Zu diesen Betrachtungen giebt auch Schloß Freienwalde ge- nügende Veranlassung. Da sind complicirte "Stroh-Nähtische" mit eingeflochtenen Namenszügen, da sind Stühle mit hochzuschrauben- den Lehnen, da sind endlich Tische, aus deren Platten, durch Druck und Zug, sich Stehleitern (horribile dictu) vor dem erstaunten Auge aufrichten; lauter Dinge, vor denen der eigentliche Kunstsinn erschrickt, während der milde Sinn, der gelten läßt, sich ihnen zuneigt und des Strebens sich freut. Aber, gut oder nicht, es sind nicht diese Schöpfungen einer ungeregelten Tischler-Phan- tasie, bei denen wir länger verweilen, wir treten lieber aus dem Paradiesvogel-Zimmer auf den Corridor hinaus und steigen einige Stufen treppab, um nach jenem besten Erinnerungsstück des Hau- ses zu suchen, das vor 60 Jahren der Jubel eines heiteren Prin- zen und der Schrecken alter Hofdamen war. Wir meinen natürlich die Drehorgel. Da steht sie verstaubt im Keller. Wir legen die Kurbel an, die sich unter einem Ballen Flachs und Heede findet, und beginnen zu drehen. Aber die Harmonie ist hin. Die heitren Töne springen nicht mehr, wie elastisch, vom Lager auf; lahm, gebrochen, verstimmt ziehen sie langsam durch die Luft und hallen düster von der Kellerwand zurück. Sechszig Jahr -- eine lange Zeit. Die Heiterkeit manch' zarterer Saite, manch' feineren Instru- ments, schlug um seitdem in Weh und Leid.
Schloß Freienwalde ist unbewohnt jetzt. Von Zeit zu Zeit, wie schon erzählt, hat es seine Gäste, aber Laune und Zufall ge- fallen sich darin, die sommerliche Villa vor Allem zu einem win- terlichen Jagdschloß zu machen. Im December, bei grauem Himmel, wenn Weg und Steg unter fußhohem Schnee liegen, dann wird es lebendig hier. Freilich nur auf Stunden.
Dann, um Mitternacht, mit Peitschenknall und Schellengeläut, jagen Schlitten durch die Straßen der tiefstillen Stadt, den Berg hinauf, den Park hindurch, bis vor das verschneite Schloß. Fackeln
Zu dieſen Betrachtungen giebt auch Schloß Freienwalde ge- nügende Veranlaſſung. Da ſind complicirte „Stroh-Nähtiſche“ mit eingeflochtenen Namenszügen, da ſind Stühle mit hochzuſchrauben- den Lehnen, da ſind endlich Tiſche, aus deren Platten, durch Druck und Zug, ſich Stehleitern (horribile dictu) vor dem erſtaunten Auge aufrichten; lauter Dinge, vor denen der eigentliche Kunſtſinn erſchrickt, während der milde Sinn, der gelten läßt, ſich ihnen zuneigt und des Strebens ſich freut. Aber, gut oder nicht, es ſind nicht dieſe Schöpfungen einer ungeregelten Tiſchler-Phan- taſie, bei denen wir länger verweilen, wir treten lieber aus dem Paradiesvogel-Zimmer auf den Corridor hinaus und ſteigen einige Stufen treppab, um nach jenem beſten Erinnerungsſtück des Hau- ſes zu ſuchen, das vor 60 Jahren der Jubel eines heiteren Prin- zen und der Schrecken alter Hofdamen war. Wir meinen natürlich die Drehorgel. Da ſteht ſie verſtaubt im Keller. Wir legen die Kurbel an, die ſich unter einem Ballen Flachs und Heede findet, und beginnen zu drehen. Aber die Harmonie iſt hin. Die heitren Töne ſpringen nicht mehr, wie elaſtiſch, vom Lager auf; lahm, gebrochen, verſtimmt ziehen ſie langſam durch die Luft und hallen düſter von der Kellerwand zurück. Sechszig Jahr — eine lange Zeit. Die Heiterkeit manch’ zarterer Saite, manch’ feineren Inſtru- ments, ſchlug um ſeitdem in Weh und Leid.
Schloß Freienwalde iſt unbewohnt jetzt. Von Zeit zu Zeit, wie ſchon erzählt, hat es ſeine Gäſte, aber Laune und Zufall ge- fallen ſich darin, die ſommerliche Villa vor Allem zu einem win- terlichen Jagdſchloß zu machen. Im December, bei grauem Himmel, wenn Weg und Steg unter fußhohem Schnee liegen, dann wird es lebendig hier. Freilich nur auf Stunden.
Dann, um Mitternacht, mit Peitſchenknall und Schellengeläut, jagen Schlitten durch die Straßen der tiefſtillen Stadt, den Berg hinauf, den Park hindurch, bis vor das verſchneite Schloß. Fackeln
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Zu dieſen Betrachtungen giebt auch Schloß Freienwalde ge-
nügende Veranlaſſung. Da ſind complicirte „Stroh-Nähtiſche“ mit
eingeflochtenen Namenszügen, da ſind Stühle mit hochzuſchrauben-
den Lehnen, da ſind endlich Tiſche, aus deren Platten, durch
Druck und Zug, ſich Stehleitern (horribile dictu) vor dem
erſtaunten Auge aufrichten; lauter Dinge, vor denen der eigentliche
Kunſtſinn erſchrickt, während der milde Sinn, der gelten läßt, ſich
ihnen zuneigt und des Strebens ſich freut. Aber, gut oder nicht,
es ſind nicht dieſe Schöpfungen einer ungeregelten Tiſchler-Phan-
taſie, bei denen wir länger verweilen, wir treten lieber aus dem
Paradiesvogel-Zimmer auf den Corridor hinaus und ſteigen einige
Stufen treppab, um nach jenem beſten Erinnerungsſtück des Hau-
ſes zu ſuchen, das vor 60 Jahren der Jubel eines heiteren Prin-
zen und der Schrecken alter Hofdamen war. Wir meinen natürlich
die Drehorgel. Da ſteht ſie verſtaubt im Keller. Wir legen die
Kurbel an, die ſich unter einem Ballen Flachs und Heede findet,
und beginnen zu drehen. Aber die Harmonie iſt hin. Die heitren
Töne ſpringen nicht mehr, wie elaſtiſch, vom Lager auf; lahm,
gebrochen, verſtimmt ziehen ſie langſam durch die Luft und hallen
düſter von der Kellerwand zurück. Sechszig Jahr — eine lange
Zeit. Die Heiterkeit manch’ zarterer Saite, manch’ feineren Inſtru-
ments, ſchlug um ſeitdem in Weh und Leid.
Schloß Freienwalde iſt unbewohnt jetzt. Von Zeit zu Zeit,
wie ſchon erzählt, hat es ſeine Gäſte, aber Laune und Zufall ge-
fallen ſich darin, die ſommerliche Villa vor Allem zu einem win-
terlichen Jagdſchloß zu machen. Im December, bei grauem Himmel,
wenn Weg und Steg unter fußhohem Schnee liegen, dann wird
es lebendig hier. Freilich nur auf Stunden.
Dann, um Mitternacht, mit Peitſchenknall und Schellengeläut,
jagen Schlitten durch die Straßen der tiefſtillen Stadt, den Berg
hinauf, den Park hindurch, bis vor das verſchneite Schloß. Fackeln
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/291>, abgerufen am 22.11.2024.
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