dem sonstigen Besitzthum des andern zugefügt hatte. Stimmen- mehrheit entschied und ohne Streit oder weiteren Appell wurden die Dinge geregelt. Die letzten 20 Jahre haben uns in den "Schiedsgerichten" etwas Aehnliches wiedergebracht; aber was die- ser trefflichen Neuschöpfung fehlt, ist, im Vergleich zu jener alten, die fremd und mystisch klingende Bezeichnung und wir begreifen den Stolz eines Werneucheners, der von den Zeiten der "Wröh" spricht, wie ein Lübecker von der Hansa und ihren Kriegen.
Im Sommer 1809 hatte Werneuchen noch seinen Linden- platz zwischen Pfarrhaus und Kirchhof, auch noch die vier Feld- steine und seine "Wröh"; wir kommen aber nicht in heißer Juni- schwüle von Berlin, um einer Sitzung des letzten Ausläufers der Vehme in Schweigen und Ehrerbietung beizuwohnen, wir haben ein anderes Ziel vor Augen, einen Besuch im Pfarrhause selber. Dorf Blumberg liegt längst hinter uns; nun haben wir auch See- feld und Löhme im Rücken, zwei Zwillingsdörfer, die von hüben und drüben ihre völlig gleichen Kirchthurmspitzen im Wasser des Lohme-See's spiegeln, -- aber der Werneucher Kirchthurm neckt uns noch immer, und wenn wir ihm näher zu sein glauben, ent- zieht er sich wieder unserem Blick. Wir halten ermüdet inne, stützen uns, nach hinten übergebogen, auf unseren Stock und lüften mit der Linken die Mütze, um uns die Stirne vom Winde kühlen zu lassen; da ist es uns plötzlich, als hörten wir hinter uns etwas wie Peitschenknall und Pferdeschnaufen, und zurückblickend bemerken wir einen offenen Wagen, der, den Sand des Weges zu einer tüchtigen Wolke aufwirbelnd, in raschem Trabe uns folgt. Im nächsten Augenblicke schon ist er uns zur Seite und wir zählen seine Insassen. Es sind ihrer fünf. Vorn der Kutscher mit zwei blondköpfigen Jungen von zehn oder elf Jahren; dahinter, auf der eigentlichen Sitzbank des Wagens, die in vier Lederriemen hängt und bei jeder Bewegung hin- und herschaukelt, ein wohlgenährtes Ehepaar, allem Anscheine nach zwischen dreißig und vierzig. Die Frau hält einen aufgespannten Regenschirm in der Hand, den sie mit vielem Geschick a deux mains zu gebrauchen weiß, indem sie
dem ſonſtigen Beſitzthum des andern zugefügt hatte. Stimmen- mehrheit entſchied und ohne Streit oder weiteren Appell wurden die Dinge geregelt. Die letzten 20 Jahre haben uns in den „Schiedsgerichten“ etwas Aehnliches wiedergebracht; aber was die- ſer trefflichen Neuſchöpfung fehlt, iſt, im Vergleich zu jener alten, die fremd und myſtiſch klingende Bezeichnung und wir begreifen den Stolz eines Werneucheners, der von den Zeiten der „Wröh“ ſpricht, wie ein Lübecker von der Hanſa und ihren Kriegen.
Im Sommer 1809 hatte Werneuchen noch ſeinen Linden- platz zwiſchen Pfarrhaus und Kirchhof, auch noch die vier Feld- ſteine und ſeine „Wröh“; wir kommen aber nicht in heißer Juni- ſchwüle von Berlin, um einer Sitzung des letzten Ausläufers der Vehme in Schweigen und Ehrerbietung beizuwohnen, wir haben ein anderes Ziel vor Augen, einen Beſuch im Pfarrhauſe ſelber. Dorf Blumberg liegt längſt hinter uns; nun haben wir auch See- feld und Löhme im Rücken, zwei Zwillingsdörfer, die von hüben und drüben ihre völlig gleichen Kirchthurmſpitzen im Waſſer des Lohme-See’s ſpiegeln, — aber der Werneucher Kirchthurm neckt uns noch immer, und wenn wir ihm näher zu ſein glauben, ent- zieht er ſich wieder unſerem Blick. Wir halten ermüdet inne, ſtützen uns, nach hinten übergebogen, auf unſeren Stock und lüften mit der Linken die Mütze, um uns die Stirne vom Winde kühlen zu laſſen; da iſt es uns plötzlich, als hörten wir hinter uns etwas wie Peitſchenknall und Pferdeſchnaufen, und zurückblickend bemerken wir einen offenen Wagen, der, den Sand des Weges zu einer tüchtigen Wolke aufwirbelnd, in raſchem Trabe uns folgt. Im nächſten Augenblicke ſchon iſt er uns zur Seite und wir zählen ſeine Inſaſſen. Es ſind ihrer fünf. Vorn der Kutſcher mit zwei blondköpfigen Jungen von zehn oder elf Jahren; dahinter, auf der eigentlichen Sitzbank des Wagens, die in vier Lederriemen hängt und bei jeder Bewegung hin- und herſchaukelt, ein wohlgenährtes Ehepaar, allem Anſcheine nach zwiſchen dreißig und vierzig. Die Frau hält einen aufgeſpannten Regenſchirm in der Hand, den ſie mit vielem Geſchick à deux mains zu gebrauchen weiß, indem ſie
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dem ſonſtigen Beſitzthum des andern zugefügt hatte. Stimmen-
mehrheit entſchied und ohne Streit oder weiteren Appell wurden
die Dinge geregelt. Die letzten 20 Jahre haben uns in den
„Schiedsgerichten“ etwas Aehnliches wiedergebracht; aber was die-
ſer trefflichen Neuſchöpfung fehlt, iſt, im Vergleich zu jener alten,
die fremd und myſtiſch klingende Bezeichnung und wir begreifen
den Stolz eines Werneucheners, der von den Zeiten der „Wröh“
ſpricht, wie ein Lübecker von der Hanſa und ihren Kriegen.
Im Sommer 1809 hatte Werneuchen noch ſeinen Linden-
platz zwiſchen Pfarrhaus und Kirchhof, auch noch die vier Feld-
ſteine und ſeine „Wröh“; wir kommen aber nicht in heißer Juni-
ſchwüle von Berlin, um einer Sitzung des letzten Ausläufers der
Vehme in Schweigen und Ehrerbietung beizuwohnen, wir haben
ein anderes Ziel vor Augen, einen Beſuch im Pfarrhauſe ſelber.
Dorf Blumberg liegt längſt hinter uns; nun haben wir auch See-
feld und Löhme im Rücken, zwei Zwillingsdörfer, die von hüben
und drüben ihre völlig gleichen Kirchthurmſpitzen im Waſſer des
Lohme-See’s ſpiegeln, — aber der Werneucher Kirchthurm neckt
uns noch immer, und wenn wir ihm näher zu ſein glauben, ent-
zieht er ſich wieder unſerem Blick. Wir halten ermüdet inne, ſtützen
uns, nach hinten übergebogen, auf unſeren Stock und lüften mit
der Linken die Mütze, um uns die Stirne vom Winde kühlen zu
laſſen; da iſt es uns plötzlich, als hörten wir hinter uns etwas
wie Peitſchenknall und Pferdeſchnaufen, und zurückblickend bemerken
wir einen offenen Wagen, der, den Sand des Weges zu einer
tüchtigen Wolke aufwirbelnd, in raſchem Trabe uns folgt. Im
nächſten Augenblicke ſchon iſt er uns zur Seite und wir zählen
ſeine Inſaſſen. Es ſind ihrer fünf. Vorn der Kutſcher mit zwei
blondköpfigen Jungen von zehn oder elf Jahren; dahinter, auf der
eigentlichen Sitzbank des Wagens, die in vier Lederriemen hängt
und bei jeder Bewegung hin- und herſchaukelt, ein wohlgenährtes
Ehepaar, allem Anſcheine nach zwiſchen dreißig und vierzig. Die
Frau hält einen aufgeſpannten Regenſchirm in der Hand, den ſie
mit vielem Geſchick à deux mains zu gebrauchen weiß, indem ſie
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/294>, abgerufen am 22.11.2024.
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