Abwesenheit alles dessen, was wohlthut, was gefällt. In erschrecken- der Weise fehlt der Sinn für das Malerische. Die Häuser sind meist in gutem Stand; nirgends die Zeichen schlechter Wirthschaft und des Verfalls; die Dachziegel weisen keine Lücke auf und keine angeklebten Streifen Papier verkürzen dem Glaser sein Recht und seinen Verdienst; das Holzgitter, das Haupt- und Nebengebäude umzieht, ist wohl erhalten und der junge Baum, der in der Nähe der Hausthür steht, hat seinen Pfosten, daran er sich lehnt, und seinen Bast, der ihn hält. Ueberall ein Geist mäßiger Ordnung, mäßiger Sauberkeit, überall das Bestreben, sich nach der Decke zu strecken und durch Fleiß und Sparsamkeit sich weiter zu bringen, aber nirgends das Bedürfniß, das Schöne, das erhebt und erfreut, in etwas anderem zu suchen, als in der Neuheit eines Anstrichs, oder in der Geradlinigkeit eines Zauns. Man will keine Schwalbe am Sims -- sie bringen Ungeziefer; man will keinen Epheu am Haus -- er schädigt das Mauerwerk; man will keine Bäume in Hof und Garten -- sie machen feucht und halten das Licht ab; man will nicht Laube, nicht Veranda -- was sollte man damit? Nützlichkeit und Nüchternheit herrschen souverain und nehmen der Erscheinung des Lebens allen Reiz und alle Farbe. Grün und gelb und roth wechseln die Häuser und liegen doch da wie einge- taucht in ein allgemeines, trostloses Grau.
Den kläglichsten Anblick aber gewähren die sogenannten Ver- gnügungsörter. Man erschrickt bei dem Gedanken, daß es möglich sein soll, an solchen Plätzen das Herz zu erlaben und zu neuer Wochenarbeit zu stärken. Wie Ironie tragen einige die Inschrift: "Zum freundlichen Wirth." Man glaubt solcher Inschrift nicht; wer könnte freundlich sein in solcher Behausung und Umgebung? An der Eingangsthür hängen zwei Wirthshausschildereien von der bekannten Genrebilderart, die mehr an die Götzen und Kunst- zustände der Sandwichsinseln, als an die Nachbarschaft Berlins erinnern, und als einziger Anklang an Spiel und Heiterkeit zieht sich am Holzgitter des Hauses eine Kegelbahn entlang, deren küm- merliches und ausgebleichtes Lattenwerk dasteht wie das Skelett eines Vergnügens.
Abweſenheit alles deſſen, was wohlthut, was gefällt. In erſchrecken- der Weiſe fehlt der Sinn für das Maleriſche. Die Häuſer ſind meiſt in gutem Stand; nirgends die Zeichen ſchlechter Wirthſchaft und des Verfalls; die Dachziegel weiſen keine Lücke auf und keine angeklebten Streifen Papier verkürzen dem Glaſer ſein Recht und ſeinen Verdienſt; das Holzgitter, das Haupt- und Nebengebäude umzieht, iſt wohl erhalten und der junge Baum, der in der Nähe der Hausthür ſteht, hat ſeinen Pfoſten, daran er ſich lehnt, und ſeinen Baſt, der ihn hält. Ueberall ein Geiſt mäßiger Ordnung, mäßiger Sauberkeit, überall das Beſtreben, ſich nach der Decke zu ſtrecken und durch Fleiß und Sparſamkeit ſich weiter zu bringen, aber nirgends das Bedürfniß, das Schöne, das erhebt und erfreut, in etwas anderem zu ſuchen, als in der Neuheit eines Anſtrichs, oder in der Geradlinigkeit eines Zauns. Man will keine Schwalbe am Sims — ſie bringen Ungeziefer; man will keinen Epheu am Haus — er ſchädigt das Mauerwerk; man will keine Bäume in Hof und Garten — ſie machen feucht und halten das Licht ab; man will nicht Laube, nicht Veranda — was ſollte man damit? Nützlichkeit und Nüchternheit herrſchen ſouverain und nehmen der Erſcheinung des Lebens allen Reiz und alle Farbe. Grün und gelb und roth wechſeln die Häuſer und liegen doch da wie einge- taucht in ein allgemeines, troſtloſes Grau.
Den kläglichſten Anblick aber gewähren die ſogenannten Ver- gnügungsörter. Man erſchrickt bei dem Gedanken, daß es möglich ſein ſoll, an ſolchen Plätzen das Herz zu erlaben und zu neuer Wochenarbeit zu ſtärken. Wie Ironie tragen einige die Inſchrift: „Zum freundlichen Wirth.“ Man glaubt ſolcher Inſchrift nicht; wer könnte freundlich ſein in ſolcher Behauſung und Umgebung? An der Eingangsthür hängen zwei Wirthshausſchildereien von der bekannten Genrebilderart, die mehr an die Götzen und Kunſt- zuſtände der Sandwichsinſeln, als an die Nachbarſchaft Berlins erinnern, und als einziger Anklang an Spiel und Heiterkeit zieht ſich am Holzgitter des Hauſes eine Kegelbahn entlang, deren küm- merliches und ausgebleichtes Lattenwerk daſteht wie das Skelett eines Vergnügens.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0209"n="191"/>
Abweſenheit alles deſſen, was wohlthut, was gefällt. In erſchrecken-<lb/>
der Weiſe fehlt der Sinn für das <hirendition="#g">Maleriſche</hi>. Die Häuſer ſind<lb/>
meiſt in gutem Stand; nirgends die Zeichen ſchlechter Wirthſchaft<lb/>
und des Verfalls; die Dachziegel weiſen keine Lücke auf und keine<lb/>
angeklebten Streifen Papier verkürzen dem Glaſer ſein Recht und<lb/>ſeinen Verdienſt; das Holzgitter, das Haupt- und Nebengebäude<lb/>
umzieht, iſt wohl erhalten und der junge Baum, der in der Nähe<lb/>
der Hausthür ſteht, hat ſeinen Pfoſten, daran er ſich lehnt, und<lb/>ſeinen Baſt, der ihn hält. Ueberall ein Geiſt mäßiger Ordnung,<lb/>
mäßiger Sauberkeit, überall das Beſtreben, ſich nach der Decke zu<lb/>ſtrecken und durch Fleiß und Sparſamkeit ſich weiter zu bringen,<lb/>
aber nirgends das Bedürfniß, das Schöne, das erhebt und erfreut,<lb/>
in etwas anderem zu ſuchen, als in der Neuheit eines Anſtrichs,<lb/>
oder in der Geradlinigkeit eines Zauns. Man will keine Schwalbe<lb/>
am Sims —ſie bringen Ungeziefer; man will keinen Epheu am<lb/>
Haus — er ſchädigt das Mauerwerk; man will keine Bäume in<lb/>
Hof und Garten —ſie machen feucht und halten das Licht ab;<lb/>
man will nicht Laube, nicht Veranda — was ſollte man damit?<lb/>
Nützlichkeit und Nüchternheit herrſchen ſouverain und nehmen der<lb/>
Erſcheinung des Lebens allen Reiz und alle Farbe. Grün und<lb/>
gelb und roth wechſeln die Häuſer und liegen doch da wie einge-<lb/>
taucht in ein allgemeines, troſtloſes Grau.</p><lb/><p>Den kläglichſten Anblick aber gewähren die ſogenannten Ver-<lb/>
gnügungsörter. Man erſchrickt bei dem Gedanken, daß es möglich<lb/>ſein ſoll, an ſolchen Plätzen das Herz zu erlaben und zu neuer<lb/>
Wochenarbeit zu ſtärken. Wie Ironie tragen einige die Inſchrift:<lb/>„Zum freundlichen Wirth.“ Man glaubt ſolcher Inſchrift nicht;<lb/>
wer könnte freundlich ſein in ſolcher Behauſung und Umgebung?<lb/>
An der Eingangsthür hängen zwei Wirthshausſchildereien von der<lb/>
bekannten Genrebilderart, die mehr an die Götzen und Kunſt-<lb/>
zuſtände der Sandwichsinſeln, als an die Nachbarſchaft Berlins<lb/>
erinnern, und als einziger Anklang an Spiel und Heiterkeit zieht<lb/>ſich am Holzgitter des Hauſes eine Kegelbahn entlang, deren küm-<lb/>
merliches und ausgebleichtes Lattenwerk daſteht wie das Skelett<lb/>
eines Vergnügens.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[191/0209]
Abweſenheit alles deſſen, was wohlthut, was gefällt. In erſchrecken-
der Weiſe fehlt der Sinn für das Maleriſche. Die Häuſer ſind
meiſt in gutem Stand; nirgends die Zeichen ſchlechter Wirthſchaft
und des Verfalls; die Dachziegel weiſen keine Lücke auf und keine
angeklebten Streifen Papier verkürzen dem Glaſer ſein Recht und
ſeinen Verdienſt; das Holzgitter, das Haupt- und Nebengebäude
umzieht, iſt wohl erhalten und der junge Baum, der in der Nähe
der Hausthür ſteht, hat ſeinen Pfoſten, daran er ſich lehnt, und
ſeinen Baſt, der ihn hält. Ueberall ein Geiſt mäßiger Ordnung,
mäßiger Sauberkeit, überall das Beſtreben, ſich nach der Decke zu
ſtrecken und durch Fleiß und Sparſamkeit ſich weiter zu bringen,
aber nirgends das Bedürfniß, das Schöne, das erhebt und erfreut,
in etwas anderem zu ſuchen, als in der Neuheit eines Anſtrichs,
oder in der Geradlinigkeit eines Zauns. Man will keine Schwalbe
am Sims — ſie bringen Ungeziefer; man will keinen Epheu am
Haus — er ſchädigt das Mauerwerk; man will keine Bäume in
Hof und Garten — ſie machen feucht und halten das Licht ab;
man will nicht Laube, nicht Veranda — was ſollte man damit?
Nützlichkeit und Nüchternheit herrſchen ſouverain und nehmen der
Erſcheinung des Lebens allen Reiz und alle Farbe. Grün und
gelb und roth wechſeln die Häuſer und liegen doch da wie einge-
taucht in ein allgemeines, troſtloſes Grau.
Den kläglichſten Anblick aber gewähren die ſogenannten Ver-
gnügungsörter. Man erſchrickt bei dem Gedanken, daß es möglich
ſein ſoll, an ſolchen Plätzen das Herz zu erlaben und zu neuer
Wochenarbeit zu ſtärken. Wie Ironie tragen einige die Inſchrift:
„Zum freundlichen Wirth.“ Man glaubt ſolcher Inſchrift nicht;
wer könnte freundlich ſein in ſolcher Behauſung und Umgebung?
An der Eingangsthür hängen zwei Wirthshausſchildereien von der
bekannten Genrebilderart, die mehr an die Götzen und Kunſt-
zuſtände der Sandwichsinſeln, als an die Nachbarſchaft Berlins
erinnern, und als einziger Anklang an Spiel und Heiterkeit zieht
ſich am Holzgitter des Hauſes eine Kegelbahn entlang, deren küm-
merliches und ausgebleichtes Lattenwerk daſteht wie das Skelett
eines Vergnügens.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/209>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.