Klöden hat den früheren Zustand dieser Luchgegenden sehr schön und mit poetischer Anschaulichkeit geschildert. Er schreibt: "es war eine wilde Urgegend, wie die Hand der Natur sie gebildet hatte, ein Seitenstück zu den Urwäldern Südamerika's, nur kleiner und nicht Wald, sondern Luch. Es zeigte damals in großer Aus- dehnung, was kleinere Bruchflächen der Mark noch jetzt zeigen. Weit und breit bedeckte ein Rasen aus zusammengefilzter Wurzel- decke von bräunlich-grüner Farbe die wassergleiche Ebene, deren kurze Grashalme besonders den Riedgräsern angehören. In jedem Frühjahr quoll der Boden durch das hervordringende Grundwasser auf, die Rasendecke hob sich in die Höhe, bildete eine schwimmende, elastische Fläche, welche bei jedem Schritt unter den Füßen einsank, während sich ringsum ein flach trichterförmig ansteigender Abhang bildete. Andere Stellen, die sich nicht in die Höhe heben konnten, sogenannte Lanken, wurden überschwemmt, und so glich das Luch in jedem Frühjahr einem weiten See, über welchem jene Rasen- stellen wie grüne, schwimmende Inseln hervorragten, während an anderen Stellen Weiden, Erlen und Birkengebüsch sich im Wasser spiegelten, oder da, wo sie auf einzelnen Sandhügeln, den soge- nannten Horsten, gewachsen waren, kleine Wald-Eilande darstell- ten. Solcher Horsten gab es mehrere, von denen einige mitten im Havelländischen Luche lagen. Die umliegenden Ortschaften versuchten es, dem Luche dadurch einigen Nutzen abzugewinnen, daß sie ihre Kühe darin weiden ließen und das freilich schlechte und saure Gras, so gut es ging, mäheten. Beides war nur mit großer Müh- seligkeit zu erreichen. Das Vieh mußte häufig durch die Lanken schwimmen, um Grasstellen zu finden, oder es sank in die weiche Decke tief ein, zertrat dieselbe, daß bei jedem Fußtritt der braune Moderschlamm hervorquoll, ja daß es sich oft nur mit großer Mühe wieder herausarbeitete. Oft blieb eine Kuh im Moraste stecken und ward nach unsäglicher Mühe kalt, kraftlos und krank wieder heraus gebracht, oder wenn dies zu schwer hielt, an dem Orte, wo sie versunken war, geschlachtet und zerstückt heraus- getragen. Nur im hohen Sommer und bei trockener Witterung
Klöden hat den früheren Zuſtand dieſer Luchgegenden ſehr ſchön und mit poetiſcher Anſchaulichkeit geſchildert. Er ſchreibt: „es war eine wilde Urgegend, wie die Hand der Natur ſie gebildet hatte, ein Seitenſtück zu den Urwäldern Südamerika’s, nur kleiner und nicht Wald, ſondern Luch. Es zeigte damals in großer Aus- dehnung, was kleinere Bruchflächen der Mark noch jetzt zeigen. Weit und breit bedeckte ein Raſen aus zuſammengefilzter Wurzel- decke von bräunlich-grüner Farbe die waſſergleiche Ebene, deren kurze Grashalme beſonders den Riedgräſern angehören. In jedem Frühjahr quoll der Boden durch das hervordringende Grundwaſſer auf, die Raſendecke hob ſich in die Höhe, bildete eine ſchwimmende, elaſtiſche Fläche, welche bei jedem Schritt unter den Füßen einſank, während ſich ringsum ein flach trichterförmig anſteigender Abhang bildete. Andere Stellen, die ſich nicht in die Höhe heben konnten, ſogenannte Lanken, wurden überſchwemmt, und ſo glich das Luch in jedem Frühjahr einem weiten See, über welchem jene Raſen- ſtellen wie grüne, ſchwimmende Inſeln hervorragten, während an anderen Stellen Weiden, Erlen und Birkengebüſch ſich im Waſſer ſpiegelten, oder da, wo ſie auf einzelnen Sandhügeln, den ſoge- nannten Horſten, gewachſen waren, kleine Wald-Eilande darſtell- ten. Solcher Horſten gab es mehrere, von denen einige mitten im Havelländiſchen Luche lagen. Die umliegenden Ortſchaften verſuchten es, dem Luche dadurch einigen Nutzen abzugewinnen, daß ſie ihre Kühe darin weiden ließen und das freilich ſchlechte und ſaure Gras, ſo gut es ging, mäheten. Beides war nur mit großer Müh- ſeligkeit zu erreichen. Das Vieh mußte häufig durch die Lanken ſchwimmen, um Grasſtellen zu finden, oder es ſank in die weiche Decke tief ein, zertrat dieſelbe, daß bei jedem Fußtritt der braune Moderſchlamm hervorquoll, ja daß es ſich oft nur mit großer Mühe wieder herausarbeitete. Oft blieb eine Kuh im Moraſte ſtecken und ward nach unſäglicher Mühe kalt, kraftlos und krank wieder heraus gebracht, oder wenn dies zu ſchwer hielt, an dem Orte, wo ſie verſunken war, geſchlachtet und zerſtückt heraus- getragen. Nur im hohen Sommer und bei trockener Witterung
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Klöden hat den früheren Zuſtand dieſer Luchgegenden ſehr
ſchön und mit poetiſcher Anſchaulichkeit geſchildert. Er ſchreibt:
„es war eine wilde Urgegend, wie die Hand der Natur ſie gebildet
hatte, ein Seitenſtück zu den Urwäldern Südamerika’s, nur kleiner
und nicht Wald, ſondern Luch. Es zeigte damals in großer Aus-
dehnung, was kleinere Bruchflächen der Mark noch jetzt zeigen.
Weit und breit bedeckte ein Raſen aus zuſammengefilzter Wurzel-
decke von bräunlich-grüner Farbe die waſſergleiche Ebene, deren
kurze Grashalme beſonders den Riedgräſern angehören. In jedem
Frühjahr quoll der Boden durch das hervordringende Grundwaſſer
auf, die Raſendecke hob ſich in die Höhe, bildete eine ſchwimmende,
elaſtiſche Fläche, welche bei jedem Schritt unter den Füßen einſank,
während ſich ringsum ein flach trichterförmig anſteigender Abhang
bildete. Andere Stellen, die ſich nicht in die Höhe heben konnten,
ſogenannte Lanken, wurden überſchwemmt, und ſo glich das Luch
in jedem Frühjahr einem weiten See, über welchem jene Raſen-
ſtellen wie grüne, ſchwimmende Inſeln hervorragten, während an
anderen Stellen Weiden, Erlen und Birkengebüſch ſich im Waſſer
ſpiegelten, oder da, wo ſie auf einzelnen Sandhügeln, den ſoge-
nannten Horſten, gewachſen waren, kleine Wald-Eilande darſtell-
ten. Solcher Horſten gab es mehrere, von denen einige mitten im
Havelländiſchen Luche lagen. Die umliegenden Ortſchaften verſuchten
es, dem Luche dadurch einigen Nutzen abzugewinnen, daß ſie ihre
Kühe darin weiden ließen und das freilich ſchlechte und ſaure
Gras, ſo gut es ging, mäheten. Beides war nur mit großer Müh-
ſeligkeit zu erreichen. Das Vieh mußte häufig durch die Lanken
ſchwimmen, um Grasſtellen zu finden, oder es ſank in die weiche
Decke tief ein, zertrat dieſelbe, daß bei jedem Fußtritt der braune
Moderſchlamm hervorquoll, ja daß es ſich oft nur mit großer
Mühe wieder herausarbeitete. Oft blieb eine Kuh im Moraſte
ſtecken und ward nach unſäglicher Mühe kalt, kraftlos und krank
wieder heraus gebracht, oder wenn dies zu ſchwer hielt, an dem
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getragen. Nur im hohen Sommer und bei trockener Witterung
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/192>, abgerufen am 27.11.2024.
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