Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Fischer, Caroline Auguste]: Mährchen, In: Journal der Romane. St. 10. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Sylphe hört ihn gelassen an, giebt
keinen Ton von sich, sondern antwortet
ihm nur mit einigen Bewegungen, die für
Kanzedir mehr Bedeutung hatten, als
manche laute Äußerungen. Er ward da-
her immer zudringlicher und beherzter. Er
wollte und konnte sich nicht länger getäuscht
sehen und wagte es daher, auf eine sanfte
Weise ihr die Maske abzuziehen.

Wie groß war sein Erstaunen als er,
statt Abenza, vor sich Panagathe sah.
Panagathe ihrer Seits, welche keinesweges
wußte, daß Kanzedir in ihr seine Abenza
verhüllt wähnte, freute sich ihrem Neffen
einen augenscheinlichen Beweis gegeben zu
haben: daß die strenge Liebe, welche er ge-
gen Abenza zu hegen schien, nur in seiner
Einbildungskraft genährt werde, und daß
es nur eines andern Gegenstandes bedürfe,
um dieser eine andere Richtung zu geben.

Die Sylphe hoͤrt ihn gelaſſen an, giebt
keinen Ton von ſich, ſondern antwortet
ihm nur mit einigen Bewegungen, die fuͤr
Kanzedir mehr Bedeutung hatten, als
manche laute Äußerungen. Er ward da-
her immer zudringlicher und beherzter. Er
wollte und konnte ſich nicht laͤnger getaͤuſcht
ſehen und wagte es daher, auf eine ſanfte
Weiſe ihr die Maske abzuziehen.

Wie groß war ſein Erſtaunen als er,
ſtatt Abenza, vor ſich Panagathe ſah.
Panagathe ihrer Seits, welche keinesweges
wußte, daß Kanzedir in ihr ſeine Abenza
verhuͤllt waͤhnte, freute ſich ihrem Neffen
einen augenſcheinlichen Beweis gegeben zu
haben: daß die ſtrenge Liebe, welche er ge-
gen Abenza zu hegen ſchien, nur in ſeiner
Einbildungskraft genaͤhrt werde, und daß
es nur eines andern Gegenſtandes beduͤrfe,
um dieſer eine andere Richtung zu geben.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0240" n="236"/>
Die Sylphe ho&#x0364;rt ihn gela&#x017F;&#x017F;en an, giebt<lb/>
keinen Ton von &#x017F;ich, &#x017F;ondern antwortet<lb/>
ihm nur mit einigen Bewegungen, die fu&#x0364;r<lb/>
Kanzedir mehr Bedeutung hatten, als<lb/>
manche laute Äußerungen. Er ward da-<lb/>
her immer zudringlicher und beherzter. Er<lb/>
wollte und konnte &#x017F;ich nicht la&#x0364;nger geta&#x0364;u&#x017F;cht<lb/>
&#x017F;ehen und wagte es daher, auf eine &#x017F;anfte<lb/>
Wei&#x017F;e ihr die Maske abzuziehen.</p><lb/>
        <p>Wie groß war &#x017F;ein Er&#x017F;taunen als er,<lb/>
&#x017F;tatt Abenza, vor &#x017F;ich Panagathe &#x017F;ah.<lb/>
Panagathe ihrer Seits, welche keinesweges<lb/>
wußte, daß Kanzedir in ihr &#x017F;eine Abenza<lb/>
verhu&#x0364;llt wa&#x0364;hnte, freute &#x017F;ich ihrem Neffen<lb/>
einen augen&#x017F;cheinlichen Beweis gegeben zu<lb/>
haben: daß die &#x017F;trenge Liebe, welche er ge-<lb/>
gen Abenza zu hegen &#x017F;chien, nur in &#x017F;einer<lb/>
Einbildungskraft gena&#x0364;hrt werde, und daß<lb/>
es nur eines andern Gegen&#x017F;tandes bedu&#x0364;rfe,<lb/>
um die&#x017F;er eine andere Richtung zu geben.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[236/0240] Die Sylphe hoͤrt ihn gelaſſen an, giebt keinen Ton von ſich, ſondern antwortet ihm nur mit einigen Bewegungen, die fuͤr Kanzedir mehr Bedeutung hatten, als manche laute Äußerungen. Er ward da- her immer zudringlicher und beherzter. Er wollte und konnte ſich nicht laͤnger getaͤuſcht ſehen und wagte es daher, auf eine ſanfte Weiſe ihr die Maske abzuziehen. Wie groß war ſein Erſtaunen als er, ſtatt Abenza, vor ſich Panagathe ſah. Panagathe ihrer Seits, welche keinesweges wußte, daß Kanzedir in ihr ſeine Abenza verhuͤllt waͤhnte, freute ſich ihrem Neffen einen augenſcheinlichen Beweis gegeben zu haben: daß die ſtrenge Liebe, welche er ge- gen Abenza zu hegen ſchien, nur in ſeiner Einbildungskraft genaͤhrt werde, und daß es nur eines andern Gegenſtandes beduͤrfe, um dieſer eine andere Richtung zu geben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fischer_maehrchen_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fischer_maehrchen_1802/240
Zitationshilfe: [Fischer, Caroline Auguste]: Mährchen, In: Journal der Romane. St. 10. Berlin, 1802, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fischer_maehrchen_1802/240>, abgerufen am 25.11.2024.