falscher und begriffsverwirren-
der sein, als das Eintreten für ein derartig anerkanntes Recht auf
Rebellion zu deuten. Daß es doch geschah, mag (wo nicht poli-
tische Berechnung und reformatorischer Eifer ein richtigeres Urtheil
trübten) als Beweis dienen für den Servilismus und die Indo-
lenz jener Zeit.

Noch einmal, das Recht war unbestreitbar auf Seiten der
Stände und dieses ständische Recht war verletzt. Gegen diese Ver-
letzung hatte Marwitz protestirt. Dieser Protest war muthig und
ehrenhaft; aber freilich, wenn er, außer dem Zugeständniß, muthig
und ehrenhaft gehandelt zu haben, auch noch Sympathien für die
Sache wecken wollte, so mußte sich das Festhalten am Princip
über den Schein und Verdacht einer Donquixoterie, einer bloßen
Rechtsmarotte, erheben. Auch das beste Recht, wenn es sich
sträubt, einem neuen Platz zu machen, muß den Beweis beibrin-
gen, daß es mehr ist als ein todter Buchstabe, als eine Last, ein
Hemmniß. Es bleibt "Recht" auch ohne diesen Beweis, aber ein
Recht, dem jeder wünscht, daß es dem Unrecht unterliegen möge.

ner beiden Frauen (die zweite war eine geborene Gräfin Moltke,
geſtorben am 18. November 1848) ſchmückt, wie bereits erzählt,
die Friedersdorfer Kirche.



Ich habe in Vorſtehendem die äußeren Lebensfakten Marwitz’s
gegeben und verſuche zum Schluß eine Charakteriſtik, eine Kritik.
Ich knüpfe zu dieſem Behuf an die Vorgänge des Jahres 1811
an. Das Auftreten Marwitz’s in jener Epoche, wenn man ihm
irgend wie gerecht werden will, muß von zwei Geſichtspunkten aus
betrachtet werden, — juriſtiſch und politiſch. Das Urtheil über
dieſelben Vorgänge wird ſich danach ſehr verſchieden geſtalten.

Was zunächſt die juriſtiſche Seite angeht, ſo hatte Harden-
berg ſelbſt das Recht der Stände anerkannt und mehr denn ein-
mal der patriotiſchen Haltung derſelben die königliche Anerkennung
ausgeſprochen. Nichts konnte deßhalb falſcher und begriffsverwirren-
der ſein, als das Eintreten für ein derartig anerkanntes Recht auf
Rebellion zu deuten. Daß es doch geſchah, mag (wo nicht poli-
tiſche Berechnung und reformatoriſcher Eifer ein richtigeres Urtheil
trübten) als Beweis dienen für den Servilismus und die Indo-
lenz jener Zeit.

Noch einmal, das Recht war unbeſtreitbar auf Seiten der
Stände und dieſes ſtändiſche Recht war verletzt. Gegen dieſe Ver-
letzung hatte Marwitz proteſtirt. Dieſer Proteſt war muthig und
ehrenhaft; aber freilich, wenn er, außer dem Zugeſtändniß, muthig
und ehrenhaft gehandelt zu haben, auch noch Sympathien für die
Sache wecken wollte, ſo mußte ſich das Feſthalten am Princip
über den Schein und Verdacht einer Donquixoterie, einer bloßen
Rechtsmarotte, erheben. Auch das beſte Recht, wenn es ſich
ſträubt, einem neuen Platz zu machen, muß den Beweis beibrin-
gen, daß es mehr iſt als ein todter Buchſtabe, als eine Laſt, ein
Hemmniß. Es bleibt „Recht“ auch ohne dieſen Beweis, aber ein
Recht, dem jeder wünſcht, daß es dem Unrecht unterliegen möge.

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[380/0392] ner beiden Frauen (die zweite war eine geborene Gräfin Moltke, geſtorben am 18. November 1848) ſchmückt, wie bereits erzählt, die Friedersdorfer Kirche. Ich habe in Vorſtehendem die äußeren Lebensfakten Marwitz’s gegeben und verſuche zum Schluß eine Charakteriſtik, eine Kritik. Ich knüpfe zu dieſem Behuf an die Vorgänge des Jahres 1811 an. Das Auftreten Marwitz’s in jener Epoche, wenn man ihm irgend wie gerecht werden will, muß von zwei Geſichtspunkten aus betrachtet werden, — juriſtiſch und politiſch. Das Urtheil über dieſelben Vorgänge wird ſich danach ſehr verſchieden geſtalten. Was zunächſt die juriſtiſche Seite angeht, ſo hatte Harden- berg ſelbſt das Recht der Stände anerkannt und mehr denn ein- mal der patriotiſchen Haltung derſelben die königliche Anerkennung ausgeſprochen. Nichts konnte deßhalb falſcher und begriffsverwirren- der ſein, als das Eintreten für ein derartig anerkanntes Recht auf Rebellion zu deuten. Daß es doch geſchah, mag (wo nicht poli- tiſche Berechnung und reformatoriſcher Eifer ein richtigeres Urtheil trübten) als Beweis dienen für den Servilismus und die Indo- lenz jener Zeit. Noch einmal, das Recht war unbeſtreitbar auf Seiten der Stände und dieſes ſtändiſche Recht war verletzt. Gegen dieſe Ver- letzung hatte Marwitz proteſtirt. Dieſer Proteſt war muthig und ehrenhaft; aber freilich, wenn er, außer dem Zugeſtändniß, muthig und ehrenhaft gehandelt zu haben, auch noch Sympathien für die Sache wecken wollte, ſo mußte ſich das Feſthalten am Princip über den Schein und Verdacht einer Donquixoterie, einer bloßen Rechtsmarotte, erheben. Auch das beſte Recht, wenn es ſich ſträubt, einem neuen Platz zu machen, muß den Beweis beibrin- gen, daß es mehr iſt als ein todter Buchſtabe, als eine Laſt, ein Hemmniß. Es bleibt „Recht“ auch ohne dieſen Beweis, aber ein Recht, dem jeder wünſcht, daß es dem Unrecht unterliegen möge.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/392>, abgerufen am 22.11.2024.