gnädig mit uns zu machen. Als wir wieder aufblickten, sahen wir, waldeinwärts, aber dicht hinter uns, zwei Mädchen-Gestalten, die tief in Farrenkraut standen und nur mit Kopf und Brust über das grüne Blattwerk hinwegragend, lächelnd zu uns herüber sa- hen. Es war wie ein Bild aus den fleurs animees.
Wir wußten nicht, ob wir sie anrufen sollten, aus Furcht, die hohen Farrenkräuter möchten die zwei Köpfe wieder einziehen, die nur eben, wie neugierig, in die Welt des Lichts hineingestreckt schienen.
Aber die Beiden kamen uns zuvor. Sie traten aus dem grü- nen Gestrüpp heraus, barfuß, hochgeschürzt und riefen uns zu: "Der See liegt da hinauf!" Dabei machten sie eine Handbewe- gung nach rechts hin und zeigten die Schlucht hinan, durch die wir, auf unsern Irrfahrten, eben herabgestiegen waren.
Beide Mädchen waren noch jung, die jüngere, hübschere, noch ein halbes Kind, und nachdem wir Begrüßungsworte mit ihnen gewechselt und uns an dem bescheiden-kecken Ton beider gefreut hatten, wurden wir einig, daß sie uns bis zum Baa-See hin als Führer begleiten sollten.
Es ist allzeit schwer, wo immer es sei, mit jungen Dirnen ein einfach Gespräch zu führen, und den klaren, sprudelnden Ton zu treffen, in dem ihrer Seele wohl wird, wie der Forelle im Quellwasser; aber es ist doppelt schwer mitten im Walde, über dem die Mittagsschwüle brütet, nichts vernehmbar als der Specht im Tann und dann und wann das Rufen des Pfingstvogels. Zu der Scheu der Geister kommt eine Scheu der Natur, die Scheu des innersten Ich.
Wir versuchten ein Gespräch, aber es scheiterte; die Einsam- keit, die sonst so nahe führt, hier zog sie eine Schranke. So ga- ben wir's auf, und die beiden Mädchen, nunmehr unbelästigt durch unsere Fragen, schritten vor uns her, die Schlucht hinauf. Es war ein reizendes Bild; zu beiden Seiten stand der Wald und schloß sich über dem Hohlweg, in dem wir gingen; nur ein schma- ler Streifen blauen Himmels sah hindurch. Die Schlucht selbst
gnädig mit uns zu machen. Als wir wieder aufblickten, ſahen wir, waldeinwärts, aber dicht hinter uns, zwei Mädchen-Geſtalten, die tief in Farrenkraut ſtanden und nur mit Kopf und Bruſt über das grüne Blattwerk hinwegragend, lächelnd zu uns herüber ſa- hen. Es war wie ein Bild aus den fleurs animées.
Wir wußten nicht, ob wir ſie anrufen ſollten, aus Furcht, die hohen Farrenkräuter möchten die zwei Köpfe wieder einziehen, die nur eben, wie neugierig, in die Welt des Lichts hineingeſtreckt ſchienen.
Aber die Beiden kamen uns zuvor. Sie traten aus dem grü- nen Geſtrüpp heraus, barfuß, hochgeſchürzt und riefen uns zu: „Der See liegt da hinauf!“ Dabei machten ſie eine Handbewe- gung nach rechts hin und zeigten die Schlucht hinan, durch die wir, auf unſern Irrfahrten, eben herabgeſtiegen waren.
Beide Mädchen waren noch jung, die jüngere, hübſchere, noch ein halbes Kind, und nachdem wir Begrüßungsworte mit ihnen gewechſelt und uns an dem beſcheiden-kecken Ton beider gefreut hatten, wurden wir einig, daß ſie uns bis zum Baa-See hin als Führer begleiten ſollten.
Es iſt allzeit ſchwer, wo immer es ſei, mit jungen Dirnen ein einfach Geſpräch zu führen, und den klaren, ſprudelnden Ton zu treffen, in dem ihrer Seele wohl wird, wie der Forelle im Quellwaſſer; aber es iſt doppelt ſchwer mitten im Walde, über dem die Mittagsſchwüle brütet, nichts vernehmbar als der Specht im Tann und dann und wann das Rufen des Pfingſtvogels. Zu der Scheu der Geiſter kommt eine Scheu der Natur, die Scheu des innerſten Ich.
Wir verſuchten ein Geſpräch, aber es ſcheiterte; die Einſam- keit, die ſonſt ſo nahe führt, hier zog ſie eine Schranke. So ga- ben wir’s auf, und die beiden Mädchen, nunmehr unbeläſtigt durch unſere Fragen, ſchritten vor uns her, die Schlucht hinauf. Es war ein reizendes Bild; zu beiden Seiten ſtand der Wald und ſchloß ſich über dem Hohlweg, in dem wir gingen; nur ein ſchma- ler Streifen blauen Himmels ſah hindurch. Die Schlucht ſelbſt
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gnädig mit uns zu machen. Als wir wieder aufblickten, ſahen wir,
waldeinwärts, aber dicht hinter uns, zwei Mädchen-Geſtalten, die
tief in Farrenkraut ſtanden und nur mit Kopf und Bruſt über
das grüne Blattwerk hinwegragend, lächelnd zu uns herüber ſa-
hen. Es war wie ein Bild aus den fleurs animées.
Wir wußten nicht, ob wir ſie anrufen ſollten, aus Furcht,
die hohen Farrenkräuter möchten die zwei Köpfe wieder einziehen,
die nur eben, wie neugierig, in die Welt des Lichts hineingeſtreckt
ſchienen.
Aber die Beiden kamen uns zuvor. Sie traten aus dem grü-
nen Geſtrüpp heraus, barfuß, hochgeſchürzt und riefen uns zu:
„Der See liegt da hinauf!“ Dabei machten ſie eine Handbewe-
gung nach rechts hin und zeigten die Schlucht hinan, durch die
wir, auf unſern Irrfahrten, eben herabgeſtiegen waren.
Beide Mädchen waren noch jung, die jüngere, hübſchere, noch
ein halbes Kind, und nachdem wir Begrüßungsworte mit ihnen
gewechſelt und uns an dem beſcheiden-kecken Ton beider gefreut
hatten, wurden wir einig, daß ſie uns bis zum Baa-See hin
als Führer begleiten ſollten.
Es iſt allzeit ſchwer, wo immer es ſei, mit jungen Dirnen
ein einfach Geſpräch zu führen, und den klaren, ſprudelnden Ton
zu treffen, in dem ihrer Seele wohl wird, wie der Forelle im
Quellwaſſer; aber es iſt doppelt ſchwer mitten im Walde, über
dem die Mittagsſchwüle brütet, nichts vernehmbar als der Specht
im Tann und dann und wann das Rufen des Pfingſtvogels. Zu
der Scheu der Geiſter kommt eine Scheu der Natur, die Scheu
des innerſten Ich.
Wir verſuchten ein Geſpräch, aber es ſcheiterte; die Einſam-
keit, die ſonſt ſo nahe führt, hier zog ſie eine Schranke. So ga-
ben wir’s auf, und die beiden Mädchen, nunmehr unbeläſtigt durch
unſere Fragen, ſchritten vor uns her, die Schlucht hinauf. Es
war ein reizendes Bild; zu beiden Seiten ſtand der Wald und
ſchloß ſich über dem Hohlweg, in dem wir gingen; nur ein ſchma-
ler Streifen blauen Himmels ſah hindurch. Die Schlucht ſelbſt
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/304>, abgerufen am 22.11.2024.
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