Meine Wolle ist 20 Prozent geringer verkauft, wie im vorigen Jahre, aber um 20 Prozent höher, wie irgend eine Wolle hier und in ganz Deutschland verkauft ist und werden wird. Unter allen Wollhändlern und allen Wollproducenten ist es ganz ent- schieden angenommen, daß meiner Wolle keine in ganz Europa nahe komme, viel weniger ihr an die Seite zu setzen sei. Dies ist so das Tagesgespräch geworden und so über das Gemeine hin- weggehoben, daß ich auch keine Spur des Neides bemerke. Jeder erkennt es an, daß ich das Außerordentliche errungen, worauf kein Anderer Anspruch machen kann. "Solche Wolle, sagt man, kann man erzeugen, denn Moeglin hat sie erzeugt." Wenn ich auf den Markt komme, so steht alles mit dem Hut in der Hand. Ich heiße bereits der Wollmarktskönig!"
Thaer erzielte dies alles durch sein Kreuzungs-Prinzip und die geschickte, scharfsinnige Handhabung desselben. Jedem wäre es freilich nicht geglückt. Einem sehr erfahrenen Wollhändler sagte er: "zeigen Sie mir nur irgend ein Vließ, wie Sie es zu haben wünschen und ich werde Ihnen in der dritten oder vierten Gene- ration einen Stamm herstellen, der nur solche Vließe liefert." Man hielt dies für Uebertreibung, überzeugte sich aber bald, daß er nicht zuviel gesagt hatte. Es glückte ihm mit der Wollpro- duktion, wie dem berühmten englischen Viehzüchter Backwell mit der Fleischproduktion, der Schafe herstellte, die vor Beleibtheit auf ihren kurzen Beinen kaum gehen konnten, so daß er sich ver- anlaßt sah, allmälig wieder Schafe mit längeren Beinen zu ma- chen. Man sagte von ihm: es sei, als ob er sich ein Schaf nach seinem Ideale schnitzen und demselben dann das Leben geben könne. Dies paßte auf Thaer so gut wie auf Backwell.
Es konnte nicht ausbleiben, daß das Thaer'sche Züchtungs- Verfahren, das geniale Operiren mit der Natur, auch Gegner fand. Diese warfen ihm vor, daß er bei seiner Art und Weise der Züchtung am Ende wohl gar die Natur dahin zu zwingen gedächte, wohin sie nicht wolle, und daß er sie dadurch schwächen und ermüden werde. Die Kunst aber werde nie die natürlichen
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Meine Wolle iſt 20 Prozent geringer verkauft, wie im vorigen Jahre, aber um 20 Prozent höher, wie irgend eine Wolle hier und in ganz Deutſchland verkauft iſt und werden wird. Unter allen Wollhändlern und allen Wollproducenten iſt es ganz ent- ſchieden angenommen, daß meiner Wolle keine in ganz Europa nahe komme, viel weniger ihr an die Seite zu ſetzen ſei. Dies iſt ſo das Tagesgeſpräch geworden und ſo über das Gemeine hin- weggehoben, daß ich auch keine Spur des Neides bemerke. Jeder erkennt es an, daß ich das Außerordentliche errungen, worauf kein Anderer Anſpruch machen kann. „Solche Wolle, ſagt man, kann man erzeugen, denn Moeglin hat ſie erzeugt.“ Wenn ich auf den Markt komme, ſo ſteht alles mit dem Hut in der Hand. Ich heiße bereits der Wollmarktskönig!“
Thaer erzielte dies alles durch ſein Kreuzungs-Prinzip und die geſchickte, ſcharfſinnige Handhabung deſſelben. Jedem wäre es freilich nicht geglückt. Einem ſehr erfahrenen Wollhändler ſagte er: „zeigen Sie mir nur irgend ein Vließ, wie Sie es zu haben wünſchen und ich werde Ihnen in der dritten oder vierten Gene- ration einen Stamm herſtellen, der nur ſolche Vließe liefert.“ Man hielt dies für Uebertreibung, überzeugte ſich aber bald, daß er nicht zuviel geſagt hatte. Es glückte ihm mit der Wollpro- duktion, wie dem berühmten engliſchen Viehzüchter Backwell mit der Fleiſchproduktion, der Schafe herſtellte, die vor Beleibtheit auf ihren kurzen Beinen kaum gehen konnten, ſo daß er ſich ver- anlaßt ſah, allmälig wieder Schafe mit längeren Beinen zu ma- chen. Man ſagte von ihm: es ſei, als ob er ſich ein Schaf nach ſeinem Ideale ſchnitzen und demſelben dann das Leben geben könne. Dies paßte auf Thaer ſo gut wie auf Backwell.
Es konnte nicht ausbleiben, daß das Thaer’ſche Züchtungs- Verfahren, das geniale Operiren mit der Natur, auch Gegner fand. Dieſe warfen ihm vor, daß er bei ſeiner Art und Weiſe der Züchtung am Ende wohl gar die Natur dahin zu zwingen gedächte, wohin ſie nicht wolle, und daß er ſie dadurch ſchwächen und ermüden werde. Die Kunſt aber werde nie die natürlichen
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Meine Wolle iſt 20 Prozent geringer verkauft, wie im vorigen
Jahre, aber um 20 Prozent höher, wie irgend eine Wolle hier
und in ganz Deutſchland verkauft iſt und werden wird. Unter
allen Wollhändlern und allen Wollproducenten iſt es ganz ent-
ſchieden angenommen, daß meiner Wolle keine in ganz Europa
nahe komme, viel weniger ihr an die Seite zu ſetzen ſei. Dies
iſt ſo das Tagesgeſpräch geworden und ſo über das Gemeine hin-
weggehoben, daß ich auch keine Spur des Neides bemerke. Jeder
erkennt es an, daß ich das Außerordentliche errungen, worauf kein
Anderer Anſpruch machen kann. „Solche Wolle, ſagt man, kann
man erzeugen, denn Moeglin hat ſie erzeugt.“ Wenn ich auf
den Markt komme, ſo ſteht alles mit dem Hut in der Hand. Ich
heiße bereits der Wollmarktskönig!“
Thaer erzielte dies alles durch ſein Kreuzungs-Prinzip
und die geſchickte, ſcharfſinnige Handhabung deſſelben. Jedem wäre
es freilich nicht geglückt. Einem ſehr erfahrenen Wollhändler ſagte
er: „zeigen Sie mir nur irgend ein Vließ, wie Sie es zu haben
wünſchen und ich werde Ihnen in der dritten oder vierten Gene-
ration einen Stamm herſtellen, der nur ſolche Vließe liefert.“
Man hielt dies für Uebertreibung, überzeugte ſich aber bald, daß
er nicht zuviel geſagt hatte. Es glückte ihm mit der Wollpro-
duktion, wie dem berühmten engliſchen Viehzüchter Backwell mit
der Fleiſchproduktion, der Schafe herſtellte, die vor Beleibtheit
auf ihren kurzen Beinen kaum gehen konnten, ſo daß er ſich ver-
anlaßt ſah, allmälig wieder Schafe mit längeren Beinen zu ma-
chen. Man ſagte von ihm: es ſei, als ob er ſich ein Schaf nach
ſeinem Ideale ſchnitzen und demſelben dann das Leben geben
könne. Dies paßte auf Thaer ſo gut wie auf Backwell.
Es konnte nicht ausbleiben, daß das Thaer’ſche Züchtungs-
Verfahren, das geniale Operiren mit der Natur, auch Gegner
fand. Dieſe warfen ihm vor, daß er bei ſeiner Art und Weiſe
der Züchtung am Ende wohl gar die Natur dahin zu zwingen
gedächte, wohin ſie nicht wolle, und daß er ſie dadurch ſchwächen
und ermüden werde. Die Kunſt aber werde nie die natürlichen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/253>, abgerufen am 22.11.2024.
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