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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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Abwesenheit alles dessen, was wohlthut, was gefällt. In erschrecken-
der Weise fehlt der Sinn für das Malerische. Die Häuser sind
meist in gutem Stand; nirgends die Zeichen schlechter Wirthschaft
und des Verfalls; die Dachziegel weisen keine Lücke auf und keine
angeklebten Streifen Papier verkürzen dem Glaser sein Recht und
seinen Verdienst; das Holzgitter, das Haupt- und Nebengebäude
umzieht, ist wohl erhalten und der junge Baum, der in der Nähe
der Hausthür steht, hat seinen Pfosten, daran er sich lehnt, und
seinen Bast, der ihn hält. Ueberall ein Geist mäßiger Ordnung,
mäßiger Sauberkeit, überall das Bestreben, sich nach der Decke zu
strecken und durch Fleiß und Sparsamkeit sich weiter zu bringen,
aber nirgends das Bedürfniß, das Schöne, das erhebt und erfreut,
in etwas anderem zu suchen, als in der Neuheit eines Anstrichs,
oder in der Geradlinigkeit eines Zauns. Man will keine Schwalbe
am Sims -- sie bringen Ungeziefer; man will keinen Epheu am
Haus -- er schädigt das Mauerwerk; man will keine Bäume in
Hof und Garten -- sie machen feucht und halten das Licht ab;
man will nicht Laube, nicht Veranda -- was sollte man damit?
Nützlichkeit und Nüchternheit herrschen souverain und nehmen der
Erscheinung des Lebens allen Reiz und alle Farbe. Grün und
gelb und roth wechseln die Häuser und liegen doch da wie einge-
taucht in ein allgemeines, trostloses Grau.

Den kläglichsten Anblick aber gewähren die sogenannten Ver-
gnügungsörter. Man erschrickt bei dem Gedanken, daß es möglich
sein soll, an solchen Plätzen das Herz zu erlaben und zu neuer
Wochenarbeit zu stärken. Wie Ironie tragen einige die Inschrift:
"Zum freundlichen Wirth." Man glaubt solcher Inschrift nicht;
wer könnte freundlich sein in solcher Behausung und Umgebung?
An der Eingangsthür hängen zwei Wirthshausschildereien von der
bekannten Genrebilderart, die mehr an die Götzen und Kunst-
zustände der Sandwichsinseln, als an die Nachbarschaft Berlins
erinnern, und als einziger Anklang an Spiel und Heiterkeit zieht
sich am Holzgitter des Hauses eine Kegelbahn entlang, deren küm-
merliches und ausgebleichtes Lattenwerk dasteht wie das Skelett
eines Vergnügens.


Abweſenheit alles deſſen, was wohlthut, was gefällt. In erſchrecken-
der Weiſe fehlt der Sinn für das Maleriſche. Die Häuſer ſind
meiſt in gutem Stand; nirgends die Zeichen ſchlechter Wirthſchaft
und des Verfalls; die Dachziegel weiſen keine Lücke auf und keine
angeklebten Streifen Papier verkürzen dem Glaſer ſein Recht und
ſeinen Verdienſt; das Holzgitter, das Haupt- und Nebengebäude
umzieht, iſt wohl erhalten und der junge Baum, der in der Nähe
der Hausthür ſteht, hat ſeinen Pfoſten, daran er ſich lehnt, und
ſeinen Baſt, der ihn hält. Ueberall ein Geiſt mäßiger Ordnung,
mäßiger Sauberkeit, überall das Beſtreben, ſich nach der Decke zu
ſtrecken und durch Fleiß und Sparſamkeit ſich weiter zu bringen,
aber nirgends das Bedürfniß, das Schöne, das erhebt und erfreut,
in etwas anderem zu ſuchen, als in der Neuheit eines Anſtrichs,
oder in der Geradlinigkeit eines Zauns. Man will keine Schwalbe
am Sims — ſie bringen Ungeziefer; man will keinen Epheu am
Haus — er ſchädigt das Mauerwerk; man will keine Bäume in
Hof und Garten — ſie machen feucht und halten das Licht ab;
man will nicht Laube, nicht Veranda — was ſollte man damit?
Nützlichkeit und Nüchternheit herrſchen ſouverain und nehmen der
Erſcheinung des Lebens allen Reiz und alle Farbe. Grün und
gelb und roth wechſeln die Häuſer und liegen doch da wie einge-
taucht in ein allgemeines, troſtloſes Grau.

Den kläglichſten Anblick aber gewähren die ſogenannten Ver-
gnügungsörter. Man erſchrickt bei dem Gedanken, daß es möglich
ſein ſoll, an ſolchen Plätzen das Herz zu erlaben und zu neuer
Wochenarbeit zu ſtärken. Wie Ironie tragen einige die Inſchrift:
„Zum freundlichen Wirth.“ Man glaubt ſolcher Inſchrift nicht;
wer könnte freundlich ſein in ſolcher Behauſung und Umgebung?
An der Eingangsthür hängen zwei Wirthshausſchildereien von der
bekannten Genrebilderart, die mehr an die Götzen und Kunſt-
zuſtände der Sandwichsinſeln, als an die Nachbarſchaft Berlins
erinnern, und als einziger Anklang an Spiel und Heiterkeit zieht
ſich am Holzgitter des Hauſes eine Kegelbahn entlang, deren küm-
merliches und ausgebleichtes Lattenwerk daſteht wie das Skelett
eines Vergnügens.


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[191/0209] Abweſenheit alles deſſen, was wohlthut, was gefällt. In erſchrecken- der Weiſe fehlt der Sinn für das Maleriſche. Die Häuſer ſind meiſt in gutem Stand; nirgends die Zeichen ſchlechter Wirthſchaft und des Verfalls; die Dachziegel weiſen keine Lücke auf und keine angeklebten Streifen Papier verkürzen dem Glaſer ſein Recht und ſeinen Verdienſt; das Holzgitter, das Haupt- und Nebengebäude umzieht, iſt wohl erhalten und der junge Baum, der in der Nähe der Hausthür ſteht, hat ſeinen Pfoſten, daran er ſich lehnt, und ſeinen Baſt, der ihn hält. Ueberall ein Geiſt mäßiger Ordnung, mäßiger Sauberkeit, überall das Beſtreben, ſich nach der Decke zu ſtrecken und durch Fleiß und Sparſamkeit ſich weiter zu bringen, aber nirgends das Bedürfniß, das Schöne, das erhebt und erfreut, in etwas anderem zu ſuchen, als in der Neuheit eines Anſtrichs, oder in der Geradlinigkeit eines Zauns. Man will keine Schwalbe am Sims — ſie bringen Ungeziefer; man will keinen Epheu am Haus — er ſchädigt das Mauerwerk; man will keine Bäume in Hof und Garten — ſie machen feucht und halten das Licht ab; man will nicht Laube, nicht Veranda — was ſollte man damit? Nützlichkeit und Nüchternheit herrſchen ſouverain und nehmen der Erſcheinung des Lebens allen Reiz und alle Farbe. Grün und gelb und roth wechſeln die Häuſer und liegen doch da wie einge- taucht in ein allgemeines, troſtloſes Grau. Den kläglichſten Anblick aber gewähren die ſogenannten Ver- gnügungsörter. Man erſchrickt bei dem Gedanken, daß es möglich ſein ſoll, an ſolchen Plätzen das Herz zu erlaben und zu neuer Wochenarbeit zu ſtärken. Wie Ironie tragen einige die Inſchrift: „Zum freundlichen Wirth.“ Man glaubt ſolcher Inſchrift nicht; wer könnte freundlich ſein in ſolcher Behauſung und Umgebung? An der Eingangsthür hängen zwei Wirthshausſchildereien von der bekannten Genrebilderart, die mehr an die Götzen und Kunſt- zuſtände der Sandwichsinſeln, als an die Nachbarſchaft Berlins erinnern, und als einziger Anklang an Spiel und Heiterkeit zieht ſich am Holzgitter des Hauſes eine Kegelbahn entlang, deren küm- merliches und ausgebleichtes Lattenwerk daſteht wie das Skelett eines Vergnügens.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/209>, abgerufen am 27.11.2024.