Alle hier herum. Und wenn ich mir mal einen Feierabend machen will, da nehm' ich ein Boot und rudere stromab, bis über Lebus hinaus. Wenn dann die Sonne untergeht und rechts und links die Glocken den Abend einläuten und meine Glocken da- zwischen, dann vergess' ich vieles, was mir im Leben schief ge- gangen ist und vergess' auch den "Turban" da. -- Dabei zeigte er auf die runde, kissenartige Mütze, die die Gipsfigurenhändler zu tra- gen pflegen und die jetzt, in Ermangelung eines anderen Platzes, der Goethe-Schiller-Statue über die Köpfe gestülpt war.
So plaudernd waren wir, eine Viertelstunde später, bis Le- bus gekommen. Der Gipsfigurenmann verabschiedete sich hier und während das Boot anlegte, hatt' ich Gelegenheit, die "alte Bi- schofsstadt" zu betrachten.
Freilich erinnert hier nichts mehr an die Tage alten Glanzes und alten Ruhmes. Die alte Kathedrale, das noch ältere Schloß, sie sind hin, und eines Lächelns kann man sich nicht erwehren, wenn man in alten Chroniken liest, daß um den Besitz von Lebus heiße Schlachten geschlagen wurden, daß hier die slavische und die germanische Welt, Polenkönige und thüringische Herzöge, in heißen Kämpfen zusammenstießen und daß der Schlachtruf mehr als ein- mal lautete: "Lebus oder der Tod". Unter allen aber, denen dieser Schlachtruf jetzt ein Lächeln abnöthigen wird, stehen die Lebuser selbst obenan. Ihr Stadtsiegel ist ein "Wolf mit einem Lamm im Rachen"; die neue Zeit ist der Wolf und Lebus selbst ist das Lamm. Mitleidslos wird es verschlungen.
Lebus, die Kathedralenstadt, ist hin, aber Lebus, das vor dreihundert Jahren einen fleißigen Weinbau trieb, das Lebus existirt noch. Wenigstens landschaftlich. Nicht daß es noch Wein an seinen Berglehnen zöge, nur eben der malerische Charakter eines Winzerstädtchens (wie sie in andern Theilen Deutschlands so oft sich finden) ist ihm erhalten geblieben.
Die Stadt, so klein sie ist, zerfällt in eine Ober- und Unter- stadt. Jene streckt sich (wenigstens vom Fluß aus gerechnet) in
Und alle für die Gegend hier?
Alle hier herum. Und wenn ich mir mal einen Feierabend machen will, da nehm’ ich ein Boot und rudere ſtromab, bis über Lebus hinaus. Wenn dann die Sonne untergeht und rechts und links die Glocken den Abend einläuten und meine Glocken da- zwiſchen, dann vergeſſ’ ich vieles, was mir im Leben ſchief ge- gangen iſt und vergeſſ’ auch den „Turban“ da. — Dabei zeigte er auf die runde, kiſſenartige Mütze, die die Gipsfigurenhändler zu tra- gen pflegen und die jetzt, in Ermangelung eines anderen Platzes, der Goethe-Schiller-Statue über die Köpfe geſtülpt war.
So plaudernd waren wir, eine Viertelſtunde ſpäter, bis Le- bus gekommen. Der Gipsfigurenmann verabſchiedete ſich hier und während das Boot anlegte, hatt’ ich Gelegenheit, die „alte Bi- ſchofsſtadt“ zu betrachten.
Freilich erinnert hier nichts mehr an die Tage alten Glanzes und alten Ruhmes. Die alte Kathedrale, das noch ältere Schloß, ſie ſind hin, und eines Lächelns kann man ſich nicht erwehren, wenn man in alten Chroniken lieſt, daß um den Beſitz von Lebus heiße Schlachten geſchlagen wurden, daß hier die ſlaviſche und die germaniſche Welt, Polenkönige und thüringiſche Herzöge, in heißen Kämpfen zuſammenſtießen und daß der Schlachtruf mehr als ein- mal lautete: „Lebus oder der Tod“. Unter allen aber, denen dieſer Schlachtruf jetzt ein Lächeln abnöthigen wird, ſtehen die Lebuſer ſelbſt obenan. Ihr Stadtſiegel iſt ein „Wolf mit einem Lamm im Rachen“; die neue Zeit iſt der Wolf und Lebus ſelbſt iſt das Lamm. Mitleidslos wird es verſchlungen.
Lebus, die Kathedralenſtadt, iſt hin, aber Lebus, das vor dreihundert Jahren einen fleißigen Weinbau trieb, das Lebus exiſtirt noch. Wenigſtens landſchaftlich. Nicht daß es noch Wein an ſeinen Berglehnen zöge, nur eben der maleriſche Charakter eines Winzerſtädtchens (wie ſie in andern Theilen Deutſchlands ſo oft ſich finden) iſt ihm erhalten geblieben.
Die Stadt, ſo klein ſie iſt, zerfällt in eine Ober- und Unter- ſtadt. Jene ſtreckt ſich (wenigſtens vom Fluß aus gerechnet) in
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Und alle für die Gegend hier?
Alle hier herum. Und wenn ich mir mal einen Feierabend
machen will, da nehm’ ich ein Boot und rudere ſtromab, bis über
Lebus hinaus. Wenn dann die Sonne untergeht und rechts und
links die Glocken den Abend einläuten und meine Glocken da-
zwiſchen, dann vergeſſ’ ich vieles, was mir im Leben ſchief ge-
gangen iſt und vergeſſ’ auch den „Turban“ da. — Dabei zeigte er
auf die runde, kiſſenartige Mütze, die die Gipsfigurenhändler zu tra-
gen pflegen und die jetzt, in Ermangelung eines anderen Platzes,
der Goethe-Schiller-Statue über die Köpfe geſtülpt war.
So plaudernd waren wir, eine Viertelſtunde ſpäter, bis Le-
bus gekommen. Der Gipsfigurenmann verabſchiedete ſich hier und
während das Boot anlegte, hatt’ ich Gelegenheit, die „alte Bi-
ſchofsſtadt“ zu betrachten.
Freilich erinnert hier nichts mehr an die Tage alten Glanzes
und alten Ruhmes. Die alte Kathedrale, das noch ältere Schloß,
ſie ſind hin, und eines Lächelns kann man ſich nicht erwehren,
wenn man in alten Chroniken lieſt, daß um den Beſitz von Lebus
heiße Schlachten geſchlagen wurden, daß hier die ſlaviſche und die
germaniſche Welt, Polenkönige und thüringiſche Herzöge, in heißen
Kämpfen zuſammenſtießen und daß der Schlachtruf mehr als ein-
mal lautete: „Lebus oder der Tod“. Unter allen aber, denen dieſer
Schlachtruf jetzt ein Lächeln abnöthigen wird, ſtehen die Lebuſer
ſelbſt obenan. Ihr Stadtſiegel iſt ein „Wolf mit einem Lamm im
Rachen“; die neue Zeit iſt der Wolf und Lebus ſelbſt iſt das
Lamm. Mitleidslos wird es verſchlungen.
Lebus, die Kathedralenſtadt, iſt hin, aber Lebus, das vor
dreihundert Jahren einen fleißigen Weinbau trieb, das Lebus
exiſtirt noch. Wenigſtens landſchaftlich. Nicht daß es noch Wein an
ſeinen Berglehnen zöge, nur eben der maleriſche Charakter eines
Winzerſtädtchens (wie ſie in andern Theilen Deutſchlands ſo oft
ſich finden) iſt ihm erhalten geblieben.
Die Stadt, ſo klein ſie iſt, zerfällt in eine Ober- und Unter-
ſtadt. Jene ſtreckt ſich (wenigſtens vom Fluß aus gerechnet) in
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/21>, abgerufen am 25.11.2024.
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