schwarzseidnes Kopftuch. Der rothe Friesrock ist das ständige und die Schürze ist jedesmal um eine Handbreit länger als der Rock. Wie Alltag oder Sonntag, macht natürlich auch arm oder reich einen Unterschied. Bei den Armen legt sich der Friesrock in wenige, bei den Reichen in viele Falten und er er- reicht seine Höhe (wenigstens sprüchwörtlich, gezählt habe ich sie nicht), wenn er so viele Falten hat, wie Tage im Jahre. Auch das Leibchen ist seinem Stoff nach verschieden: Cattun, Tuch, Manchester (der letztere ein sehr bevorzugter Stoff) wechseln ab, aber immer dunkelfarbig und immer beblümt. Weiße Zwickelstrümpfe vollenden den Anzug und massive silberne Ohrgehänge sind beliebt.
Diese wendische Tracht nimmt sich höchst malerisch aus und ist so ziemlich die kleidsamste unter allen Nationaltrachten, die mir in den verschiednen Theilen Deutschlands vorgekommen sind. Es ist damit durchaus kein übertriebnes Lob gespendet, da diese Na- tionaltrachten, so sehr wir sie lieben und so sehr wir ihrer Con- servirung das Wort reden möchten, doch vielfach nichts weniger als schön zu nennen sind. Oft sind sie entschieden häßlich. Wir erinnern nur an die Altenburgerinnen, die wie steif ausgestopfte Bachstelzen einherschreiten. Alle diese Nationaltrachten indeß, ob schön oder häßlich, sind meist sehr kostspielig zu beschaffen und die- ser Umstand hat entschieden mitgewirkt, der städtischen Mode, oder mit andern Worten, dem billigen Cattunkleide den Eingang zu verschaffen. Auch in Quilitz -- das, nachdem es dem Staats- kanzler, Fürsten Hardenberg, als Dotation zugefallen war, den Namen Neu-Hardenberg erhielt -- würden wir höchst wahrschein- lich dasselbe erlebt haben, wenn nicht jener moralische Zwang, den die Aussicht auf Gewinn und jeglichen Vortheil übt, zu einer halbkünstlichen Conservirung der alten Sitte geführt hätte. Schon der Fürst-Staatskanzler, der ein feines Auge für derlei Dinge hatte, hielt darauf, daß die Frauen und Mädchen des Dorfs in der alten malerischen Tracht vor ihm erscheinen mußten und jede Magd, die einen Dienst im Schlosse will, kann ihn, auch jetzt noch, nur antreten, wenn sie sich zu Mieder, Kopftuch und Fries-
ſchwarzſeidnes Kopftuch. Der rothe Friesrock iſt das ſtändige und die Schürze iſt jedesmal um eine Handbreit länger als der Rock. Wie Alltag oder Sonntag, macht natürlich auch arm oder reich einen Unterſchied. Bei den Armen legt ſich der Friesrock in wenige, bei den Reichen in viele Falten und er er- reicht ſeine Höhe (wenigſtens ſprüchwörtlich, gezählt habe ich ſie nicht), wenn er ſo viele Falten hat, wie Tage im Jahre. Auch das Leibchen iſt ſeinem Stoff nach verſchieden: Cattun, Tuch, Mancheſter (der letztere ein ſehr bevorzugter Stoff) wechſeln ab, aber immer dunkelfarbig und immer beblümt. Weiße Zwickelſtrümpfe vollenden den Anzug und maſſive ſilberne Ohrgehänge ſind beliebt.
Dieſe wendiſche Tracht nimmt ſich höchſt maleriſch aus und iſt ſo ziemlich die kleidſamſte unter allen Nationaltrachten, die mir in den verſchiednen Theilen Deutſchlands vorgekommen ſind. Es iſt damit durchaus kein übertriebnes Lob geſpendet, da dieſe Na- tionaltrachten, ſo ſehr wir ſie lieben und ſo ſehr wir ihrer Con- ſervirung das Wort reden möchten, doch vielfach nichts weniger als ſchön zu nennen ſind. Oft ſind ſie entſchieden häßlich. Wir erinnern nur an die Altenburgerinnen, die wie ſteif ausgeſtopfte Bachſtelzen einherſchreiten. Alle dieſe Nationaltrachten indeß, ob ſchön oder häßlich, ſind meiſt ſehr koſtſpielig zu beſchaffen und die- ſer Umſtand hat entſchieden mitgewirkt, der ſtädtiſchen Mode, oder mit andern Worten, dem billigen Cattunkleide den Eingang zu verſchaffen. Auch in Quilitz — das, nachdem es dem Staats- kanzler, Fürſten Hardenberg, als Dotation zugefallen war, den Namen Neu-Hardenberg erhielt — würden wir höchſt wahrſchein- lich daſſelbe erlebt haben, wenn nicht jener moraliſche Zwang, den die Ausſicht auf Gewinn und jeglichen Vortheil übt, zu einer halbkünſtlichen Conſervirung der alten Sitte geführt hätte. Schon der Fürſt-Staatskanzler, der ein feines Auge für derlei Dinge hatte, hielt darauf, daß die Frauen und Mädchen des Dorfs in der alten maleriſchen Tracht vor ihm erſcheinen mußten und jede Magd, die einen Dienſt im Schloſſe will, kann ihn, auch jetzt noch, nur antreten, wenn ſie ſich zu Mieder, Kopftuch und Fries-
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ſchwarzſeidnes Kopftuch. Der rothe Friesrock iſt das ſtändige
und die Schürze iſt jedesmal um eine Handbreit länger
als der Rock. Wie Alltag oder Sonntag, macht natürlich auch
arm oder reich einen Unterſchied. Bei den Armen legt ſich der
Friesrock in wenige, bei den Reichen in viele Falten und er er-
reicht ſeine Höhe (wenigſtens ſprüchwörtlich, gezählt habe ich ſie
nicht), wenn er ſo viele Falten hat, wie Tage im Jahre. Auch
das Leibchen iſt ſeinem Stoff nach verſchieden: Cattun, Tuch,
Mancheſter (der letztere ein ſehr bevorzugter Stoff) wechſeln ab,
aber immer dunkelfarbig und immer beblümt. Weiße Zwickelſtrümpfe
vollenden den Anzug und maſſive ſilberne Ohrgehänge ſind beliebt.
Dieſe wendiſche Tracht nimmt ſich höchſt maleriſch aus und
iſt ſo ziemlich die kleidſamſte unter allen Nationaltrachten, die mir
in den verſchiednen Theilen Deutſchlands vorgekommen ſind. Es
iſt damit durchaus kein übertriebnes Lob geſpendet, da dieſe Na-
tionaltrachten, ſo ſehr wir ſie lieben und ſo ſehr wir ihrer Con-
ſervirung das Wort reden möchten, doch vielfach nichts weniger
als ſchön zu nennen ſind. Oft ſind ſie entſchieden häßlich. Wir
erinnern nur an die Altenburgerinnen, die wie ſteif ausgeſtopfte
Bachſtelzen einherſchreiten. Alle dieſe Nationaltrachten indeß, ob
ſchön oder häßlich, ſind meiſt ſehr koſtſpielig zu beſchaffen und die-
ſer Umſtand hat entſchieden mitgewirkt, der ſtädtiſchen Mode, oder
mit andern Worten, dem billigen Cattunkleide den Eingang zu
verſchaffen. Auch in Quilitz — das, nachdem es dem Staats-
kanzler, Fürſten Hardenberg, als Dotation zugefallen war, den
Namen Neu-Hardenberg erhielt — würden wir höchſt wahrſchein-
lich daſſelbe erlebt haben, wenn nicht jener moraliſche Zwang, den
die Ausſicht auf Gewinn und jeglichen Vortheil übt, zu einer
halbkünſtlichen Conſervirung der alten Sitte geführt hätte. Schon
der Fürſt-Staatskanzler, der ein feines Auge für derlei Dinge
hatte, hielt darauf, daß die Frauen und Mädchen des Dorfs in
der alten maleriſchen Tracht vor ihm erſcheinen mußten und jede
Magd, die einen Dienſt im Schloſſe will, kann ihn, auch jetzt
noch, nur antreten, wenn ſie ſich zu Mieder, Kopftuch und Fries-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/225>, abgerufen am 25.11.2024.
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