Dieser Friedhof heißt der Rosengarten. Er heißt so, nicht aus Laune oder Einfall; der Fleck Landes, der diesen Namen führt, hieß schon so, lange bevor der erste Gast durch das offen- stehende Gitter einzog. Es hat das folgenden Zusammenhang. Die weiten Waldreviere, die Freienwalde nach Westen hin umgeben und alle Thalschluchten mit Laubholz füllen, waren, in alten Zei- ten schon, immer reich an wilden Rosen, an weißen, rothen und gelben, und wer um die Johanniszeit durch diese grünen Schluch- ten zog, dem war es, als flögen Schmetterlinge vor ihm her durch den Wald. Die Stelle aber, wo die Rosensträucher am dich- testen standen und einen kleinen Wald im Walde bildeten, diese Stelle lag im Rücken des Brunnenthals und hieß der "Rosen- garten." Die Sträucher verschwanden allmälig, das erste Grab wurde gegraben, andere Gräber folgten, die Steinmauer wurde gezogen, -- aber der Name blieb, und von den Gestorbenen heißt es sinnig und ungezwungen: "sie schlafen im Rosengarten."
Weiter in den Wald hinein, etwa eine halbe Meile im Rücken des Rosengartens, liegt der Baa-See, ein Lieblingsplatz, und mehr denn das, der Stolz der Freienwalder. Sie überschätzen ihn offenbar, was indessen darin seinen guten Grund hat, daß er die einzige, landschaftlich in Betracht kommende Wasserfläche ist, die die schöne aber etwas monotone Freienwalder Landschaft (eine immer wiederkehrende Berg- und Wald-Coulisse) gefällig unter- bricht. Wenn noch ein anderes hinzukommt, was hier eine Repu- tation machen hilft, so ist es vielleicht der Umstand, daß der Baa- See, wie eine vielgesuchte Schöne, sich nicht finden läßt, daß er Versteckens mit seinen besten Freunden spielt, ja daß es oftmals ist, als würd' er von Kobolden im Walde hin und her getragen. Endlich doch gefunden, wird es seiner Schönheit mit angerechnet, daß er sich überhaupt hat finden lassen.
Auch wir suchten ihn, ohne ihn finden zu können. Ermattet warfen wir uns endlich in das Waldmoos, das feucht und schwel- lend um uns her stand. Wir schlossen die Augen, träumten, rie- fen auch wohl den Waldgeist, zusammt der Baa-Nixe, an, es
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Dieſer Friedhof heißt der Roſengarten. Er heißt ſo, nicht aus Laune oder Einfall; der Fleck Landes, der dieſen Namen führt, hieß ſchon ſo, lange bevor der erſte Gaſt durch das offen- ſtehende Gitter einzog. Es hat das folgenden Zuſammenhang. Die weiten Waldreviere, die Freienwalde nach Weſten hin umgeben und alle Thalſchluchten mit Laubholz füllen, waren, in alten Zei- ten ſchon, immer reich an wilden Roſen, an weißen, rothen und gelben, und wer um die Johanniszeit durch dieſe grünen Schluch- ten zog, dem war es, als flögen Schmetterlinge vor ihm her durch den Wald. Die Stelle aber, wo die Roſenſträucher am dich- teſten ſtanden und einen kleinen Wald im Walde bildeten, dieſe Stelle lag im Rücken des Brunnenthals und hieß der „Roſen- garten.“ Die Sträucher verſchwanden allmälig, das erſte Grab wurde gegraben, andere Gräber folgten, die Steinmauer wurde gezogen, — aber der Name blieb, und von den Geſtorbenen heißt es ſinnig und ungezwungen: „ſie ſchlafen im Roſengarten.“
Weiter in den Wald hinein, etwa eine halbe Meile im Rücken des Roſengartens, liegt der Baa-See, ein Lieblingsplatz, und mehr denn das, der Stolz der Freienwalder. Sie überſchätzen ihn offenbar, was indeſſen darin ſeinen guten Grund hat, daß er die einzige, landſchaftlich in Betracht kommende Waſſerfläche iſt, die die ſchöne aber etwas monotone Freienwalder Landſchaft (eine immer wiederkehrende Berg- und Wald-Couliſſe) gefällig unter- bricht. Wenn noch ein anderes hinzukommt, was hier eine Repu- tation machen hilft, ſo iſt es vielleicht der Umſtand, daß der Baa- See, wie eine vielgeſuchte Schöne, ſich nicht finden läßt, daß er Verſteckens mit ſeinen beſten Freunden ſpielt, ja daß es oftmals iſt, als würd’ er von Kobolden im Walde hin und her getragen. Endlich doch gefunden, wird es ſeiner Schönheit mit angerechnet, daß er ſich überhaupt hat finden laſſen.
Auch wir ſuchten ihn, ohne ihn finden zu können. Ermattet warfen wir uns endlich in das Waldmoos, das feucht und ſchwel- lend um uns her ſtand. Wir ſchloſſen die Augen, träumten, rie- fen auch wohl den Waldgeiſt, zuſammt der Baa-Nixe, an, es
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Dieſer Friedhof heißt der Roſengarten. Er heißt ſo, nicht
aus Laune oder Einfall; der Fleck Landes, der dieſen Namen
führt, hieß ſchon ſo, lange bevor der erſte Gaſt durch das offen-
ſtehende Gitter einzog. Es hat das folgenden Zuſammenhang. Die
weiten Waldreviere, die Freienwalde nach Weſten hin umgeben
und alle Thalſchluchten mit Laubholz füllen, waren, in alten Zei-
ten ſchon, immer reich an wilden Roſen, an weißen, rothen und
gelben, und wer um die Johanniszeit durch dieſe grünen Schluch-
ten zog, dem war es, als flögen Schmetterlinge vor ihm her
durch den Wald. Die Stelle aber, wo die Roſenſträucher am dich-
teſten ſtanden und einen kleinen Wald im Walde bildeten, dieſe
Stelle lag im Rücken des Brunnenthals und hieß der „Roſen-
garten.“ Die Sträucher verſchwanden allmälig, das erſte Grab
wurde gegraben, andere Gräber folgten, die Steinmauer wurde
gezogen, — aber der Name blieb, und von den Geſtorbenen heißt
es ſinnig und ungezwungen: „ſie ſchlafen im Roſengarten.“
Weiter in den Wald hinein, etwa eine halbe Meile im
Rücken des Roſengartens, liegt der Baa-See, ein Lieblingsplatz,
und mehr denn das, der Stolz der Freienwalder. Sie überſchätzen
ihn offenbar, was indeſſen darin ſeinen guten Grund hat, daß er
die einzige, landſchaftlich in Betracht kommende Waſſerfläche iſt,
die die ſchöne aber etwas monotone Freienwalder Landſchaft (eine
immer wiederkehrende Berg- und Wald-Couliſſe) gefällig unter-
bricht. Wenn noch ein anderes hinzukommt, was hier eine Repu-
tation machen hilft, ſo iſt es vielleicht der Umſtand, daß der Baa-
See, wie eine vielgeſuchte Schöne, ſich nicht finden läßt, daß er
Verſteckens mit ſeinen beſten Freunden ſpielt, ja daß es oftmals
iſt, als würd’ er von Kobolden im Walde hin und her getragen.
Endlich doch gefunden, wird es ſeiner Schönheit mit angerechnet,
daß er ſich überhaupt hat finden laſſen.
Auch wir ſuchten ihn, ohne ihn finden zu können. Ermattet
warfen wir uns endlich in das Waldmoos, das feucht und ſchwel-
lend um uns her ſtand. Wir ſchloſſen die Augen, träumten, rie-
fen auch wohl den Waldgeiſt, zuſammt der Baa-Nixe, an, es
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/303>, abgerufen am 22.11.2024.
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