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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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Bau bezeichnen, der sich, in fast zu weit gehender architektonischer
Einfachheit, vorgesetzt zu haben scheint, unter Vermeidung jeglichen
Ornaments, rein durch die Proportionen, durch das richtige Ver-
hältniß der Formen zu wirken. Unter Laub und Blumen gelegen,
aus denen, malerisch unterbrochen, die gelben Wände hervorleuch-
ten, macht das Ganze einen durchaus heitern Eindruck, und doch
heißt es auch von diesen Mauern: "sie haben Leides viel gesehn",
stilles Leid, aber um so tiefer vielleicht, je stiller es getragen wurde.

Von dem Innern des Schlosses gilt dasselbe wie von seiner
äußern Erscheinung, -- es hat überwiegend den Charakter eines
Privathauses. Geräumige Zimmer, aber weder breite Treppen, noch
lange Corridore, weder Hallen noch Säle; ein Bau für eine Kö-
nigin-Wittwe, die sich selber leben will, nicht für eine Königin,
die Andren leben muß. Die Ausschmückung und Herrichtung ist
die übliche; nur statt des strengeren Stils der Außenseite begegnen
wir hier den Anklängen an die viel verurtheilte und doch so be-
hagliche Roccoco-Zeit. Chinesische Zimmer und Paradiesvogel-Zim-
mer wechseln unter einander ab, dazwischen Rosenstrauch-Tapeten
und buntbedruckte Kattune. In den Zimmern zerstreut stehen alte
Erinnerungsstücke, oft mehr absonderlich als schön, und mehr be-
merkenswerth um der Personen willen, denen sie zugehörten, als
um ihrer selbst willen. An solchen eigenthümlichen Werthstücken
sind die Schlösser der Hohenzollern reich, und wie in manchem
andern, so giebt sich auch hierin eine Eigenthümlichkeit ihres Hau-
ses zu erkennen. Sie haben nämlich nicht das Bedürfniß, sich aus-
schließlich mit hoher, mit besternter Kunst zu umgeben, sondern mit
Bereitwilligkeit, ja mit Vorliebe fast, gönnen sie auch dem Niedrig-
gebornen in der Kunst, den mit schüchterner Hand geschehenen
Versuchen, den Zutritt in ihr Haus. Wer die Zimmer kennt,
die Friedrich Wilhelm III. zu bewohnen pflegte, wird diese Be-
merkung am ehesten verstehn. Es spricht sich beides in dieser Er-
scheinung aus, -- ein Mangel und ein Vorzug. Die Hohen-
zollern waren nicht immer ästhetisch-feinfühlig, aber sie waren
jederzeit human.


Bau bezeichnen, der ſich, in faſt zu weit gehender architektoniſcher
Einfachheit, vorgeſetzt zu haben ſcheint, unter Vermeidung jeglichen
Ornaments, rein durch die Proportionen, durch das richtige Ver-
hältniß der Formen zu wirken. Unter Laub und Blumen gelegen,
aus denen, maleriſch unterbrochen, die gelben Wände hervorleuch-
ten, macht das Ganze einen durchaus heitern Eindruck, und doch
heißt es auch von dieſen Mauern: „ſie haben Leides viel geſehn“,
ſtilles Leid, aber um ſo tiefer vielleicht, je ſtiller es getragen wurde.

Von dem Innern des Schloſſes gilt daſſelbe wie von ſeiner
äußern Erſcheinung, — es hat überwiegend den Charakter eines
Privathauſes. Geräumige Zimmer, aber weder breite Treppen, noch
lange Corridore, weder Hallen noch Säle; ein Bau für eine Kö-
nigin-Wittwe, die ſich ſelber leben will, nicht für eine Königin,
die Andren leben muß. Die Ausſchmückung und Herrichtung iſt
die übliche; nur ſtatt des ſtrengeren Stils der Außenſeite begegnen
wir hier den Anklängen an die viel verurtheilte und doch ſo be-
hagliche Roccoco-Zeit. Chineſiſche Zimmer und Paradiesvogel-Zim-
mer wechſeln unter einander ab, dazwiſchen Roſenſtrauch-Tapeten
und buntbedruckte Kattune. In den Zimmern zerſtreut ſtehen alte
Erinnerungsſtücke, oft mehr abſonderlich als ſchön, und mehr be-
merkenswerth um der Perſonen willen, denen ſie zugehörten, als
um ihrer ſelbſt willen. An ſolchen eigenthümlichen Werthſtücken
ſind die Schlöſſer der Hohenzollern reich, und wie in manchem
andern, ſo giebt ſich auch hierin eine Eigenthümlichkeit ihres Hau-
ſes zu erkennen. Sie haben nämlich nicht das Bedürfniß, ſich aus-
ſchließlich mit hoher, mit beſternter Kunſt zu umgeben, ſondern mit
Bereitwilligkeit, ja mit Vorliebe faſt, gönnen ſie auch dem Niedrig-
gebornen in der Kunſt, den mit ſchüchterner Hand geſchehenen
Verſuchen, den Zutritt in ihr Haus. Wer die Zimmer kennt,
die Friedrich Wilhelm III. zu bewohnen pflegte, wird dieſe Be-
merkung am eheſten verſtehn. Es ſpricht ſich beides in dieſer Er-
ſcheinung aus, — ein Mangel und ein Vorzug. Die Hohen-
zollern waren nicht immer äſthetiſch-feinfühlig, aber ſie waren
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[278/0290] Bau bezeichnen, der ſich, in faſt zu weit gehender architektoniſcher Einfachheit, vorgeſetzt zu haben ſcheint, unter Vermeidung jeglichen Ornaments, rein durch die Proportionen, durch das richtige Ver- hältniß der Formen zu wirken. Unter Laub und Blumen gelegen, aus denen, maleriſch unterbrochen, die gelben Wände hervorleuch- ten, macht das Ganze einen durchaus heitern Eindruck, und doch heißt es auch von dieſen Mauern: „ſie haben Leides viel geſehn“, ſtilles Leid, aber um ſo tiefer vielleicht, je ſtiller es getragen wurde. Von dem Innern des Schloſſes gilt daſſelbe wie von ſeiner äußern Erſcheinung, — es hat überwiegend den Charakter eines Privathauſes. Geräumige Zimmer, aber weder breite Treppen, noch lange Corridore, weder Hallen noch Säle; ein Bau für eine Kö- nigin-Wittwe, die ſich ſelber leben will, nicht für eine Königin, die Andren leben muß. Die Ausſchmückung und Herrichtung iſt die übliche; nur ſtatt des ſtrengeren Stils der Außenſeite begegnen wir hier den Anklängen an die viel verurtheilte und doch ſo be- hagliche Roccoco-Zeit. Chineſiſche Zimmer und Paradiesvogel-Zim- mer wechſeln unter einander ab, dazwiſchen Roſenſtrauch-Tapeten und buntbedruckte Kattune. In den Zimmern zerſtreut ſtehen alte Erinnerungsſtücke, oft mehr abſonderlich als ſchön, und mehr be- merkenswerth um der Perſonen willen, denen ſie zugehörten, als um ihrer ſelbſt willen. An ſolchen eigenthümlichen Werthſtücken ſind die Schlöſſer der Hohenzollern reich, und wie in manchem andern, ſo giebt ſich auch hierin eine Eigenthümlichkeit ihres Hau- ſes zu erkennen. Sie haben nämlich nicht das Bedürfniß, ſich aus- ſchließlich mit hoher, mit beſternter Kunſt zu umgeben, ſondern mit Bereitwilligkeit, ja mit Vorliebe faſt, gönnen ſie auch dem Niedrig- gebornen in der Kunſt, den mit ſchüchterner Hand geſchehenen Verſuchen, den Zutritt in ihr Haus. Wer die Zimmer kennt, die Friedrich Wilhelm III. zu bewohnen pflegte, wird dieſe Be- merkung am eheſten verſtehn. Es ſpricht ſich beides in dieſer Er- ſcheinung aus, — ein Mangel und ein Vorzug. Die Hohen- zollern waren nicht immer äſthetiſch-feinfühlig, aber ſie waren jederzeit human.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/290>, abgerufen am 10.05.2024.