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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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chen etwa halbwegs zwischen Tilsit und Riga, und nur fünf Mei-
len noch von der kurischen Grenze (damals schwedisch) entfernt.
Hier beschloß Horn, der ohnehin mit Beschämung wahrgenommen
haben mochte, daß der verfolgende Gegner um vieles schwächer
war als er selbst, das Glück der Waffen noch einmal zu versuchen,
und ziemlich unvermuthet, wie es scheint, sahen sich Schöning und
seine Brandenburger plötzlich einem standhaltenden Gegner gegen-
über, den man sich gewöhnt hatte, auf diesen Schneefeldern zu
verfolgen, nicht zu bekämpfen. Vom Augenblick ab, wo sich Horn
zu dem Entschluß eines Widerstandes aufraffte, war die Lage
Schönings eine sehr bedrohte. Nichtsiegen war gleichbedeutend mit
völligem Zugrundegehen. So kam es zum Gefecht bei Telcze.

Horn hatte von seinen 16,000 noch etwa 3000 Mann und
eine ziemliche Anzahl von Geschützen; Schöning, da die bittere
Kälte viel Menschenleben gekostet hatte, verfügte über wenig mehr
als 1200 Reiter und Dragoner. Die Aufstellung, die er nahm,
war kurz folgende: die Reiterei in zwei Treffen, in Front des
Feindes; die Dragoner, nachdem sie abgesessen, in ein links und
rechts gelegenes Gehölz, um im entscheidenden Moment die Schwe-
den in beiden Flanken nehmen zu können. Diese glückliche Terrain-
benutzung entschied den Tag. Oberst von Dewitz (ein Schwieger-
sohn Derfflingers) eröffnete den Angriff und warf einige Com-
pagnien schwedischen Fußvolks über den Haufen; aber er drang
nicht durch und die Gegner ihrerseits machten jetzt Miene, zum
Angriff überzugehen. In diesem Augenblick ließ Schöning die
Dragoner aufsitzen und brach von zwei Seiten her mit Ungestüm
in die vorrückenden Schweden ein. Ein Gemetzel begann, da jeder
instinktmäßig fühlte, daß fliehen verderblicher sei als fechten, und
erst die hereinbrechende Nacht machte dem Kampf ein Ende. Keiner
hatte ein Recht, sich den Sieg zuzuschreiben, aber die Schweden
zogen sich in der Dunkelheit zurück und erklärten sich dadurch für
geschlagen. Die Verluste waren auf beiden Seiten ungeheuer; die
feindlichen Offiziere hatten, während des ganzen Kampfes, immer
in langer Linie vor der Front ihrer eigenen Leute gefochten und

chen etwa halbwegs zwiſchen Tilſit und Riga, und nur fünf Mei-
len noch von der kuriſchen Grenze (damals ſchwediſch) entfernt.
Hier beſchloß Horn, der ohnehin mit Beſchämung wahrgenommen
haben mochte, daß der verfolgende Gegner um vieles ſchwächer
war als er ſelbſt, das Glück der Waffen noch einmal zu verſuchen,
und ziemlich unvermuthet, wie es ſcheint, ſahen ſich Schöning und
ſeine Brandenburger plötzlich einem ſtandhaltenden Gegner gegen-
über, den man ſich gewöhnt hatte, auf dieſen Schneefeldern zu
verfolgen, nicht zu bekämpfen. Vom Augenblick ab, wo ſich Horn
zu dem Entſchluß eines Widerſtandes aufraffte, war die Lage
Schönings eine ſehr bedrohte. Nichtſiegen war gleichbedeutend mit
völligem Zugrundegehen. So kam es zum Gefecht bei Telcze.

Horn hatte von ſeinen 16,000 noch etwa 3000 Mann und
eine ziemliche Anzahl von Geſchützen; Schöning, da die bittere
Kälte viel Menſchenleben gekoſtet hatte, verfügte über wenig mehr
als 1200 Reiter und Dragoner. Die Aufſtellung, die er nahm,
war kurz folgende: die Reiterei in zwei Treffen, in Front des
Feindes; die Dragoner, nachdem ſie abgeſeſſen, in ein links und
rechts gelegenes Gehölz, um im entſcheidenden Moment die Schwe-
den in beiden Flanken nehmen zu können. Dieſe glückliche Terrain-
benutzung entſchied den Tag. Oberſt von Dewitz (ein Schwieger-
ſohn Derfflingers) eröffnete den Angriff und warf einige Com-
pagnien ſchwediſchen Fußvolks über den Haufen; aber er drang
nicht durch und die Gegner ihrerſeits machten jetzt Miene, zum
Angriff überzugehen. In dieſem Augenblick ließ Schöning die
Dragoner aufſitzen und brach von zwei Seiten her mit Ungeſtüm
in die vorrückenden Schweden ein. Ein Gemetzel begann, da jeder
inſtinktmäßig fühlte, daß fliehen verderblicher ſei als fechten, und
erſt die hereinbrechende Nacht machte dem Kampf ein Ende. Keiner
hatte ein Recht, ſich den Sieg zuzuſchreiben, aber die Schweden
zogen ſich in der Dunkelheit zurück und erklärten ſich dadurch für
geſchlagen. Die Verluſte waren auf beiden Seiten ungeheuer; die
feindlichen Offiziere hatten, während des ganzen Kampfes, immer
in langer Linie vor der Front ihrer eigenen Leute gefochten und

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[24/0036] chen etwa halbwegs zwiſchen Tilſit und Riga, und nur fünf Mei- len noch von der kuriſchen Grenze (damals ſchwediſch) entfernt. Hier beſchloß Horn, der ohnehin mit Beſchämung wahrgenommen haben mochte, daß der verfolgende Gegner um vieles ſchwächer war als er ſelbſt, das Glück der Waffen noch einmal zu verſuchen, und ziemlich unvermuthet, wie es ſcheint, ſahen ſich Schöning und ſeine Brandenburger plötzlich einem ſtandhaltenden Gegner gegen- über, den man ſich gewöhnt hatte, auf dieſen Schneefeldern zu verfolgen, nicht zu bekämpfen. Vom Augenblick ab, wo ſich Horn zu dem Entſchluß eines Widerſtandes aufraffte, war die Lage Schönings eine ſehr bedrohte. Nichtſiegen war gleichbedeutend mit völligem Zugrundegehen. So kam es zum Gefecht bei Telcze. Horn hatte von ſeinen 16,000 noch etwa 3000 Mann und eine ziemliche Anzahl von Geſchützen; Schöning, da die bittere Kälte viel Menſchenleben gekoſtet hatte, verfügte über wenig mehr als 1200 Reiter und Dragoner. Die Aufſtellung, die er nahm, war kurz folgende: die Reiterei in zwei Treffen, in Front des Feindes; die Dragoner, nachdem ſie abgeſeſſen, in ein links und rechts gelegenes Gehölz, um im entſcheidenden Moment die Schwe- den in beiden Flanken nehmen zu können. Dieſe glückliche Terrain- benutzung entſchied den Tag. Oberſt von Dewitz (ein Schwieger- ſohn Derfflingers) eröffnete den Angriff und warf einige Com- pagnien ſchwediſchen Fußvolks über den Haufen; aber er drang nicht durch und die Gegner ihrerſeits machten jetzt Miene, zum Angriff überzugehen. In dieſem Augenblick ließ Schöning die Dragoner aufſitzen und brach von zwei Seiten her mit Ungeſtüm in die vorrückenden Schweden ein. Ein Gemetzel begann, da jeder inſtinktmäßig fühlte, daß fliehen verderblicher ſei als fechten, und erſt die hereinbrechende Nacht machte dem Kampf ein Ende. Keiner hatte ein Recht, ſich den Sieg zuzuſchreiben, aber die Schweden zogen ſich in der Dunkelheit zurück und erklärten ſich dadurch für geſchlagen. Die Verluſte waren auf beiden Seiten ungeheuer; die feindlichen Offiziere hatten, während des ganzen Kampfes, immer in langer Linie vor der Front ihrer eigenen Leute gefochten und

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/36>, abgerufen am 26.11.2024.