sich gegenwärtig dem Auge dar, und die Umwandlung, die im Laufe von zwei Jahrhunderten erfolgte, ist eine so vollständige ge- wesen, daß es zweifelhaft bleibt, ob auch nur eine einzige Außen- wand des oranischen Schlosses stehen geblieben und dem Neubau, der 1688 begann, zu gute gekommen ist. Ein ähnliches Schicksal hat über Allem gewaltet, was die fromme Oranierin mit so viel Liebe und Eifer in's Dasein rief. Von der Kirche sprach ich schon, sie brannte nieder; ein gleiches Schicksal traf das Waisenhaus, so daß Alles, was die Kurfürstin hier entstehen ließ, wohl in Wort und Wesen, aber nicht in seiner ursprünglichen Form auf uns gekommen ist. Das Schloß, die Kirche, das Waisenhaus von heute, sie sind nicht das Schloß, die Kirche, das Waisenhaus von damals, und seit wir nunmehr (ich verweise auf die vorstehende Anmerkung) aus der Lebensbeschreibung Augustin Terwestens mit Bestimmtheit wissen, daß das große, im Waisenhause aufbewahrte Bild nicht zwölf Jahre vor dem Tode Louise Henriettens, wohl aber fünfundzwanzig Jahre nach dem Tode derselben gemalt wor- den ist, so existirt, mit alleiniger Ausnahme eines angeblichen Por- traits der Kurfürstin, das ebenfalls im Waisenhaussaale aufbewahrt wird, in Stadt und Schloß Oranienburg nichts mehr, was sich mit einiger Bestimmtheit auf die Epoche der Oranierin zurückführen ließe. Aber leider sind auch gegen die Aechtheit dieses eben genann- ten Portraits begründete Zweifel zu erheben, begründet schon da- durch, daß dieses Brustbildniß nicht die geringste Aehnlichkeit mit jener wirklichen und historisch beglaubigten Louise Henriette zeigt, der wir auf dem Terwesten'schen Bilde begegnen. Dies Brustbild (übrigens vortrefflich gemacht) ist sehr wahrscheinlich das Portrait einer ganz anderen fürstlichen Dame und zwar, wenn mein Ge- dächtniß mich nicht täuscht, das Porträt der Königin Marie von England, der Gemahlin Wilhelms von Oranien, ältesten Tochter des vertriebenen Jacobs II. Es ist wahr, sie trägt einen Orange- blüten-Zweig (ich bin nicht völlig sicher mehr, ob in Haar oder Hand), aber wenn dieser Schmuck überhaupt mehr als ein Zufall und wirklich, was noch dahin steht, von sinnbildlicher Bedeutung
ſich gegenwärtig dem Auge dar, und die Umwandlung, die im Laufe von zwei Jahrhunderten erfolgte, iſt eine ſo vollſtändige ge- weſen, daß es zweifelhaft bleibt, ob auch nur eine einzige Außen- wand des oraniſchen Schloſſes ſtehen geblieben und dem Neubau, der 1688 begann, zu gute gekommen iſt. Ein ähnliches Schickſal hat über Allem gewaltet, was die fromme Oranierin mit ſo viel Liebe und Eifer in’s Daſein rief. Von der Kirche ſprach ich ſchon, ſie brannte nieder; ein gleiches Schickſal traf das Waiſenhaus, ſo daß Alles, was die Kurfürſtin hier entſtehen ließ, wohl in Wort und Weſen, aber nicht in ſeiner urſprünglichen Form auf uns gekommen iſt. Das Schloß, die Kirche, das Waiſenhaus von heute, ſie ſind nicht das Schloß, die Kirche, das Waiſenhaus von damals, und ſeit wir nunmehr (ich verweiſe auf die vorſtehende Anmerkung) aus der Lebensbeſchreibung Auguſtin Terweſtens mit Beſtimmtheit wiſſen, daß das große, im Waiſenhauſe aufbewahrte Bild nicht zwölf Jahre vor dem Tode Louiſe Henriettens, wohl aber fünfundzwanzig Jahre nach dem Tode derſelben gemalt wor- den iſt, ſo exiſtirt, mit alleiniger Ausnahme eines angeblichen Por- traits der Kurfürſtin, das ebenfalls im Waiſenhausſaale aufbewahrt wird, in Stadt und Schloß Oranienburg nichts mehr, was ſich mit einiger Beſtimmtheit auf die Epoche der Oranierin zurückführen ließe. Aber leider ſind auch gegen die Aechtheit dieſes eben genann- ten Portraits begründete Zweifel zu erheben, begründet ſchon da- durch, daß dieſes Bruſtbildniß nicht die geringſte Aehnlichkeit mit jener wirklichen und hiſtoriſch beglaubigten Louiſe Henriette zeigt, der wir auf dem Terweſten’ſchen Bilde begegnen. Dies Bruſtbild (übrigens vortrefflich gemacht) iſt ſehr wahrſcheinlich das Portrait einer ganz anderen fürſtlichen Dame und zwar, wenn mein Ge- dächtniß mich nicht täuſcht, das Porträt der Königin Marie von England, der Gemahlin Wilhelms von Oranien, älteſten Tochter des vertriebenen Jacobs II. Es iſt wahr, ſie trägt einen Orange- blüten-Zweig (ich bin nicht völlig ſicher mehr, ob in Haar oder Hand), aber wenn dieſer Schmuck überhaupt mehr als ein Zufall und wirklich, was noch dahin ſteht, von ſinnbildlicher Bedeutung
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ſich gegenwärtig dem Auge dar, und die Umwandlung, die im
Laufe von zwei Jahrhunderten erfolgte, iſt eine ſo vollſtändige ge-
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wand des oraniſchen Schloſſes ſtehen geblieben und dem Neubau,
der 1688 begann, zu gute gekommen iſt. Ein ähnliches Schickſal
hat über Allem gewaltet, was die fromme Oranierin mit ſo viel
Liebe und Eifer in’s Daſein rief. Von der Kirche ſprach ich ſchon,
ſie brannte nieder; ein gleiches Schickſal traf das Waiſenhaus, ſo
daß Alles, was die Kurfürſtin hier entſtehen ließ, wohl in Wort
und Weſen, aber nicht in ſeiner urſprünglichen Form auf
uns gekommen iſt. Das Schloß, die Kirche, das Waiſenhaus von
heute, ſie ſind nicht das Schloß, die Kirche, das Waiſenhaus von
damals, und ſeit wir nunmehr (ich verweiſe auf die vorſtehende
Anmerkung) aus der Lebensbeſchreibung Auguſtin Terweſtens mit
Beſtimmtheit wiſſen, daß das große, im Waiſenhauſe aufbewahrte
Bild nicht zwölf Jahre vor dem Tode Louiſe Henriettens, wohl
aber fünfundzwanzig Jahre nach dem Tode derſelben gemalt wor-
den iſt, ſo exiſtirt, mit alleiniger Ausnahme eines angeblichen Por-
traits der Kurfürſtin, das ebenfalls im Waiſenhausſaale aufbewahrt
wird, in Stadt und Schloß Oranienburg nichts mehr, was ſich
mit einiger Beſtimmtheit auf die Epoche der Oranierin zurückführen
ließe. Aber leider ſind auch gegen die Aechtheit dieſes eben genann-
ten Portraits begründete Zweifel zu erheben, begründet ſchon da-
durch, daß dieſes Bruſtbildniß nicht die geringſte Aehnlichkeit mit
jener wirklichen und hiſtoriſch beglaubigten Louiſe Henriette zeigt,
der wir auf dem Terweſten’ſchen Bilde begegnen. Dies Bruſtbild
(übrigens vortrefflich gemacht) iſt ſehr wahrſcheinlich das Portrait
einer ganz anderen fürſtlichen Dame und zwar, wenn mein Ge-
dächtniß mich nicht täuſcht, das Porträt der Königin Marie von
England, der Gemahlin Wilhelms von Oranien, älteſten Tochter
des vertriebenen Jacobs II. Es iſt wahr, ſie trägt einen Orange-
blüten-Zweig (ich bin nicht völlig ſicher mehr, ob in Haar oder
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/234>, abgerufen am 25.11.2024.
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