gellt der Pfiff der Locomotive und über den Schloten und Schorn- steinen weht die bekannte schwarze Fahne. Hier befinden sich, neben der Königlichen Eisengießerei, die großen Etablissements von Egels und Borsig, und während dem Vorübergehenden die endlose Menge der Bauten imponirt, verweilt er mit Staunen und Freude zu- gleich bei dem feinen Geschmack, bei dem Sinn für das Schöne, der es nicht verschmäht hat, hier in den Dienst des Nützlichen zu treten.
So zieht sich die Oranienburger Vorstadt bis zur Panken- brücke; jenseits derselben verändert die Vorstadt ihren Namen und ihren Charakter. Der sogenannte "Wedding" beginnt und an die Stelle der Fülle, des Reichthums, des Unternehmungsgeistes treten die Bilder jener prosaischen Dürftigkeit, wie sie dem märkischen Sande ursprünglich eigen sind. Kunst, Wissenschaft, Bildung haben in diesem armen Lande einen schwereren Kampf gegen die wider- strebende Natur zu führen gehabt, als vielleicht irgend wo anders, und in gesteigerter Dankbarkeit gedenkt man jener Reihenfolge or- ganisatorischer Fürsten, die seit anderthalb Jahrhunderten Land und Leute umgeschaffen, den Sumpf und den Sand in ein Frucht- land verwandelt und die Rohheit und den Ungeschmack zur Sitte und Bildung herangezogen haben. Aber die alten, ursprünglichen Elemente leben noch überall, grenzen noch an die Neuzeit oder drängen sich in die Schöpfungen derselben ein, und wenige Punkte möchten sich hierlandes finden, die so völlig dazu geeignet wären, den Unterschied zwischen dem Sonst und Jetzt, zwischen dem Ur- sprünglichen und dem Gewordenen, so auf einen Schlag zu zeigen, als die Stadttheile diesseits und jenseits des Flüßchens, das wir so eben überschritten haben.
Die Oranienburger Vorstadt in ihrer jetzigen Gestalt ist das Kind einer neuen Zeit und eines neuen Geistes; der "Wedding" aber, der nun vor und neben uns liegt, ist noch im Einklang mit dem alten nationalen Bedürfniß, mit den landesüblichen Anforde- rungen einer früheren Epoche gebaut. Was auf fast eine halbe Meile hin diesen ganzen Stadttheil charakterisirt, das ist die völlige
gellt der Pfiff der Locomotive und über den Schloten und Schorn- ſteinen weht die bekannte ſchwarze Fahne. Hier befinden ſich, neben der Königlichen Eiſengießerei, die großen Etabliſſements von Egels und Borſig, und während dem Vorübergehenden die endloſe Menge der Bauten imponirt, verweilt er mit Staunen und Freude zu- gleich bei dem feinen Geſchmack, bei dem Sinn für das Schöne, der es nicht verſchmäht hat, hier in den Dienſt des Nützlichen zu treten.
So zieht ſich die Oranienburger Vorſtadt bis zur Panken- brücke; jenſeits derſelben verändert die Vorſtadt ihren Namen und ihren Charakter. Der ſogenannte „Wedding“ beginnt und an die Stelle der Fülle, des Reichthums, des Unternehmungsgeiſtes treten die Bilder jener proſaiſchen Dürftigkeit, wie ſie dem märkiſchen Sande urſprünglich eigen ſind. Kunſt, Wiſſenſchaft, Bildung haben in dieſem armen Lande einen ſchwereren Kampf gegen die wider- ſtrebende Natur zu führen gehabt, als vielleicht irgend wo anders, und in geſteigerter Dankbarkeit gedenkt man jener Reihenfolge or- ganiſatoriſcher Fürſten, die ſeit anderthalb Jahrhunderten Land und Leute umgeſchaffen, den Sumpf und den Sand in ein Frucht- land verwandelt und die Rohheit und den Ungeſchmack zur Sitte und Bildung herangezogen haben. Aber die alten, urſprünglichen Elemente leben noch überall, grenzen noch an die Neuzeit oder drängen ſich in die Schöpfungen derſelben ein, und wenige Punkte möchten ſich hierlandes finden, die ſo völlig dazu geeignet wären, den Unterſchied zwiſchen dem Sonſt und Jetzt, zwiſchen dem Ur- ſprünglichen und dem Gewordenen, ſo auf einen Schlag zu zeigen, als die Stadttheile dieſſeits und jenſeits des Flüßchens, das wir ſo eben überſchritten haben.
Die Oranienburger Vorſtadt in ihrer jetzigen Geſtalt iſt das Kind einer neuen Zeit und eines neuen Geiſtes; der „Wedding“ aber, der nun vor und neben uns liegt, iſt noch im Einklang mit dem alten nationalen Bedürfniß, mit den landesüblichen Anforde- rungen einer früheren Epoche gebaut. Was auf faſt eine halbe Meile hin dieſen ganzen Stadttheil charakteriſirt, das iſt die völlige
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0208"n="190"/>
gellt der Pfiff der Locomotive und über den Schloten und Schorn-<lb/>ſteinen weht die bekannte ſchwarze Fahne. Hier befinden ſich, neben<lb/>
der Königlichen Eiſengießerei, die großen Etabliſſements von Egels<lb/>
und Borſig, und während dem Vorübergehenden die endloſe Menge<lb/>
der Bauten imponirt, verweilt er mit Staunen und Freude zu-<lb/>
gleich bei dem feinen Geſchmack, bei dem Sinn für das Schöne,<lb/>
der es nicht verſchmäht hat, hier in den Dienſt des Nützlichen zu<lb/>
treten.</p><lb/><p>So zieht ſich die Oranienburger Vorſtadt bis zur Panken-<lb/>
brücke; jenſeits derſelben verändert die Vorſtadt ihren Namen und<lb/>
ihren Charakter. Der ſogenannte „Wedding“ beginnt und an die<lb/>
Stelle der Fülle, des Reichthums, des Unternehmungsgeiſtes treten<lb/>
die Bilder jener proſaiſchen Dürftigkeit, wie ſie dem märkiſchen<lb/>
Sande urſprünglich eigen ſind. Kunſt, Wiſſenſchaft, Bildung haben<lb/>
in dieſem armen Lande einen ſchwereren Kampf gegen die wider-<lb/>ſtrebende Natur zu führen gehabt, als vielleicht irgend wo anders,<lb/>
und in geſteigerter Dankbarkeit gedenkt man jener Reihenfolge or-<lb/>
ganiſatoriſcher Fürſten, die ſeit anderthalb Jahrhunderten Land<lb/>
und Leute umgeſchaffen, den Sumpf und den Sand in ein Frucht-<lb/>
land verwandelt und die Rohheit und den Ungeſchmack zur Sitte<lb/>
und Bildung herangezogen haben. Aber die alten, urſprünglichen<lb/>
Elemente leben noch überall, grenzen noch an die Neuzeit oder<lb/>
drängen ſich in die Schöpfungen derſelben ein, und wenige Punkte<lb/>
möchten ſich hierlandes finden, die ſo völlig dazu geeignet wären,<lb/>
den Unterſchied zwiſchen dem Sonſt und Jetzt, zwiſchen dem Ur-<lb/>ſprünglichen und dem Gewordenen, ſo auf einen Schlag zu zeigen,<lb/>
als die Stadttheile dieſſeits und jenſeits des Flüßchens, das wir<lb/>ſo eben überſchritten haben.</p><lb/><p>Die Oranienburger Vorſtadt in ihrer jetzigen Geſtalt iſt das<lb/>
Kind einer neuen Zeit und eines neuen Geiſtes; der „Wedding“<lb/>
aber, der nun vor und neben uns liegt, iſt noch im Einklang mit<lb/>
dem alten nationalen Bedürfniß, mit den landesüblichen Anforde-<lb/>
rungen einer früheren Epoche gebaut. Was auf faſt eine halbe<lb/>
Meile hin dieſen ganzen Stadttheil charakteriſirt, das iſt die völlige<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[190/0208]
gellt der Pfiff der Locomotive und über den Schloten und Schorn-
ſteinen weht die bekannte ſchwarze Fahne. Hier befinden ſich, neben
der Königlichen Eiſengießerei, die großen Etabliſſements von Egels
und Borſig, und während dem Vorübergehenden die endloſe Menge
der Bauten imponirt, verweilt er mit Staunen und Freude zu-
gleich bei dem feinen Geſchmack, bei dem Sinn für das Schöne,
der es nicht verſchmäht hat, hier in den Dienſt des Nützlichen zu
treten.
So zieht ſich die Oranienburger Vorſtadt bis zur Panken-
brücke; jenſeits derſelben verändert die Vorſtadt ihren Namen und
ihren Charakter. Der ſogenannte „Wedding“ beginnt und an die
Stelle der Fülle, des Reichthums, des Unternehmungsgeiſtes treten
die Bilder jener proſaiſchen Dürftigkeit, wie ſie dem märkiſchen
Sande urſprünglich eigen ſind. Kunſt, Wiſſenſchaft, Bildung haben
in dieſem armen Lande einen ſchwereren Kampf gegen die wider-
ſtrebende Natur zu führen gehabt, als vielleicht irgend wo anders,
und in geſteigerter Dankbarkeit gedenkt man jener Reihenfolge or-
ganiſatoriſcher Fürſten, die ſeit anderthalb Jahrhunderten Land
und Leute umgeſchaffen, den Sumpf und den Sand in ein Frucht-
land verwandelt und die Rohheit und den Ungeſchmack zur Sitte
und Bildung herangezogen haben. Aber die alten, urſprünglichen
Elemente leben noch überall, grenzen noch an die Neuzeit oder
drängen ſich in die Schöpfungen derſelben ein, und wenige Punkte
möchten ſich hierlandes finden, die ſo völlig dazu geeignet wären,
den Unterſchied zwiſchen dem Sonſt und Jetzt, zwiſchen dem Ur-
ſprünglichen und dem Gewordenen, ſo auf einen Schlag zu zeigen,
als die Stadttheile dieſſeits und jenſeits des Flüßchens, das wir
ſo eben überſchritten haben.
Die Oranienburger Vorſtadt in ihrer jetzigen Geſtalt iſt das
Kind einer neuen Zeit und eines neuen Geiſtes; der „Wedding“
aber, der nun vor und neben uns liegt, iſt noch im Einklang mit
dem alten nationalen Bedürfniß, mit den landesüblichen Anforde-
rungen einer früheren Epoche gebaut. Was auf faſt eine halbe
Meile hin dieſen ganzen Stadttheil charakteriſirt, das iſt die völlige
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/208>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.