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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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rektes ist nicht da, oder noch nicht aufgefunden, und kein Haus
oder Gehöft existirt, das -- einen bestimmten Anhaltepunkt bie-
tend -- bis in die Wendenzeit, trotzdem diese lange Zeit hindurch
ihr Dasein hier fristete, zurückreichte. In der That, alles was
im Bruche lebte, war nur Außenposten, oft auch (wenigstens
moralisch genommen) verlorner Posten, der mehr und mehr unter
deutsche Cultur gerathenen Randdörfer, zu denen sich die Bruch-
dörfer, ihrer Mehrzahl nach, wie die verachteten "Kietze" zu den
deutsch gewordenen Städten verhielten. Die damals reicheren, halb-
germanisirten Dörfer "auf der Höhe", kümmerten sich wenig um
diese ihre wendischen Bruch-Anhängsel (die Sumpf-Stationen
oder Wiesenvorwerke waren), und dieses sich nicht um sie küm-
mern, bewahrte ihnen natürlich gewisse alt-wendische Eigenthüm-
lichkeiten. Aber freilich diese Indifferenz wurde gleichzeitig auch die
Ursach, daß Niemand sich der Mühe unterzog, über diese mehr
und mehr von deutschen Elementen eingesponnene Wenden-Insel
bestimmte Aufzeichnungen zu machen. Ein geübtes Auge würde
vielleicht auch heute noch in der aus den verschiedensten Elementen
gemischten Bevölkerung der Bruchdörfer, eine Fülle speziell wen-
discher Eigenthümlichkeiten herauslesen können; es gehört aber
dazu eine so exakte Kenntniß der verschiedenen slavischen und deut-
schen Stammes-Eigenthümlichkeiten, daß ich es nicht wage, mich
in solche Scheidungen und Bestimmungen einzulassen.

Ich gebe zunächst nun das Wenige, was ich über die alten
wendischen Bruchdörfer und ihre Bewohner als direkte Schil-
derung aus älterer Zeit her habe auffinden können.

"Die Dörfer im Bruch -- so sagt eine in Buchholtz Ge-
schichte der Churmark Brandenburg abgedruckte Schilderung (Vor-
rede zu Band II.) -- lagen vor der Eindeichung und Neu-Be-
setzung dieses ehemaligen Sumpflandes auf einem Haufen mit
ihren Häusern (d. h. also weder vereinzelt, noch in lang-
gestreckter
Linie) und waren meistens von gewaltigen, häuser-
hohen Wällen -- von Kuhmist aufgeführt -- umzingelt, die ih-
nen Schutz vor Wind und Wetter und vor den Wasserfluthen

rektes iſt nicht da, oder noch nicht aufgefunden, und kein Haus
oder Gehöft exiſtirt, das — einen beſtimmten Anhaltepunkt bie-
tend — bis in die Wendenzeit, trotzdem dieſe lange Zeit hindurch
ihr Daſein hier friſtete, zurückreichte. In der That, alles was
im Bruche lebte, war nur Außenpoſten, oft auch (wenigſtens
moraliſch genommen) verlorner Poſten, der mehr und mehr unter
deutſche Cultur gerathenen Randdörfer, zu denen ſich die Bruch-
dörfer, ihrer Mehrzahl nach, wie die verachteten „Kietze“ zu den
deutſch gewordenen Städten verhielten. Die damals reicheren, halb-
germaniſirten Dörfer „auf der Höhe“, kümmerten ſich wenig um
dieſe ihre wendiſchen Bruch-Anhängſel (die Sumpf-Stationen
oder Wieſenvorwerke waren), und dieſes ſich nicht um ſie küm-
mern, bewahrte ihnen natürlich gewiſſe alt-wendiſche Eigenthüm-
lichkeiten. Aber freilich dieſe Indifferenz wurde gleichzeitig auch die
Urſach, daß Niemand ſich der Mühe unterzog, über dieſe mehr
und mehr von deutſchen Elementen eingeſponnene Wenden-Inſel
beſtimmte Aufzeichnungen zu machen. Ein geübtes Auge würde
vielleicht auch heute noch in der aus den verſchiedenſten Elementen
gemiſchten Bevölkerung der Bruchdörfer, eine Fülle ſpeziell wen-
diſcher Eigenthümlichkeiten herausleſen können; es gehört aber
dazu eine ſo exakte Kenntniß der verſchiedenen ſlaviſchen und deut-
ſchen Stammes-Eigenthümlichkeiten, daß ich es nicht wage, mich
in ſolche Scheidungen und Beſtimmungen einzulaſſen.

Ich gebe zunächſt nun das Wenige, was ich über die alten
wendiſchen Bruchdörfer und ihre Bewohner als direkte Schil-
derung aus älterer Zeit her habe auffinden können.

„Die Dörfer im Bruch — ſo ſagt eine in Buchholtz Ge-
ſchichte der Churmark Brandenburg abgedruckte Schilderung (Vor-
rede zu Band II.) — lagen vor der Eindeichung und Neu-Be-
ſetzung dieſes ehemaligen Sumpflandes auf einem Haufen mit
ihren Häuſern (d. h. alſo weder vereinzelt, noch in lang-
geſtreckter
Linie) und waren meiſtens von gewaltigen, häuſer-
hohen Wällen — von Kuhmiſt aufgeführt — umzingelt, die ih-
nen Schutz vor Wind und Wetter und vor den Waſſerfluthen

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[206/0218] rektes iſt nicht da, oder noch nicht aufgefunden, und kein Haus oder Gehöft exiſtirt, das — einen beſtimmten Anhaltepunkt bie- tend — bis in die Wendenzeit, trotzdem dieſe lange Zeit hindurch ihr Daſein hier friſtete, zurückreichte. In der That, alles was im Bruche lebte, war nur Außenpoſten, oft auch (wenigſtens moraliſch genommen) verlorner Poſten, der mehr und mehr unter deutſche Cultur gerathenen Randdörfer, zu denen ſich die Bruch- dörfer, ihrer Mehrzahl nach, wie die verachteten „Kietze“ zu den deutſch gewordenen Städten verhielten. Die damals reicheren, halb- germaniſirten Dörfer „auf der Höhe“, kümmerten ſich wenig um dieſe ihre wendiſchen Bruch-Anhängſel (die Sumpf-Stationen oder Wieſenvorwerke waren), und dieſes ſich nicht um ſie küm- mern, bewahrte ihnen natürlich gewiſſe alt-wendiſche Eigenthüm- lichkeiten. Aber freilich dieſe Indifferenz wurde gleichzeitig auch die Urſach, daß Niemand ſich der Mühe unterzog, über dieſe mehr und mehr von deutſchen Elementen eingeſponnene Wenden-Inſel beſtimmte Aufzeichnungen zu machen. Ein geübtes Auge würde vielleicht auch heute noch in der aus den verſchiedenſten Elementen gemiſchten Bevölkerung der Bruchdörfer, eine Fülle ſpeziell wen- diſcher Eigenthümlichkeiten herausleſen können; es gehört aber dazu eine ſo exakte Kenntniß der verſchiedenen ſlaviſchen und deut- ſchen Stammes-Eigenthümlichkeiten, daß ich es nicht wage, mich in ſolche Scheidungen und Beſtimmungen einzulaſſen. Ich gebe zunächſt nun das Wenige, was ich über die alten wendiſchen Bruchdörfer und ihre Bewohner als direkte Schil- derung aus älterer Zeit her habe auffinden können. „Die Dörfer im Bruch — ſo ſagt eine in Buchholtz Ge- ſchichte der Churmark Brandenburg abgedruckte Schilderung (Vor- rede zu Band II.) — lagen vor der Eindeichung und Neu-Be- ſetzung dieſes ehemaligen Sumpflandes auf einem Haufen mit ihren Häuſern (d. h. alſo weder vereinzelt, noch in lang- geſtreckter Linie) und waren meiſtens von gewaltigen, häuſer- hohen Wällen — von Kuhmiſt aufgeführt — umzingelt, die ih- nen Schutz vor Wind und Wetter und vor den Waſſerfluthen

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/218>, abgerufen am 27.04.2024.