und nach kurzem Spatziergang unter den alten Eichen desselben in die lachenden Anlagen seines Gartens führt. Da blüht es und duftet es; Levkojen-Beete ziehen sich an den Steigen hin, Melonen werden gezogen und auf leis' ansteigender Erhöhung, ziemlich in- mitten des Gartens, erhebt sich der "Tempel," der Vereinigungs- ort des Kreises, den der Kronprinz hier allabendlich um sich ver- sammelt. Das Souterain enthält eine Küche, und der "Tempel" selber ist einer jener oft abgebildeten Pavillons, die auf sechs korinthischen Säulen ein flachgewölbtes Dach tragen und in den Parks und Gärten jener Epoche als Eßzimmer sich einer beson- deren Gunst erfreuten. Der Mond steht am Himmel, in dem dich- ten Gebüsch des benachbarten Walls schlagen die Nachtigallen, die Flamme der Ampel, die von der Decke herabhängt, brennt unbe- weglich, denn kein Lüftchen regt sich und keine frostig abwehrende Prinzlichkeit stört die Heiterkeit des Kreises. Noch ist kein Voltaire da, der seine Piquanterien mit graziöser Handbewegung präsentirt, noch fehlen die Algarotti, d'Argens und Lamettrie, all' die berühm- ten Namen einer späteren Epoche -- Offiziere seines Regiments sind es zunächst noch, die hier der Kronprinz um sich versammelt: v. Kleist, v. Rathenow, v. Schenkendorff, v. Groeben, v. Budden- brock, v. Wylich, vor allem -- Chasot. *)
Das Leben, das er mit diesen Offizieren führte, war frei von allen Fesseln der Etiquette, ja ein Uebermuth griff Platz, der unsern heutigen Vorstellungen von Anstand und guter Sitte kaum noch gefallen will. Fenstereinwerfen, Liebeshändel und Schwärmer abbrennen (zur Aengstigung von Frauen und Landpastoren) zählte zu den beliebtesten Unterhaltungsmitteln. Man war noch so un- philosophisch wie möglich.
*) Chevalier Chasot, der während der Rheincampagne (1734) im fran- zösischen Heere diente, hatte das Unglück, einen Anverwandten des Herzogs von Boufflers im Duell zu tödten. Er floh deshalb in das Lager des Prinzen Eugen, zunächst nicht, um in Dienst zu treten, sondern nur um ein Asyl zu finden. Beim Prinzen Eugen lernte ihn der Kronprinz kennen, dem er später nach Ruppin hin folgte.
und nach kurzem Spatziergang unter den alten Eichen deſſelben in die lachenden Anlagen ſeines Gartens führt. Da blüht es und duftet es; Levkojen-Beete ziehen ſich an den Steigen hin, Melonen werden gezogen und auf leiſ’ anſteigender Erhöhung, ziemlich in- mitten des Gartens, erhebt ſich der „Tempel,“ der Vereinigungs- ort des Kreiſes, den der Kronprinz hier allabendlich um ſich ver- ſammelt. Das Souterain enthält eine Küche, und der „Tempel“ ſelber iſt einer jener oft abgebildeten Pavillons, die auf ſechs korinthiſchen Säulen ein flachgewölbtes Dach tragen und in den Parks und Gärten jener Epoche als Eßzimmer ſich einer beſon- deren Gunſt erfreuten. Der Mond ſteht am Himmel, in dem dich- ten Gebüſch des benachbarten Walls ſchlagen die Nachtigallen, die Flamme der Ampel, die von der Decke herabhängt, brennt unbe- weglich, denn kein Lüftchen regt ſich und keine froſtig abwehrende Prinzlichkeit ſtört die Heiterkeit des Kreiſes. Noch iſt kein Voltaire da, der ſeine Piquanterien mit graziöſer Handbewegung präſentirt, noch fehlen die Algarotti, d’Argens und Lamettrie, all’ die berühm- ten Namen einer ſpäteren Epoche — Offiziere ſeines Regiments ſind es zunächſt noch, die hier der Kronprinz um ſich verſammelt: v. Kleiſt, v. Rathenow, v. Schenkendorff, v. Groeben, v. Budden- brock, v. Wylich, vor allem — Chaſot. *)
Das Leben, das er mit dieſen Offizieren führte, war frei von allen Feſſeln der Etiquette, ja ein Uebermuth griff Platz, der unſern heutigen Vorſtellungen von Anſtand und guter Sitte kaum noch gefallen will. Fenſtereinwerfen, Liebeshändel und Schwärmer abbrennen (zur Aengſtigung von Frauen und Landpaſtoren) zählte zu den beliebteſten Unterhaltungsmitteln. Man war noch ſo un- philoſophiſch wie möglich.
*) Chevalier Chaſot, der während der Rheincampagne (1734) im fran- zöſiſchen Heere diente, hatte das Unglück, einen Anverwandten des Herzogs von Boufflers im Duell zu tödten. Er floh deshalb in das Lager des Prinzen Eugen, zunächſt nicht, um in Dienſt zu treten, ſondern nur um ein Aſyl zu finden. Beim Prinzen Eugen lernte ihn der Kronprinz kennen, dem er ſpäter nach Ruppin hin folgte.
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und nach kurzem Spatziergang unter den alten Eichen deſſelben
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duftet es; Levkojen-Beete ziehen ſich an den Steigen hin, Melonen
werden gezogen und auf leiſ’ anſteigender Erhöhung, ziemlich in-
mitten des Gartens, erhebt ſich der „Tempel,“ der Vereinigungs-
ort des Kreiſes, den der Kronprinz hier allabendlich um ſich ver-
ſammelt. Das Souterain enthält eine Küche, und der „Tempel“
ſelber iſt einer jener oft abgebildeten Pavillons, die auf ſechs
korinthiſchen Säulen ein flachgewölbtes Dach tragen und in den
Parks und Gärten jener Epoche als Eßzimmer ſich einer beſon-
deren Gunſt erfreuten. Der Mond ſteht am Himmel, in dem dich-
ten Gebüſch des benachbarten Walls ſchlagen die Nachtigallen, die
Flamme der Ampel, die von der Decke herabhängt, brennt unbe-
weglich, denn kein Lüftchen regt ſich und keine froſtig abwehrende
Prinzlichkeit ſtört die Heiterkeit des Kreiſes. Noch iſt kein Voltaire
da, der ſeine Piquanterien mit graziöſer Handbewegung präſentirt,
noch fehlen die Algarotti, d’Argens und Lamettrie, all’ die berühm-
ten Namen einer ſpäteren Epoche — Offiziere ſeines Regiments
ſind es zunächſt noch, die hier der Kronprinz um ſich verſammelt:
v. Kleiſt, v. Rathenow, v. Schenkendorff, v. Groeben, v. Budden-
brock, v. Wylich, vor allem — Chaſot. *)
Das Leben, das er mit dieſen Offizieren führte, war frei
von allen Feſſeln der Etiquette, ja ein Uebermuth griff Platz, der
unſern heutigen Vorſtellungen von Anſtand und guter Sitte kaum
noch gefallen will. Fenſtereinwerfen, Liebeshändel und Schwärmer
abbrennen (zur Aengſtigung von Frauen und Landpaſtoren) zählte
zu den beliebteſten Unterhaltungsmitteln. Man war noch ſo un-
philoſophiſch wie möglich.
*) Chevalier Chaſot, der während der Rheincampagne (1734) im fran-
zöſiſchen Heere diente, hatte das Unglück, einen Anverwandten des Herzogs
von Boufflers im Duell zu tödten. Er floh deshalb in das Lager des
Prinzen Eugen, zunächſt nicht, um in Dienſt zu treten, ſondern nur um ein
Aſyl zu finden. Beim Prinzen Eugen lernte ihn der Kronprinz kennen,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/64>, abgerufen am 22.07.2024.
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