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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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gellt der Pfiff der Locomotive und über den Schloten und Schorn-
steinen weht die bekannte schwarze Fahne. Hier befinden sich, neben
der Königlichen Eisengießerei, die großen Etablissements von Egels
und Borsig, und während dem Vorübergehenden die endlose Menge
der Bauten imponirt, verweilt er mit Staunen und Freude zu-
gleich bei dem feinen Geschmack, bei dem Sinn für das Schöne,
der es nicht verschmäht hat, hier in den Dienst des Nützlichen zu
treten.

So zieht sich die Oranienburger Vorstadt bis zur Panken-
brücke; jenseits derselben verändert die Vorstadt ihren Namen und
ihren Charakter. Der sogenannte "Wedding" beginnt und an die
Stelle der Fülle, des Reichthums, des Unternehmungsgeistes treten
die Bilder jener prosaischen Dürftigkeit, wie sie dem märkischen
Sande ursprünglich eigen sind. Kunst, Wissenschaft, Bildung haben
in diesem armen Lande einen schwereren Kampf gegen die wider-
strebende Natur zu führen gehabt, als vielleicht irgend wo anders,
und in gesteigerter Dankbarkeit gedenkt man jener Reihenfolge or-
ganisatorischer Fürsten, die seit anderthalb Jahrhunderten Land
und Leute umgeschaffen, den Sumpf und den Sand in ein Frucht-
land verwandelt und die Rohheit und den Ungeschmack zur Sitte
und Bildung herangezogen haben. Aber die alten, ursprünglichen
Elemente leben noch überall, grenzen noch an die Neuzeit oder
drängen sich in die Schöpfungen derselben ein, und wenige Punkte
möchten sich hierlandes finden, die so völlig dazu geeignet wären,
den Unterschied zwischen dem Sonst und Jetzt, zwischen dem Ur-
sprünglichen und dem Gewordenen, so auf einen Schlag zu zeigen,
als die Stadttheile diesseits und jenseits des Flüßchens, das wir
so eben überschritten haben.

Die Oranienburger Vorstadt in ihrer jetzigen Gestalt ist das
Kind einer neuen Zeit und eines neuen Geistes; der "Wedding"
aber, der nun vor und neben uns liegt, ist noch im Einklang mit
dem alten nationalen Bedürfniß, mit den landesüblichen Anforde-
rungen einer früheren Epoche gebaut. Was auf fast eine halbe
Meile hin diesen ganzen Stadttheil charakterisirt, das ist die völlige

gellt der Pfiff der Locomotive und über den Schloten und Schorn-
ſteinen weht die bekannte ſchwarze Fahne. Hier befinden ſich, neben
der Königlichen Eiſengießerei, die großen Etabliſſements von Egels
und Borſig, und während dem Vorübergehenden die endloſe Menge
der Bauten imponirt, verweilt er mit Staunen und Freude zu-
gleich bei dem feinen Geſchmack, bei dem Sinn für das Schöne,
der es nicht verſchmäht hat, hier in den Dienſt des Nützlichen zu
treten.

So zieht ſich die Oranienburger Vorſtadt bis zur Panken-
brücke; jenſeits derſelben verändert die Vorſtadt ihren Namen und
ihren Charakter. Der ſogenannte „Wedding“ beginnt und an die
Stelle der Fülle, des Reichthums, des Unternehmungsgeiſtes treten
die Bilder jener proſaiſchen Dürftigkeit, wie ſie dem märkiſchen
Sande urſprünglich eigen ſind. Kunſt, Wiſſenſchaft, Bildung haben
in dieſem armen Lande einen ſchwereren Kampf gegen die wider-
ſtrebende Natur zu führen gehabt, als vielleicht irgend wo anders,
und in geſteigerter Dankbarkeit gedenkt man jener Reihenfolge or-
ganiſatoriſcher Fürſten, die ſeit anderthalb Jahrhunderten Land
und Leute umgeſchaffen, den Sumpf und den Sand in ein Frucht-
land verwandelt und die Rohheit und den Ungeſchmack zur Sitte
und Bildung herangezogen haben. Aber die alten, urſprünglichen
Elemente leben noch überall, grenzen noch an die Neuzeit oder
drängen ſich in die Schöpfungen derſelben ein, und wenige Punkte
möchten ſich hierlandes finden, die ſo völlig dazu geeignet wären,
den Unterſchied zwiſchen dem Sonſt und Jetzt, zwiſchen dem Ur-
ſprünglichen und dem Gewordenen, ſo auf einen Schlag zu zeigen,
als die Stadttheile dieſſeits und jenſeits des Flüßchens, das wir
ſo eben überſchritten haben.

Die Oranienburger Vorſtadt in ihrer jetzigen Geſtalt iſt das
Kind einer neuen Zeit und eines neuen Geiſtes; der „Wedding“
aber, der nun vor und neben uns liegt, iſt noch im Einklang mit
dem alten nationalen Bedürfniß, mit den landesüblichen Anforde-
rungen einer früheren Epoche gebaut. Was auf faſt eine halbe
Meile hin dieſen ganzen Stadttheil charakteriſirt, das iſt die völlige

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[190/0208] gellt der Pfiff der Locomotive und über den Schloten und Schorn- ſteinen weht die bekannte ſchwarze Fahne. Hier befinden ſich, neben der Königlichen Eiſengießerei, die großen Etabliſſements von Egels und Borſig, und während dem Vorübergehenden die endloſe Menge der Bauten imponirt, verweilt er mit Staunen und Freude zu- gleich bei dem feinen Geſchmack, bei dem Sinn für das Schöne, der es nicht verſchmäht hat, hier in den Dienſt des Nützlichen zu treten. So zieht ſich die Oranienburger Vorſtadt bis zur Panken- brücke; jenſeits derſelben verändert die Vorſtadt ihren Namen und ihren Charakter. Der ſogenannte „Wedding“ beginnt und an die Stelle der Fülle, des Reichthums, des Unternehmungsgeiſtes treten die Bilder jener proſaiſchen Dürftigkeit, wie ſie dem märkiſchen Sande urſprünglich eigen ſind. Kunſt, Wiſſenſchaft, Bildung haben in dieſem armen Lande einen ſchwereren Kampf gegen die wider- ſtrebende Natur zu führen gehabt, als vielleicht irgend wo anders, und in geſteigerter Dankbarkeit gedenkt man jener Reihenfolge or- ganiſatoriſcher Fürſten, die ſeit anderthalb Jahrhunderten Land und Leute umgeſchaffen, den Sumpf und den Sand in ein Frucht- land verwandelt und die Rohheit und den Ungeſchmack zur Sitte und Bildung herangezogen haben. Aber die alten, urſprünglichen Elemente leben noch überall, grenzen noch an die Neuzeit oder drängen ſich in die Schöpfungen derſelben ein, und wenige Punkte möchten ſich hierlandes finden, die ſo völlig dazu geeignet wären, den Unterſchied zwiſchen dem Sonſt und Jetzt, zwiſchen dem Ur- ſprünglichen und dem Gewordenen, ſo auf einen Schlag zu zeigen, als die Stadttheile dieſſeits und jenſeits des Flüßchens, das wir ſo eben überſchritten haben. Die Oranienburger Vorſtadt in ihrer jetzigen Geſtalt iſt das Kind einer neuen Zeit und eines neuen Geiſtes; der „Wedding“ aber, der nun vor und neben uns liegt, iſt noch im Einklang mit dem alten nationalen Bedürfniß, mit den landesüblichen Anforde- rungen einer früheren Epoche gebaut. Was auf faſt eine halbe Meile hin dieſen ganzen Stadttheil charakteriſirt, das iſt die völlige

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/208>, abgerufen am 27.11.2024.