Aram und Rienzi in großem Originalformat und Adelungs Wörter- buch in vier mächtigen Schweinslederbänden. Bescheiden in einer Ecke lehnen zwei der berühmtesten Werke Wilhelms von Humboldt selbst und führen, in Goldbuchstaben auf Dunkelblau, ihre wohl- bekannten Titel: "Ueber die Kawi-Sprache auf der Insel Java," und "über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus."
Neben dem Arbeitszimmer befindet sich das ehemalige Schlaf- kabinet Wilhelms von Humboldt, in dem er am 8. April 1835 starb. Der überaus kleine Raum ist gegenwärtig unbenutzt und dient nur zur Aufstellung zweier weiblicher Torsen aus parischem Marmor, die zur Zeit des egyptischen Feldzugs (1799) durch einen französischen Offizier von Athen nach Rom gebracht und an den Kunsthändler Antonini daselbst verkauft wurden. Von diesem er- stand sie Wilhelm von Humboldt. Nach dem einmüthigen Urtheil aller Sachverständigen gehören diese Torsen zu dem Schönsten, was wir an weiblichen Körpern von griechischer Kunst besitzen. Professor Waagen ist der Meinung, daß beide einer Gruppe von Grazien angehören, deren dritten Torso er in der Sculpturen- sammlung des Herrn Blundell Weld in der Nähe von Liverpool entdeckt zu haben glaubt.
Wir verlassen nun die untern Räume und steigen vom Atrium aus treppauf, um den obern Zimmern unsern Besuch zu machen. Die Treppe selbst indeß, vor allem die Art und Weise, wie Schinkel (der auch hier den Umbau leitete) alle entgegenstehenden Schwie- rigkeiten glücklich überwunden hat, fesselt uns noch auf Augen- blicke. Die Enge des Raums schrieb ihm Verhältnisse vor, die etwas Kleines und Puppenstubenhaftes nicht vermeiden konnten, und doch glückte es ihm, durch Wölbungen hier, durch Mauer- einschnitte dort, dem Ganzen den Eindruck einer lichthellen Heiter- keit zu leihen und endlich durch Farbe und Ornamentik diesen Eindruck bis zum Schönen und Gefälligen zu steigern. Die einzelnen Decken und Rundbögen, deren Dimensionen mehr an das Modell eines Hauses als an ein wirkliches Haus erinnern, sind mit Stern- chen auf dunkelblauem Grunde geschmückt und zwei in die Wand-
Aram und Rienzi in großem Originalformat und Adelungs Wörter- buch in vier mächtigen Schweinslederbänden. Beſcheiden in einer Ecke lehnen zwei der berühmteſten Werke Wilhelms von Humboldt ſelbſt und führen, in Goldbuchſtaben auf Dunkelblau, ihre wohl- bekannten Titel: „Ueber die Kawi-Sprache auf der Inſel Java,“ und „über die Verſchiedenheit des menſchlichen Sprachbaus.“
Neben dem Arbeitszimmer befindet ſich das ehemalige Schlaf- kabinet Wilhelms von Humboldt, in dem er am 8. April 1835 ſtarb. Der überaus kleine Raum iſt gegenwärtig unbenutzt und dient nur zur Aufſtellung zweier weiblicher Torſen aus pariſchem Marmor, die zur Zeit des egyptiſchen Feldzugs (1799) durch einen franzöſiſchen Offizier von Athen nach Rom gebracht und an den Kunſthändler Antonini daſelbſt verkauft wurden. Von dieſem er- ſtand ſie Wilhelm von Humboldt. Nach dem einmüthigen Urtheil aller Sachverſtändigen gehören dieſe Torſen zu dem Schönſten, was wir an weiblichen Körpern von griechiſcher Kunſt beſitzen. Profeſſor Waagen iſt der Meinung, daß beide einer Gruppe von Grazien angehören, deren dritten Torſo er in der Sculpturen- ſammlung des Herrn Blundell Weld in der Nähe von Liverpool entdeckt zu haben glaubt.
Wir verlaſſen nun die untern Räume und ſteigen vom Atrium aus treppauf, um den obern Zimmern unſern Beſuch zu machen. Die Treppe ſelbſt indeß, vor allem die Art und Weiſe, wie Schinkel (der auch hier den Umbau leitete) alle entgegenſtehenden Schwie- rigkeiten glücklich überwunden hat, feſſelt uns noch auf Augen- blicke. Die Enge des Raums ſchrieb ihm Verhältniſſe vor, die etwas Kleines und Puppenſtubenhaftes nicht vermeiden konnten, und doch glückte es ihm, durch Wölbungen hier, durch Mauer- einſchnitte dort, dem Ganzen den Eindruck einer lichthellen Heiter- keit zu leihen und endlich durch Farbe und Ornamentik dieſen Eindruck bis zum Schönen und Gefälligen zu ſteigern. Die einzelnen Decken und Rundbögen, deren Dimenſionen mehr an das Modell eines Hauſes als an ein wirkliches Haus erinnern, ſind mit Stern- chen auf dunkelblauem Grunde geſchmückt und zwei in die Wand-
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Aram und Rienzi in großem Originalformat und Adelungs Wörter-
buch in vier mächtigen Schweinslederbänden. Beſcheiden in einer
Ecke lehnen zwei der berühmteſten Werke Wilhelms von Humboldt
ſelbſt und führen, in Goldbuchſtaben auf Dunkelblau, ihre wohl-
bekannten Titel: „Ueber die Kawi-Sprache auf der Inſel Java,“
und „über die Verſchiedenheit des menſchlichen Sprachbaus.“
Neben dem Arbeitszimmer befindet ſich das ehemalige Schlaf-
kabinet Wilhelms von Humboldt, in dem er am 8. April 1835
ſtarb. Der überaus kleine Raum iſt gegenwärtig unbenutzt und
dient nur zur Aufſtellung zweier weiblicher Torſen aus pariſchem
Marmor, die zur Zeit des egyptiſchen Feldzugs (1799) durch einen
franzöſiſchen Offizier von Athen nach Rom gebracht und an den
Kunſthändler Antonini daſelbſt verkauft wurden. Von dieſem er-
ſtand ſie Wilhelm von Humboldt. Nach dem einmüthigen Urtheil
aller Sachverſtändigen gehören dieſe Torſen zu dem Schönſten,
was wir an weiblichen Körpern von griechiſcher Kunſt beſitzen.
Profeſſor Waagen iſt der Meinung, daß beide einer Gruppe von
Grazien angehören, deren dritten Torſo er in der Sculpturen-
ſammlung des Herrn Blundell Weld in der Nähe von Liverpool
entdeckt zu haben glaubt.
Wir verlaſſen nun die untern Räume und ſteigen vom Atrium
aus treppauf, um den obern Zimmern unſern Beſuch zu machen.
Die Treppe ſelbſt indeß, vor allem die Art und Weiſe, wie Schinkel
(der auch hier den Umbau leitete) alle entgegenſtehenden Schwie-
rigkeiten glücklich überwunden hat, feſſelt uns noch auf Augen-
blicke. Die Enge des Raums ſchrieb ihm Verhältniſſe vor, die
etwas Kleines und Puppenſtubenhaftes nicht vermeiden konnten,
und doch glückte es ihm, durch Wölbungen hier, durch Mauer-
einſchnitte dort, dem Ganzen den Eindruck einer lichthellen Heiter-
keit zu leihen und endlich durch Farbe und Ornamentik dieſen
Eindruck bis zum Schönen und Gefälligen zu ſteigern. Die einzelnen
Decken und Rundbögen, deren Dimenſionen mehr an das Modell
eines Hauſes als an ein wirkliches Haus erinnern, ſind mit Stern-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/215>, abgerufen am 27.11.2024.
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