Er belächelte die Bauernweisheit, die damals, häufiger noch als jetzt, sich in dem Satze gefiel: "Ein günstiger Regen ist besser, als alles Geschreibse der Federfuchser," und zu seinen Lieblingssätzen gehörte der Ausspruch Zimmermanns: "Ein Trommelschläger, der in zwanzig Schlachten trommelte, weiß doch weniger vom Kriege, wie König Friedrich, als er eine gewonnen hatte." Gegen die Trommelschläger, die in zwanzig Schlachten getrommelt, zog Thaer jetzt zu Felde; auch seine ärztliche Praxis mochte ihm gezeigt ha- ben, daß es mit der "Erfahrung" untergeordneter Naturen ein eigen Ding ist und daß sie nur da belehrt, wo eine Neigung vor- handen ist, sich belehren zu lassen. Wo diese Neigung fehlt, glau- ben die Männer der Erfahrung wohl an Tücken der Natur, aber nie an Fehler des Systems.
Thaer begann die Anfänge einer rationellen Landwirthschaft in seinem Kopfe allmählig auszuarbeiten und fing mit der Auf- stellung gewisser Probleme an. Das erste Problem, dessen Lösung er zustrebte, war folgendes:
die größte Masse zur thierischen Nahrung geeigneter Pflan- zen auf einer bestimmten Fläche Landes zu gewinnen.
Das zweite nicht minder wichtige Problem bestand darin:
die verschiedenen Fruchtkräfte jedes Bodens für die ver- schiedenen ihrer bedürftigen Fruchtarten so viel als möglich und in einer der Regeneration des Absorbirten günstigen Wechselfolge zu benutzen; also die Brache ent- behrlich zu machen.
Die Lösung des ersten Problems fand er im Anbau der Fut- tergewächse, ganz besonders der Kartoffel, die Lösung des zwei- ten Problems in der seitdem siegreich durchgedrungenen "Lehre von der Fruchtfolge."
Für die Kartoffel trat er überall in die Schranken und widerlegte alte Vorurtheile. Er wies darauf hin, daß die Irlän- der die stärksten und ältesten Kartoffelesser und zugleich, unter allen europäischen Racen, vielleicht die gesundeste, kräftigste und schönste seien; und dem Grafen Podewils, der ihn auf diesem Ge-
Er belächelte die Bauernweisheit, die damals, häufiger noch als jetzt, ſich in dem Satze gefiel: „Ein günſtiger Regen iſt beſſer, als alles Geſchreibſe der Federfuchſer,“ und zu ſeinen Lieblingsſätzen gehörte der Ausſpruch Zimmermanns: „Ein Trommelſchläger, der in zwanzig Schlachten trommelte, weiß doch weniger vom Kriege, wie König Friedrich, als er eine gewonnen hatte.“ Gegen die Trommelſchläger, die in zwanzig Schlachten getrommelt, zog Thaer jetzt zu Felde; auch ſeine ärztliche Praxis mochte ihm gezeigt ha- ben, daß es mit der „Erfahrung“ untergeordneter Naturen ein eigen Ding iſt und daß ſie nur da belehrt, wo eine Neigung vor- handen iſt, ſich belehren zu laſſen. Wo dieſe Neigung fehlt, glau- ben die Männer der Erfahrung wohl an Tücken der Natur, aber nie an Fehler des Syſtems.
Thaer begann die Anfänge einer rationellen Landwirthſchaft in ſeinem Kopfe allmählig auszuarbeiten und fing mit der Auf- ſtellung gewiſſer Probleme an. Das erſte Problem, deſſen Löſung er zuſtrebte, war folgendes:
die größte Maſſe zur thieriſchen Nahrung geeigneter Pflan- zen auf einer beſtimmten Fläche Landes zu gewinnen.
Das zweite nicht minder wichtige Problem beſtand darin:
die verſchiedenen Fruchtkräfte jedes Bodens für die ver- ſchiedenen ihrer bedürftigen Fruchtarten ſo viel als möglich und in einer der Regeneration des Abſorbirten günſtigen Wechſelfolge zu benutzen; alſo die Brache ent- behrlich zu machen.
Die Löſung des erſten Problems fand er im Anbau der Fut- tergewächſe, ganz beſonders der Kartoffel, die Löſung des zwei- ten Problems in der ſeitdem ſiegreich durchgedrungenen „Lehre von der Fruchtfolge.“
Für die Kartoffel trat er überall in die Schranken und widerlegte alte Vorurtheile. Er wies darauf hin, daß die Irlän- der die ſtärkſten und älteſten Kartoffeleſſer und zugleich, unter allen europäiſchen Racen, vielleicht die geſundeſte, kräftigſte und ſchönſte ſeien; und dem Grafen Podewils, der ihn auf dieſem Ge-
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Er belächelte die Bauernweisheit, die damals, häufiger noch als
jetzt, ſich in dem Satze gefiel: „Ein günſtiger Regen iſt beſſer, als
alles Geſchreibſe der Federfuchſer,“ und zu ſeinen Lieblingsſätzen
gehörte der Ausſpruch Zimmermanns: „Ein Trommelſchläger, der
in zwanzig Schlachten trommelte, weiß doch weniger vom Kriege,
wie König Friedrich, als er eine gewonnen hatte.“ Gegen die
Trommelſchläger, die in zwanzig Schlachten getrommelt, zog Thaer
jetzt zu Felde; auch ſeine ärztliche Praxis mochte ihm gezeigt ha-
ben, daß es mit der „Erfahrung“ untergeordneter Naturen ein
eigen Ding iſt und daß ſie nur da belehrt, wo eine Neigung vor-
handen iſt, ſich belehren zu laſſen. Wo dieſe Neigung fehlt, glau-
ben die Männer der Erfahrung wohl an Tücken der Natur, aber
nie an Fehler des Syſtems.
Thaer begann die Anfänge einer rationellen Landwirthſchaft
in ſeinem Kopfe allmählig auszuarbeiten und fing mit der Auf-
ſtellung gewiſſer Probleme an. Das erſte Problem, deſſen Löſung
er zuſtrebte, war folgendes:
die größte Maſſe zur thieriſchen Nahrung geeigneter Pflan-
zen auf einer beſtimmten Fläche Landes zu gewinnen.
Das zweite nicht minder wichtige Problem beſtand darin:
die verſchiedenen Fruchtkräfte jedes Bodens für die ver-
ſchiedenen ihrer bedürftigen Fruchtarten ſo viel als möglich
und in einer der Regeneration des Abſorbirten
günſtigen Wechſelfolge zu benutzen; alſo die Brache ent-
behrlich zu machen.
Die Löſung des erſten Problems fand er im Anbau der Fut-
tergewächſe, ganz beſonders der Kartoffel, die Löſung des zwei-
ten Problems in der ſeitdem ſiegreich durchgedrungenen „Lehre von
der Fruchtfolge.“
Für die Kartoffel trat er überall in die Schranken und
widerlegte alte Vorurtheile. Er wies darauf hin, daß die Irlän-
der die ſtärkſten und älteſten Kartoffeleſſer und zugleich, unter
allen europäiſchen Racen, vielleicht die geſundeſte, kräftigſte und
ſchönſte ſeien; und dem Grafen Podewils, der ihn auf dieſem Ge-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/244>, abgerufen am 23.11.2024.
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