Maͤhrchen.
Berlin.
Jn Ungers Journalhandlung.
1802.
Journal der Romane.
Zehntes Stuͤck.
Berlin, 1802.
Jn Ungers Journalhandlung.
Selim und Zoraïde.
Der Koͤnig Krantimor war ein ſo recht-
ſchaffner Mann; daß er ſich gradezu auf
ſeinen Thron ſetzen mußte, um jemand zu
uͤberzeugen, er ſey daran gewoͤhnt.
Mit unerſchuͤtterlicher Standhaftigkeit
beharrte er darauf, zu ſeinen Verordnun-
gen nichts als den Rahmen herzugeben,
und ſich dem zufolge alle Morgen einige
Buͤcher weißes Papier reichen zu laſſen,
worauf er dann ſeine Miniſter das Übrige
hinzuſetzen lies.
Eben ſo eifrig trieb er ſeine Generale
an, ſo viel Schlachten als moͤglich zu gewin-
A
nen, um dann als Vater des Volkes, das
Tedeum mit der gehoͤrigen Wuͤrde abſingen,
und die gewoͤhnlichen Gluͤckwuͤnſche deswe-
gen annehmen zu koͤnnen.
Von der Wichtigkeit ſeines Lebens uͤber-
zeugt, ſtaͤrkte er ſich taͤglich durch eine wohl-
geordnete Jagd. Kuͤche und Keller wurden
Abends zuvor auf das ſolideſte beſorgt, und
es verſtand ſich von ſelbſt: daß man, bey
dieſer wichtigen Staatsangelegenheit, auf
einige verwuͤſtete Saatfelder weiter keine
Ruͤckſicht nehmen konnte.
Die Koͤnigin war vor einigen dreyßig
Jahren ſehr ſchoͤn, das heißt alles gewe-
ſen was man vernuͤnftiger Weiſe von einer
Koͤniginn verlangen kann. »Nicht viel
verlangt!« — wird man ſagen — Aber
die arme Koͤniginn mag das Gegentheil be-
weiſen.
Welch ein Hals! Welch ein Mund!
Welch ein himmliſches Auge!« — riefen
die grauſamen Hofleute alle Abende. »Barm-
herziger Gott! Welche Flekken! Welche
Runzeln! Welche ſchreckliche Vertiefungen!
wiederhohlte der noch grauſamere Spiegel
alle Morgen.
Was ſollte man thun? — da die Hof-
leute auf dieſe Weiſe andeuteten; wie we-
nig ſie geneigt waren von ihren Forderun-
gen abzugehen; ſo noͤthigten ſie die arme
Koͤniginn das Äußerſte zu verſuchen.
Man verſchrieb Schoͤnheitswaſſer, Fal-
tenzieher, deutſche und ſpaniſche Schminken;
die Toilette ward bei verſchloßnen Thuͤren
beſorgt, und die Kammerfrauen hatten kaum
Zeit, taͤglich einen Roman durchzuleſen.
Aber wann kaͤme ein Ungluͤck allein? —
Prinzeſſin Zoraïde fing jetzt in ihrem
zwoͤlften Jahre an zu beweiſen: wie ſie in
ihrem ſiebzehnten alle Schminken und
A 2
Schoͤnheitswaſſer der ganzen Welt zu Schan-
den machen wuͤrde. Hies das nun aber
nicht ihrer Mutter gradezu nach dem Le-
ben trachten? — Auch nahm es die Koͤni-
ginn ganz von dieſer Seite, und da es ſo-
gar nach den Grundſaͤtzen der neueſten
Philoſophie erlaubt iſt: ſein Leben zu ver-
theidigen; glaubte ſie ſich ebenfalls dazu
verbunden.
Die Prinzeſſin ward krank, bekam An-
faͤlle von Wahnſinn und konnte ſchlechter-
dings dem oͤffentlichen Urtheile nicht mehr
Preis gegeben werden.
»Ob ſich das alles ſo verhielt?« — Wer
haͤtte danach fragen duͤrfen! — — Genug
die Koͤnigin verſicherte es, und der Koͤnig
ſo eben mit den Anſtalten einer Wilden-
ſchweinsjagd beſchaͤftigt, konnte unmoͤglich,
wider ſeine Gewohnheit den Unglaͤubigen
machen.
Ein benachbarter Park ward auf das
ſchleunigſte mit hohen Paliſaden eingefaßt,
ein kleines Haus darin aufgebaut, und die
Prinzeſſin unter ſicherer Bedeckung dahin
abgefuͤhrt.
Einige Stumme beſorgten die Aufwar-
tung, zwey Cavallerieregimenter umgaben
die aͤußern Bezirke des Parks und die
ſchlafloſen Naͤchte der Koͤniginn ſchienen
ſich etwas zu mindern.
Nichts deſto weniger verſtand es ſich
von ſelbſt: daß ihre Geſundheit, unter die-
ſen haͤuslichen Sorgen, merklich gelitten
hatte und daß der Koͤnig, wenn grade boͤ-
ſes Jagdwetter einfiel oder kein Tedeum zu
ſingen war, manchmal nach ſeiner Tochter
fragte.
Die Nachrichten lauteten dann immer
ſo niederſchlagend, daß man nur durch feſt-
liche Zerſtreuungen einigermaßen aufgeheitert
werden konnte; und ſo ward der Pf . . ſche
Hof bald einer der glaͤnzendſten die es je-
mahls gegeben haben mag.
Jetzt hatte Zoraïde ihr funfzehntes Jahr
erreicht und die Paliſaden wurden mit ei-
ner Mauer umgeben, als Prinz Selim mit-
ten unter einem großen Feuerwerke in der
Reſidenz anlangte.
Der Koͤnig empfing ihn mit einem trauli-
chen Handſchlage, und die Koͤniginn ſuchte
ſchnell Eins ihrer ſiegreichſten Laͤcheln her-
vor. Der trauliche Handſchlag galt dem
Erben eines großen Koͤnigreichs, und das
Laͤcheln einer wirklichen apolloniſchen Ge-
ſtalt.
Zwar wollten die Hofleute gegen das
letzte einige Zweifel erheben, da ſie aber
von den Damen hoͤrten: welch eine klaͤgli-
che Bewandniß es mit dem Verſtande des
Prinzen habe, glaubten ſie ſich wegen der
der Schoͤnheit zur Majoritaͤt ſchlagen zu
koͤnnen.
Jn der That waren die Hofdamen zu
dieſem Urtheil vollkommen berechtiget.
Keiner Einzigen hatte der Prinz Gelegen-
heit gegeben, die Reinigkeit und Unwan-
delbarkeit ihrer Grundſaͤtze zu bewaͤhren. —
Was um Gotteswillen ſollte man aber von
der Tugend dieſer guten Kinder denken;
wenn ſich niemand die Muͤhe gab ſie auf
die Probe zu ſtellen. Rache ward daher
einmuͤthiglich beſchloſſen, und der Prinz
ſchien verloren zu ſeyn.
Aber ungluͤcklicher Weiſe bemerkte er
nichts von allen dieſen Anſtalten. Der
Kavallerieoffizier, welcher den Park be-
wachte, war ſein Freund, und hatte ihm
einige Vermuthungen uͤber den ſogenannten
Wahnſinn des lieblichen Maͤdchens verra-
then. Da er ſelbſt der Sache nicht weiter
nachſpuͤren durfte; ſo glaubte er in dem
Prinzen ſeinen Mann gefunden zu haben
und es zeigte ſich bald, daß er richtig com-
binirt hatte.
Selim dachte wachend und traͤumend
nichts als das ungluͤckliche Maͤdchen, alle
Zerſtreuungen wurden ihm zum Eckel und
die ganze Urbanitaͤt des Pf . . ſchen Hofes
ging an ihm verlohren.
Zwar hatte grade davon Fee Melinette,
ſeine Beſchuͤtzerinn, die letzte Politur fuͤr
ihren Liebling erwartet; aber unter uns
geſagt, die gute Frau haͤtte ihn gar wohl
zu Hauſe laſſen koͤnnen. Er war, dank ih-
rer Sorgfalt, fuͤr einen Prinzen, uͤberfluͤßig
gut erzogen, und hatte mehr Verſtand als
fuͤr ein halb Dutzend Koͤnigreiche noͤthig
geweſen waͤre. Rechnet man noch einen
Ring dazu, durch welchen er ſich unſichtbar
machen konnte, wann es ihm beliebte; ſo
ſo wuͤßte ich doch nicht: was ihm, zu einem
vollkommenen Prinzen damaliger Zeit, ge-
fehlt haben ſollte. —
Aber ohne dieſen Ring wie ungluͤcklich
wuͤrde er bey allen Vollkommenheiten gewe-
ſen ſeyn!—Nur dieſer machte es ihm moͤglich
Wachen, Mauern, und Paliſaden zu durch-
dringen, das theure Maͤdchen zwiſchen ih-
ren Blumen wandlen zu ſehen, und das
ſuͤße Gift der Liebe in vollen Zuͤgen einzu-
athmen.
Abends zuvor hatte Selim das Geheim-
niß erfahren; Morgens ſchon, ehe die Sonne
aufging, irrte er unſichtbar in den Gebuͤ-
ſchen des Parkes umher, und entdeckte, nach
langem Schmachten, ploͤtzlich das niedrige
Haͤuschen von hohen Linden beſchattet.
Da lag das holdſeelige Maͤdchen, im
hoͤchſten Schmucke der Jugend. So ſchoͤn
und ſo rein, als haͤtte ſie noch keine Stunde
auf der verderbten Erde geathmet. Er
fuͤhlte es: dieſer einzige Blick hatte uͤber
ſein Leben entſchieden, — Sie, oder den
Tod! —
Aber ach! Was mußte er thun, damit
ſie ihn liebte? — Sichtbar, oder unſichtbar,
durfte er es hoffen? — Der ſchoͤne Buſen
hob ſich ſo ruhig. — Jn dieſen Engelzuͤgen
war keine Spur irgend einer Leidenſchaft
zu entdecken. — Der ganze Frieden des
Himmels ſchien ſie zu umſchweben. — Wo-
zu haͤtte ſie ſeiner Liebe bedurft? —
Jn dieſe Gedanken vertieft, ſtand er
unſichtbar an ihrem Lager; als ein wunder-
ſchoͤner Vogel bey Zoraïdens Haupte ſich
niederlies. Kurz darauf folgte ihm ein
Anderer, dieſem ein dritter, bis in wenig
Minuten das theure Maͤdchen von einem
Voͤgelchore umgeben war. Unter ſuͤßem
Gezwitſcher, zwickten ſie bald hie, bald
dort, an ihrem Gewand, flatterten hin
und her durch die ofnen Fenſter, und ſchie-
nen das Ende ihres Schlummers kaum er-
warten zu koͤnnen.
Jetzt! jetzt! zuckte der ſchoͤne Arm, der
Roſenmund bewegte ſich zum Laͤcheln, noch
eine Secunde — und das Himmelauge war
geoͤfnet. Dem Prinzen entfuhr ein Laut
des freudigen Erſtaunens, und Zoraïde
ſprang ſchnell von ihrem Lager.
Sie eilte in das Gebuͤſch, von den Voͤ-
geln begleitet, und ſchien waͤrend ſie ihnen
das Futter ſtreute, nach allen Seiten zu
forſchen: woher der Laut wohl gekommen
ſeyn moͤgte? — Mehr als ein Mahl war
der Prinz im Begriff, ihr ſichtbar zu wer-
den, und ihre Knie zu umfaſſen. Doch
Furcht, und Mistrauen in ſich ſelbſt hielten
ihn bey jeder ihrer Bewegungen zuruͤck.
Aber jetzt da Zoraïde den Stummen Be-
fehl gab das Bad zu bereiten; drohten die
gegen einander kaͤmpfenden Empfindungen
ſeine Bruſt zu zerſprengen. Solte er blei-
ben? — ſollte er folgen? Noch war er zu
keinem feſten Entſchluſſe gekommen, als
Zoraïde aus ſeinen Augen verſchwunden
war. Erſchrocken ſtarrte er ihr nach und
— nur ein wirklich liebendes Herz wird
ihn begreifen — verſank in wonnevolle
Traͤumereyen, ohne ſeine Stelle verlaſſen
zu koͤnnen.
Ein Geraͤuſch weckte ihn daraus. Es
war Fee Melinette, ſeine Beſchuͤtzerin. Sie
hatte in ſeiner Seele den Wunſch geleſen:
ſie zu ſehen und ſie um ihre maͤchtige Huͤlfe
zu bitten.
»Liebſt du wirklich, Selim, — ſagte ſie
mit ihrem gewoͤhnlich liebevollen Tone — ſo
bedarfſt du ihrer nicht. Thue was dir die
Liebe gebietet und du wirſt gefallen.«
»Aber meine guͤtige Mutter! — antwor-
tete er — Jch moͤgte ſo vieles thun; woher
nehme ich aber die Macht dazu? —
»Sey ruhig! Wenn du aus wahrer
Liebe es zu thun wuͤnſcheſt; ſo wird es dir
gelingen. Du weißt ich halte was ich ver-
ſpreche. — Leb wohl, und vergiß nicht die
Bedingung!« —
»Die Bedingung! rief Selim — O Gott!
jetzt bin ich allmaͤchtig! —
Der gute Selim! Es wird ſich ja zei-
gen! —
So bald ſie kommt — rief er — ſoll
eine Wolke ſich niederlaſſen, damit ihr Fuß
die Erde nicht beruͤhre! Ein Chor Genien
ſoll ſie umſchweben, und die koͤſtlichſten
Wohlgeruͤche ſollen zu ihr aufſteigen! Dann
werde ich . . .
Sie kam und nichts von dem Allen ge-
ſchah.
Maͤhrchen. B
»Was iſt das? Ey, ey! Selim! ſteht es
ſo um deine Liebe? —
Doch nein! Seht! dort war ein Roſen-
ſtrauch, von Zoraïden gepflanzt. Noch
geſtern bluͤhten zwey der ſchoͤnſten Roſen
darauf; aber heute — — »Ach heute —
ſagte Zoraïde — ſind ſie alle verwelkt!« —
Schmerz, iſt Schmerz! mag er durch
zwey verwelkte Roſen; oder durch eben ſo
viele verlohrne Koͤnigreiche hervorgebracht
werden. Jn Zoraïdens Naͤhe gab es keine
groͤßern Leiden. Selim empfand dieſe ſo
lebhaft wie ſie ſelbſt, und der Roſenſtrauch
entfaltete ploͤtzlich eine Menge bluͤhender
Knospen.
»Nun? — dachte Selim — liebte ich
vorhin nicht eben ſo ſehr wie jetzt? — Wo
blieb aber die Wolke? —
»Da wo ſie immer bleiben wird; —
fluͤſterte Melinette — wenn deine Eitelkeit
ſie begehrt « —
»Eitelkeit! — dachte Selim — Eitelkeit
bey meiner unendlichen Liebe!
»Erinnere dich der Wolke! — erwiederte
Melinette —
Aber der Prinz ſah nach Zoraïden und
nach dem bluͤhenden Strauche. — Er hatte
geſchaffen! — Er liebte! — Giebt es noch
etwas beſeeligenderes fuͤr den Menſchen?
kann man da auf Ermahnungen hoͤren? —
Zwar koͤnnte man glauben, das Schaffen
habe dem Prinzen nicht viel Anſtrengung
gekoſtet; allein er befand ſich wirklich da-
bey in einem ganz beſondern Zuſtande.
Wuͤnſchte Zoraïde etwas, dann flammte
ſein Auge, ſein Herz klopfte ſchneller, ein
verdoppeltes Leben ſchien ſeinen ganzen
Koͤrper zu durchſtroͤmen, dunkle verworrne
Bilder umſchwebten dann ſeine Seele.
Angſtvoll ſuchte er ſie zu erhaſchen. Ver-
gebens! ſie waren dahin! — Aber nun wie-
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der! — Noch einmal! Abermals! — Jetzt
hielt er ſie. Schon konnte er vergleichen,
trennen, zu einem Ganzen verbinden. Jetzt!
jetzt! O des wonnevollen Augenblicks! Der
Gedanke war gebohren, noch eine Secunde
— und er ſtand lebendig vor ſeinen Augen.
»Nun das war aber kein Wunder!« —
Den Dichtern, und Philoſophen, Einem je-
den unter uns geht es ja alle Tage ſo!« —
»Richtig! lieben Freunde! Aber iſt es
denn meine Schuld; wenn das Wunder-
bare ſo natuͤrlich, und das Natuͤrliche ſo
wunderbar iſt? — Am Ende mußte Fee
Melinette mit ihrem Zauberſtabe das Beſte
dabey thun, und wer weiß: ob nicht irgend
ein großer Zauberer es eben ſo mit uns
macht. —
Dem ſey nun wie ihm wolle, genug
dieſe natuͤrlichen Wunder hatten Zoraïden
in einen Zuſtand verſetzt, der ihrer ſchoͤnen
Ruhe ſehr gefaͤhrlich zu werden drohte.
Keine ihrer Lieblingsbeſchaͤftigungen befrie-
digte ſie mehr, ihre Voͤgel, und ihre Blu-
men wurden vergeſſen, und nun ſchien ſie
wirklich von einem ſuͤßen Wahnſinn ergriffen.
»O Himmel! Geiſterodem der jetzt an
ihrer Wange voruͤber ſtreifte und ihren
Mund — ach ſo wunderbar — beruͤhrte!
— Und des Nachts! — Nein! jetzt taͤuſchte
ſie ſich nicht mehr! — gewiß es waren
Seufzer, die ſie ſo oft aus dem Schlafe er-
weckten! —
Seufzer? — kann ein Geiſt auch ſeuf-
zen?« — Nun verlor ſie ſich in ſchmerzhaft
ſuͤße Traͤumereyn, und alles Sichtbare ver-
ſchwand vor ihren Augen.
Aber deſto mehr Bilder traten aus ih-
rem Jnnern hervor. Ein Geiſt? — Ach
einen Geiſt kann man nicht denken! — We-
nigſtens einen aͤußerſt feinen, aͤtheriſchen
Koͤrper muß man ihm geben. — Aber welch
eine Form ſoll dieſer Koͤrper haben? —
»Welch Eine? — rief Zoraïde — nachdem
ſie mit geſchloßnen Augen manches Bild
hervorgerufen und verworfen hatte. »Welch
Eine? — rief ſie abermals, und der Prinz
ſtand wie von Raphael gezeichnet und
von Titian gemahlt, zum Sprechen aͤhnlich,
in Lebensgroͤße vor ihr.
Ein lauter Ruf des Schreckens wolte
ihr entfahren; aber ploͤtzlich ſchloß ſie wie-
der den lieblichen Mund und ſank voll
Entzuͤcken die Augen unverwandt auf das
Bild geheftet bey einer Raſenbank nieder.
Armer Selim! auch jetzt durfteſt du ihr
nicht ſichtbar werden! — Jn der That Me-
linette war zu hart! — Alles was du aus
wahrer Liebe zu thun wuͤnſchteſt, ſolte dir
gelingen. Wie oft hatteſt du gewuͤnſcht
Zoraïdens Knie umfaſſen zu duͤrfen! — Nie
ward es dir vergoͤnnt! — Freilich hatteſt
du es um deinetwillen gewuͤnſcht; aber ſolte
das mit der Liebe ſchlechterdings unverein-
bar ſeyn? — Armer Selim! dein Murren
hilft nichts! — Die Feen ſind keine Maͤd-
chen. —
Wie ſehr bewieß dies Zoraïde! — Sie
dachte nicht daran, ob das was fuͤr ſie ge-
ſchah, aus wahrer Liebe geſchehe. —
Unbekannt mit der Welt und mit ihrem
eignen Herzen, wie haͤtte die Reinheit ir-
gend einer Empfindung ihr zweifelhaft wer-
den koͤnnen. Ach wenn man ſo liebenswuͤr-
dig iſt, dann wird es nicht ſchwer an Liebe
zu glauben! — Das Mistrauen ſcheint ſich
nur mit dem Alter und mit der Haͤslichkeit
zu verbinden und vermag leider nicht ſie zu
verſchoͤnern. —
Aber wie ging es dem Bilde? Es ſtand
im Hintergrunde einer großen Jasminlaube.
Anfangs hatte Zoraïde es nur von ferne
angeblickt; aber ein unwiderſtehliches Et-
was zog ſie immer naͤher zur Laube.
Jetzt trat ſie hinein. — Sonderbar! —
Sie ſah, ſie wußte ja daß es ein Bild war,
und doch konnte ſie dem Verlangen nicht
widerſtehen, ihre Hand auf die ſchoͤne
maͤnnliche Bruſt, an die volle bluͤhende
Wange zu legen. Dann trat ſie wieder
zuruͤck, um die ganze herrliche Geſtalt mit
einem Blicke zu umfaſſen. Welch ein
flammendes Auge! Welch ein lieblich maje-
ſtaͤtiſcher Mund! — Zoraïde iſt es moͤg-
lich? treibt die Natur ſo ſchnell? — Seht!
ſeht! ihr unentweihter Mund ruht auf dem
Munde des Bildes.
Und Selim? — Ach Selim wollte ver-
zweifeln. Ging dann wieder von der
Verzweiflung zum Entzuͤcken, vom Entzuͤ-
cken zur Verzweiflung uͤber. Grauſame
Melinette! wirſt du einmal aufhoͤren ihn
zu quaͤlen? — Warlich du verlangſt, was
die menſchliche Natur nicht zu leiſten ver-
mag! — Jſt es denn moͤglich ſich ganz zu
vergeſſen? —
Aber Melinette war unerbittlich. Zwar
fingen Selims Empfindungen an ſich zu
vermiſchen: daß ihr eigentliches Weſen ſo-
gar dem Feenauge zweifelhaft wuͤrde.
Demohngeachtet beſtand Melinette darauf:
der Prinz koͤnne nur durch Zoraïdens aus-
druͤckliches Verlangen in ihrer Naͤhe ſicht-
bar werden. Vergebens berief ſich dieſer
auf aͤhnliche Wuͤnſche Zoraïdens. — Es
blieb darum alles wie es war.
Haͤtte das liebliche Maͤdchen auch nur
eine Ahnung hiervon gehabt; wie bald
wuͤrde Selim erloͤſet worden ſeyn. Aber
der Wunſch den ſchoͤnen, herrlichen Mann
liebeathmend in ihre Arme zu ſchließen,
konnte nur allmaͤhlig in dem reinen Herzen
ſich bilden. Auch machten ſie, die unſchul-
digen an dem Gemaͤlde verſchwendeten
Liebkoſungen ſchon unbeſchreiblich gluͤcklich.
Aber ach! die Sonne kam naͤher, die
Naͤchte wurden lauer, Zoraide hatte das
ſechszehnte Jahr erreicht, und ihr Schlum-
mer ward oft unterbrochen. — Jhr duͤnkte,
es ſolle ſie etwas umfaſſen, mit Kraft, mit
Heftigkeit umfaſſen. — Sie muͤſſe es dann
feſt, feſt an ihr Herz druͤcken, als gaͤbe
ſie ſich auf ewig dahin, als ſolle nur der
Tod ſie ſcheiden. — Ja ſo mußte ſie es in
ihre Arme ſchließen. Aber ach Gott! was
ſolte ſie umfaſſen? — Das Bild? — es
ließ ſich nicht denken. — Nun irrte ſie mit
traͤhnenvollem Auge in den Gebuͤſchen um-
her. Jhr Gluͤck war dahin, und das Bild
ſtand verlaſſen.
Aber wenn ſie nun auf dem einſamen
Lager ſchlummerte, dann trat es wieder
lebendig vor ihr hin. Kein Bild mehr! —
Nein! nein! voll Liebe, voll Sehnſucht wie
ſie, mit hoher Kraft und himmliſcher An-
muth. Jetzt wolte ſie in ſeine Arme ſinken
und — erwachte.
»Wo biſt du? — rief ſie — wirſt du
dich ewig mir entziehen? — Kann ich nur
im Traume gluͤcklich ſeyn? — O ſo laß
mich nie aufhoͤren zu traͤumen! — Nun
ſank ſie zuruͤck und ſchloß die Augen wie-
der mit ahndungsvollem Laͤcheln.
Aber ſie bedurfte der Traͤume nicht
mehr. Selim kniete ſchon, im hoͤchſten Ent-
zuͤcken, an ihrer Seite, und deckte ihre
Haͤnde mit brennenden Kuͤſſen.
»Zoraïde! rief er — O, blicke mich an,
es iſt kein Traum. Jch liebe dich! liebe
dich unausſprechlich! — Ach Zoraïde! Zo-
raïde! was habe ich gelitten! — O blicke
mich an, damit ich dieſes alles vergeſſe!« —
Jetzt oͤfnete ſie die Augen und . . . . .
Wenn das Leben aus ſolchen Augenblicken
beſtaͤnde; dann koͤnnten wir den Himmel
entbehren.
Aber die Liebe erſcheint dem Sterblichen
nur, als Buͤrge fuͤr die Wirklichkeit eines
hoͤheren Lebens. Dann kehret ſie ſchnell
in das Geiſterland zuruͤck und nur ein rei-
nes Herz vermag ſie zu einer augenblickli-
chen Ruͤckkehr zu bewegen. So klagen ſelbſt
ihre gluͤcklichſten Lieblinge. Auch Selim
und Zoraïde glaubten ſich nur Augenblicke
beſeſſen zu haben; als ihre ſchoͤne Verbin-
dung auf die peinlichſte Art geſtoͤrt wurde.
Der Genius Grumedan hatte ſo eben
den Sieg uͤber eine wiederſpaͤnſtige Schoͤne
davon getragen, litt noch dazu an einer
Unverdaulichkeit und wolte ſich in den nie-
deren Luͤften, wo er eigentlich zu Hauſe ge-
hoͤrte, eine Bewegung machen; als . . . .
»Ein Genius der an einer Unverdaulich-
keit leidet!« —
Nun iſt denn das ſo was auſſerordentli-
ches? Man braucht nur die Perioden des
verfloſſenen Jahrhunderts ruͤckwaͤrts zu
zaͤhlen: ſo ſtoͤßt man unfehlbar auf die Pe-
riode der Genies, welche ſich gerade zwiſchen
der Siegwartſchen und der Paͤdagogiſchen
befindet, an den Knitteln, den ungekaͤmten
Haaren und den Unverdaulichkeiten zu er-
kennen iſt. Warlich! es ſteht gar nicht
fein, die Leute ſo mitten im Erzaͤhlen zu
unterbrechen. Noch dazu in einem Maͤhrchen,
wo man ſich dergleichen von Rechtswegen
verbitten kann. — Genug er machte ſich ei-
ne Bewegung in der untern Atmosphaͤre;
als er Zoraïden bei ihrem Huͤttchen ent-
deckte.
Sie war eben in einen ſuͤßen Schlum-
mer geſunken und ein wohlthaͤtiger Traum
zauberte den abweſenden Geliebten in ihre
Arme. Er mußte leider, wenigſtens an den
großen Feſten bei Hofe erſcheinen, um die
Koͤnigin und ihre Damen zu verſoͤhnen.
Aber der Zorn aller Koͤniginnen der Welt,
wuͤrde ihn nicht zuruͤckgehalten haben, wenn
er gewußt haͤtte, daß Grumedan ſich jetzt
bei ſeiner angebeteten Zoraide befaͤnde.
»Erwachen Sie doch! mein ſchoͤnes
Kind! — rief dieſer; indem er das zarte
Maͤdchen ſehr unſanft ſchuͤttelte — — das
Schlafen ſteht Jhnen zwar recht huͤbſch;
aber jetzt kann es nichts helfen und macht
mir wirklich Langeweile. Jch hoffe es wird
ſich ein vernuͤnftiges Wort mit Jhnen ſpre-
chen laſſen — und nichts befoͤrdert die Ver-
dauung ſo ſehr, als ein liebliches Maͤdchen-
geſchwaͤtz. Die Anderen wiſſen nichts als
ſich ein bischen wehren, unterliegen, und
dann jaͤhnen. Aber Sie ſehen mir nach
ganz was anderem aus. — Nun ſo hoͤren
Sie doch! und ſperren Sie das Maͤulchen
nicht ſo auf!«
Jn der That Zoraïdens Mund, hielt das
Mittel, zwiſchen Jaͤhnen und Erſtaunen.
Sie maß den Genius in die Breite und in
die Laͤnge, ohne das mindeſte auf ſeine
zaͤrtliche Anrede erwiedern zu koͤnnen.
»Nun Mademoiſelle! was ſoll denn das
Angaffen bedeuten? haben Sie in ihrem
Leben nichts von dem Genius Grumedan
gehoͤrt? — Jch ſolte doch meinen, die Schoͤ-
nen muͤßten ihn kennen! — Aber Sie ſchei-
nen mir hier auch verzweifelt kloͤſterlich zu
wohnen! — Nun geben Sie ſich zufrieden!
Jch will Sie mitnehmen, und wenn Sie
artig ſind; ſollen Sie es ganz gut bey mir
haben.
Bey dieſen Worten ſchien er wegen des
Mitnehmens Ernſt machen zu wollen, als
ploͤtzlich Melinette mit ihrem Zauberſtabe
dazwiſchen trat.
»Jch bitte — ſagte ſie, ziemlich trocken —
Herr Grumedan wollen ſich maͤßigen. Sie
haben ſich der Entfuͤhrungen, und was dem
aͤhnlich ſieht, bey dieſer Gelegenheit zu ent-
halten. Prinzeſſin Zoraïde moͤchte auf dieſe
Weiſe ſchwerlich zu gewinnen ſeyn. Gegen
alles, was Sie durch Jhre Liebenswuͤrdig-
keit erhalten koͤnnen, habe ich nicht das
Geringſte einzuwenden. Aber auf dem an-
deren Wege moͤchte ich mir die Freiheit
nehmen, gewiſſe Einwendungen zu machen;
welche ſchwerlich Dero Beifall erhalten
moͤchten.«
»Ey! ey! ganz gehorſamer Diener Ma-
dam! — antwortete der Genius, etwas be-
troffen — Wer haͤtte unter dieſem Stroh-
dache eine Prinzeſſin geſucht, die ſo gluͤck-
lich iſt, ſich Jhres Schutzes zu erfreuen!
Nun!
Nun! nun! Umſtaͤnde veraͤndern die Sache!
— — Jndeſſen werde ich mein Moͤglichſtes
thun, und hoffe Prinzeſſin Zoraïde wird
Augen haben. — A revoir Madame! und
sans rancune wenn ich bitten darf!
Bey dieſen Worten begann er ſeinen
ſchwerfaͤlligen Flug und ſtreifte ſo plump an
einem Zitronenbaͤumchen voruͤber, daß Bluͤ-
then und Fruͤchte in einem Augenblicke zer-
ſtoͤrt waren.
»Sehen Sie! ſehen Sie! — rief Zo-
raïde — dieſen Unhold ſollte ich lieben? —
»Lieben! — wiederhohlte Grumedan;
in deſſen dicke Ohren nur das letzte Wort ge-
drungen war — Ah ha! ſie ſpricht ſchon
von lieben! Seht mir doch Einer die
Maͤdchen!« — und ſo arbeitete er ſich un-
ter ſchallendem Gelaͤchter, ſtoͤhnend durch
die Luͤfte.
»Ach Madam! — rief Zoraïde — ohne
Maͤhrchen. C
ihren Schutz ſind wir verloren! — Meine
Mutter wird mich aufopfern, und Selim
verzweiflen!« —
»Sey ruhig liebes Kind! — antwortete
Melinette — bey der kleinſten Gewaltthaͤ-
tigkeit halte ich mich an den Herrn Gru-
medan. Er weiß: daß ich in ſolchen Faͤl-
len nicht zu ſpaßen pflege. Erſt vor kur-
zem iſt er von einer ſehr empfindlichen
Strafe befreit worden, und moͤgte wahr-
ſcheinlich keine Luſt haben ſich einer zwei-
ten auszuſetzen. Aber ich eile deinen Ge-
liebten zu benachrichtigen. Es iſt ſchlechter-
dings nothwendig, daß er einige Zeit un-
ſichtbar bleibe. Huͤthe dich das Gegentheil
zu verlangen und vertraue meinem Schutze.
Mit dieſen Worten verſchwand ſie und
ließ Zoraïden gedankenvoll bey ihrem
Huͤttchen.
»Ach Selims Liebe! — Sein Muth! —
Welche Gefahren! Welche ſchreckliche Aus-
ſichten!« —
Jn der That! kaum hoͤrte er die Un-
gluͤckspoſt; als auch ſchon von Schwerdt
und Lanze die Rede war. — Nichts von
Maͤßigung! von Unſichtbarkeit! — Ein Ne-
benbuhler! Bey einem Nebenbuhler unſicht-
bar! — Es war unmoͤglich! Es ließ ſich
gar nicht denken! —
Allein dieſer Nebenbuhler war ein Ge-
nius und mußte grade wegen ſeiner Plump-
heit mit der aͤußerſten Vorſicht behandelt
werden. Wollte der Prinz ihren ſehr ver-
nuͤnftigen Rathſchlaͤgen kein Gehoͤr geben;
ſo mogte er auf Melinettens Huͤlfe nicht
mehr rechnen.
Was war zu thun? — er mußte ſich
endlich ergeben. Melinette hatte Recht. —
Bey Zoraïdens unwandelbarer Liebe konnte
C 2
man den Genius auch wohl von der komi-
ſchen Seite nehmen.
Jn dieſer Stimmung befanden ſich die
Gemuͤther; als Herr Grumedan in einer
mit Stroh angefuͤllten Staubwolke Zoraï-
den ſeine Aufwartung machte.
Sie rieb ſich die ſchoͤnen Augen und
Herr Grumedan verſicherte: daß es ihm
jederzeit einen koͤniglichen Spas mache,
die Leute auf ſolche Weiſe bekomplimenti-
ren zu koͤnnen.
»Dort, neben Jhrem Park — fuhr er
fort — ſtreifte ich an einem Haufen Spazier-
gaͤnger vorbey. Da haͤtten Sie nur die Frau-
enzimmerchen ſehen ſollen! — Das war ein
Gequiqe! ein Gekreiſche. Sie liefen wie die
verlornen Schaͤfchen hin und her, und wuß-
ten nicht wie ihnen geſchah; als ich ſie auf
meine Weiſe, recht tuͤchtig, Eine nach der
Anderen abſchmatzte. Die Herrn Galane
ſtanden unterdeſſen wie verſteinert, und ich
dachte vor Lachen den Geiſt aufgeben zu
muͤſſen.
»Ach da wuͤrden Sie ſehr wenig aufge-
geben haben! — ſeufzte Zoraide mit thraͤnen-
den Augen.
Gluͤcklicher oder ungluͤcklicher Weiſe
hoͤrte Herr Grumedan nichts von dieſer
Anmerkung. Er hatte ſich laut ſchnaufend
auf eine Raſenbank und grade auf Zoraï-
dens Arbeitskoͤrbchen niedergeworfen, was
er mit einigen derben Fluͤchen uͤber die
Erbaͤrmlichkeit des Frauenzimmerapparats
ganz zerknirſcht unter ſich hervorzog.
Er verſicherte ein ausgemachter Feind
aller dieſer Nuͤrnberger Waare zu ſeyn und
ſchwur augenblicklich ſein ganzes Goldſer-
vies einſchmelzen zu laſſen; wenn nicht je-
der Senfloͤffel Soliditaͤt genug haͤtte, jeden
nach Belieben damit todt zu ſchlagen.
»Wenn Sie Schuͤſſeln ſehen wollen! —
fuhr er laut ſchreiend, und mit einem ent-
ſetzlichen Schlage auf der Bruſt fort —
da muͤßen Sie zu mir kommen! — Zwey
meiner dickſten Genien aͤchzen, wenn ſie ſie
auf den Tiſch bringen, und in meinen Ter-
rinen, kann man ein kleines Kaͤtzchen, wie
Sie, uͤber baden.
»Nun Nun! ſehen Sie nur nicht ſo be-
truͤbt aus! — Jch ſage ja noch nicht: daß
es geſchehen ſoll. Aber ich muß doch wirk-
lich den Papa zum Eſſen bitten. — Da
ſollen Sie einmal Augen machen! — —
Aber wo blieb Selim waͤhrend dieſer
ſchoͤnen Unterhaltung? — Ach Selim hatte
ihr vom Anfange zugehoͤrt und dachte nur
auf Mittel Zoraïdens Leiden zu mildern.
Er waͤhlte dazu ihre kleinen Lieblinge die
Voͤgel. Bald ſtimmten ſie ein ſo angeneh-
mes und die wohlklingendſten Jnſtrumente
nachahmendes Concert an: daß ſie Herrn
Grumedan ſogar auf einige Augenblicke
ſeine goldene Schuͤſſeln vergeſſen machten.
»Hm! nicht uͤbel! rief er, nachdem er
einige male ſich recht wohlgefaͤllig ausge-
dehnt hatte. — Wahrſcheinlich eine kleine
Galanterie Jhrer Beſchuͤtzerin Signora
Melinette. Jndeſſen ſehe ich doch nicht
ein; daß viel Kunſt dazu gehoͤrt, die Voͤgel
muſikaliſch zu machen. — Wollen Sie,
ſchlechterdings dergleichen haben; ſo muͤßte
es doch naͤrriſch zugehen, wenn man nicht
etwas viel kurioſeres heraus bringen ſollte.«
»Ach ich bin recht ſehr mit dieſem zu-
frieden — erwiederte Zoraïde, —
»Das will ich glauben! — fiel Herr
Grumedan ein — Weil Sie nichts beſſe-
res kennen. — Aber es ſoll Jhnen mein
Seel ganz anders zu Muthe werden, wenn
ich meine Concertanten anfangen laſſe! —
Bey dieſen Worten ſtampfte er mit ſei-
nem corpulenten Fuß auf den Boden und
ploͤtzlich ſtimmten einige tauſend Froͤſche
ein ſo fuͤrchterliches Koaaks an: daß Zoraïde
haͤnderingend bath ſie zu verſchonen. Al-
lein Herr Grumedan bezeigte ſehr wenig
Luſt dazu und applaudirte ſo lange mit
Hand und Mund, bis er Zoraïden bey der
Raſenbank niedergeſunken fand.
»Nun! nun! — rief er — wer wird
denn gleich ſo erſchrecken! Es ſind ja nur
Froͤſche! — Aber was Kukkuk tanzt denn
da oben in den Luͤften? —
Es waren Zoraïdens Voͤgel. Mit vie-
len hundert Laͤmpchen in den Schnaͤbeln,
brachten ſie, auf Selims Gebot, die ange-
nehmſten und mannigfaltigſten Bilder her-
vor.
»Poz hundert tauſend — fuhr Herr
Grumedan fort — das ſoll wohl gar ein
Feuerwerk ſeyn? — Fee Melinette greift
ſich ja recht an! — Nun, morgen kann ich
auch damit aufwarten. Fuͤr heute iſt es
beſſer, Sie legen ſich zu Bette und kuͤnftig
werden Sie ſich das Erſchrecken wohl abge-
woͤhnen.« Mit dieſen Worten empfahl er
ſich, und Zoraïde ſank in ihres Selims
Arme.
Aber ach! ſchon auf den folgenden Tag
war das Feuerwerk angekuͤndiget, und ſollte
nach Herrn Grumedans Verſicherung, alles
uͤbertreffen, was man jemals in der Art
geſehen haben mochte.
Vergebens bat, flehte Zoraïde, ſie we-
nigſtens heute nur damit zu verſchonen! —
Herr Grumedan war unerbittlich.
»Alle meine Leute — rief er — ſind
ſchon zur Stelle und warten nur auf das
verabredete Zeichen. Ja! ein ſolches er-
baͤrmliches Ding als das geſtrige, mag ſich
aufſchieben laſſen; aber hier iſt wahrhaftig
nicht zu ſpaßen! —
Zoraïde verſtummte, und das Feuerwerk
nahm ſeinen Anfang. Es war nichts mehr
und nichts weniger als ein ziemlich anſehn-
licher Vulkan, welcher durch einige Erdſtoͤße
die Ergoͤtzlichkeit ankuͤndigte. Schon bey
dem Erſten war Zoraïde zu Boden geſun-
ken. Aber Herr Grumedan weit entfernt
es zu bemerken, hielt ſich die Seiten vor
Lachen und verſicherte hoch und theuer:
ſich in langer Zeit nicht ſo koͤniglich amuͤ-
ſirt zu haben. Ganz vorzuͤglich labte er
ſich an den Schrecken der Wanderer in der
Naͤhe des Parks und glaubte, beſonders
bey dem Geſchrey der Frauenzimmer, ſich
ausſchuͤtten zu muͤſſen.
Aber Fee Melinette glaubte denn auch
ſeinen Galanterien ein Ziel ſetzen zu muͤſſen.
Sie erſchien mitten unter dem Gepraſſel des
Vulkans und bat Herrn Grumedan ziemlich
lakoniſch die Recreation zu endigen.
»Ey von Herzen gerne, antwortete die-
ſer mit außerordentlicher Nachgiebigkeit. —
Aber geſtehen Sie daß es zum krank lachen
iſt! —
»Kann ſeyn! — erwiederte Melinette
ſehr trocken — Jndeſſen ſcheint es Prinzeſ-
ſin Zoraïde nicht von dieſer Seite zu nehmen.
»Ja was Kuckuck ſoll man aber dabei
anfangen! rief Herr Grumedan ziemlich ent-
ruͤſtet. Jſt es meine Schuld, wenn ſie ſo
erbaͤrmlich zuſammengeſetzt iſt? —
Das nicht. Aber dann waͤre es doch
beſſer, ſich nach einer handveſteren Schoͤnen
umzuſehen.
Madame belieben zu ſpaßen! Sie wiſſen
eben ſo gut wie ich, daß uns dieſe zarten
Dingerchen am meiſten conveniren.
»Sie klagen ja aber grade uͤber dieſe
Zartheit. —«
J nun! c'est selon! Freilich muß ſie
kuͤnftig meinen Geſchmack beſſer ſtudiren.
Aber nach der Hochzeit wird ſich das alles
ſchon geben! — Denn ich werde doch wohl
Ernſt machen und mit dem Vater je eher
je lieber ſprechen muͤſſen.
Leben Sie wohl Madam! Das Prin-
zeßchen wird ſich mit Jhrer Huͤlfe ſchon er-
hohlen.
Bei dieſen Worten verſchwand Herr Gru-
medan nebſt dem feuerſpeienden Berge, und
Zoraïde holte zum erſten Male wieder
Athem. Sie hatte nichts von den Heyrats-
projekten vernommen und glaubte wieder
in ihres Selims Armen Troſt finden zu
koͤnnen.
Aber Melinette warnte ſie abermals,
und verſicherte: Herr Grumedan habe ge-
wiß bei dem Vulkan eine Nebenabſicht ge-
habt. Es ſey hoͤchſt wahrſcheinlich, daß er
Selim entdeckt und ſeinen Untergang be-
ſchloſſen habe.
Doch wann haͤtte die Liebe auf War-
nungen gehoͤrt! Kaum war Zoraïde allein,
als die Sehnſucht nach dem Geliebten von
neuem erwachte. Ach! er ſchwebte in ihrer
Naͤhe, ſchmachtete, wie ſie, nach einer Um-
armung, und hoͤrte nicht ſobald den Namen
Selim aus ihrem Munde, als auch ſchon
alle Feen und Genien der Welt vergeſſen
waren.
Aber Melinette hatte richtig geahnet.
Des plumpen Genius Dummheit bewahrte
ihn nicht vor der Eiferſucht. Er hatte den
Nebenbuhler gewittert, und lauſchte jetzt
im Hinterhalte, ſeine Rache zu befriedigen.
Schon hatte er die moͤrderiſche Keule geho-
ben; als Selim blitzſchnell und mit gezoge-
nem Schwerdte ihm entgegenſtuͤrzte.
Aber ohne Melinetten war er dennoch
verloren. Sie entfuͤhrte ihn ploͤtzlich durch
die Luͤfte und ſchloß ihn, ohne auf ſeine
Ausrufungen zu hoͤren, in einen ihrer praͤch-
tigſten aber zugleich feſteſten Pallaͤſte. Dann
kehrte ſie ſchnell zu dem plumpen Genius
zuruͤck, um ſeine Schritte auf das genaueſte
zu beobachten.
Er ließ jetzt an der ungluͤcklichen Zo-
raïde ſeine ganze Wuth aus, und ſchwor
daß er morgenden Tages zu ihrem Vater
gehen, und gleich nach der Hochzeit den
frechen Laffen bis an das Ende der Welt
aufſuchen wuͤrde.
Jn der That kaum hatte das friſche
Milchmaͤdchen ſich zum Gange in die Hof-
kuͤche geſchuͤrzt, der Koͤnig den erſten Wil-
denſchweins- und die Koͤnigin den zweiten
Verjuͤngungstraum angefangen: als Herr
Grumedan incognito, das heißt: wie ein
ordentlicher Menſch in der Reſidenz anlangte.
Freilich war ſein Aufzug eben nicht ge-
ſchickt dieſes Jncognito zu beguͤnſtigen. Er
wurde, auf ſeine Keule gelehnt, mit einem
jungen Wolfe unter dem Arme, von zwan-
zig polniſchen Ochſen auf einem maſſiv gol-
denen Karren gezogen, und hatte eine zahl-
reiche Escorte von fruͤh erwachten Puder-
goͤttern und laut applaudirenden Straßen-
junkern hinter ſich.
Drei entſetzliche Schlaͤge an die Schloß-
pforten meldeten ſeine Ankunft. Die Wa-
chen entflohen mit lautem Geſchrei und die
Zofen wußten nicht wohin mit ihren gluͤck-
lichen Liebhabern. Der Koͤnig fuhr mit un-
gewoͤhnlicher Schnelligkeit in die ungeſaͤu-
berten Jagdſtiefel, und die Koͤnigin ergriff
ein Gefaͤß mit rother Dinte ſtatt des rouge
de coeur.
Jn der That es war der guten Dame
nicht zu verdenken. Man ſchrie ihr mit ei-
nem Mahle von Ochſen und Genien, von
Woͤlfen und goldenen Waͤgen entgegen.
Mit beiden Armen ſuchte ſie nun das ent-
ſetzliche Crachende abzuwehren, und war ſo
ungluͤcklich die falſche Achſel der erſten Dame
d'honneur und die kaſtanienbraune Peruͤcke
der Zweiten zu treffen; als Genius Gru-
medan mit ihrem koͤniglichen Gemahl ange-
kuͤndigt wurde.
Vergebens ſuchte ſie nebſt den beyden
Hofdamen zu entfliehen. Genius Grume-
dan verſtand ſich nicht aufs Warten, und
noch ehe der Fehler mit der rothen Dinte,
mit der Achſel, und der Peruͤcke verbeſſert
war, ſtand er dicht vor dem lieblichen Klee-
blatte.
Zum Ungluͤck waren die beiden Damen
in dieſem wichtigen Momente ſeitwaͤrts ge-
beugt, und hatten die Koͤnigin mit ſchreckli-
chem Lichte im Vordergrunde zuruͤckgelaſſen.
»Poz
»Poz hundert tauſend! Jhro Majeſtaͤt
— rief Herr Grumedan; als er die rothe
Dinte auf den Wangen der Koͤnigin er-
blickte — »was iſt denn das fuͤr ein ſcheus-
liches Ungethuͤm?
»Meine Gemahlinn,« — antwortete der
Koͤnig; indem er den Genius freundſchaft-
lich in die Seite ſtieß. Er hatte nehmlich
Herrn Grumedan ſchon angezeigt: wie in
Anſehung der Heyrath alles von ſeiner
Gemahlin abhaͤnge, und der Genius fuͤhlte
jetzt, freilich etwas ſpaͤt: daß er ſchnell wie-
der gut machen muͤſſe.
»Hm . . . hm . . . — fuhr er raͤuſpernd
fort; indem er ſich zum Handkuſſe naͤherte
— »ſcheuslich; aber doch angenehm.« —
Gluͤcklicher Weiſe hatte die Koͤnigin in
der Beſtuͤrzung nur das letzte Wort gehoͤrt,
und bewillkommente nun den Genius ſo
gut es die Umſtaͤnde erlauben wollten. Die
Maͤhrchen. D
Hofdamen reſtaurirten ſich auch in der Ge-
ſchwindigkeit und ſo kam denn alles noch
vor Tafel in die gewoͤhnliche Ordnung.
Bei ihr nahm der Genius allein zwey
Spanferkel und vier kalkutiſche Haͤhne, und
verſicherte: bey dem Gemuͤſe eben ſo maͤßig
ſeyn zu wollen, um der Nachmittagsconfe-
renz, mit ungetruͤbtem Geiſte beiwohnen zu
koͤnnen.
Jn dieſer ward nun die Heyrathsange-
legenheit des breiteren verhandelt. Keine
Mitgabe, und keine Ruͤckkehr! — Da-
rauf beſtand die Koͤnigin. Nun ließ ſich
aber auch der Koͤnig die Hochzeit in der
Reſidenz, und eine Parforcejagd zum Ab-
ſchiede nicht nehmen.
Der Genius war mit allem zufrieden;
nur drang er auf ein kraͤftiges Mittel die
Prinzeſſin zum Jawort zu bewegen. Die
Koͤnigin uͤbernahm dieſes mit vieler Be-
reitwilligkeit und Herr Grumedan pfif nun
ſeinem Wolfe, um die Prinzeſſin augenblick-
lich zu hohlen.
Jn der That, kaum war der vierfuͤßige
Abgeſandte verſchwunden; als er ſchon
wieder mit Zoraïden auf dem Ruͤcken er-
ſchien, und ſie zu den Fuͤßen ihrer koͤnigli-
chen Eltern niederlegte. Sie war natuͤrlich
durch die ſonderbare Reiſe des Bewußtſeins
beraubt, und gab dadurch der Koͤnigin die
beſte Gelegenheit ſie unverzuͤglich in Ver-
wahrung zu nehmen.
Es fehlte nicht viel, ſo haͤtte dieſe eben
ſo ſehr wie ihre Tochter der Huͤlfe bedurft.
Zoraïdens Schoͤnheit hatte ſich bis zum
Blendenden vervollkommnet, und machte da-
her die kraͤftigſten Gegenanſtalten nothwen-
dig. Nur durch dieſe ſehr richtige Bemer-
kung, vermogte die Koͤnigin das Schrecken
zu uͤberwinden, und ſo ward denn alles
D 2
aufgeboten, die Vermaͤhlung zu beſchleu-
nigen.
Aber eine Vermaͤhlung trotz dem Abſcheu
der Braut! — Auch dafuͤr war geſorgt.
Der Hofkaplan wurde angewieſen bey der
entſcheidenden Frage die Hand an einen
Kelch zu legen, und im Falle eines Neins
dieſen ſogleich der Prinzeſſin anzubieten.
Man hatte ſie von dieſem wichtigen Um-
ſtande benachrichtiget und ein Laͤcheln zur Ant-
wort bekommen. Durch Herrn Grumedans
gluͤckliche Auslegungskunſt wurde dies zu
ſeinem Vortheile gedeutet, und ſo konnte
man denn hoffen, eine jede Parthey zu be-
friedigen.
Gleichwohl war der Koͤnig ſehr zu be-
klagen. — Die Regierungsgeſchaͤfte, welche
Morgens zwey ganze Stunden anhielten,
mußten fortgeſetzt werden; ohne daß der
gute Landesvater die mindeſte Erhohlung
dafuͤr gehabt haͤtte.
Seit des Genius Anweſenheit war an
keine ordentliche Jagd mehr zu denken.
Er ſchlug alles mit ſeiner Keule nieder;
was er vergaß, beſorgte ſein Wolf, und
Jhro Majeſtaͤt ſtanden dabey und jaͤhnten
ſo ſchrecklich, daß man Jhnen in das koͤ-
nigliche Herz haͤtte ſehen koͤnnen.
Dem mußte abgeholfen werden. Herr
Grumedan ſogar ſchien dieſes zu begreifen,
und beſchloß daher dem Koͤnige in der Re-
ſidenz eine kleine Ergoͤtzlichkeit zu veran-
ſtalten.
Er ließ naͤmlich das Trauerſpiel Romeo
und Julie durch lauter Thiere und groͤßten-
theils durch Baͤren auffuͤhren. Romeo un-
ter Anderen war ein gar tuͤchtiger Geſelle.
Um des Kontraſts willen hatte man ein
junges Schaf fuͤr die Rolle der Julie aus-
erſehen, alles ging vortreflich und einige
Dutzend Zuſchauer lagen ſchon vor Lachen
halb unter den Baͤnken, als der fuͤnfte Akt
das wirkliche Trauerſpiel zu eroͤfnen ſchien.
Romeo mochte in der Eile ſeine Rolle
nicht genug einſtudiert haben. Er bekam
mit einem male, einen ſo unuͤberwindlichen
Appetit zu ſeiner Julie, daß er ſie bey der
blonden Peruͤcke ergriff und wirklich incor-
poriren wolte. Julie aber glaubte nun
auch nicht mehr an ihre Rolle gebunden
zu ſeyn und fluͤchtete mit haſtigen Spruͤn-
gen uͤber das Orcheſter mitten unter die
Zuſchauer hinab.
Aber einem ſolchen Liebhaber war nicht
ſo leicht zu entfliehen. Er ſchien feſt ent-
ſchloſſen ſeine Rechte geltend zu machen
und verfolgte die Geliebte trotz allem, was
ſich ihm widerſetzen konnte.
Welch ein koͤniglicher Spas fuͤr den
Herrn Grumedan. Eine geraume Zeit
labte er ſich an der allgemeinen Verwir-
rung, und wuͤrde dieſes Vergnuͤgen ſo bald
nicht aufgegeben haben, haͤtte er ſich nicht
endlich, bey den wiederhohlten Bitten des
Koͤnigs dazu entſchließen muͤſſen.
Der zaͤrtliche Romeo ward demnach zu-
ruͤckberufen und die ſanfte Julie ſuchte nun
auf den koͤniglichen Auen, einen Liebhaber,
der auf eine nicht ſo originelle, aber fuͤr ſie
uͤberzeugendere Weiſe ſeine Liebe zu erken-
nen gaͤbe.
Endlich war denn nun auch der Hoch-
zeitstag erſchienen, und alles aufgeboten,
was ihn verherrlichen konnte. Die ſchoͤne
koͤnigliche Braut naͤherte ſich dem Altare
mit einer Heiterkeit die Allen, ausgenom-
men Herrn Grumedan, kraft ſeiner gluͤckli-
chen Selbſtzufriedenheit, unbegreiflich war.
— Aber ſiehe da! der Herr Genius hatten
dennoch geirrt, und das Raͤthſel wurde ganz
anders aufgeloͤßt.
Jn dem Augenblicke wo Zoraïde das
ſchreckliche Ja ausſprechen ſoll, greift ſie
nach dem Kelche und wuͤrde ihn unfehlbar
an den lieblichen Mund geſetzt haben; waͤre
nicht in demſelben Momente Kelch und
Prieſter von einem Blitzſtrahle getroffen
worden.
Unter rollendem Donner erbebte die Kir-
che und Melinette mit Selim ſtand an der
Seite des goͤttlichen Maͤdchens.
»Bis dahin und nicht weiter! — rief
die Fee; indem ſie Herrn Grumedan bey
dem genialiſchen Zopfe ergreifend ihn zum
Zeichen ihrer Macht ſchwebend uͤber dem
Altare erhielt. — »Es iſt Zeit dich Unhold
in Verwahrung zu bringen! und Sie Ma-
dam — indem ſie ſich zur Koͤnigin wandte
— »werden die Guͤte haben ihm Geſellſchaft
zu leiſten. Was Jhro Majeſtaͤt den Koͤnig
betrift; ſo werden Dieſelben hiemit von den
Tedeums und von den Unterſchriften befreit.
Wofuͤr Jhnen wie billig eine gute Penſion
und ein anſehnliches Jagdrevier angewieſen
wird.«
»Selim wird ein guter Koͤnig werden;
wenn er ſeine Eitelkeit, und Zoraïde eine
gute Frau; wenn ſie ihre Liebe uͤberwinden
kann.
Was die Fee damit ſagen wollte? —
Jn der That ich weiß es nicht? Es ſey
denn, daß ſie von der menſchlichen Liebe
geſprochen haben moͤchte. Bekanntlich koͤn-
nen die Maͤnner dieſe nicht gut an den
Weibern ertragen; wogegen ihnen aber die
goͤttliche — beſonders wenn ſie ſich durch
Langmuth aͤußert — uͤber die Maaßen gut
zu bekommen pflegt.
Krauskopf und Goldloͤckchen.
Die Fee Soline hatte ſeit mehreren Jah-
ren uͤber verſchiedne Koͤnigreiche regiert.
Jhr heller Kopf und ihr großes Herz erreg-
ten die allgemeine Bewunderung. Aber
ach! ſie ſelbſt war nicht gluͤcklich! — Groͤ-
ßer, denn alles, was ſie umgab; wie haͤtte
ſie es ſeyn koͤnnen.
Raſtloſe Thaͤtigkeit des Geiſtes war ihr
bis jetzt der hoͤchſte Genuß; aber dieſe Thaͤ-
tigkeit ſchien zwecklos zu werden. Was ſie
auch thun mochte, die Menſchen zu ſich zu
erheben, ſie fand ſie immer wieder geſunken.
»Nein! — rief ſie eines Morgens —
ich reiße mich los! Dieſem wahnſinnigen
Haufen kann es einerley ſeyn, von wem er
regiert wird!«
Unerſchuͤtterlich gegen die Bitten ihrer
Raͤthe, legte ſie wenige Tage nachher die
Krone nieder, und zog ſich auf eine Jnſel
zuruͤck, die man ſeitdem die Gluͤckliche
nannte.
Sie ſchien dieſen Nahmen nur zu ver-
dienen, weil ſie von Kindern bewohnt wurde.
Sobald dieſe das ſechszehnte, hoͤchſtens das
ſiebzehnte Jahr erreicht hatten; wurden ſie,
durch irgend einen ungluͤcklichen Zufall,
von der Jnſel entfernt, und kehrten nie
wieder dahin zuruͤck.
Auf dieſe Weiſe haͤtte nun das kleine
Land ſehr bald entvoͤlkert werden muͤſſen;
waͤre es nicht durch die Fee immer wieder
mit neuen Bewohnern verſehen worden.
Da ihr ſchoͤnes Gemuͤth weit umher bekannt
war; ſo konnte es ihr nicht an Gelegen-
heiten dazu fehlen.
Aber nie kehrte ſie froher in ihr kleines
Reich zuruͤck; als da Krauskopf und Gold-
loͤckchen von ihr entdeckt wurden. Die ar-
men Kleinen ſtacken in einer dumpfigen
Schulſtube, und ſchwitzten große Angſttrop-
fen. Goldloͤckchen kniete auf einem mit ſpitzi-
gen Steinen angefuͤllten Beutel, und hatte das
Bild eines fuͤrchterlich gepinſelten Eſels am
Halſe. Krauskopf ſaß in einem Winkel,
und wurde grade jetzt der Schulmeiſterin
denuncirt.
Er hatte Goldloͤckchens baumwollene Kin-
der vor den Krallen der alten Jungfer ver-
borgen, und zeigte ſie jetzt der kleinen Ge-
liebten von ferne, um ſie in ihrem Jammer
aufzurichten.
Aber dieſe baumwollene Nachkommen-
ſchaft, hatte ja eben den Zorn der Schul-
monarchin gereitzt. Statt den Geſang und
das Evangelium zu lernen; war Goldloͤck-
chen den ganzen Morgen auf die Verferti-
gung der kleinen Geſchoͤpfe bedacht gewe-
ſen. Hatte jedes, wie es vollendet war,
gehaͤtſchelt, in den Schlaf gebracht, und es
Krauskoͤpfchen, mit tauſend Kuͤſſen, in Ver-
wahrung gegeben.
Des Alles war dieſer nun eingedenk,
ſprang ſchnell auf eine Bank, und ſchrie
der grimmigen Atropos, da er ſie mit der
moͤrderiſchen Scheere geruͤſtet ſah, entgegen:
»Komm nur wenn du Herz haſt! Ruͤhre
nur eins von Goldloͤckchens Kindern an!
Dann magſt du ſehen!« —
Armer Krauskopf, wohin wuͤrde dein
Muth dich gefuͤhrt haben! haͤtte Soline
nicht in dem Augenblicke dich, ſammt Gold-
loͤckchen, von allen Haſelſtoͤcken, und Kern-
beuteln, gemahlten Eſeln und ungemahlten
Ruthen erloͤſet. Schnell uͤber Thuͤrme und
Berge, flog ſie mit den lieblichen Kindern,
und ſenkte ſich mitten in dem gluͤcklichen
Eilande nieder.
Welch ein Schauplatz fuͤr die armen un-
terdruͤckten Kleinen! Duftende Straͤuche,
und rieſelnde Baͤche. Die koͤſtlichſten Fruͤchte,
uͤber paradieſiſchen Lauben. Frohes Ge-
tuͤmmel, Spiel und Geſang auf allen Seiten.
Sie glaubten, es ſey ein Traum — ſie
betaſteten die Straͤuche und die Blumen,
liefen allenthalben umher, riefen ſich zu,
ſtuͤrzten dann einander in die Arme, wein-
ten und lachten, fragten und hoͤrten keine
einzige Antwort. Ach ſie waren gluͤcklich!
und Soline vergaß uͤber den koͤſtlichen An-
blick alle Wunden ihres eigenen Herzens.
Aber dieſes Herz vermochte dennoch nicht
ſich zur Gerechtigkeit, die keine Lieblinge
duldet, zu erheben. Jn der That dies wur-
den Krauskopf und Goldloͤckchen; als ſie
kaum ein paar Tage auf der Jnſel gelebt
hatten.
Es war aber auch nicht moͤglich ſich et-
was anziehenderes als dieſe beiden ideali-
ſchen kleinen Geſchoͤpfe zu denken. Er lau-
ter Kraft und Lebendigkeit, ſie lauter Zart-
heit und Gefuͤhl. Beyde mit der hoͤch-
ſten Empfaͤnglichkeit fuͤr jeden aͤußern Ein-
druck! dennoch dieſe ſtille ſich ſelbſt genuͤgende
Liebe zu einander.
Spielte Goldloͤckchen; dann entfernte
ſich der wunderbare Knabe ſchnell von den
kleinen Geſellen, blos: um ſie ſpielen zu
ſehen. Wie berauſcht ſtand er dann hinter
ihr, und ſchien zu ſeiner Freude nichts als
der ihrigen zu beduͤrfen.
Spielte Er, dann wurde ploͤtzlich der
ganzen baumwollenen Nachkommenſchaft
das Schlaflied geſungen, und Goldloͤckchen
ſtand mit zaͤrtlichem Laͤcheln, den muthvol-
len kleinen Geliebten anzuſchauen.
»Ja! — rief Soline, man ſchwatze von
gegenſeitiger Aufopferung was man wolle!
Die hoͤchſte Liebe aͤußert ſich doch nur durch
das hoͤchſte Wohlgefallen! —
Bis zur Aufopferung kann es die Freund-
ſchaft auch bringen. Aber ihr gluͤcklichen
Kinder! wie lange kann das dauern! —
Auch ihr werdet euch von mir entfernen,
und werdet elend ſeyn wie die Anderen.
Ach die gute Soline! ihre Ahndung war
nur gar zu richtig. Krauskopf hatte jetzt
das ſiebzehnte, und Goldloͤckchen das vier-
zehnte Jahr erreicht, ihre Liebe war bis zu
dem hoͤchſten Grade von Zartheit und Jn-
nigkeit geſtiegen, und die kleine Jnſel, ihre
Welt, war ihnen ein Paradies. Oft ſchmei-
chelte ſich Soline, trotz aller Ahnung, ſie
wuͤrden in ihrer gluͤcklichen Unwiſſenheit,
ſanft
ſanft uͤber den entſcheidenden Zeitpunkt hin-
weggleiten. Vielleicht waͤre es moͤglich ge-
weſen; haͤtte ſie nicht grade jetzt die bos-
hafte Fee Arganto bei ihren Spielen ent-
deckt.
Sie war ein ſogenannter Espritfort.
Alle Guͤte hies ihr Schwaͤche, und nur Auf-
ruhr und Zwietracht war ihre Freude. Nach
ihrer Meinung, gelangten die Menſchen
nicht ſowohl durch Kampf gegen die Leiden-
ſchaften; als vielmehr durch Krieg mit ih-
res Gleichen, zu dem ganzen Gefuͤhl ihrer
Kraft.
Es ſey Raſerey, wenn ſie ſich einbilde-
ten: von einem wohlthaͤtigen Geiſte zur
Gluͤckſeeligkeit erſchaffen zu ſeyn. Alles
widerſpreche dieſer tollen Schimaͤre; ſo wie
der: eines verbeſſerten Zuſtandes nach dem
Erdenleben.
»Jrgend ein hoͤheres Weſen, gebrauche
Maͤhrchen. E
ſie wahrſcheinlich wie eine Art, von Affen
und habe ihnen die Leidenſchaften nur ge-
geben: um ſie zu deſto wunderlichern Spruͤn-
gen dadurch zu reitzen.
Auf ihre ſogenannte Vernunft, haͤtten
ſie uͤbrigens eben ſo wenig Urſache ſtolz zu
ſeyn; wie der Affe auf die bunte Jacke.
Dieſe bilde mit dem Affengeſichte einen er-
goͤtzenden Kontraſt, und nur deswegen habe
ſie das naͤrriſche Thier von dem Herrn be-
kommen.
Mit dieſem Syſteme ausgeruͤſtet, hatte
ſie ſich ſeit mehreren Jahren an verſchiede-
nen Hoͤfen umhergetrieben und die Angele-
genheiten der Kabinette geleitet. Der Er-
folg ſchien ihre Grundſaͤtze zu rechtfertigen,
und des Blutvergießens ward kein Ende.
Grade jetzt ſuchte ſie einen neuen Schau-
platz fuͤr ihre Thaͤtigkeit; als ſie ungluͤckli-
cher Weiſe Solinens Eiland entdeckte.
Ploͤtzlich ſchoſſen die Greife, ihr Lieb-
lingsgeſpan, vor den betaͤubten Kindern da-
her, und Arganto nahm gleichſam Beſitz
von der Jnſel. Jn der That, dies verrieth
ihr Anſtand, und die Art wie ſie die guͤtige
Fee begruͤßte.
»Nun wie gehts Madam? — rief ſie
dieſer in einem kreiſchenden Naſentone ent-
gegen — hat die Landluft ſie geheilt?« —
»Wovon?«
»Nun von der boͤſen Krankheit, an der
Sie noch vor zwey Jahren ſo gefaͤhrlich
darnieder lagen! —
»Daß ich nicht wuͤßte«
»Himmel! welch ein kurzes Gedaͤchtniß!
— Glaubten Sie nicht damals an die Per-
fectibilitaͤt der Erdwuͤrmer? und waͤre dies
bey einem geſunden Blutumlaufe moͤglich
geweſen?« —
»Sie ſind ja recht guter Laune!« —
E 2
»Natuͤrlich! ich amuͤſire mich mit Allem
was mir vorkommt. — Aber was ſind denn
das fuͤr ein Paar Sympathienvoͤgel? —
»Sie meinen Krauskopf und Goldloͤck-
chen. Kommt her, lieben Kinder, die Fee
will euch ſprechen.«
»Krauskopf und Goldloͤckchen! — wahr
haftig den Nahmen mit der That! — Der
Burſche tritt einher als ob er die ganze
Welt auffordern wolte, und das Dulcinechen
glaͤnzt ja wie die helle Sonne! Nun dar-
aus kann etwas werden!« —
»Jch hoffe.«
»Wahrhaftig? — Sind Sie mit ihnen
zufrieden? — Das waͤre nun freylich eine
ſchlimme Vorbedeutung! — Aber es iſt
wahr! ich erinnere mich! die Hoffnung iſt
ja immer Jhre Favoritgoͤttin geweſen!« —
»Und iſt es noch.«
»Nun! nun! der Himmel gebe ſeinen
Seegen dazu! Daß wir auch daruͤber ſtrit-
ten!« — —
»Waͤre in der That ganz uͤberfluͤßig.«
»Freilich! freilich! aber was wolte ich
doch ſagen? — ja! hoͤren Sie! ich nehme
den Burſchen, waͤhrend meines hieſigen
Aufenthalts, zu meinem Pagen an, und
die kleine Donſelle kann meine Toilette be-
ſorgen.«
Bey dieſen Worten ergriff ſie die er-
ſtaunten Kinder bey der Hand und zog
ſie mit ſich ins Gebuͤſch.
»Ach die ungluͤcklichen Kleinen! — Welch
ein erbaͤrmliches Leben! — Ohne allen Ge-
nuß! hier in dieſer Wildniß!« —
So ging es in Einem fort; bis endlich
Krauskopf, mit flammendem Geſichte, vor
ſie hintrat, und in einem ungeduldigweh-
muͤthigen Tone ihr zurief:
»O hoͤre auf zu aͤchzen! — Wo ſind die
ungluͤcklichen Menſchen? — Wir wollen
hin! wir wollen ihnen helfen! jetzt gleich!
jetzt augenblicklich wollen wir ihnen helfen!
— Nun! was ſtarrſt du mich an? — Wo
ſind ſie?«
»Über den Tollkopf! — Wo ſie ſind? —
Hier ſind ſie!
»Hier! — Das iſt nicht moͤglich! — Die
Mutter muͤßte es wiſſen.«
»Sie weiß es auch; aber ſie will es
nicht wiſſen. —
Jetzt verſtummte der Knabe und ſeine
brennenden Augen ſanken wehmuͤthig zur
Erde.
»Nun begreift der kleine Dummkopf
endlich: was ich meine?« —
»O ja! ich begreife: daß Du aus dem
Lande biſt, wo man krank wird, und wo
die Gedanken ſich verwirren. Komm! laß
uns zur Mutter gehen! Sie wird dir helfen.«
»Das iſt ja ein unverſchaͤmter Bube!«
— ſchrie die Fee mit hochrothem Geſichte,
und ſo war die erſte Unterhaltung zu Ende.
Krauskopf hies nun ein naſeweiſer Gro-
bian, und Goldloͤckchen eine langweilige
Dorfſchoͤne. Der Plan war geaͤndert, von
Pagen und Toiletten gar nicht mehr die
Rede.
Statt deſſen aber fand Goldloͤckchen,
am andern Morgen einen großen Kaſten
in ihrer Laube. Sie glaubte Krauskopf
habe ihn dahin geſetzt; aber dieſer verſi-
cherte: daß er ihm eben ſo neu ſey, wie
ihr. Doch mit einem Male rief er:
»Sieh! ſieh welch ein Glas da oben!
Ach ich erinnere mich! — es wird ein Guck-
kaſten ſeyn! Komm! komm! du ſollſt zuerſt
hinein ſehen!«
Goldloͤckchen lies ſich das nicht zweimal
ſagen. Schnell ruhte ihr Naͤschen an dem
Glaſe, und eine Ausrufung folgte der An-
deren Aber jetzt da ſie die ganze Jnſel
im Kleinen, und ſich am Ufer derſelben er-
blickte, verſtummte ſie vor Erſtaunen.
Bald darauf fand ſie ſich in einer mit
Roſen bekraͤnzten Gondel, dann in einem
fremden Lande, von jungen ſchoͤnen Maͤn-
nern umgeben, die ihre Gewaͤnder kuͤßten,
und ſie wie eine Gottheit zu verehren ſchie-
nen. Jn einer Art von Verzuckung ſchloß
ſie nun die Augen, und ſank mit den Wor-
ten: »Aber wo biſt du? wo biſt du?«
in des Geliebten Arme zuruͤck.
»Wo ich bin? — ich bin bey dir! und
werde immer bey dir ſeyn! —
»Ja ich weiß es wohl; aber ſieh nur
hinein! ſieh nur hinein! Ach das haͤtte ich
nimmermehr gedacht!
»Was denn?« — und ehe die Frage be-
antwortet war, ſtand Krauskopf auch ſchon
vor dem Glaſe.
Keine Gondeln und keine Roſen, keine
ſchoͤne Herrn und keine Goͤttinnen mehr.
Dafuͤr aber koͤſtliche Pferde, und ſchoͤn ge-
wapnete Ritter. Ein großes Turnier, und
Krauskopf als Sieger. Kraͤnze und Bei-
fallszeichen die Menge. Liebe und Anbe-
tung von allen Seiten.
Stumm und verwirrt wandte er ſich jetzt
von dem Glaſe, umarmte Goldloͤckchen und
ſank, in ſich ſelbſt vertieft auf eine Raſen-
bank nieder.
So fand ihn Arganto, und kannte ihren
Vortheil zu gut, um dieſe Stimmung un-
genutzt zu laſſen. Sie ſpielte die Unwiſſende,
und lies ſich alles auf das genaueſte er-
zaͤhlen.
»Ja das waͤren freylich ganz ſonderbare
Erſcheinungen! — Gewiß habe irgend ein
hoͤheres Weſen ihr kuͤnftiges Schickſal da-
durch andeuten wollen. — Es ſey auch
nicht wahrſcheinlich: daß ein Paar ſo gluͤck-
lich organiſirte Menſchen, beſtimmt ſeyn
ſollten, ein Pflanzenleben auf dieſer Jnſel
zu beſchließen. Soline ſey eine ganz gute
Frau; aber freylich ſo uͤberſaͤttiget, finde
man das genußreiche Weltleben anders als
in der empfaͤnglichen, und fuͤr den Genuß
beſtimmten Jugend. — Nur durch eine
lange Reihe, der verſchiedenſten Erfahrun-
gen koͤnne man zu dem moͤglichſten Grade
von Bildung gelangen. u. ſ. w.« —
Das wirkte, und ſogar ſchneller als die
Fee es geglaubt hatte.
Krauskopf und Goldloͤckchen ſuchten ſich
nicht mehr, ſie fanden ſich nur. Zum erſten
Male in ihrem Leben, dachten ſie daruͤber
nach: wie ſie ſich unterhalten ſollten. Je-
der glaubte, es fehle dem Andern etwas,
maß ſich die Schuld davon bey, und aͤng-
ſtigte ſich es zu finden.
Umſonſt! die Verſtimmung nahm uͤber-
hand. Jene ſorgſame Zaͤrtlichkeit, welche
nichts ſo ſehr fuͤrchtet: als Fehler an dem
geliebten Gegenſtande zu entdecken, war
verſchwunden. Man fuͤhlte ein lebhaftes
Beduͤrfniß, die druͤckende Laſt auf den An-
dern zu waͤlzen, und freute ſich: da es end-
lich gelungen war. Der erſte Vorwurf ko-
ſtete nun keine Überwindung mehr, und es
war da, wohin Arganto es haben wolte.
Nur wenige Tage noch, und ſie konnte
ſchon dreiſt ihre Vorſchlaͤge anbringen.
Von der kleinen Jnſel, von Solinen ſich
entfernen, ſchien nun gar nicht mehr ſo au-
ßerordentlich. Aber woher die Erlaubniß
dazu nehmen? — Arganto hatte an alles
gedacht, und verſprach: fuͤr alles zu ſorgen.
Aber ohngeachtet aller angewandten
Verſchmiztheit, erſchrack Soline dennoch auf
das heftigſte: als man mit dem eigentlichen
Antrage ſich hervorwagte. Das Einzige
was ſie liebte ſollte ihr entriſſen werden!
— Wenigſtens, beſchloß ſie, noch alle gute
Mittel dagegen anzuwenden, und ohne
weitere Ruͤckſicht auf Arganto's Zorn ſchil-
derte ſie nun den jungen Leuten was ihrer
wartete. Aber leider war man auf alles
gefaßt, ein wenig Verſchaͤmtheit, ein Paar
Thraͤnen die ganze Antwort.
Jetzt erſtaunte Soline, und ein tiefer
entſetzlicher Schmerz mahlte ſich auf ihrem
edlen Geſichte. Sie deutete mit der Hand
nach dem Ufer und eilte, ohne ſich umzu-
ſehen, in den benachbarten Wald.
»Fort! fort! — rief Arganto — ſie
moͤgte wiederkommen und bereuen. Wir
haben die Erlaubniß! was beduͤrfen wir
mehr!« —
So wurden die betaͤubten Kinder mit
fortgeriſſen und befanden ſich ſchon, ehe
ſie noch zum Bewußtſein kamen, in dem
Lande der wahnſinnigen Traͤumereyen.
Hier regierte Arganto mit eiſernem Scep-
ter und das ſklaviſche Volk gehorchte willig
der Tiranney. Der uneingenommene Be-
obachter muͤßte es fuͤr einen Haufen Ver-
ruͤckter angeſehen haben. Ohngeachtet die
Natur Jedem eine Quelle der Freuden in
ſeinem eignen Herzen eroͤfnet und einen
unbeſtechlichen Richter damit verbunden
hatte, der ihn warnte wenn er ſie truͤben
wolte; ſuchten die Raſenden immer die
Freude wo ſie niemals zu finden war.
Das Goͤtterkind! die Liebe, hatten ſie
ihren viehiſchen Luͤſten aufopfern wollen.
Darum war es nun auf ewig von ihnen
gewichen und hatte ſie der zerſtoͤrenden
Selbſtſucht uͤberlaſſen. Ein allgemeines
Wohl gab es nicht mehr, jeder ſuchte nur das
Seinige zu befoͤrdern. Liſt wurde daher
ſchlechterdings nothwendig, und man hatte
nun keine wichtigere Angelegenheit als ſich
in der Verſtellung zu uͤben.
So betrogen ſich die Ungluͤcklichen um
das ſchoͤne Erdenleben, und beſchuldigten
die Natur: ſie habe ſie zum Elende geſchaf-
fen. Gleichwohl bedienten ſie ſich einer
Menge kuͤnſtlicher Mittel dieſes Elend zu
verbergen.
Daher glaubten nun Krauskopf und Gold-
loͤckchen, in das Land der Freude gekom-
men zu ſeyn. Jede Stunde fuͤhrte einen
unbekannten Genuß herbey, und ein betaͤu-
bendes Wohlbehagen durchſchauerte die ju-
gendlichen Sinne. Ohne es zu wiſſen, tru-
gen ſie aus ihrer Geiſtesfuͤlle immer etwas
auf die umgebenden Gegenſtaͤnde uͤber, und
genoſſen, was die Andern nicht einmal
ahneten.
Aber wie lange konnte die Taͤuſchung
dauren? — Jhre Verſchiedenheit von den
Einwohnern war zu groß; als daß ſie ih-
nen ſelbſt, bey aller Verſchoͤnerungsgabe,
nicht haͤtte ſichtbar werden ſollen.
Krauskopf, mit ſeinem lebhaften Ab-
ſcheu gegen alles Unedle, fand am erſten
Gelegenheit ſeinen Jrthum einzuſehen.
Nun wollte er zu Goldloͤckchen, die er, ohne
es zu wiſſen verlaſſen hatte, zuruͤckkehren;
aber er fand ſie unter einem Schwarme von
Anbetern, ſo zerſtreut, ſo beſchaͤftiget: daß
er troſtlos wieder davon eilte.
Womit nun die ſchreckliche Leere in ſei-
nem Herzen ausfuͤllen? — Er hatte von
den Weiſen des Landes gehoͤrt, und hofte
ſie wuͤrden es ihm ſagen.
Man nahm ihn mit vieler Bereitwillig-
keit auf, und verſicherte: ſchon lange zu
beſitzen was er ſuchte. Erſtaunt ſeinen
Wunſch ſo bald erfuͤllt zu ſehen, bat er
nun um Belehrung, und bekam zur Ant-
wort eine große Kiſte mit Buͤchern.
Wie ein Heißhungriger warf er ſich da-
ruͤber her, und hoffte nach jedem durchleſe-
nen Bande das Verſprochne zu finden.
Aber ſonderbar! — in dieſem war es nicht,
in dem Folgenden auch nicht — endlich
hatte er die ganze Kiſte durchleſen, und
ſank troſtlos auf ſein Lager.
»Jhr Grauſamen! — rief er, und Thraͤ-
nen ſtuͤrzten aus ſeinen Augen — »Jhr
habt mir nicht gegeben was ihr verſpracht!
— aber geraubt habt ihr mir, was ich noch
hatte. Eure Ruhe iſt Heucheley, oder Be-
taͤubung. Ach Jhr Elenden! haͤtte ich Euch
und Eure Weisheit niemals gekannt!« —
»Jhr habt mir bewieſen, daß ich nichts
weiß, und nie etwas wiſſen kann. Was
bleibt mir nun uͤbrig fuͤr das oͤde Leben?
— Soll ich es, ſo wie ihr, mit lauter
Mit-
Mitteln, ohne Zweck, vertaͤndeln? — Jch
Ungluͤcklicher! haͤtte ich nur die Ruhe wie-
der! auf Gluͤckſeeligkeit wollte ich gern
Verzicht thun! — »
So klagte der betrogne junge Mann,
und dem armen Goldloͤckchen ging es nicht
beſſer. Von Schmeicheley betaͤubt, hatte
ſie Anfangs ihr Herz und alles was ihm
theuer war, vergeſſen. Doch endlich machte
dieſes ſeine Rechte doppelt wieder geltend;
aber ungluͤcklicher Weiſe, grade in der Zeit,
wo Krauskopf ſich auf die Buͤcher gewor-
fen hatte.
Tief mit ſich ſelbſt beſchaͤftigt, ſchien er
ſie kaum zu bemerken, und wenn dies ja
der Fall war, ſogar zu vermeiden.
Dies glaubte wenigſtens einer von Gold-
loͤckchens eifrigſten Anbetern gewahr zu
werden, und ermangelte nicht, ſich um ſo mehr
zu naͤhern, je weiter Krauskopf ſich entfernte.
Maͤhrchen. F
»Ach er konnte, bey aller Jnnigkeit,
doch nicht ſeine Liebe auf dieſe hinreiſſende
Art mir aͤuſſern! — »Er kam wohl meinen
Wuͤnſchen zuvor; aber ſo fein ahnete er
ſie nicht — Und wuͤrde er die Anlagen in
mir entdeckt haben? welche durch Lamor,
zu ſo angenehmen Fertigkeiten entwickelt
werden?« —
So dachte Goldloͤckchen, und fand es
alle Tage bequemer, ſo zu denken. Bald
fing ſie an, die Verbindung mit Kraus-
kopf, fuͤr ein bloßes Kinderſpiel zu halten,
und uͤberließ ſich ganz der ſchrecklichen Lei-
denſchaft, die Herz, Verſtand und Sinnlich-
keit, mit den gefaͤhrlichſten Banden um-
ſtricket.
Natuͤrlich bekam auch hier jene Leiden-
ſchaft die Farbe des Charakters. Sie wurde
durch die hohe Unſchuld des tief empfinden-
den Maͤdchens ſo ſehr veredelt; daß ſie den
feinen Wuͤſtling Lamor, in wenig Monden,
voͤllig umgeſchaffen zu haben ſchien.
Er ſelbſt fuͤhlte ſich geneigt es zu glau-
ben. So vollkommen und wohlthaͤtig war
die Taͤuſchung. Aber um ſo mehr bemuͤhten
ſich nun ſeine Freunde, ihn eines beſſern zu
belehren.
Sie erinnerten ihn: es ſey eines Man-
nes unwuͤrdig, einem ſo durchdachten, und
bewaͤhrten Syſteme wie dem ſeinigen, un-
treu zu werden. Goldloͤckchen ſey nichts
mehr und nichts weniger als eine Sterbli-
che, und wuͤrde es ohne Zweifel ſehr lang-
weilig finden, immer fort wie eine Goͤttin
behandelt zu werden.
»Und welche Schande! — riefen ſie ein-
ſtimmig — der erfahrenſte aller Ritter! ſo
gaͤnzlich uͤberwunden!!« —
»Überwunden! — antwortete Lamor —
Oho da moͤgtet Jhr Euch irren! — Meint
F 2
Jhr, die ſchnellſten Siege waͤren die ange-
nehmſten? — Wie? wenn ich um meines
eignen Vergnuͤgens willen ſo lange gewar-
tet haͤtte? — Nicht wahr? das konnte Eure
Weisheit nicht ahnen? —
Mit dieſen Worten eilte er in Argan-
te's Zimmer und hoffte Goldloͤckchen dort
zu finden. Aber die Fee hatte ſie den
ganzen Tag nicht geſehen, und war ſelbſt
wegen ihres Auſſenbleibens beſorgt. Nun
eilte Lamor noch ſchneller wieder davon,
um ſie aufzuſuchen.
Aber indem er durch das Vorzimmer fliegt,
wird ſein Auge durch einen weißen Schimmer
aus der Ecke deſſelben angezogen. Es iſtGold
loͤckchen! Ausgeſtreckt liegt ſie da auf dem Bo-
den! ohne Bewußtſeyn, bleich wie eine Leiche.
Auf Lamor's durchdringendes Geſchrey
ſtuͤrzt alles hervor. Was mag ihr begeg-
net ſeyn? — Niemand kann Auskunft ge-
ben. Seit einer Stunde, da man ſie an-
kommen ſah, iſt kein Menſch in dem Zim-
mer geweſen.
»Schon vor einer Stunde?« — wieder-
hohlte Lamor betroffen — Grade zu dieſer
Zeit, war das ziemlich laute Geſpraͤch uͤber
Goldloͤckchen, ganz in der Naͤhe vorgefallen,
und er vermuthete ſehr richtig: ſie moͤge
einen Theil davon gehoͤrt haben.
Gleichwohl war dieſe Vermuthung zu
unangenehm, als daß er ſich nicht mit ir-
gend einer andern Urſach ihres Übelbefin-
dens geſchmeichelt haben ſollte. Aber da
Goldloͤckchen, nach vielen angewandten Be-
muͤhungen, ſich endlich erhohlte, ſagte ihr
erſter Blick, noch mehr, als er gefuͤrchtet
hatte.
Mit Abſcheu wandte ſie ſich von ihm
ab, umklammerte Arganto mit ihren ſchoͤ-
nen Armen, und verbarg das Engelgeſicht
an den Buſen der Verraͤtherinn.
Schon lange hatte die tuͤckiſche Frau
ſich an der Trennung der beyden Geliebten
ergoͤtzt. Sie war es, die Lamors Freunde
vereinigt hatte, ſeine Eitelkeit zu reizen;
um, wie ſie ſich ausdruͤckte: der langweili-
gen Jntrigue ein Ende, und die kleine
Dorfſchoͤne etwas genießbarer zu machen.
Das ungluͤckliche Maͤdchen bat ſie jetzt
die Umſtehenden zu entfernen, und ſchuͤttete
nun, da ſie allein waren, ihr tief gekraͤnk-
tes Herz vor ihr aus.
»Ach Gott! — rief ſie — ich glaubte
mich geliebt, und der ſchreckliche Mann
dachte nur auf Liſt und Betrug!« —
»Liſt und Betrug! — wiederhohlte Ar-
ganto — liebes Kind! wozu nun dieſes
tragiſche Weſen! dieſe harten Benennun-
gen! — Ein Mann, in der großen Welt
gebildet, behandelt Sie mit Feinheit — nun
iſt er gleich: ein liſtiger Betruͤger! —
Wann werden Sie doch einmal anfangen,
die Dinge im milderen Lichte zu betrachten,
und dieſen romanhaften Ernſt abzulegen,
der Jhnen eben ſo wenig ſteht, wie eine
Kontuſche von Anno ſechszig.« —
»Wer ſollte geglaubt haben — fuhr ſie
fort, da Goldloͤckchen durch ein Paar naïve
Antworten ihren Zorn gereizt hatte — Euer
kleinlicher Dorfglaube wuͤrde ſo tiefe Wur-
zel ſchlagen! — Bey meinem Leben! haͤtte ich
es gewußt, Jhr ſolltet mir ſchoͤn in Eurer
Wuͤſteney geblieben ſeyn!« —
»Nur Undank, nur Schande hat man
von Euch! — Ein liebenswuͤrdiger Mann
bewirbt ſich um die Prinzeſſin. Aber ſeine
Liebe iſt nicht nach ihrem Geſchmacke. Da-
zu muͤßte ſie mit lauter Necktar, und Am-
broſia, ja wohl gar, mit bloßer Luft ge-
naͤhrt werden!« — —
»Der ſehr vernuͤnftige Mann hat natuͤr'
licher Weiſe, einen ganz anderen Plan.
Nun ſpielt man gleich die Romanheldin,
wirft ſich auf die Erde, bekoͤmmt Ohnmach-
ten, und dergleichen. Waͤhrend der Pastor
fido ſich ganz und gar nicht um ſie bekuͤm-
mert, alle Leute die ihn pouſſiren wollen
brusquirt und jetzt fuͤr gut findet, zu den
Rebellen uͤberzugehen. Ohne Zweifel weil
ihm danach geluͤſtet, einen Kopf kuͤrzer zu
werden.« —
»Was? — rief Goldloͤckchen — Kraus-
kopf iſt fort? —
»Nun? bekommen wir nicht abermals
eine Scene? — Jetzt wird es wohl an ein
Haarausraufen, Vergiften und Erſtechen
gehen? — — Aber ich will ſehr bitten ſich
zu maͤßigen, und mich mit allen Larmo-
yanten zu verſchonen. Folgen Sie meinem
Rathe und legen Sie ſich zu Bette.«
Mit dieſen Worten wandte ſie Gold-
loͤckchen den Ruͤcken, und das ungluͤckliche
Maͤdchen ſtuͤrzte verzweiflungsvoll aus dem
Zimmer. Lamor wollte ſie zuruͤckhalten;
aber ſie achtete nicht auf ihn, und ſuchte
eilenden Laufs ihre Wohnung zu erreichen.
Schnell holte ſie nun, aus einem entlege-
nen Zimmer, die Kleidung ihres vorigen
Standes herbey und preßte ſie mit ſchmerz-
haftem Laͤcheln uͤber den bluͤhenden Koͤrper.
Aber der volle Buſen zerſprengte das
kindiſche Mieder, und die ſchoͤn gerundeten
Huͤften hoben das enge Roͤckchen bis an die
reizende Wade. Mit Angſt bemerkte es
das liebliche Maͤdchen, und ſuchte erroͤthend
die Fehler wieder gut zu machen. Die ſei-
denen Haare uͤber der blendenden Stirne
in einen Kranz gewunden, ein Koͤrbchen
am Arme, ein braunes Dornenſtoͤckchen in
der Hand, ſo fragte nun Goldloͤckchen bald
hie bald da auf der Landſtraße: »Sagt
mir doch, wohin geht der Weg zu den
Rebellen?«
»Zu den Rebellen?« — Niemand wollte
davon wiſſen. Halb mißtrauiſch, halb ge-
ruͤhrt, gab man ihr ein Stuͤckchen Brodt,
ein Glas Waſſer, hie und da einige Fruͤchte,
und lies ſie mit Kopfſchuͤtteln wieder gehen.
Sechs Tage und ſechs Naͤchte war ſie
nun umher geirrt. Jhre Fuͤße bluteten,
und die ſchoͤnen Augen, von Thraͤnen ge-
ſchwollen, blickten troſtlos in die Ferne.
So an einem Baum gelehnt, wollte ſie die
erſchoͤpfte Natur zu einer neuen Anſtren-
gung zwingen; als ſie unwillkuͤhrlich auf
den Raſen ſank und in wenig Minuten
entſchlummerte.
Jhr Geliebter, den ein wohlthaͤtiger
Traum jetzt vor ihre Phantaſie fuͤhrte, war
indeſſen, mit Ruhm uͤberhaͤuft, vom Schlacht-
felde zuruͤckgekehrt. Aber er hatte den
Tod geſucht, brauchte jetzt Liebe das Leben
zu tragen; und fand nur uͤbelverſteckten
Neid und hinterliſtige Schmeicheley. Da
erwachte die Sehnſucht nach dem gluͤckli-
chen Eilande und mit ihr die erſte unzer-
ſtoͤrbare Liebe.
»Fort! hin zu Jhr! Wie war es moͤg-
lich! wie konnte er ſie verlaſſen! — Aber
ſie liebte ihn nicht mehr — Ach eine kurze
Verirrung! gewiß nur eine Verirrung! —
O Gott! waͤre etwas mehr daraus gewor-
den; er allein truͤge die Schuld« —
»Darum — rief er — keinen Augenblick
geſaͤumt! Wer ſie auch haͤlt, ich entreiſſe
ſie ihm! — Es liebt ſie Niemand wie ich!
Sie iſt mein Eigenthum, und ich wage
mein Leben daran!«
Dies Selbſtgeſpraͤch war noch nicht ge-
endigt; als er ſich ſchon in einem dicken
Walde, weit von den Thoren der Stadt be-
fand. Es war derſelbe Weg, den er aus
Argantos Land kommend gegangen war;
gleichwohl duͤnkte ihn alles veraͤndert.
Mit brennender Sehnſucht, das Ende des
Waldes zu erreichen, fuͤhlte er ſich unwill-
kuͤhrlich zuruͤckgezogen, und befand ſich im-
mer auf Nebenwegen, wodurch er gewoͤhn-
lich nur mehr vom Ausgange entfernt
wurde.
Doch endlich hatte er ihn erreicht, und
wollte nun der geheimen Empfindung ſpot-
tend, ſich ſchnell von dem Walde entfernen;
als er ploͤtzlich aus der Mitte deſſelben
eine klagende Stimme zu hoͤren glaubte.
»Ach! — rief er, froh ſich ſelbſt zu ver-
ſtehen — es ſind Menſchen die meiner
Huͤlfe beduͤrfen! Wohl mir, daß ich gewaf-
net bin!«
Jn der That er war mit Helm und
Schwerdt davon gegangen, und eilte nun
mit haſtigen Schritten, den Ort woher die
Stimme gekommen war, aufzuſuchen.
Aber ſchon hatte er ſich nach allen Sei-
ten gewandt, ohne irgend etwas entdecken
zu koͤnnen; als er mit einem Male ein
laͤndlich gekleidetes Maͤdchen vor ſich hin
eilen ſah. Wunderbar zog es ihn hin, ihr
zu folgen; aber ſie ging ſo ſchnell, ſo leicht,
kaum vermochte er ſie zu erreichen.
»Liebes Maͤdchen! — rief er nun —
warte doch ein wenig! Haſt du nichts von
den Menſchen, die dort klagten gehoͤrt?« —
Schon bey den erſten Worten hatte ſich
das Maͤdchen furchtſam umgeſehen, und
war, da ſie einen Mann mit Helm und
Schwerdt erblickte, nur deſto ſchneller geeilt.
Aber der Mann holte ſie ein. Jetzt ſah ſie
grade in ſein ſchwarzes, brennendes Auge,
und ſank mit einem lauten Rufe des freu-
digen Erſtaunens in ſeine Arme.
Sie hatten ſich gefunden die beyden lie-
benden Seelen und fuͤhlten! daß es unmoͤg-
lich ſeyn wuͤrde ſie jemals wieder zu trennen.
Hoch uͤber den blinkenden Helm hob er
auf beyden Armen das reizende Maͤdchen,
und ſchwur: daß er ſich dieſe beſte Gabe
des Himmels trotz allen Widerſachern er-
halten wolle.
»Aber wie kamſt Du hier her? — Wann
erkannteſt Du mich? — Wo biſt Du die
ganze Zeit uͤber geweſen?« — So durch-
kreuzten ſich nun die Fragen, und es wurde
Nacht, ehe ſie beantwortet waren.
Dieſe mußte man in dem Walde zubrin-
gen. Der junge Held ſammlete duͤrres
Laub ſeiner Einzigen ein Lager zu bereiten,
legte ſie dann behutſam darauf nieder, und
entſchlummerte nun zu ihren Fuͤßen.
So erblickte ſie Soline, die Beſchuͤtzerin
ihrer Jugend. Seitdem ihr die ungluͤckli-
chen Kinder entfuͤhrt wurden; hatte ſie keine
Bewohner mehr fuͤr die gluͤckliche Jnſel ge-
ſucht; ſo, daß dieſe nun gaͤnzlich entvoͤlkert
war. Sie gab es auf Menſchen gluͤcklich
zu machen, und war unſichtbar nur bemuͤht,
das allgemeine Elend zu mildern.
Aber jetzt ſah ſie die Lieblinge wieder!
— Jm hoͤchſten Schmucke der Jugend.
Dem Urbilde der unentweihten Menſchheit
aͤhnlich. —
»Sie ſind mir erhalten! — rief ſie in
Geiſtertoͤnen — Jch ſehe es, ſie ſind mei-
ner Liebe noch wuͤrdig!« —
»Hoͤrteſt du die Muſik? — fragte Gold-
loͤckchen.
»Nein; aber mir war ſo wohl, als
ſchliefe ich auf der gluͤcklichen Jnſel. Ach
Goldloͤckchen! weißt Du noch, wie man dort
erwachte? —
»Ja wohl! O Gott! koͤnnten wir ſie
wiederfinden!« —
»Muth! Muth! meine Einzige — rief
er, und druͤckte ſie feſt an ſein Herz —
was wir wollen werden wir koͤnnen.
Laß uns aufbrechen! Kannſt du nicht gehen;
ſo trage ich Dich. Trage Dich, bis wir ſie
finden.«
»Aber wohin ſollen wir uns wenden?«
— fragte das liebliche Maͤdchen mit ihrer
Floͤtenſtimme.
Dorthin, wo die Sonne aufgeht — ant
wortete er, und ſein Auge ſtrahlte belebend
wie ſie.
Aber mit einem Male ein hoher Fel-
ſen in ihrem Wege! — »Wir werden ihn er-
ſteigen!« — ſagte er, und bot ihr die
Hand. Ein jaͤher Abhang! — »Stuͤtze Dich
auf mich — rief er abermals — ich leite
Dich hinunter.« Doch jetzt waren ſie am Ufer
des Meeres. Hinten am aͤußerſten Horizonte
ſchimmerte das gluͤckliche Eiland.
»Jch
»Jch kenne es! — rief er — Komm! wir
muͤſſen hinuͤber! Schlinge dich feſt um
meinen Arm! Hier iſt meine Feldbinde, ich
befeſtige Dich damit. Wohlan! Tod, oder
Leben! — Soline! wir ſind reines Herzens!
Hilf uns, wenn Du uns liebſt!« —
Bey dieſen Worten zieht er das betaͤubte
Maͤdchen mit ſich fort, und ſtuͤrzt hoch
vom Ufer, mitten in die ſchaͤumenden
Fluthen.
Aber Soline ſah die Gefahr ihrer Lieb-
linge und wehrte den drohenden Wellen.
Sanft ſchwammen ſie hinuͤber, und lagen
ſchon tief in einem erquickenden Schlum-
mer, ehe ſie noch zum voͤlligen Bewußtſeyn
gekommen waren.
Jetzt erwachten ſie, und fuͤhlten ſich eng
mit einander verbunden.
»O Gott! ſo iſt es kein Traum! — rief
Maͤhrchen. G
Goldloͤckchen — Du biſt es — Hier iſt die
Binde! Wir ſind gerettet.
»Gerettet! — und wo ſind wir? — O
meine Einzige! ſieh einmal um dich! —
Weißt Du wo wir ſind? — Weißt Du es.« —
Statt aller Antwort, ſchlang ſie ihren
Arm um ſeinen Hals und zog ihn mit ſich
nieder auf die Knie. So, die Blicke gen
Himmel gerichtet, wollten ſie fuͤr die Er-
haltung ihres Lebens der Wohlthaͤterin
danken; aber ſie verſtummten unter Thraͤ-
nen des Entzuͤckens.
Die große, guͤtige Mutter ſah mit Wohl-
gefallen auf ſie nieder; aber ſie hoͤrte von
nun an auf ihnen ſichtbar zu werden. Nur
vor Aufgang der Sonne floͤtete ein himm-
liſcher Ton durch die Wipfel der Baͤume:
»liebt Euch, und ſeid reines Her-
zens.« Nachher war der Ton nicht mehr
hoͤrbar, und wenn man mehrere Tage den
gluͤcklichen Augenblick verſaͤumt hatte,
wurden die herrlichen Worte vergeſſen.
Dies iſt wahrſcheinlich der Fall bey
Goldloͤckchens Nachkommen geweſen. Nach
wenigen Jahren konnte man die gluͤckliche
Jnſel nicht mehr finden; denn ſie unter-
ſchied ſich durch nichts von den uͤbrigen.
G 2
Paridamia
oder
die Krebsſcheeren.
Der Koͤnig Raimund, hatte fuͤr ſeine
weitlaͤuftigen Staaten, keine anderen Er-
ben, als eine einzige wunderſchoͤne Tochter:
und konnte ſich, ohngeachtet der wieder-
hohlten Bitten ſeiner Unterthanen, zu kei-
ner zweiten Heyrath entſchließen.
»Kinder! — rief er eines Morgens;
als ihn das Geſchrey der Bittenden genoͤ-
thigt hatte, im Schlafrock und in Pantoffeln,
auf dem Balkon zu erſcheinen — »Sagt
mir nur! was ihr davon habt, mich ſo vom
Morgen bis in den Abend zu quaͤlen?« —
»Ach Herr Majeſtaͤt! — antwortete ein
Bauer aus einer entfernten Provinz, der
noch auf dem Schloßhofe zuruͤckblieb, da
die Anderen ſchon mit geſenkten Ohren
wieder davon gingen — »ich koͤnnte es
Jhm wohl ſagen; wenn ich nur duͤrfte.« —
»Nun laß doch hoͤren!« —
»Ja! ſieht Er! Seine Unterthanen ha-
ben ſich bis jetzt bey der Weiberherrſchaft
ſo wohl befunden.« —
»Jch glaube Du faſelſt! — Seit Jahr-
hunderten iſt ja keine Frau auf dem Throne
geweſen!« —
»Ey das iſt es ja eben! Wenn die
Weiber regieren ſollen; muß ein Mann
darauf ſitzen! —
»Dummkopf! — antwortete der Koͤnig,
und ſchlug die Balkonthuͤr ſo heftig zu,
daß die Glaͤſer darin ſprangen. Unter uns
geſagt — er war ein ganz guter Mann,
der noch immer was man ſo gemeiniglich ei-
nen Landesvater nennt, vorſtellen
konnte; aber doch ein wenig jachzornig,
und an dergleichen Soliditaͤten auch nicht
gewoͤhnt. Wer konnte es ihm verdenken:
wenn er nun mehr als jemals wider das
Heurathen eingenommen, und feſt entſchloſ-
ſen war: die Krone niemand anderm, als
ſeiner einzigen Tochter zu uͤberlaſſen.
Aber wenn ſie nun ſtarb — dieſe geliebte
Tochter! Dann folgte ihr der Sohn ſeines
Todtfeindes — Sie wenigſtens mußte alſo
heyrathen, und zwar ſo bald als moͤglich. —
Freilich eine ganz eigne Sache! — Lag
es im Blute; oder war es Vorliebe fuͤr
die Meinungen ihres Vaters — genug die
Prinzeſſin bezeigte eine noch groͤßere Ab-
neigung als er ſelbſt gegen alles, was dem
Heurathen aͤhnlich ſah.
Um das Ungluͤck vollkommen zu machen,
mußte grade jetzt ein Schriftſteller beruͤhmt
werden, der bei ſeinen Leſern alles Heu-
rathsgefuͤhl zerſtoͤhrte, und leider der Prin-
zeſſin vollkommenſten Beifall erhielt.
Er ließ ſich ganz eigentlich dafuͤr be-
zahlen, den Leuten auf die poſſierlichſte
Weiſe etwas vorzujammern. Dem Laͤcher-
lichſten mußte er ein weinerliches, und dem
Erhabenſten ein winziges Bild abzugewin-
nen. So verglich er — um nur eine Probe
des Lezten zu geben — die Milchſtraße
mit einer Wuͤnſchelruthe, und der
Montblanc, wenn er mit Wolken um-
huͤllt war, hatte bey ihm die Nachtmuͤtze
aufgeſetzt. Bey dem allen war ſeine ko-
miſchgigantiſche Sprache ſo hinreiſſend: daß
beſonders die Frauenzimmer, nach einigen
durchleſenen Baͤnden es gar nicht mehr auf
der proſaïſchen Erde aushalten konnten.
Die Prinzeſſin nun gar ward durch die
Schriften des ſonderbaren Mannes ſo ein-
genommen: daß ſie von Stund an, nur
in ſeiner Sprache ſich vernehmen ließ.
Dies hatte der funfzigjaͤhrige Hofmar-
ſchall, ein heimlicher, und freylich auch
hoffnungsloſer Anbeter der Prinzeſſin, zu-
erſt bemerkt, und war ſogleich darauf be-
dacht, die Redensarten des beruͤhmten Ze-
bra zu memoriren.
Dies gelang ihm auch in kurzen ſo ſehr:
daß er die Prinzeſſin dadurch in das ange-
nehmſte Erſtaunen verſetzte. So ſehr ihr
ſeine eckige Figur, ſein Faunengeſicht und
ſeine Glasaugen mißfielen, ſo war eine
zebraiſche Antihyperbel hinreichend, das al-
les vergeſſend zu machen, und ſie zu dem
Geſtaͤndniſſe zu zwingen: er ſey das ein-
zige Geſchoͤpf, mit welchem ſie ſich ertraͤg-
lich unterhalten koͤnne.
Eine Ahnung davon waͤre fuͤr die Hof-
leute hinreichend geweſen; was mußte nun
nicht die Erklaͤrung ſelbſt thun? — Jm
kurzen war der ganze Hof zebraïſirt und
die kleine Oppoſition, welche aus dem Koͤ-
nige, der Oberhofmeiſterin und dem Leib-
arzte beſtand, wollte dagegen nicht viel be-
deuten.
Der Erſte, war in der Leſſingiſchen Pe-
riode gebildet, und daher zu dem zebraiſchen
Tone ſchlechterdings verdorben, die Zweite,
eine gebohrne Franzoͤſinn, fuͤhlte ſich noch
weniger dazu organiſirt, und der Leibarzt
zu ſehr gewohnt, die meiſten Dinge, wie
Krankheiten zu betrachten, konnte es mit
dem Zebraïsmus auch nicht anders halten.
Aber wie geſagt, das Alles wollte nicht
viel bedeuten. Die Prinzeſſin fand alle
Tage mehr Geſchmack an den Zebraïaden,
der Hofmarſchall nahm den Morgen eine
ziemliche Doſis Opium, um recht auffallend
raſen zu koͤnnen, und der Koͤnig wußte ſich
nicht mehr zu helfen.
Jetzt verſicherte nun der Leibarzt: es ſey
die hoͤchſte Zeit eine ernſthafte Kur anzu-
fangen.
»Aber welche Kur! — rief der Koͤnig.
»Meiner Meinung nach — antwortete
der Arzt — fuͤrs Erſte, lauter Reinigungs-
mittel. Sind die Kruditaͤten dann abge-
fuͤhrt; ſo kann man die Staͤrkungsmittel
anwenden.«
»Hm! — ſagte der Koͤnig; indem er
ſich zu der Oberhofmeiſterinn wandte —
ſollte es ſo arg ſeyn? — Was meinen Sie
dazu Madame?«
Die Oberhofmeiſterinn. Ohne im
geringſten dem Herrn Leibmedicus wieder-
ſprechen zu wollen; ſcheint mir doch die
Krankheit der Prinzeſſin eine eigentliche
Seelenkrankheit zu ſeyn. —
Der Leibarzt. Richtig! richtig Jhro
Gnaden! Aber eine Seelenkrankheit, die
ihren Grund im Koͤrper hat, und bey der
man alſo zunaͤchſt auf den Koͤrper wirken
muß.
Der Koͤnig. Ach wollte ſie nur heu-
rathen! Jn vier Wochen waͤre ſie kurirt.
Der Leibarzt. Eine ſehr gewagte
Sache! — Man hat Beiſpiele: daß, ohne
vorhergegangene Reinigungskur, die Krank-
heit nach der Ehe gefaͤhrlich geworden iſt. —
Der Koͤnig. Nun ja! ich habe auch
nichts gegen das Reinigen; wenn ſie ſich
nur dann zum Heyrathen verſteht! —
»Wie waͤre es? — fiel die Oberhofmei-
ſterinn ein — wenn Jhro Majeſtaͤt ſich
entſchloͤſſen, einmal das benachbarte Ora-
kel zu befragen? — Es iſt nur ſechs Mei-
len von hier, und der Oberprieſter, als ein
Mann von Geiſt, und Erfahrung bekannt.«
»Ey Madame! — fuhr der Koͤnig, ein
abgeſagter Feind aller Orakel und beſon-
ders aller Oberprieſter, etwas haſtig her-
aus — wenn wir einmal das Orakel befra-
gen; was geht uns der Oberprieſter an?« —
Die Oberhofmeiſterinn. Verzeihen
Jhro Majeſtaͤt! ein jedes Orakel bedarf
einer Auslegung, und da iſt der Oberprie-
ſter eine ſehr witzige Perſon. —
Der Koͤnig. Kann ſeyn! kann ſeyn!
fuͤr Leute die Freunde von Oberprieſtern
ſind. — Wenn mir aber ein Orakel zuge-
dacht iſt; ſo muß es ein verſtaͤndliches
ſeyn, und ich mit allen Oberprieſtern und
dem Ähnlichen verſchont werden!
»Was das nun gleich fuͤr ein Laͤrmen
iſt — ſagte die Oberhofmeiſterinn; als der
Koͤnig mit hochrothem Geſicht davon ge-
gangen war.
»Ja Jhro Gnaden! — antwortete der
Leibarzt, indem er ſich mit einem Seiten-
buͤcklinge empfahl — Wir wiſſen es nun
einmal! mit Oberprieſtern darf man ihm
nicht kommen! —
»Ja! ja! — wiederholte die Oberhof-
meiſterinn, nachdem ſie ihn mit einem alt-
franzoͤſiſchen Reverenz entlaſſen hatte —
wir wiſſen es einmal: daß ihr die Ober-
prieſter gern uͤberfluͤſſig machen moͤchtet,
damit ihr auch noch die Seelenkuren be-
ſtreiten koͤnntet! — Aber ſo Gott will! ſoll
der wuͤrdige Mann dem ganzen Unweſen
ein Ende machen, und ihr werdet mit Eu-
ren Reinigungen zu Hauſe bleiben muͤſſen! —
Bey dieſen Worten klingelte ſie ihre
Kammerfrau, es wurde augenblicklich ange-
ſpannt, und da grade keine Kour war; ſo
konnte man noch, mit Huͤlfe der Nacht,
den Oberprieſter von allem unterrichten.
Der heilige Mann war innigſt erfreut,
dem Staate, mit ſeinem geringen Beiſtande
— wie er es aus Beſcheidenheit nannte —
einmal wieder dienen zu koͤnnen, und ver-
ſprach das Äußerſte zu verſuchen: um ei-
nen ordentlichen Orakelſpruch zu Stande
zu bringen.
Er wußte ſchon aus Erfahrung: daß
der Gott einige Ruͤckſichten auf ſeine Bit-
ten zu nehmen pflegte, und daß er, aus
Freude Jhro Majeſtaͤt in den Schooß der
Kirche wiederkehren zu ſehen, dieſes Mal,
auch ohne Opfer, ein Übriges thun werde.
Freilich, verſtand ſonſt der Gott, uͤber
dieſen letzten Punkt, keinen Spas. Man
hatte Beiſpiele: daß er ganze Monden
lang heimtuͤckiſch — wie man es beinahe
in unheiliger Sprache nennen moͤgte —
geſchwiegen, und wohl gar, beſonders wenn
der zum Opfer beſtimmte Wein nicht
von der beſten Sorte geweſen war,
mit Blitz und Donner um ſich geworfen
hatte.
Dieſe Mittel waren nun freilich etwas
ſtark; aber die Geſchichte des Menſchenge-
ſchlechts lehrt es ja: daß rohe Voͤlker
ſchlechterdings ſo geleitet werden muͤſſen.
Der Gott kannte ſein Publikum ſehr
genau, und wußte: daß die auf Blitz und
Donner verwandten Koſten, ihm reichlich
erſetzt werden wuͤrden.
Gleichwohl verſicherte — wie geſagt —
ſein heiliger Diener: »daß er es dieſes mal
mit den Opfern nicht ſo genau nehmen
werde, und daß es hauptſaͤchlich nur auf
den Glauben Jhro Majeſtaͤt ankomme.«
Die Oberhofmeiſterinn dagegen erwie-
derte mit vielem Eifer: »daß ſie auf das
gewiſſenhafteſte fuͤr die Opfer geſorgt habe,
und dies um ſo mehr, da der Glaube des
Koͤnigs leider noch auf ſehr ſchwachen
Fuͤßen ſtehe. Sie wolle ſogar rathen, der
Herr Oberprieſter moͤge ſich anfangs etwas
zuruͤckziehen, bis Jhro Majeſtaͤt hinlaͤnglich
vorbereitet ſeyn wuͤrden.
Dem heiligen Manne dieſes einzureden
hielt nun freylich etwas ſchwer. Gleich-
wohl ſchien es am beſten zu ſeyn, ſeinen
Eifer fuͤr das Wohl der Kirche jetzt zu
maͤßigen, um ihr nachher deſto kraͤftiger
dienen zu koͤnnen. Es ward demnach alles
zur Zufriedenheit der Oberhofmeiſterinn ab-
geredet, und ſie kam noch fruͤh genug in
die Reſidenz, um dem Lever der Prinzeſſin
beiwohnen zu koͤnnen.
Aber dieſe hatte noch bis Mitternacht
in ihrem Lieblingsſchriftſteller geleſen, und
war heute, fuͤr uneingeweihte Ohren ſchlech-
terdings nicht verſtaͤndlich. Sie ſprach von
der betaͤubenden Vorſtecklilie der
Erde, — ſo nannte der beruͤhmte Zebra
den
den Mond — von dem zuſammenge-
legten Weiszeuge des Himmels,
und verſicherte, die Muͤhle der Schoͤp-
fung habe an dieſem herrlichen Morgen
mit allen Raͤdern und Stroͤhmen ge-
rauſcht.
Die Oberhofmeiſterinn ſah die Kammer-
frauen bedenklich an, und dieſe zuckten
eben ſo bedenklich die Achſeln. Der Koͤnig
kam dazu, und wurde nun freylich uͤber-
zeugt: daß es Faͤlle giebt; wo man ſogar
die Orakel nicht verſchmaͤhen muß. Alle
Anſtalten wurden getroffen, und er machte
ſich den folgenden Tag in der Staatsequi-
page auf den Weg.
Schon um ſechs Uhr des Morgens wurde
er von dem Oberprieſter auf der Zinne des
Tempels erwartet. Der heilige Mann
hatte ſo eben ein halb dutzend friſche Eier
verſchluckt, um dem Orakel die gehoͤrige
Maͤhrchen. H
Klarheit zu geben, und probierte es jetzt
aus allen Kraͤften.
Da er aber den Koͤnig noch immer nicht
gewahr wurde und ſo eben ein paar Bau-
erknaben in den Tempel laufen ſah, be-
ſchloß er wieder hinunter zu ſteigen. Die
luſtigen Voͤgel hatten ſich die Nachlaͤſſig-
keit des Tempeldieners, der heute voller
geſchaͤftigen Angſt alle Thuͤren offen lies,
zu Nutze gemacht, und wollten nun zum
Spas auch einmal das Orakel befragen.
Aber der Gott, oder vielmehr — wel-
ches ja einerley iſt — ſein Geſalbter,
donnerte ſie mit Huͤlfe der friſchen Eier
dermaßen nieder: daß ſie ſinnlos zu Boden
ſtuͤrzten, und ſich, zu ſeiner innigſten Freude,
erſt nach einer halben Stunde wieder er-
hohlten.
Kaum hatte man ſie an die Seite ge-
ſchaft; als der Koͤnig erſchien und ſich mit
einigen ſeiner Vertrauten dem Altar naͤ-
herte. Er trug dem Gotte in wenigen
Worten ſein Anliegen vor, und bekam un-
ter ſechs Blitzen und ſieben Donnerſchlaͤgen
— der zu dem ſiebenten Donnerſchlage ge-
hoͤrige Blitz wurde in der Eile vergeſſen —
folgende Antwort:
»Die Prinzeſſin wird ſich nur
dann in den Stand der heiligen
Ehe begeben; wenn ſie einen Mann
wider ihren Willen lieben wird.«
»Hm! hm! — ſagte der Koͤnig, in-
dem er in den Wagen ſtieg — Ein wahrer
Orakelſpruch! — Nun, das ſoll mich ver-
langen! — Aber was wollte der Gott mit
ſeinem Donner? — Hat man die Opfer
nicht ordentlich beſorgt?
»Allerdings! Jhro Majeſtaͤt — erwie-
derte der Hofmarſchall — Aber nach den
Urkunden des koͤniglichen Hauſes, haben
H 2
Dero Vorfahren die Ausſpruͤche des Gottes
immer unter Blitz und Donner erhalten.
Nur fuͤr den Poͤbel iſt dies ein Zeichen des
goͤttlichen Unwillens; hier war es offenbar
der groͤßeren Feierlichkeit wegen.
»Ja! Ja! — fiel der Leibarzt ein —
Jhro Majeſtaͤt koͤnnen nicht glauben; wie
viel auf eine vernuͤnftige Exegeſe an-
koͤmmt! — —
»So! So!« — antwortete der Koͤnig
und ging mit bedenklicher Miene in ſein
Kabinet. Eben ſo bedenklich ſchritt der
Hofmarſchall in das ſeinige, und wieder-
hohlte vor dem Spiegel die Worte: »wi-
der ihren Willen ſoll ſie lieben!«—
»O Gott wenn ich hoffen duͤrfte! —
fuhr er fort, indem er mit Huͤlfe eines klei-
neren Spiegels, ſein Profil etwas naͤher
in Augenſchein nahm — »Aber das ver-
dammte Opium hat mich ganz fuͤrchterlich
entſtellt! — Mit welcher Seelenangſt habe
ich mich in die Manier des Phantaſten
hinein gearbeitet! — Welche Nachtwachen
haben mich ſeine Antihyperbeln gekoſtet! —
und nun ſollte das alles vergeblich ſeyn! —
Wider ihren Willen ſoll ſie lieben? —
Wahrſcheinlich einen jungen Leichtfittig, der
die ganz entgegengeſetzte Manier affichirt!
— Ach es wird mich umbringen! den Tod
werde ich davon haben!« —
Bey dieſen Worten wurde die Oberhof-
meiſterinn gemeldet. Der alte Herr wollte
mit einem Fluche antworten, der aber, da
er ſie ſchon in die Thuͤr treten ſah, ſich
ploͤtzlich in lebhafte Freude uͤber ihre Ge-
genwart verwandelte.
Die gute Dame war zu ſehr mit der
Freude des Hofes bekannt, um dieſe nicht
gehoͤrig wuͤrdigen zu koͤnnen und eilte da-
her das Geſpraͤch auf die Hauptſache zu
lenken. Natuͤrlich keine Andere als der
Orakelſpruch. Die Oberhofmeiſterinn hatte,
ohngeachtet ihres nahen Antheils, nicht
von der Parthie ſeyn koͤnnen, und wuͤnſchte
doch nun die naͤheren Umſtaͤnde zu erfahren.
Alles was ihr der Hofmarſchall davon
mittheilte, vermehrte zuſehends ihre gute
Laune, und bewog ſie noch denſelben
Abend zwey Kouriere abzuſchicken.
Der Eine nahm ſeinen Weg grade zu
dem Orakel, um einen aͤcht franzoͤſiſchen ſpi-
rituellen Zettel zu uͤberbringen, worinn
der Oberprieſter verſichert ward: er koͤnne
ſich in allen goͤttlichen und weltlichen
Dingen auf ſeine ergebenſte Dienerinn ver-
laſſen. Der Andere wandte ſich nach Frank-
reich, um einen der liebenswuͤrdigſten Prin-
zen damaliger Zeit einzuladen.
Freilich, muß man hier das Wort lie-
benswuͤrdig nicht im deutſchen Sinne
nehmen. Es ſieht bekanntlich dem aimable
der Franzoſen ſo wenig aͤhnlich wie unſre
Unendlichkeit der Jhrigen. Da die
letztere eigentlich nur im Deutſchen End-
lichkeit bedeutet; ſo moͤchte das franzoͤſi-
ſche aimable auch am richtigſten durch
das Gegentheil zu uͤberſetzen ſeyn. — Wa-
rum ſich aber, wie man leicht denken kann,
unſer franzoͤſiſche Prinz nicht viel bekuͤm-
merte.
Er hatte vor einiger Zeit das Gemaͤlde
der Prinzeſſin geſehen und dabey die Ver-
ſicherung erhalten: das Original uͤbertreffe
bey weitem die Kopie. Neben dieſer Auſſer-
ordentlichkeit erfuhr er auch noch andere;
welche ihm freylich an das Unglaubliche
zu graͤnzen ſchienen.
Es war naͤhmlich bewieſen; die Prin-
zeſſin habe bis jetzt keinen Leibkutſcher,
Leibpagen oder Leibkammerdiener ge-
habt. Sie halte keinen Favorithund
und keine Favoritkammerfrau. Lege
kein Roth auf, und habe bis auf dieſe
Stunde noch keine Stahlkur gebraucht.
»Mit einem Worte Monſeigneur! —
ſagte der Mahler der dem Prinzen das
Gemaͤlde praͤſentirte — Jch wuͤrde das
Bild im naͤchſten Kloſter fuͤr eine Madonna
verkauft haben; wenn ich einen heiligen
Geiſt haͤtte daruͤber ſetzen wollen.«
»Keinen heiligen Geiſt! — rief der Prinz
— das bitte ich mir aus! — Hier iſt Jhr
Geld! das Gemaͤlde bleibt hier. Wie viel
Meilen, bis zum Originale?«
»Nur hundert und funfzig Monſeigneur!
»Gewiß nach Norden? —
»Allerdings! das koͤnnen Monſeigneur
ſchon am Kolorite ſehen.« —
»Ja Ja! auch ohne dies! — erwiederte
der Prinz, — zahlte dem Mahler das Geld,
und war jetzt, wie man leicht denken kann,
auf den Kourier der Oberhofmeiſterinn beſt-
moͤglichſt vorbereitet.
Dieſer brachte nun die Sache voͤllig in
Richtigkeit. Es wurden ſogleich ein halb
dutzend Kammerdiener mehr angenommen,
eine Toilette ambuͤlante auf das ſchleunigſte
beſorgt, und ſchon in einem Monathe war
die Garderobe des Prinzen mit allem ver-
ſehen, was der neueſte und allerneueſte Ge-
ſchmack nur aufbringen konnte.
Unter dieſen auserleſenen Kleidungen
befand ſich auch, der Vollſtaͤndigkeit wegen,
ein ganz modernantiker Ritteranzug. Grade
als ihn der Kammerdiener mit Baumwolle
und ſeidnem Papiere einpacken wollte, ging
der Prinz durch die Garderobe, und befahl
nun: man ſolle alles dazugehoͤrige in einem
beſonderen Koffer verwahren.
»Wenn ich nicht irre — fuhr er fort —
ſo treffen wir auf unſerem Wege eine feind-
liche Feſtung. Jasmin kann einmal den
Helm hereinbringen! Wenn er mir gut
ſteht; ſo bin ich entſchloſſen ſie einzu-
nehmen.«
Der Helm wurde gebracht, und ſtand ſo
vortreflich; daß der erſte Kammerdiener
ſeinen erſtaunten Freunden verſicherte: es
werde in der Feſtung kein Stein auf dem
andern bleiben.«
Aber gluͤcklicher, oder ungluͤcklicher Weiſe
hatte der Prinz eine Menge ganz anderer
Abentheuer zu beſtehen, und die Feſtung
wurde vergeſſen. Erſt vierzig Meilen wei-
ter erinnerte man ſich daran, und faßte,
natuͤrlich, nun den ſehr paſſenden Entſchluß,
die Einnahme auf der Ruͤckkehr zu beſor-
gen.
Deſſenohngeachtet kam die Ritterkleidung
vortreflich zu ſtatten. Der Prinz konnte
fuͤr den erſten Kourtag nichts pikanteres
waͤhlen, und beſchloß nun — wie es ſich
von ſelbſt verſteht — den kleinen Verſtoß
gegen die nordiſche Etiquette nicht zu achten.
Wer, uͤberdem, konnte etwas dagegen
einwenden; wenn er verſicherte: ein Ritter-
anzug ſey, nach dem lezten franzoͤſiſchen
Geſchmacke, zur Kour unentbehrlich? —
Geſagt! gethan! in zwey Stunden war
der Ritter fertig, und trat nun, zum Er-
ſtaunen des ganzen Hofes voͤllig gewapnet
in das Prunkgemach.
Der Hofmarſchall erblaßte, die Prinzeſ-
ſin erroͤthete, und der Koͤnig druͤckte etwas
verlegen die Krone ein wenig tiefer ins
Geſicht. Allerdings war der Prinz, ob-
gleich nicht uͤberfluͤſſig bluͤhend, doch noch
immer ein Mann der ein Maͤdchen zum
Erroͤthen, und einen funfzigjaͤhrigen Hof-
marſchall zum Erblaſſen bringen konnte.
Dieſes war alſo voͤllig in der Ordnung;
aber die Verlegenheit des Koͤnigs gruͤndete
ſich wirklich auf etwas auſſerordentliches.
Er hatte naͤhmlich die ganz unkoͤnigliche
Eigenſchaft, ſich nicht allein fuͤr ſich ſelbſt,
ſondern auch fuͤr andere Leute zu ſchaͤmen,
und fuͤhlte jetzt das Unſchickliche der prinz-
lichen Kleidung ſehr lebhaft.
Aber die Unterhaltung des jungen Rit-
ters zerſtreute bald alle Verlegenheit. Der
Koͤnig laͤchelte, die Prinzeſſin vergaß alle
zebraiſche Floskeln, und eine Hofmaſchiene
nach der andern fing an gleichſam men-
ſchenaͤhnlich ſich zu bewegen.
Mit Schrecken bemerkte dies der Hof-
marſchall und ſuchte nun ſo ſchnell als
moͤglich durch eine aͤcht zebraiſche Redens-
art dem Unweſen zu ſteuern. Aber ver-
geblich! — Er mußte ſich, durch die Ein-
faͤlle des Prinzen, ſeinen langen, verwor-
renen Perioden, in ſo viele kleine Theile zer-
ſchneiden laſſen: daß er die letzte Antihy-
perbel gar nicht zuſammenbringen konnte.
Mit wahrer Seelenangſt blickte er nun
nach der Prinzeſſin, und ſah zu ſeiner Ver-
nichtung ein Laͤcheln auf ihren Roſenlippen
ſchweben; das offenbahr nichts anderem:
als der lezten aͤußerſt witzigen Replique des
Prinzen, gelten konnte.
Jn der That es war unmoͤglich ihm die
Gabe einer leichten, und im hohen Grade
erheiternden Unterhaltung abzuſprechen.
Mit der Fluͤchtigkeit eines Schmetterlings
eilte er von einem Gegenſtande zum andern.
Nichts approfondirt! war ſein Wahl-
ſpruch — und man mußte geſtehen: daß er
und ſeine Geſellſchafter ſich wohl dabey be-
fanden.
Sogar von der Prinzeſſin ſchien dieſes
zu gelten; aber freilich ſchien es auch nur
ſo. — Zebra mit allen ſeinen Abge-
ſchmacktheiten, gab ihr zu denken und belei-
digte niemals ihr ſittliches Gefuͤhl. — Der
Prinz mit aller reizenden Leichtigkeit, mit
allem verfuͤhreriſchen Witze, lies doch eine
aͤuſſerſt unangenehme Leere in ihr zuruͤck,
und konnte troz allen Warnungen der Ober-
hofmeiſterinn, ſeinen Lieblingszweideutigkei-
ten nicht entſagen. Der Triumpf dieſer
guten alten Dame, war alſo ein wenig
zu voreilig geweſen. Die Prinzeſſin bekam
einen Ruͤckfall aͤrger denn alle vorherge-
henden, und ſchien nun wirklich eines Arz-
tes zu beduͤrfen.
Gleichwohl weigerte ſie ſich, fortwaͤh-
rend, irgend etwas medicinaͤhnliches zu neh-
men, und zwang dadurch den Leibarzt,
ihre Kur auf eine Art zu verſuchen, wo-
gegen er ſich Anfangs ſehr lebhaft erklaͤrt
hatte. Ohne der Oberhofmeiſterinn uͤber-
fluͤſſig geneigt zu ſeyn, mußte er ſich den-
noch geſtehen; ihr Einfall mit dem franzoͤ-
ſiſchen Prinzen ſey nicht ſo uͤbel geweſen.
»Aber — fuhr er fort — ſie haben es
trotz aller Feinheit zu plump gemacht! —
Der Kontraſt war zu groß! — die Fran-
zoſen haben es nie zu etwas Hoͤherem als
zum liebenswuͤrdigthieriſchen brin-
gen koͤnnen. Wollen ſie ſich daruͤber erhe-
ben; ſo fallen ſie in das eckelhaft theatrali-
ſche. Auch dieſer franzoͤſiſche Held, iſt doch
nichts als ein liebenswuͤrdiges Vieh.
(Er war allein, und pflegte ſich immer et-
was ſtark auszudruͤcken) »Was Wunder
daß er unſerer uͤber und uͤber aͤtheriſchen
Prinzeſſin nicht gefallen konnte.« —
»Halt! mit einem deutſchen Prinzen
muͤſſen wir es verſuchen! — Aber wo fin-
den wir Einen? der nicht entweder von
dieſem franzoͤſirenden oder von dem verma-
ledeyten zebraïſchen Tone angeſteckt
waͤre.
»Jmmerhin mag er mit den Franzoſen
bekannt ſeyn! das wird ihn vor allem Über-
menſchlichen bewahren. — Aber die Eng-
laͤnder, und ganz beſonders die Griechen
und Roͤmer muß er mir geleſen haben; da-
mit er nicht fruͤh oder ſpaͤt in das ver-
dammte Weinerliche verfaͤllt.«
»Ja! ja! muß er! muß er! Jch habe
gut beſchrieben; wenn er nur erſt gefunden
waͤre! — Aber nicht verzagt! wir wollen
das Äußerſte verſuchen!
Mit dieſen Worten eilte er zum Koͤnige.
Dieſer, ſchon ſeit geraumer Zeit, nicht ſon-
derlich von dem franzoͤſiſchen Prinzen er-
baut, wuͤnſchte recht ſehnlich ihn gaͤnzlich
entbehren zu koͤnnen, und mußte daher den
Vorſchlag mit vieler Freude annehmen.
»Ja! — ſagte der Arzt — werden mir
aber
aber Jhro Majeſtaͤt Vollmacht geben; den
Prinzen zu kapern, wo ich ihn finde? —
Es moͤchte vielleicht nur an einem ſehr
kleinen Hofe gelingen.« —
»Jmmerhin! wir beduͤrfen eines geſun-
den, vernuͤnftigen Mannes. Gleichviel ob
er der Sohn eines Kaiſers oder eines Koͤ-
nigs iſt.«
»Ach wir muͤſſen vielleicht noch tiefer
hinunter ſteigen!« —
»Auch das; wenn es nicht anders ſeyn
kann! — Kommen Sie nur bald wieder,
damit wir ſehen: was wir zu hoffen haben.«
Aber der arme Äskulap konnte, nach-
dem er ſchon drey Monathe herumgeirrt
war, noch immer das Geſuchte nicht finden.
Oft wollte er ſich ſchmeicheln; aber ſchon
nach einem kurzen Aufenthalte rief er wie-
der »franzoͤſirt! — zebraïſirt! — und mußte
dann troſtlos ſeinen Wanderſtab weiter ſetzen.
Maͤhrchen. J
Endlich kam er an die Graͤnze des klei-
nen Fuͤrſtenthums Jy . . . . . und war
ſchon zweifelhaft: ob er ſich die Muͤhe ge-
ben ſolte weiter vorzudringen; als das
Geſpraͤch zweier Fremden ſeine ganze Auf-
merkſamkeit feſſelte.
Einige Fragen waren hinreichend ihn zu
beſtimmen, und ſein Poſtillon erhielt Be-
fehl zu jagen was die Pferde laufen
koͤnnten.
Der Vater — rief unſer Äskulap vol-
ler Freude — uͤber und uͤber franzoͤſirt!
— Die Mutter eine Erzzebraiſtin und der
Sohn ein wohlorganiſirter junger Mann,
dem beides zum Ekel iſt! — Das ſcheint
ja ganz eigentlich fuͤr uns zurecht gemacht!
— Vor allen Dingen muß ich aber das
Gemaͤlde auspacken! das Übrige findet ſich
dann von ſelbſt.« —
Und in der That es fand ſich von ſelbſt.
Der Fuͤrſt betheuerte in franzoͤſiſcher Ma-
nier; aber freilich mit einer graͤßlichen Aus-
ſprache, er finde ſich unendlich begluͤckt,
die Fuͤrſtinn gab im aͤcht zebraïſchen daſ-
ſelbe zu verſtehen und der Prinz verwandte
kein Auge von dem Gemaͤlde.
»Es ſcheint Jhren Beifall zu haben, —
ſagte der Arzt, nachdem der Fuͤrſt und ſeine
Gemahlin ſich entfernt hatten.
»Das konnten Sie erwarten, — ant-
wortete der Prinz — Aber wie iſt es moͤg-
lich, daß grade mir ein Gluͤck zu Theil
werde, auf welches ſo viele Andere Ver-
zicht thun mußten?« —
Dieſe Frage hatte natuͤrlich eine weit-
laͤuftige Erklaͤrung des Doctors zur Folge,
und der Prinz gab nun — freilich etwas
tiefſinnig — Befehl die Abreiſe zu be-
ſchleunigen.
»Ach ich laͤugne es Jhnen nicht — ſagte
J 2
er zu dem Arzte, der ihn aufheitern wollte
— die Geneſung der Prinzeſſin ſcheint mir
an das Unmoͤgliche zu graͤnzen. Schon
ihr Gemaͤlde hat mich ſo tief geruͤhrt! —
Wie wird ihr Anblick auf mich wirken! —
Jch kenne mich! Stumm und verwirrt werde
ich daſtehen. »Ach wenn ich tief empfand;
habe ich immer die Worte vergeſſen! —
»Sonderbar! — rief der Arzt — einem
Mann, der dem zehnmal uͤberlegenen Feind
hoffnungsvoll entgegen ging, muß ich jetzt
Muth einſprechen- da es auf die Eroberung
eines weiblichen Herzens ankoͤmmt! —
»Glauben Sie mir, antwortete der
Prinz — das Eine kann ſehr wohl mit dem
Anderen beſtehen. Jch bin leider ein Be-
weiß davon! — Sie ſollen es ſehen! ich
werde mit meiner ſchlichten, einſilbigten
Manier, dem franzoͤſiſchen Prinzen nur zur
Folie dienen.« —
Aber dieſes Mal hatte der beſcheidne
junge Mann geirrt. Der franzoͤſiſche Prinz,
nachdem er ſchon einen ganzen Monath
lang, zu ſeinem eignen Erſtaunen, allen
Nebengalanterien entſagt, und ſich allein
dem Dienſte der Prinzeſſin gewidmet hatte,
fing an die ganze Angelegenheit etwas
langweilig zu finden.
Zwar ſuchte die Oberhofmeiſterinn ihn
auf alle Weiſe zur Geduld zu ermahnen.
Aber eines Morgens, als ihre Andacht
kaum zur Haͤlfte geendigt war, ſtuͤrzte der
Prinz athemlos in ihr Zimmer.
»Nein Madame! — rief er, indem er
ſich auf das naͤchſte Sopha warf — Das
uͤberſteigt alle meine Vorſtellung! das iſt
um den Verſtand zu verlieren!«
»Aber mein Gott Monſeigneur! was iſt
denn vorgefallen? —
»Nein Madam! nein es iſt alles ver-
geblich! und wenn ich die Geduld eines
Engels haͤtte! Nein ich ſage Jhnen es hilft
nichts! Wir muͤſſen die Hofnung aufgeben!«
»Aber ich bitte votre Alteße wollen die
Gnade haben! — Jch zittre — ich kann
mich kaum aufrecht erhalten« —
»Nun Madame! — fuhr der Prinz,
mit einem heftigen Sprunge vom Sopha,
die eine Hand in die Seite, und die an-
dere auf den Tiſch geſtemmt, fort — ſo
frage ich Sie denn: ob Sie jemals, unter
vernuͤnftigen Menſchen, etwas von Krebs-
ſcheeren der Erinnerung gehoͤrt ha-
ben?« —
»Von Krebsſcheeren der Erin-
nerung? — —
»Ja ja! von Krebsſcheeren der
Erinnerung! — Jch fordre Sie auf:
mir in einem einzigen franzoͤſiſchen Schrift-
ſteller, trotz aller Unnatuͤrlichkeit, und Ge-
ziertheit, die man ihnen hier Schuld zu
geben beliebt, — ein ſolches eckelhaft ab-
ſcheuliches Bild zu finden;« —
»Gleichwohl will die Prinzeſſin, aus
Entzuͤcken daruͤber, den Geiſt aufgeben.
Und jetzt da ich mir die Freiheit nahm,
ihrem Lieblinge, dem beruͤhmten Zebra da-
fuͤr ein wenig die Ruthe zu geben, dachte
ich: ſie wuͤrde mit ihren ſchoͤnen Augen
mich toͤdten.«
»Der Herr Hofmarſchall ſchienen uͤber-
dem eine doppelte Doſis Opium genom-
men zu haben, und wußten ihre eigentli-
chen Scheeren ſo furchtbar zu preſentiren;
daß ich es fuͤrs beſte hielt: mich ſo ſchnell
als moͤglich zu beurlauben.«
»Jetzt nun erhalte ich von der Prinzeſ-
ſin einen Zettel, worin mir, mit aͤußerſt
beleidigenden Ausdruͤcken, die ganze zebraï-
ſche Bibliothek abgefordert wird. Genug
Madame es iſt zum raſend werden! Dieſe
Krebsſcheeren der Erinnerung ge-
ben mir den lezten Stoß! — Jetzt gleich
eile ich zum Koͤnige! War ich nicht ein
Narr meine Zeit ſo zu verlieren!« —
Mit dieſen Worten war der Prinz ver-
ſchwunden, und die arme Oberhofmeiſterinn
blieb mit weinenden Augen zuruͤck.
»Ach — rief ſie — unſer Elend iſt aufs
Hoͤchſte geſtiegen! Wer haͤtte glauben ſol-
len: daß es dahin kommen wuͤrde! —
Krebsſcheeren der Erinnerung! ! —
— Nein er hat Recht! es iſt um den Ver-
ſtand zu verlieren!
Voller Betruͤbniß fragte nun die gute
Dame jedermann der ihr begegnete: ob er
etwas von Krebsſcheeren der Erin-
nerung gehoͤrt habe? — Dieſer fragte
dann wieder einen Anderen, und ſo ging
es bald wie ein Lauffeuer, erſt durch das
Schloß, dann durch die ganze Stadt.
Daher wußte nun der deutſche Prinz
nicht: ob er ſeinen Augen und Ohren trauen
ſollte, als er auf jeder Straße Leute fand,
die mit Haͤnden und Fuͤßen entweder fuͤr
oder wider die Krebsſcheeren der
Erinnerung ſtritten.
Betroffen wandte er ſich zu dem Arzte.
Dieſer aber hielt vor Lachen den kleinen
Bauch mit beyden Haͤnden und rief einmal
uͤber das Andere:
»Habe ichs nicht geſagt Jhro Durch-
laucht! die ganze Stadt werde ich noch
kuriren muͤſſen? — Mit dieſen Krebs-
ſcheeren der Erinnerung muß es aber
doch eine ganz eigne Bewandniß haben. —
Denn ich wuͤßte nicht: daß weder die
Stimmgabel der feinſten Morali-
taͤt, noch der lakirte Blumenſtock
der Jdeen, worin die Prinzeſſin vor kur-
zem unbeſchreiblich verliebt war, ſo viel
Unheil angerichtet haͤtten.« — Prepariren
Sie ſich nur auf eine gute Doſis Geduld!
nach allen Umſtaͤnden zu ſchlieſſen, werden
Sie ſie, mehr als jemals, noͤthig haben. —
»Ja und was das ſchlimmſte iſt lieber
Doktor! man kann dieſem Zebra, bey allen
auf den Kopf geſtellten Hyperbeln, bey
allen ſeinen ſchwuͤlſtig verworrnen Perioden,
doch die Genialitaͤt, und eine aͤuſſerſt zarte
Gewiſſenhaftigkeit nicht abſprechen.« —
»Jſt auch nicht mein Wille Jhro Durch-
laucht! Jch nehme mir die Freiheit den
ſchiefen Hals Alexanders ſchief, und
diejenigen Narren zu nennen, die ſich
das Genicke verdrehen, um wenigſtens einen
alexanderſchen Theil vorzeigen zu koͤnnen.« —
Waͤhrend der Arzt dieſe letzten Worte
ſprach; toͤnte ihm ein durchdringendes Ge-
ſchrey aus dem Schloßthore entgegen.
So weit geht unſre Handſchrift. Kein
Wort mehr uͤber die Urſache des Geſchreys,
uͤber die Aufnahme des Prinzen, noch uͤber
die Geneſung der Prinzeſſin.
Der kriſtallene Thurm.
Muͤßig wandelte Takeddin am Ufer des
Tigris, nachdem er die heiſſeſten Stunden
des Tages in einem nahen Walde verſchla-
fen hatte. Die Sonne ging eben hinter
den fernen Gebirgen unter, und der gluͤhende
Abendhimmel ſpiegelte ſich im Strome.
Da ſprang ploͤtzlich eine große, hellblaue
Schlange vor dem Wanderer auf, welche
einer jungen huͤpfenden Heuſchrecke mit un-
gewoͤhnlicher Schnelligkeit folgte, und dieſe
eben verſchlingen zu wollen ſchien. Halt!
rief Takeddin, dem Schwaͤchern muß ein
wackerer Mann beiſtehen. Raſch zog er
ſeinen Saͤbel, und in demſelben Augenbli-
cke hatte er die Verfolgerin in der Mitte
von einander geſchnitten. Aber verwun-
dert blickte er nun auf die Spitze ſeines
Saͤbels; denn da, wo ſie die Schlange be-
ruͤhrt hatte, umwehte ſie ein gruͤnes Flaͤmm-
chen, welches nach einigen Minuten gerade
in die Luͤfte emporſtieg.
Verdammter Zauberkram! rief Takeddin
aus, als er ſtaunend der ſteigenden Flamme
nachgeſehen hatte, und wollte den Saͤbel
in den Fluß ſchleudern; aber unbeweglich,
wie verſteinert, blieb ſein Arm ausgeſtreckt.
Jch ſehe wohl, du biſt mir zugedacht, hob
er nach einer Pauſe wieder an, und als er
die Worte ausgeſprochen hatte, war ſein
Arm geloͤſt, und der Saͤbel ſuchte von ſelbſt
die Scheide. Er hatte dieſen Saͤbel kurz
vor ſeiner Nachmittagsruhe im Walde ge-
funden, wo derſelbe bis an den Griff in
einem Baume eingeklemmt war. Neben
ihm hingen an einem Aſte das Wehrge-
henke und die Scheide, welche, obgleich aus
ſchlechtem, unſcheinlichem Stoffe gearbeitet,
mit ſo hellem Glanze ſtrahlte, daß ſie den
Wanderer ſchon in weiter Ferne anlockte.
Kaum hatte er ſich aber genaͤhert, und den
Griff des Saͤbels beruͤhrt: ſo fuhr die breite,
vergoldete Klinge leicht aus der Klemme,
und in den Zweigen des Baumes ertoͤnten
ſo ſchmeichelnde, ſanfte Harmonien, daß
Takeddin bald im Schatten deſſelben ent-
ſchlief. Er hatte nun ein wunderbares,
aber liebliches Traumgeſicht von einem
kriſtallenen Thurme, worin unverhuͤllte
Maͤdchen tanzten und eine verhuͤllte Jung-
frau trauerte: ein Traumbild, wovon wir
vorlaͤufig nichts verrathen wollen, weil es
in der Wirklichkeit ſich vielleicht noch ein-
mal zeigen wird; obgleich Takeddin eben
jetzt daran zuruͤckdenkt.
So ſehr Takeddin durch jenes Aben-
theuer mit dem Saͤbel und durch dieſes
Traumgeſicht auf wunderbare Ereigniſſe
vorbereitet war: ſo uͤberraſchend war ihm
alles, was ihm am Fluſſe begegnete. Aber
jetzt wurde es ganz ſtill umher, und der
Wanderer wollte, da die Daͤmmerung ſchon
anzubrechen begann, den naͤchſten Weg
nach Balſora zuruͤckkehren, deſſen Mi-
narets, noch ziemlich weit entfernt, in ſchim-
mernder Pracht ſich erhoben. Jn Betrach-
tungen uͤber die Wunder, die er geſehen,
gaͤnzlich verloren, ging er noch einige hun-
dert Schritte am Ufer hinunter, bis an ein
kleines Cedernwaͤldchen, um welches der
naͤchſte Weg nach der Stadt herumbog.
Doch es lag eine ſo druͤckende Schwuͤle auf
der weiten Ebene, daß ſich der ermuͤdete
Wanderer gern den erfriſchenden Schatten
uͤberließ, welche das kuͤhle Waͤldchen ihm
darbot, und des kurzen Umweges nicht ach-
tete. Und wenn auch die Thore bei mei-
ner Ankunft ſchon geſchloſſen waͤren, ſagte
er zu ſich ſelbſt: ſo kann ich ja auf dem
Landhauſe meines Freundes die Nacht zu-
bringen; ihn wird die Erzaͤhlung meiner
Abentheuer hoͤchlich ergoͤtzen. Mit dieſem
Entſchluſſe ging er gemaͤchlich weiter, und
es kuͤmmerte ihn wenig, daß der Abend
immer mehr ſeinen grauen Mantel uͤber
die Erde breitete; aber wie groß war ſein
Erſtaunen, als der Wald, in welchem er
jeden Fußſteig kannte, dichter und dunkler
wurde, und alle Pfade vor ihm abgeſchnit-
ten waren. Er blickte zuruͤck, um den
Weg wieder einzuſchlagen, der ihn herein-
gefuͤhrt hatte, und auch hier ſah er nichts
als dichtes Geſtraͤuch und umhergeworfene
Felſentruͤmmer, die keinen Ausgang zeigten.
Befremdet blieb Takeddin einige Augen-
blicke
blicke ſtehen. Was ſinne ich? hob er end-
lich an. Hier links habe ich den Fluß lie-
gen laſſen; und dort muß alſo Balſora
liegen. — Unerſchrocken bahnte er ſich durch
das verwachſene Gebuͤſch und zwiſchen den
ſchroffen Felſenſtuͤcken hin den Weg, und
verlor ſich immer tiefer in eine rauhe, un-
wegſame Einoͤde. Ein heftiges Rauſchen,
Waſſerfaͤllen gleich, betaͤubte ſein Ohr, und
das Geheul wilder Thiere, das aus nahen
Kluͤften zu kommen ſchien, unterbrach ſchreck-
lich dieſe eintoͤnige Muſik.
Jch ſehe wohl, hob Tekeddin an, ich
kann heute keinen Schritt thun, ohne neuen
Wundern zu begegnen Alle Zauberer in
der Welt ſcheinen ſich verſchworen zu ha-
ben, einer nach dem andern ihre Launen
an mir auszulaſſen. Aber — ſetzte er nach
einer Pauſe hinzu: ein treuer Verehrer
Allah's verliert die fromme Zuverſicht
Maͤhrchen. K
nicht, was ihm auch immer begegnen mag;
er ſchlaͤft ſicher unter Allah's Schutze, wenn
ſich auch die ganze Natur gegen ihn em-
poͤrte. — Bei dieſen Worten breitete er
ſein Oberkleid auf eine moosreiche Stelle,
und lagerte ſich, indem er alle Vorfaͤlle
dieſes Tages noch einmal uͤberdachte.
Was moͤgen wohl die Zauberer, oder
die Feen, oder wer es ſonſt ſeyn mag,
der bei dieſen Scherzen ſeine Luſt findet,
was moͤgen ſie mit mir vorhaben? hob er
endlich wieder an. Auf Boͤſes ſcheinen ſie
nicht zu ſinnen; denn ich kann mich weiter
noch nicht uͤber ſie beklagen, als daß ſie
mir hier ein ziemlich unbequemes Lager be-
reiten, und mich ein wenig in Ertragung
von Hunger und Durſt uͤben wollen. Doch
ich habe ja im Kriege oft Entbehrungen
dieſer Art, und noch viel haͤrtere erduldet,
und es wuͤrde mir nicht ziemen, daruͤber
auch unr ein Wort zu verlieren.
Kaum hatte er dieſe Worte geſprochen,
als er zu ſeiner Rechten ein ſanftes Rie-
ſeln hoͤrte, und darauf ein kleines Baͤchlein
entdeckte. Der fromme Moslemin glaubte
hier einen Wink Allah's zu ſehen, nahm
die heilige Abwaſchung vor, und verrich-
tete dann kniend das Pflichtgebet. Als er
nun, ſich erhebend, aus der Quelle ſchoͤpfen
wollte, um ſeinen brennenden Durſt zu
loͤſchen, war ſie bis auf die geringſte Spur
verſchwunden; aber zur Linken hoͤrte er
daſſelbe ſanfte Gemurmel, und ſiehe da!
als er die hohle Hand gefuͤllt zum Munde
fuͤhrte, dufteten ihm die koͤſtlichſten Wohl-
geruͤche entgegen, und der lieblichſte Scher-
bet, den er je genoſſen, labte ſeine ver-
brannte Zunge.
Jch muß geſtehen, rief er aus, nachdem
er reichlich getrunken hatte, die guͤtige Fee,
welche mir vielleicht dieſe Quelle zufließen
K 2
laͤßt, verſteht ſich darauf, Scherbet zu mi-
ſchen. Schade nur, daß auf dem langen
Wege ſo viel verloren geht. — Er ſchoͤpfte
noch einmal, und trank auf das Heil der
verborgenen Wohlthaͤterin.
Seine Beſorgniß war indeß zu voreilig;
denn die liebliche Quelle war verſiegt, da
er ihrer nicht mehr bedurfte. Jn dem-
ſelben Augenblicke aber, wo er dieſen Ver-
luſt bemerkte, zog ihn eine neue Erſchei-
nung an. Eine goldbeſaͤumte Wolke ſenkte
ſich langſam zu ihm herab, aus welcher,
als ſie ſich in duͤnne Nebel aufloͤſte, ein
ſchoͤner, glaͤnzender Papagei hervorkam,
der in ſeinem Schnabel einen Korb voll
auserleſener, koͤſtlicher Fruͤchte trug, den er
vor ihm niederſetzte.
Takeddin, der bei allen Entbehrungen,
die er dulden konnte, doch kein Veraͤchter
guter Mahlzeiten war, genoß die Wolluſt,
welche ihm hier in der Wildniß ſo uner-
wartet bereitet wurde, in ſolcher ſuͤßen
Vergeſſenheit, daß er ſpaͤt erſt bemerkte,
wie ſehr in jeder Ruͤckſicht fuͤr ſeine Be-
quemlichkeit geſorgt war; denn mit ſeinem
Speiſewirthe, der auf einem niedrigen
Baumzweige ausruhte, waren noch zwei
andere Wundervoͤgel gekommen, welche,
brennende Fackeln in den Klauen haltend,
zu des Wanderers Fuͤßen ſaßen. Zu glei-
cher Zeit erhob ſich, um alle ſeine ermuͤ-
deten Sinne zu erfriſchen, eine ſanfte Mu-
ſik in den lauen Luͤften, die ihn umfloſſen.
Freund Papagei, rief Takeddin, ich
danke Dir, oder demjenigen, der Dich ſen-
det. Du haſt mir eine Erquickung gebracht,
worauf ich in dieſer Lage gar nicht rech-
nen konnte.
Der ſchoͤne Papagei flatterte von ſei-
nem Zweige herab, ſchuͤttelte mit vieler
Anmuth ein paarmal ſeine glaͤnzenden Fluͤ-
gel, und hob mit heller Stimme an:
Die Liebe trennt, die Liebe kann ver-
ſoͤhnen,
Die Lieb' entfuͤhrt, die Liebe fuͤhrt
zuruͤck:
Wo Alle ſich nach Zoraiden ſehnen,
Da wagen Alle liebend fuͤr ihr
Gluͤck,
Wenn neu der Hoffnung ſuͤße Worte
toͤnen.
O du kunſtreicher Papagei! ſprach Ta-
keddin, Du vereinigſt in der That ſehr
ſchoͤne geſellſchaftliche Talente. Aber ich
wuͤnſche, Du waͤreſt weniger geheimnißvoll
und verſtaͤndlicher in deinen Reden. Sage
mir doch, warum ich hier in der Wuͤſte
eingeſchloſſen ſeyn muß? Sage mir, was
bedeuten alle dieſe Wunder? Oder willſt
Du mich noch dankbarer machen, ſo zeige
mir den Ruͤckweg nach Balſora; denn ohne
Zweifel biſt Du auch ein geſchickter Weg-
weiſer.
Der Papagei ſchuͤttelte abermals ſeine
glaͤnzenden Fluͤgel, und hob mit heller
Stimme wieder an:
Dir iſt ein herrlich Loos beſtimmt!
Dazu iſt noch wenig Anſchein, Freund
Papagei, ſagte der Wanderer.
Aber der ſchoͤne Vogel ließ ſich nicht
irre machen, und nachdem er, als ob er
unwillig uͤber die Unterbrechung geworden,
lebhafter ſeine Fluͤgel geſchuͤttelt hatte, fuhr
er fort:
Dir iſt ein herrlich Loos beſtimmt!
Der Hoffnung ſchoͤner Funken glimmt.
Es kommt zur langerſehnten Rache
Hervor aus niederm Hirtendache
Ein Held, vom Schickſal tief gekruͤmmt.
Die ganze Erſcheinung war verſchwun-
den, als der Papagei dieſe Worte geſpro-
chen hatte, und Takeddin ſah ſich jetzt von
dem dunkeln Gewande der Nacht rings
umhuͤllt. Da er ſich durch die treffliche
Mahlzeit hinlaͤnglich erquickt hatte, ſo er-
gab er ſich in ſein Schickſal, und ſtreckte
ſich auf ſein Lager aus, um den Schlaf
zu erwarten; allein dieſer Genuß ſchien
nicht in dem Plane zu liegen, dem er dieuen
mußte. Das Gebruͤll der wilden Thiere er-
ſcholl immer naͤher und fuͤrchterlicher aus
den Felſenkluͤften, und — was dem tapfern
Juͤnglinge in ſeiner Lage noch unwillkom-
mener war, als die Nachbarſchaft der wil-
den Thiere, gegen welche ihn ſein guter
Saͤbel allenfalls ſchuͤtzen konnte — Das
Geraͤuſch des Waſſerfalles kam immer
dichter an ſein Ohr. Ploͤtzlich wurde die
Scene durch ein glaͤnzendes Licht beleuch-
tet, und Takeddin ſah, wie der gewaltige
Waſſerſtrahl in ſchimmernden Bogen uͤber
die nahen, zackigen Felſen ſtuͤrzte, und die
ſchaͤumenden Wellen auf die Stelle zu eil-
ten, die er ſich zum Lager auserſehen
hatte.
Jch finde das Betragen der Zauber-
maͤchte ſehr ungleich und ſonderbar. Von
der einen Seite laſſen ſie mir unerwartet
die koͤſtlichſten Erquickungen zukommen,
und auf der andern ſcheinen ſie den Lauf
der Waldſtroͤme zu veraͤndern, um mir
eine Ruheſtaͤtte zu zerſtoͤren, die mir gewiß
Niemand beneiden wird.
Mit dieſen Worten hob Takeddin ſein
ausgebreitetes Oberkleid auf, legte es wie-
der um ſeine Schultern, und ſuchte ſich ei-
nen andern Ruheplatz; aber der tobende
Strom ſchien ihm auf der Ferſe zu folgen,
bis Takeddin eine Terraſſenaͤhnliche Felſen-
maſſe erklommen, und durch eine weite
Spalte, welche dieſelbe in der Mitte der
Hoͤhe theilte, ſich gewunden hatte. Eine
neue, noch wildere Landſchaft oͤffnete ſich
hier ſeinen Blicken. Er ſah in ein enges
Thal, umſchloſſen von unerſteiglichen Fel-
ſen, deren Umriſſe die ſeltſamſten Formen
zeigten; hier gewaltige Rieſen, welche im
Begriffe waren, große Steinbloͤcke zu ſchleu-
dern, dort ſonderbare Thiergeſtalten, die
mit den Koͤpfen gegen einander zu rennen
ſchienen. Waͤhrend Takeddin neugierig
dieſen wunderſamen Anblick genoß, ent-
deckte er im Hintergrunde des Thales den
hellen Eingang einer Hoͤhle, welche ihm
nun als das Ziel ſeiner beſchwerlichen Wan-
derung erſchien. Nachdem er uͤber rauhe
Pfade geſtiegen war, und mit erſchoͤpfen-
der Anſtrengung einen reiſſenden Fluß, der
immer breiter und ungeſtuͤmer wurde, je
weiter Takeddin vordrang, durchwatet hatte,
ſtand er jetzt nicht fern von der ſchimmern-
den Hoͤhle, an deren Eingange er zwei
ungeheure Tiger ſah, die mit wilden Bli-
cken und offnem Rachen dem verwegnen
Wanderer drohten.
Unerſchrocken ruͤſtet er ſich zum Kampfe,
und kaum hat er ſein Zauberſchwert vor
den Thieren entbloͤßt, als dieſe mit ſchreck-
licher Wuth auf ihn losſpringen. Aber
der erſte Hieb ſpaltet dem einen den Schaͤ-
del, aus welchem alsbald zwei große Schlan-
gen fahren, und ihrem Feinde entgegen-
ziſchen, waͤhrend der andere, noch unver-
letzte Tiger von der Seite ihn anfaͤllt.
Takeddin wurde durch ſeinen Muth und
ſeine Geſchicklichkeit, und vielleicht auch
durch die Wunderkraft des Saͤbels aus die-
ſer Gefahr gerettet, und ſchreitet nun, als
die Feinde blutend zu ſeinen Fuͤßen liegen,
mit ſtolzer Siegerfreude in die erleuchtete
Hoͤhle.
Ein hoher Dom woͤlbte ſich uͤber ihm,
nachdem er einen ſchmalen Gang zuruͤckge-
legt hatte; die Waͤnde waren mit blitzen-
dem Geſtein uͤberzogen, und ſieben mit
wohlriechendem Öle gefuͤllte Lampen hin-
gen uͤber einem Baſſin in der Mitte des
Gewoͤlbes. Am Rande dieſes Baſſins ſtand
eine Ottomanne, die mit dem reichſten Bro-
kate bedeckt war. Die feierliche Stille, die
in dem Dome herrſchte, wurde nur durch
ein ſanftes Wehen, wie von fernen Floͤten-
toͤnen, unterbrochen, und die Wolluſt, wo-
rein die Sinne dadurch gewiegt wurden,
erhoͤhten die lieblichen Wohlgeruͤche, welche
durch die Luft ſchwammen.
Takeddin warf ſich auf die Ottomanne,
die ſeinen muͤden Gliedern ſanft entgegen-
ſchwoll, und bemerkte, wie von Blute ſein
Saͤbel geroͤthet war, den er beim Eintritte
in die Hoͤhle entbloͤßt in der Hand behal-
ten hatte. Er ſchwang denſelben ein paar-
mal durch das helle Waſſer des Baſſins
und fuͤhlte, als er ihn wieder herauszog,
daß ſich der Saͤbel in ſeiner Hand zu be-
wegen ſuchte, als die Spitze der Klinge
noch die Oberflaͤche des Waſſers beruͤhrte.
Befremdet umfaßte er den Griff loſer; die
Klinge fuhr mit Schnelligkeit uͤber das
Waſſer hin, und mahlte zu Takeddins gro-
ßem Erſtaunen mit Flammenzuͤgen die
Worte:
Es kommt zur langerſehnten Rache
Hervor aus niederm Hirtendache
Ein Held, vom Schickſal tief ge-
kruͤmmt.
O du ſchreibeluſtiger Saͤbel! rief Taked-
din, ich kannte bisher deine trefflichen Tu-
genden nur halb. Und du ſcheinſt ſogar
gutes Gedaͤchtniß zu haben, da du die
Worte des Papageies ſo treu wiederhohlſt.
Die feurigen Buchſtaben blieben einige
Minuten auf dem Waſſer ſtehen, und fuͤhr-
ten den Juͤngling zu ernſten Betrachtun-
gen. Es iſt ſonderbar! ſprach er. Jch
ſtamme ja aus der Huͤtte niederer Hirten,
und das Schickſal hat mir auch noch nicht
aus freundlichen, ſchwarzen Augen gelacht.
Ein Held werde ich freilich nicht ſeyn, wenn
ich auch mehr als vier Jahre Timur's
ſiegenden Heeren gefolgt bin. Aber ich
ſehne mich doch nach dem glorreichen Ruhme
der Helden, wie die durſtige Gazelle nach
dem labenden Bache; ich habe es ſeit den
drei Monaten, wo ich unthaͤtig in Balſora
lebe, heftig genug gefuͤhlt, welches unru-
hige Feuer in meiner Bruſt wohnt. Aber
— ſetzte er nach einer Pauſe hinzu — zu
welcher Rache bin ich denn berufen?
Laß doch ſehen, fuhr er nach langem
Sinnen auf, ob Du auch eigene Gedanken
haſt, die mir vielleicht mehr Aufſchluß ge-
ben. Mit dieſen Worten ſetzte er die Spitze
der Klinge auf den Boden; aber ſie blieb
unbeweglich. Jch ſehe wohl, die Erde iſt
nicht dein Element, ſprach Takeddin, be-
ruͤhrte die Waſſerflaͤche mit dem Saͤbel
und ſogleich las er die feurigen Worte:
Dir wird des Gluͤckes heitre Sonne
ſcheinen
Wenn Du was nie ſich paaret, kannſt
vereinen.
Du giebſt mir leidigen Troſt! rief Ta-
keddin, und hatte kaum ausgeredet, als ſich
die Seitenwand oͤffnete, und drei Jung-
frauen, in Florgewaͤnder gehuͤllt, und ſo
lieblich anzuſchauen, als jene, die er traͤu-
mend im kriſtallenen Thurme ſah, ſich ihm
naͤherten.
Schoͤner und erlauchter Fremdling, ſey
uns willkommen in Almeſira's Reiche! rief
die Reizendſte derſelben ihm zu.
Sonne der Schoͤnheit! ſprach Takeddin,
wenn alle Bewohnerinnen dieſes Reiches
Dir und deinen Schweſtern gleichen, ſo
mag es eher das Paradies ſeyn, als auf
dem Erdreiche gefunden werden. Jch muß
Dir geſtehen, ich habe von vielen Laͤndern
gehoͤrt, und manche als Krieger durchzogen;
aber von Almeſira's Reiche habe ich nie
das geringſte vernommen. Sage mir, wie
weit bin ich dann zum Beiſpiel von Bal-
ſora entfernt?
Von Balſora biſt Du wenigſtens drei-
hundert Paraſangen entfernt.
Du ſcheinſt meiner zu ſpotten, liebliche
Jungfrau, ich ſehe es an den ſchalkhaft
laͤchelnden Blicken die Du von dem ſchwar-
zen Bogen Deiner Augen auf mich ſchießeſt.
Jch
Jch muß Dir ſagen, holdes Maͤdchen,
ich bin erſt heute, nach dem Mittagsgebete
von Balſora gegangen.
Und doch habe ich Wahrheit geredet,
verſetzte die Jungfrau. Aber zerſtreue Dich
nicht durch ſolche Gedanken, o Herr! ſon-
dern bereite Dich vielmehr zu dem Ge-
nuſſe des herrlichen Gluͤckes, dem Du hier
entgegengeheſt. Noch einmal: Sey uns
willkommen in Almeſira's Reiche!
So ſage mir dann, ſchoͤne Jungfrau,
ich bitte Dich bei dem Sonnenglanze Dei-
ner Augen! ſage mir, wer iſt dieſe Almeſira,
in deren Reiche ich mich befinde? Und wel-
ches herrliche Gluͤck erwartet mich?
Harre mit Zuverſicht der Dinge, die da
kommen ſollen, ſchoͤner und tapferer Fremd-
ling! Du haſt ſchon große Gefahren ſieg-
reich uͤberwunden: aber das ruhmvolle
Werk, zu welchem Du berufen biſt, wird
Maͤhrchen. L
noch von mancher Faͤhrlichkeit umringt, wie
die ſchoͤne Tochter des Fruͤhlings, die Roſe,
von ſtechenden Dornen. Luft und Muth
werden Dich Alles beſiegen helfen, und
Almeſira's Auge wird uͤber Dich wachen.
Zeige mir, o Jungfrau, rief Takeddin
mit blitzendem Auge, zeige mir den Weg,
der hier zu ruͤhmlichen Thaten fuͤhrt.
Der Augenblick wird Dich lehren, ſchoͤ-
ner Held, welcher Thaten es bedarf. Es
wird an Zeichen nicht fehlen; moͤchteſt Du
ſie nur richtig deuten.
Wollteſt Du nur nicht ſo geheimnißvoll
reden, wie alle die Stimmen, welche hier
laut werden: ſo koͤnnte ich mich deſto beſ-
ſer vor Mißgriffen bewahren. Nur eines
ſage mir, reizende Jungfrau: wer iſt jene
Zoraide, von welcher ein Papagei mir er-
zaͤhlte?
O liebenswuͤrdiger Held, rief die Jung-
frau, wenn ich auch ſo viel Worte brauchen
wollte, als Biledulgerid Datteln er-
zeugt: ſo wuͤrde ich doch ihre Schoͤnheit
nicht wuͤrdig beſchreiben koͤnnen; und wenn
ich ſo viel Thraͤnen weine, als in der Re-
genzeit Tropfen vom Himmel fallen: ſo
werde ich doch ihr hartes Schickſal nicht
genug beklagt haben.
Mit dieſen Worten entfernte ſich die
holde Jungfrau, nachdem ſie ihren Beglei-
terinnen einen Wink gegeben hatte. Dieſe
naheten ſich darauf ehrfurchtsvoll dem
Wanderer, dem ſie durch Zeichen andeute-
ten, ſich des Bodes zu bedienen. Als nun
Takeddin in der lauen Fluth ſich erfriſcht
hatte, rieben die weichen Haͤnde der Jung-
frauen duftende Salben in ſeine Glieder,
und bedeckten ihn mit koſtbaren, wohlrie-
chenden Gewaͤndern. Bei dieſen Geſchaͤf-
ten entfloh kein Laut von den Korallen-
L 2
lippen der Maͤdchen, und Takeddin fuͤhlte
ſich unter ihren zarten Haͤnden ſo wohl,
und dieſes geheimnißvolle Schweigen hatte
etwas ſo reizendes fuͤr ihn, daß auch er
dieſe lieblichen Augenblicke in ſtummer Luſt
genoß. Endlich ſchlang er ſeinen Arm um
die ſchoͤnſte der beiden Jungfrauen, und
waͤhrend die eine zuruͤcktrat, und den dich-
ten Schleier uͤber das Geſicht zog, druͤckte
er jene, die lebhaft ſeine Liebkoſungen er-
wiederte, an ſeine Bruſt, um die ſuͤße Glut
derſelben zu kuͤhlen.
Wollt Jhr euren Mund nie oͤffnen, lieb-
liche Maͤdchen? redete Takeddin die Jung-
frauen an, als ſich, nach einer wonnevollen
Pauſe, Jene aus ſeinen Armen gewunden
hatte. Soll der Honig eurer Worte nicht
uͤber die Roſen eurer Lippen fließen? Redet!
Redet! Enthuͤllt mir alle die Wunder, die
ich hier ſehe.
Die beiden Maͤdchen aber begannen in
lieblichen Toͤnen:
Wir muͤſſen leider traurig ſchweigen
Vom ſternenloſen Flor der Nacht
verhuͤllt,
Bis Du das große Heldenwerk er-
fuͤllt.
Doch haſt Du geſprenget die Riegel,
Verdunkelt den magiſchen Spiegel,
Dann ſchweben wir ſcherzend im Reigen.
So moͤgen ſich dann Gefahren zu Ge-
fahren geſellen, rief Takeddin aufſpringend.
Kraft des Arms und Muth ſollen ihnen
entgegen kommen! Sagt es mir liebliche
Maͤdchen, was iſt der Preis des Kampfes?
Sich entfernend tiefen die Maͤdchen im
lauten Chore: Zoraide!
Die Öffnung in der Wand verſchloß ſich
nicht hinter ihnen, und Takeddin folgte,
als er ſein Schwerdt umguͤrtet hatte. Er
kam bald in eine lichte Gegend wo eine
Allee von Sphinxen aus rothem Granit den
weiteren Weg ihm vorzeichnete. Am Ende
der langen Doppelreihe ſtanden zwei koloſ-
ſaliſche Sphinxe, die den Ausgang ſperrten,
indem gluͤhende Ketten, deren Ende ſie im
Munde hielten, in ſchnellen funkenſpruͤhen-
den Kreiſen ſich umſchwangen. Aber kaum
hatte Takeddin, nachdem er einige Augen-
blicke betrachtend ſtill geſtanden, die Ketten
und die beiden Sphinxe mit ſeinem Saͤbel
beruͤhrt, ſo flogen jene auseinander, und
dieſe ſtuͤrzten von ihren Fußgeſtellen.
Takeddin ſah nun keinen andern Weg
vor ſich, als einen breiten Pfad, der bergan
ſtieg, und ſich endlich in weiße Marmor-
ſtufen verlor, die vollends auf den flachen
Gipfel fuͤhrten. Hier ging er einige Minu-
ten unter ſchattigen Baͤumen, bis ſich ihm
ein runder Platz oͤffnete, der mit hohen
Felſenwaͤnden eingefaßt war. Jn der Mitte
des Platzes ſaßen an Weberſtuͤhlen ſieben
ſchwarzverſchleierte Jungfrauen, uͤber wel-
che ein Mohr die Aufſicht fuͤhrte, und ſie
mit einem elfenbeinernen Stabe heftig auf
die Finger ſchlug, ſo oft ihnen Faͤden riſ-
ſen, die ſo fein als Spinnengewebe waren.
Bei Takeddin's Erſcheinung erhoben die
Jungfrauen ihre Stimme:
Das Schifflein fliegt und kommt zuruͤck.
Und unſre Thraͤne fließet,
Von Mitternacht bis Sonnenblick
Des Thaues Perlen gruͤßet.
Wir weben zarte Webe,
Auf daß es Kleider gebe
Fuͤr Muſſabelin's Rieſenleib,
Und lange Schleier fuͤr ſein Weib,
Und fuͤr die holden Kinderlein
Die weiſſen Roͤckchen leicht und fein.
O Schifflein flieg' und komm' zuruͤck,
Und fließet, Thraͤnen fließet,
Von Mitternacht bis Sonnenblick
Des Thaues Perlen gruͤßet.
Empoͤrt durch die harte Behandlung,
welche die armen Weberinnen von dem Mohr
erlitten, der eben jetzt umherging und die
zarten Finger klopfte, zuckte Takeddin ſein
Schwert und fuhr den grauſamen Wuͤthe-
rich an: Verdammt ſeyſt Du, Unglaͤubiger!
Wenn Du nicht augenblicklich dieſen un-
gluͤcklichen Jungfrauen Freiheit und Frie-
den gewaͤhrſt: ſo ſpalte ich Dir den kraus-
haarigen Schaͤdel. — Der Mohr erhob ein
lautes Gelaͤchter, und beruͤhrte Takeddin
mit dem elfenbeinernen Stabe; aber als
der Juͤngling darauf nur heftiger und
ergrimmter gegen ihn anruͤckte, verrieth er
große Entruͤſtung, und wich hinter die
Bruſtwehr eines Felſenblockes zuruͤck. Eine
der Jungfrauen aber ſprach:
Zuruͤck! Noch iſt umſonſt die Rache,
O Held aus niederm Hirtendache!
Zwar ſprengteſt Du ſchon ſtarke Riegel;
Verdunkle noch den Zauberſpiegel.
Dann bricht des Mohres weiſſer Stab,
Den ihm das harte Schickſal gab.
Und laut rief der ſiebenſtimmige Chor:
Wir tanzen Alle dann in bunten
Kreiſen,
Und ſingen Scherz und Luſt in neuen
Weiſen.
Jn dieſem Augenblicke trat der Mohr
heran, ſchwang dreimal ſeinen Stab, und
eine dicke Wolke trennte den muthigen
Juͤngling, der eben mit ſeinem Saͤbel aus-
hohlte, von ſeinem Feinde, und den bekla-
genswerthen Jungfrauen.
Von Finſterniß umgeben, ſah Takeddin
lange keinen Weg, bis die Wolken lichter
wurden, und einen Pfad aufdeckten, wel-
cher ihn an der andern Seite des Berges
herabfuͤhrte, und endlich in einen Gang
von hohen Cypreſſen leitete, der ſich in
dichtes Gebuͤſch verlor. Ein heller Glanz,
der ihm daraus entgegen ſchien, und ein
Gefliſter, das er zu vernehmen glaubte, lock-
ten ihn naͤher, und er ſchlich leiſe, mit zu-
ruͤckgehaltenem Athem, als das Gefliſter
der Stimmen immer deutlicher wurde.
Scheu bog er die dichtverſchlungenen Zweige
zuruͤck, und — welcher uͤberraſchende An-
blick! Mitten im Gebuͤſche war ein Mar-
morbecken, an deſſen Rande drei holde Maͤd-
chen ſtanden, die Frauengewaͤnder und
Schleier auf den Armen trugen. Takeddin
hob noch einen laubigen Zweig auf, und
ſah einige Theile des ſchoͤnſten weiblichen
Leibes, der im Bade lag. Jetzt erblickte er
zwei weiſſe feingerundete Arme, die das
Waſſer theilten; dann kamen die zarte
Schulter und der ſtolze Hals hervor, um
welche ſich die feuchten ſchwarzen Locken
ſchmiegten; jetzt erhoben ſich die runden
Arme, um die triefenden Locken auszudruͤ-
cken, und der Ruͤcken und die ſchoͤngewoͤlb-
ten Huͤfte ſtiegen aus dem Waſſer empor.
Und als die Jungfrau darauf das lockige
Haupt zuruͤckwarf, ſah der gluͤhende Juͤng-
ling die ſchwellenden Huͤgel des jugendli-
chen Buſens, auf deren Gipfel die beiden
Roſen der Unſchuld knospeten, ſah die
Reize des Geſichts, der feurigen großen
Augen, mit dem ſchwarzen Bogen daruͤber,
der hellen Stirne, und den weichen Koral-
lenlippen, mit der zierlichen Perlenſchnur,
die hinter ihnen hervorlachte: Reize, wel-
che wie ein voller Blumengarten bluͤheten,
wo dem Luſtwandler die Wahl ſchwer wird,
welche der duftenden Blumen er brechen
ſoll.
Die Jungfrau neigte ihr ſchoͤnes Haupt
wieder, und indem ſie ihre liebliche Geſtalt
in der Spiegelflaͤche des Waſſerbeckens mit
Wohlgefallen zu betrachten ſchien, wurden
alle ihre Reize den gierigen Blicken des
entzuͤckten Juͤnglings zum leichten Raube.
Sein Herz pochte ungeſtuͤm; ſein raſches
fliegendes Blut gluͤhte auf ſeinen Wangen,
und oft war er im Begriff hervorzubre-
chen, um zu den Fuͤßen dieſer himmliſchen
Schoͤnheit die Macht ihrer Reize zu beken-
nen, wenn ihn nicht die Betrachtung zu-
ruͤckgehalten haͤtte, daß er ſich dadurch am
gewiſſeſten dieſen Genuß entwenden wuͤrde.
Bald lauſchte er ſtehend, in den lieblichen
Anblick verloren; bald kniete er nieder, um
einen neuen Reiz zu entdecken, den ihm ein
ſtarker Baumzweig verbarg, und bald er-
hob er ſich wieder, um dieſes ſchoͤne Ge-
maͤhlde, das von einem blendenden magi-
ſchen Glanze beleuchtet wurde, aus einem
andern Standpunkte zu betrachten.
Aber welcher ploͤtzliche Wechſel! Mitten
in ſeiner ſuͤßen Selbſtvergeſſenheit ſtoͤrte
ihn eine der dienenden Jungfrauen, welche
rief: Jch ſehe das Licht in Oſten! und alle
Drei ſprachen darauf mit klagendem Tone:
Ach, das Licht in Oſten erwacht! Die Jung-
frau im Bade erhob ihren Blick mit ſchmerz-
haftem Ausdrucke: Ungluͤckſeeliges Licht!
rief ſie aus, biſt auch du ſo grauſam ge-
gen mich? Kannſt du nicht einmal die Welt
im Schooße der Nacht ruhen, und verge-
bens auf deine Ankunft warten laſſen? Je-
dem biſt du erwuͤnſcht, o Sonne, wenn du
aus den kuͤhlen Thaͤlern jenſeits der Berge
hervorkommſt; jedem bringſt du Freude
oder Hoffnung: aber mir biſt du nur die
ewig wiederkehrende Botin meines trauri-
gen Schickſals.
Noch einmal ſah die Klagende wehmuͤ-
thig in den Spiegel des Waſſers; da flamm-
te der erſte Sonnenſtrahl am oͤſtlichen Him-
mel auf, ein heftiger Donnerſchlag erſchuͤt-
terte die Luͤfte, und das ſchoͤne lockige
Haupt der Jungfrau wurde — ein großes
Straußenei, welches an der Stelle, wo das
holde Geſicht gebluͤht hatte, eine ſchlechtge-
mahlte Larve zeigte. Ein Jammerlaut ent-
fuhr ihren Lippen; ſie ſtieg aus dem Bade
hervor, wurde von den Jungfrauen ſchnell
angekleidet, und entfernte ſich langſam in
der Mitte der trauernden Dienerinnen.
Erſt lange nachher konnte ſich Takeddin
von ſeinem Erſtaunen erhohlen, und fuͤhlte
nun das ſchmerzliche dieſer lebhaften Über-
raſchung. Er drang durch das Geſtraͤuch
an's Marmorbecken, deſſen helles Waſſer
die Roſen des ſchoͤnen Leibes erfriſcht hatte,
ſetzte ſich auf den Rand nieder, und ſprach
nach einer Pauſe: O du Koͤnigin des Lieb-
reizes! wie beklage ich dein ſeltſames Schick-
ſal. Biſt du Zoraide? Biſt du der Preis
des Kampfes, worin ich befangen bin?
Dich — dich ſoll ich raͤchen? Fuͤr dich die
ſchnoͤden Unbilden beſtrafen, welche feind-
ſelige Maͤchte dir zugefuͤgt haben? Ja,
dir gehoͤrt mein Arm. Sonne der Schoͤn-
heit, dir mein Leben, ungluͤckliche Zoraide!
Bei dem heiligen Worte des Propheten ſei
es geſchworen, nicht Speiſe noch Trank ſoll
meine Zunge erquicken, bevor ich dich ge-
raͤcht habe.
Nach einer Pauſe, die auf dieſe lebhaft
geſprochenen Worte folgte, zog Takeddin
ſeinen Saͤbel. Hervor du erſter aller Saͤ-
bel, rief er aus, von dir erwarte ich Licht
in dieſem Dunkel. Er beruͤhrte das Waſ-
ſer, und auf der glatten Flaͤche erſchienen
die flammenden Worte:
Die Schoͤne ſeufzt nun in kriſtall'nen
Waͤnden,
Weil dort am Morgenthor die Fackel
blinkt;
Ach! und es will der Maͤdchen Tanz
nicht enden
Bis in des Abends Schooß die Fackel
ſinkt.
Dann iſt die Zeit, wo alle Noth zu
wenden,
Dir junger Held, die große Stunde
winkt.
Den Armen wird des Gluͤckes Sonne
ſcheinen,
Wenn du was nie ſich paaret, kannſt
vereinen.
Dein
Dein altes Lied! rief Takeddin, dein
altes Lied, das mir nicht viel Gutes fuͤr
den Ausgang des Kampfes weiſſagt, und
wenig Troͤſtliches fuͤr die Wuͤnſche meines
Herzens, welches die Liebe mit ſeiner Glut
entzuͤndet hat. Alſo bis auf den Abend
ſoll ich noch harren? So lange noch die
Rache aufſchieben, wozu mich das ungeſtuͤ-
me Verlangen meiner Bruſt treibt? . . .
Gieb beſſern Troſt, treffliches Schwert!
ſetzte er hinzu, indem er die Klinge aus-
ſtreckte. Und das allzeit fertige Orakel ließ
ſich alſo vernehmen:
Nur einmal noch kannſt den Verſuch
Du wagen,
Dem neun und achtzig kraftlos ſchon
erlagen.
Unmuthig warf Takeddin den Saͤbel
von ſich. Willſt Du meiner Unruhe, mei-
Maͤhrchen M
ner Ungeduld ſpotten? Wiſſe, Du biſt doch
bei allen Deinen Tugenden nur ein zer-
brechlicher Stahl, und jeder Saͤbel wird
mir deine Dienſte erſetzen, wenn ihn mein
Arm fuͤhrt. — Nach einigen Augenblicken
hob er jedoch das Schwerdt wieder auf, um
es noch einmal zum Reden zu bringen, und
der verſtaͤndige Rathgeber ſchrieb die be-
deutenden Worte:
Ein feſter Gleichmuth ſoll den Hel-
den zieren,
Es muß, wer herrſchen will, ſich ſelbſt
regieren.
Betroffen von dem Vorwurfe, deſſen
Wahrheit er tief empfand, ſteckte er das
Schwerdt ruhig in die Scheide, und erhob
ſich, um den Abentheuern, die ihn erwar-
ten mußten, zuverſichtlich entgegen zu gehen.
Er ſchlug den Weg ein, welchen die un-
gluͤckliche Jungfrau mit ihren Dienerinnen
gegangen war, verirrte ſich immer mehr
im verwachſenen Dickichte, mußte ſchroffe
Huͤgel erklimmen, die ihm den Weg ver-
ſperrten, und uͤber enge und tiefe Kluͤfte
ſpringen, in welchen unten Feuerſtroͤme
brauſten, die Flammen aufwarfen, und de-
ren ſcheußlicher Dampf ihn ſo ſehr betaͤubte,
daß er bei der erſten Kluft Gefahr lief, in
die tobende Tiefe zu ſtuͤrzen. Sobald er
ſich wieder erhohlt hatte, wickelte er das
eine Ende des Muſſelinſtreifs los, woraus
ſein Tulbend geflochten war, wand daſſelbe
einigemal um Mund und Naſe, und ent-
ging durch dieſes Mittel weiteren Gefah-
ren. Nach einer beſchwerlichen Wanderung
kam er an ein Felſenamphitheater, welches
viel Ähnlichkeit mit jenem hatte, worinn
die ſchwarzverſchleierten Jungfrauen an den
Weberſtuͤhlen ſaßen; nur waren die Felſen-
M 2
mauern hoͤher, und dunkel gefaͤrbt, der Um-
fang groͤßer, und Takeddin entdeckte hier,
außer einer ungeheuren verſchloſſenen Pforte
von hellpolirtem Stahle, keinen Eingang,
als er es rings umgangen war. Überraſcht,
aber unmuthig blieb er endlich vor dieſer
Pforte ſtehen, woran er weder Schloß noch
Riegel entdeckte; nur ein ſchmaler vergol-
deter Strich lief in der Mitte derſelben
herab.
Still! wer weiß, welches verborgene
Talent Du noch bewahrſt! Mit dieſen Wor-
ten entbloͤßte er ſeinen Saͤbel, und ſetzte
die Spitze der Klinge auf die goldene Linie.
Schnell glitt der Saͤbel herab, donnernd
theilte ſich die Pforte, und oͤffnete vor dem
erſtaunten Wanderer ihre maͤchtigen Fluͤgel.
Ein heller Glanz leuchtete ihm aus dem
tiefen Dunkel entgegen, welches den inne-
ren Raum des Felſenkreiſes deckte, und als
er naͤher gegangen war, erblickte er einen
runden Thurm von lauterem Kriſtalle, der
oben in eine goldene Kuppel ſich endigte,
und durch ſieben vielarmige Leuchter er-
hellt wurde, die in eben ſo viel Saͤlen hin-
gen, welche von oben nach unten zu immer
groͤßer wurden. Jn jedem Saale ſah er eine
Gruppe von Maͤdchen, deren Schoͤnheit ſo
himmliſch war, daß ihm jedes einer Stelle
unter den Houris des Paradieſes werth
daͤuchte. Das warme Kolorit, und die uͤp-
pige Fuͤlle, womit die Natur ihre Glieder
bedeckt hatte, wurde von keinem neidiſchen
Gewande, von keinem Schleier verhuͤllt,
und in den raſchen und anmuthigen Taͤn-
zen, worin ſich dieſe Gruppen bewegten,
hoben ſich die heiteren Formen deſto vor-
theilhafter und deſto unbefangener hervor,
da man kein lauſchendes Verraͤtherauge zu
fuͤrchten ſchien. Um alle dieſe Wunder-
dinge zu kroͤnen, ſaß oben in dem kleinſten
Gemache, unmittelbar unter der goldenen
Kuppel, einſam eine weibliche Geſtalt, die
nicht ganz jenen unverhuͤllten Grazien
glich, denn außer dem ſchoͤnen, blendenden
Halſe, und dem jugendlichen Buſen, die
nur ein duͤnner Flor zu decken ſchien, und
außer den weiſſen ſchwellenden Armen war
ſie in dichte und faltige Gewaͤnder gehuͤllt.
Waͤre nur auch der Kopf nicht ohne Schleier
geblieben: ſo haͤtte die Phantaſie Freiheit
behalten, ſich die ganze Geſtalt ſo reizend
auszubilden, als es ihr beliebte, wozu ihr
die Bewohnerinnen der unteren Gemaͤcher
die lieblichſten Modelle lieferten. Aber
grade der Kopf war unverſchleiert, um —
das große Straußenei mit der Larve ſehen
zu laſſen.
Die trauernde Geſtalt heftete ihre Blicke
unverwandt auf eine Stelle ihres Gemaches,
und Takeddin ſah, als er ſeitwaͤrts trat,
einen haͤßlichen Zwerg, der neben einem
großen Spiegel ſtand, auf welchen er von
Zeit zu Zeit mit einem ſchwarzen Stabe
deutete.
Ungluͤckliche Jungfrau! rief Takeddin,
von ſeinen Empfindungen uͤberwaͤltigt.
Sehe ich Dich noch immer in dieſer Ver-
wandelung, wodurch boshafte Zaubermaͤchte
die zarte Blume deiner Schoͤnheit zerſtoͤ-
ren? . . Hoͤre meinen Schwur, trauernde
Sultanin meines Herzens! Ehe die Sterne
am naͤchtlichen Himmel blincken, will ich
Dich befreien und raͤchen, wenn ein kraͤfti-
ger Arm, und ein Muth, den das Feuer
der Liebe entflammt, den Ausſchlag geben
koͤnnen.
Der Tanz wurde nicht unterbrochen;
aber Alle erroͤtheten, wurden ſcheuer und
verſchaͤmter in ihren Bewegungen, und wen-
deten ihre Blicke auf die Stelle, woher die
laut geſprochenen Worte kamen. Selbſt
die reizende Jungfrau ſuchte mit ihren reiz-
loſen Augen, und ſtreckte, als ſie den jun-
gen Helden gefunden, ſehnſuchtsvoll ihre
Arme gegen ihn aus. Takeddin wieder-
hohlte ſeinen Schwur; die Jungfrau ſchien
ihm mit freundlichem Kopfnicken Beifall zu
winken, und warf ihm von dem gemahlten
Munde ihres Larvengeſichtes einen Kuß zu.
Aber der Wanderer dachte an die vollen
Roſenlippen, die er im Bade geſehen, und
fuͤhlte ſich durch dieſen bildlichen Kuß ſo
gluͤcklich, als ob es ihm waͤre vergoͤnnt ge-
weſen, ſeinen gluͤhenden Mund auf jene
Lippen zu druͤcken.
Takeddin betrachtete den Thurm von
allen Seiten, ohne eine Offnung zu ent-
decken, und beruͤhrte ihn dann an mehreren
Stellen mit ſeiner Saͤbelklinge, in der Hof-
nung, daß ſie ihm hier denſelben Dienſt
leiſten werde, wie bei der Stahlpforte;
aber ſie glitt kraftlos an der Flaͤche herab,
und als er unmuthig zuletzt auf die kriſtal-
lenen Waͤnde loshieb, prallten die Schlaͤge
mit einer ſolchen Heftigkeit zuruͤck, daß ſein
Arm gelaͤhmt an ſeiner Seite herunterſanck.
Entſchloſſen, in der Naͤhe des Thurmes
die entſcheidende Stunde zu erwarten, ſuchte
er eine Stelle, wo er gemaͤchlich ruhen,
und den ungluͤcklichen Gegenſtand ſeiner
Theilnahme und ſeiner Liebe bequem be-
trachten konnte. Waͤhrend deſſen warf er
ſeine Blicke wieder auf das obere Gemach
des Thurmes, und ſah, wie der haͤßliche
Zwerg die Jungfrau unablaͤſſig verhinderte,
auf den ſchoͤnen Wanderer herabzuſchauen;
wie er mit dem Spiegel heranruͤckte, und
ihr denſelben nahe vor die Augen hielt;
wie er mit einem Laͤcheln, das zu Grinzen
verungluͤckte, ſie liebkoſen wollte, und als
die Jungfrau unwillig ihn zuruͤckſtieß, trot-
zig drohend ſeinen Stab gegen ſie erhob.
O du erbaͤrmliches Ungeheuer! rief Ta-
keddin mit Heftigkeit. Komm herab, wenn
du ſo viel Muth, als Niedertraͤchtigkeit
haſt, und du ſollſt meine Rache fuͤhlen!
Komm herab aus deiner Sicherheit, wo du,
wie jeder Feige trotzen kannſt! — Der
Zwerg erſchien freilich nicht, um ſich mit
Takeddin zu meſſen; aber dieſer bemerkte,
daß die Jungfrau mit wiederhohlten Win-
ken auf eine Stelle des Felſenkreiſes deu-
tete, welche der Stahlpforte gegenuͤber lag.
Er glaubte den Wink richtig zu erklaͤren,
wenn er ſich jener Gegend naͤherte. Noch
einmal blickt er zuruͤck, als er ſich einige
Schritte entfernt hat, und ſieht, wie der
Zwerg grimmig mit ſeinem Stabe auf den
Boden ſchlaͤgt, und alsbald die helle Be-
leuchtung des Thurmes von ſchwarzem Dun-
kel verſchlungen wird.
Unmuthig, mit empoͤrtem Herzen ging
er auf die bezeichnete Stelle zu, und ſah
bald eine Öffnung in der Felſenwand vor
ſich, die in einen tiefen Gang fuͤhrte, und
einen matten Schimmer des Sonnenlichts
ausſtrahlte, welcher den Wanderer in der
Dunkelheit geleitet hatte. Schnell ſtieg
Takeddin herab, mußte ſich lange durch ei-
nen Gang winden, wo er bald einen hellen
Abglanz des Tageslichts zu ſehen glaubte,
bald in dichter Finſterniß tappte.
Endlich lag die lieblichſte Landſchaft
vor ſeinen Augen, und uͤberraſchte ihn deſto
lebhafter, da die bisherigen Erſcheinungen
ihn nur an wilde oder groteske Gegenden
gewoͤhnt hatten. Es war ein freundlicher
Garten, mit mannigfaltigen Blumen, mit
ſchattigen Gaͤngen, mit bluͤhenden und
fruchttragenden Baͤumen, in der froͤhlichſten
Abwechſelung, bedeckt; von erfriſchenden
Quellen durchſchnitten, die ſich bald durch
dichtes Gebuͤſch ſchlichen, bald zwiſchen
gruͤnen Ufern hin rieſelten, und in der
Mitte einen kleinen See fuͤllten, deſſen
Ufer mit Mirthen, Roſen, und anderm nie-
drigen Geſtraͤuche eingefaßt war. Froͤhliche
Maͤdchen ſprangen ihm beim Eintritte ent-
gegen, und noͤthigten ihn, mit freundlicher
Zudringlichkeit, aus den Koͤrbchen, die ſie
am Arme trugen, die koͤſtlichſten Fruͤchte
auszuſuchen, waͤhrend ſchoͤne Knaben in
eine kuͤhle Laube ihn fuͤhrten, wo reichge-
putzte Sklaven ihm Roſenwaſſer zum Wa-
ſchen darboten, und die Tiſche mit den fein-
ſten Fruͤchten und Backwerken, mit koͤſtli-
chem Scherbet, und feurigem Schiraswein
beſetzt waren. Aber eingedenk ſeines Schwu-
res beruͤhrte Takeddin nichts; obgleich ihm
die Erinnerung an die ausgeſuchte Mahl-
zeit in der Wildniß, und den trefflichen
Scherbetbach dieſe Entſagung zu einem
Opfer machte.
Nachdem Takeddin dieſen reizenden Auf-
enthalt nach allen Richtungen durchſtrichen,
und diejenigen Sinne, welche kein Schwur
gebunden hielt, erfreut hatte, erblickte er
eine kleine maͤnnliche Geſtalt, die ſich mit
freundlichen Geberden ihm naͤherte. Er
hielt dieſelbe zuerſt fuͤr einen Geſpielen je-
ner Knaben, und glaubte, ſie wolle ihm
wie dieſe, irgend eine neue Annehmlichkeit
dieſes Paradieſes entdecken; aber bald be-
merkte er in der Naͤhe an den ausgebilde-
ten Geſichtszuͤgen, in welchen feine Klug-
heit lag, daß hier eine vieljaͤhrige Erfah-
rung wohne. Der Koͤrper des kleinen
Mannes war nach den ſchoͤnſten Verhaͤlt-
niſſen gebaut, und wurde von einem falti-
gen Purpurkleide bedeckt; die zarte Ver-
ſchmelzung des Kindlichen und Maͤnnlichen
in dieſer Geſtalt gab ihr etwas Auffallen-
des, aber auch einen unwiderſtehlichen
Reiz. Blonde Locken umfloſſen die heitere
Stirne und die bluͤhenden Knabenwangen,
und fielen tief auf die Schultern herunter;
ein ſanft gekraͤuſelter Bart wallte herab
auf den Guͤrtel, an welchem eine goldene Be-
telbuͤchſe hing, der fleißig zugeſprochen wurde.
Friede ſey mit Dir, und Ruhm, o Held!
redete die intereſſante Geſtalt den Wande-
rer an. Wo Almeſira's Zepter herrſcht, da
biſt Du willkommen.
Jch bin dieſer edlen Herrſcherin ſchon
großen Dank ſchuldig, erwiederte Takeddin.
Kannſt Du mir nicht mehr von ihr ſagen?
Von denjenigen, die wir verehren und lieben,
wuͤnſchen wir Etwas mehr, als den bloßen
Namen zu wiſſen.
Jch kann Deine Neugierde befriedigen,
fuhr Jener fort. Folge mir, edler Juͤng-
ling. Jch weiß, die lieblichen Gaben die-
ſes Gartens fuͤhren Deine Standhaftigkeit
nicht in Verſuchung; aber Ruhe darfſt Du
genießen, und ſie wird Dir noͤthig ſeyn,
um das Werk, ſo dich noch erwartet, ruͤhm-
lich zu enden.
Takeddin wurde von dem kleinen Manne
in einen zierlich gebauten Dom gefuͤhrt,
welcher in einem an den Garten ſtoßenden
Palmenwalde lag. Nachdem ſich Beide
auf den Sofa geſetzt hatten, hob der Kleine
an: Jch merke, Du betrachteſt mich mit
Verwunderung, und ſcheinſt meinen kleinen
Wuchs mit meinem Alter nicht wohl ver-
einigen zu koͤnnen. Unter Euch Menſchen
findet freilich oft ein kleiner Geiſt eher
Verzeihung, als ein kleiner Koͤrper. Nicht
ſo bei uns. Wir betrachten den Koͤrper
als ein Hinderniß und eine Schranke des
Geiſtes; je weniger alſo, deſto beſſer.
Wiſſe nun, ich gehoͤre zu den Genien, und
zwar zu der Zahl derer, welche die Herr-
ſchaft der weiſen Almeſira, und den Auf-
enthalt in ihren reizenden Gaͤrten dem ein-
foͤrmigen Leben in Dſchinniſtan Dſchinniſtan — das Feen- und Geiſter-Land
der Orientaler. Es umgiebt die Welt. vorziehen.
Und dieſe weiſe Almeſira — fuhr der Ge-
nius fort, nachdem er ein neues Stuͤck Be-
tel aus der goldenen Buͤchſe gehohlt hatte,
iſt eine der maͤchtigſten und beruͤhmteſten
Feen, deren Hauptangelegenheit es immer
geweſen iſt, die unterdruͤckte Unſchuld durch
ihren Beiſtand zu ſtaͤrken.
So hat ſie auch ohne Zweifel, fragte
Takeddin, die reizende Zoraide in ihren
Schutz genommen? Jch meine jene ungluͤck-
liche
liche Jungfrau im kriſtallenen Thurme, die
von feindſeeligen Maͤchten eine ſo grau-
ſame Beleidigung erfahren?
Deine Vermuthung iſt richtig, antwor-
tete das kleine Maͤnnchen.
Du ſcheinſt ſehr genau von allen dieſen
Dingen unterrichtet zu ſeyn. Erklaͤre mir
doch das traurige Schickſal dieſer ungluͤckli-
chen Jungfrau. Sage mir vor allen,
welche Gewalt hat jener verwegene Zwerg
uͤber ſie, der ihr im kriſtallenen Thurme ſo
unbeſcheiden begegnet?
Dieſer Zwerg, verſetzte laͤchelnd der
Genius, iſt von dem Zauberer, der Zorai-
den verfolgt, zu ihrem — Braͤutigam be-
ſtimmt, wenn ſie vor Ablauf des neunten
Jahres ihrer Leiden keinen Retter gefun-
den hat. Jn drei Tagen ſind nun die
neun Jahre zu Ende.
Was? fuhr Takeddin auf, dieſes ſcheuß-
Maͤhrchen. N
liche Ungeheuer ſollte ſeine verdammten
Arme um dieſen zarten Leib ſchlingen?
Nein, nimmermehr! ſo lange dieſer Arm
nicht erſtorben iſt.
Braver Held! ſprach der Genius, groß
iſt des Zaubers Macht, und des Schickſals
Spruch unwiderruflich.
Und ſoll ſie in dieſer unſeeligen Ver-
wandlung in die Arme des Ungeheuers ge-
liefert werden?
Glaube das nicht, erwiederte Jener.
Jn dem Augenblicke, wo ſie die Gattin
des haͤßlichen Zwerges wird, hoͤrt die Ge-
walt der Zauberei eben ſo gewiß auf, als
ob ein gluͤcklicher Held die Bedingung der
Entzauberung erfuͤllt haͤtte.
Und dieſe Bedingung iſt? fragte Ta-
keddin mit Lebhaftigkeit.
Daß er Unvertraͤgliches vereinige.
O das habe ich leider ſchon oft hoͤren
muͤſſen! rief Takeddin ungeduldig. Willſt
Du es mir nicht deutlicher ſagen? Was
ſoll denn vereinigt werden?
Edler Juͤngling, verſetzte der Genius,
ein ehrwuͤrdiges Orakel ſagte uns vor vie-
len Jahren, dieſe Bedingung koͤnne nur
ein junger Held erfuͤllen, der aus den
Huͤtten armſeeliger Hirten hervorgegangen
ſey, und ſich durch eigene Kraft den Weg
des Ruhmes gebahnt habe. — Du biſt ein
ſolcher Held, fuhr der Kleine nach einer
Pauſe fort: Du haſt hier ſchon mehr ge-
than, als Deine neun und achtzig Vorgaͤn-
ger, welche beim erſten Anlauf ſcheiterten,
und ihr Mißgeſchick in der harten Dienſt-
barkeit des Zauberers buͤßen. Es kommt
nur noch darauf an, daß Du im entſchei-
denden Augenblicke — gluͤcklich biſt. Mehr
darf ich Dir nicht ſagen.
Du giebſt und nimmſt mir Hoffnung,
N 2
ſprach der Juͤngling. Kann ich bei allem
Muthe, bei allem Eifer, der mich treibt,
Unmoͤgliches moͤglich machen? Und welches
Schickſal erwartet den ungluͤcklichen Wager?
Du haſt auf Deinem Wege eine Allee
von Sphinxen gefunden. Dieſe iſt, die
Beiden ausgenommen, welche die feurigen
Ketten umſchwangen, allmaͤhlig aus Dei-
nen ungluͤcklichen Vorgaͤngern entſtanden.
Du wirſt auch geſehen haben, es iſt gerade
noch eine Stelle im Anfange der Reihe
offen.
Die man mir beſtimmt hat? fragte
Takeddin.
Wenn Du ungluͤcklich biſt, ſo wirſt Du
ſie freilich ausfuͤllen muͤſſen.
Erzaͤhle mir, freundlicher Genius, wie
hat die beklagenswerthe Zoraide den Un-
willen des boshaften Zauberers gereizt?
Sehr gern, erwiederte der Genius, denn
das iſt mir nicht verwehrt. Nur erlaube
mir, daß ich das Stuͤckchen Betel erſt aus-
kaue, das ich im Munde habe. — Hoͤre
nun! fuhr er nach einer Pauſe fort. Der
Sultan der blauen Gebirge regierte
viele Jahre in gluͤcklicher Ruhe, und um
alle Freuden uͤber ſein Leben auszugießen,
hatte ihm ſeine geliebte Benerzade eine
Tochter gegeben, die ſchon in zarter Ju-
gend die, Schoͤnheit der Mutter zu verdun-
keln verſprach. Es war die ungluͤckliche
Zoraide. Die Fee Almeſira, welche immer
die treue Freundin, und die weiſe Rathge-
berin der Eltern geweſen war, hatte jene
holde Blume der Schoͤnheit ihrem Sohne
zugedacht, welchen Du in dem ſchoͤnen
Papagei kennen lernteſt. Als er das lieb-
liche Kind eines Tages Schmetterlinge ha-
ſchen ſah, verwandelte er ſich augenblicklich
in einen azurblauen Schmetterling mit
goldbeſaͤumten Fluͤgeln, um ſich von den
ſanften Haͤnden beruͤhren zu laſſen, und
wurde ſeit dieſem Tage von heftiger Liebe
gegen Zoraiden entzuͤndet. Aber ſeine edle
Mutter gab alsbald ihren Plan auf, da
ihr einſt der Sultan entdeckte, daß er ſei-
ner Bundesgenoſſin, der Koͤnigin der ſie-
ben Seen, ſchon lange verſprochen habe,
ihren Sohn Almenor mit Zoraiden zu
verbinden. Ja, ſie ging ſo weit, daß ſie
ihren Sohn von ſeiner Leidenſchaft heilte,
und ſeine Gefuͤhle fuͤr Zoraiden zu der
uneigennuͤtzigſten Freundſchaft herabſtimmte.
Dem Sultane verſprach ſie, die Ver-
bindung, welche er wuͤnſchte, nach allen
Kraͤften zu befoͤrdern; aber ſie verhehlte
auch ihre Beſorgniſſe nicht, daß der maͤch-
tige Zauberer Muſſabelin dieſe Gelegenheit
benutzen werde, ſich an der Koͤnigin der
ſieben Seen zu raͤchen, weil ſie einſt ſeine
Liebe verſchmaͤht hatte. Dieſe Koͤnigin be-
ſaß, wie Almeſira aus ihren Buͤchern wußte,
in einem ſchoͤnen Smaragd einen kraͤftigen
Talisman, der gegen alle Zaubergewalt
ſchuͤtzte, und deſſen Macht nur von zwei
Staͤben, dem ſchwarzen und dem weiſſen,
die Du geſehen haſt, uͤbertroffen wurde.
Dieſe koſtbaren Stuͤcke hatte Muſſabelin
der edlen Fee vor kurzem durch ſchaͤndliche
Liſt entwendet.
Die Gelegenheit zur Rache kam noch
fruͤher, als Almeſira vermuthete. Die Koͤ-
nigin der ſieben Seen hatte nehmlich an
einem ihrer Nachbarn einen unverſoͤhnlichen
Feind, der ſchon oft, aber immer mit gro-
ßem Verluſte, ſie bekriegt hatte. Aufgereitzt
durch Muſſabelin, mit welchem er lange in
genauer Verbindung ſtand, fiel er ploͤtzlich,
ſo wohlgeruͤſtet, und mit ſolcher Macht,
als nie vorher, der Koͤnigin in`s Land.
Dieſe war zu wenig vorbereitet, und ihr
Feind hatte einen zu kraͤftigen Beiſtand,
als daß ſie einer großen Niederlage haͤtte
entgehen koͤnnen. Jhr Bundesgenoſſe, der
Sultan der blauen Gebirge, eilte ihr zu
Huͤlfe; aber auch dieſe vereinigte Macht
war nicht ſtark genug, den Feind abzuweh-
ren, welchen Muſſabelin durch alle Huͤlfs-
mittel ſeiner Kunſt unterſtuͤtzte, und der
Sultan theilte das Schickſal ſeiner Bun-
desfreundin: beide Laͤnder wurden verheert,
und ein großer Theil ihrer Bewohner un-
gluͤcklich gemacht.
Damit war der boshafte Zauberer noch
nicht zufrieden. Er entfuͤhrte der Koͤnigin
ihren geliebten Sohn, und kraͤnkte ſie da-
durch ſo empfindlich, daß ſie ihr Ungluͤck
nicht lange uͤberlebte. Dem Sultan aber
ließ er Frieden und Freundſchaft bieten,
wenn Zoraide ſeinem Sohne ihre Hand
geben wuͤrde, und als dieſer Antrag nicht
auf der Stelle angenommen wurde, ſchwur
er ſchreckliche Rache. Er hatte erfahren,
daß Zoraide, die damals kaum noch zehn
Jahre alt war, aber ſchon großen Verſtand
zeigte, lebhaft gegen ſeinen Antrag geſpro-
chen, und ihrem Vater erklaͤrt hatte, ſie
koͤnne Niemand lieben, als ihren Geſpielen,
den ſchoͤnen Prinzen Almenor. Dafuͤr
drohte er ihr empfindliche Zuͤchtigung, und
ich muß geſtehen, er haͤtte ein weibliches
Gemuͤth nicht tiefer verwunden koͤnnen;
denn die Zerſtoͤrung ihrer Schoͤnheit iſt ge-
wiß das groͤßte Ungluͤck, das den Frauen
begegnen kann.
Damit weißt Du Alles, ſchloß das kleine
Maͤnnchen ſeine Erzaͤhlung. Den Sultan,
die Sultanin, und die vornehmſten Weßire
haſt Du in den ſeltſamen Felſengeſtalten
geſehen; die beiden erſten ſind immer im
Begriff Felſenbloͤcke zu ſchleudern, und die
Weßire rennen auch noch in ihrer Ver-
wandlung mit den Koͤpfen gegen einander.
Die Kammerfrauen der Sultanin und Zo-
raidens haſt Du in den webenden Jung-
frauen, und in den unermuͤdeten Taͤnze-
rinnen wiedergefunden. Vom Aufgange
bis zum Untergange der Sonne muͤſſen
ſie hier unaufhoͤrlich tanzen, und man
ſagt, Muſſabelin kaͤme oft mit ſeinem
Sohne auf einen der nahen Felſen, um ſich
an dem lieblichen Anblicke der unverhuͤllten
Reize zu ergoͤtzen; von Sonnenuntergang
bis Mitternacht duͤrfen ſie ruhen, um ihr
Ungluͤck und Zoraidens Schickſal zu bewei-
nen, und ſich zu den neuen Leiden zu ſtaͤr-
ken, welche jedesmal ſieben von ihnen an
den Weberſtuͤhlen finden.
Der Genius griff begierig nach ſeiner
Betelbuͤchſe, die er ſo lange ruhen laſſen
mußte, und ſteckte ein großes Stuͤck in den
Mund; aber Takeddin ſtoͤrte ihn bald wie-
der durch die Frage: Du haſt vergeſſen,
mir von dem Zauberſpiegel zu ſagen, wo-
von ich Einiges gehoͤrt habe. Und womit
fuͤllt Zoraide die Stunden vom Untergange
bis zum Aufgange der Sonne?
Erinnerſt Du Dich der Heuſchrecke? ver-
ſetzte der Genius.
Ungluͤckliche Zoraide! rief Takeddin leb-
haft. So wird Deine himmliſche Schoͤn-
heit verunſtaltet und herabgewuͤrdigt? Und
ihre Verfolgerin, die hellblaue Schlange?
Muſſabelin beluſtigt ſich alle Abend ei-
nige Stunden mit dieſer Jagd, ſprach das
kleine Maͤnnchen. Jſt er muͤde, oder wird
er ſo geſtoͤrt, wie Du ihn ſtoͤrteſt: ſo wird
Zoraide fruͤher erloͤſt; ſonſt aber muß ſie
bis Mitternacht warten. Dann hat ſie
ein paar freie Stunden im Bade, wie Du
wiſſen wirſt, ſchoͤner Juͤngling! ſetzte der
Genius laͤchelnd hinzu.
Takeddin erroͤthete, und hob nach einer
Pauſe wieder an: Und der Zauberſpiegel?
Muſſabelin iſt kein Stuͤmper in der
Kenntniß der Herzen. Er weiß es wohl,
daß Zoraide nach einer ſolchen Pauſe den
Verluſt ihrer ſchoͤnſten Reize deſto ſchmerz-
licher empfinden muß. Aus derſelben Ur-
ſache zum Theil hat er auch den Zauber-
ſpiegel in ihrem Gemache aufhaͤngen laſ-
ſen. Wenn nehmlich die arme Prinzeſſin
ihren haͤßlichen Kopf lange genug darin
betrachtet, und mit den unverhuͤllten Schoͤn-
heiten ihrer Geſtalt verglichen hat: ſo be-
ruͤhrt der boshafte Zwerg den Spiegel mit
ſeinem Stabe, und alsbald ſieht Zoraide
neben dem Bilde ihrer Verunſtaltung das
Bild ihres ſchoͤnen Kopfes, ſo reizend, als
ihn die glatte Flaͤche des Waſſers ihr zu-
ruͤckſtrahlt, und als Du ihn geſehen haſt.
Aber es hat mit dieſem Spiegel noch eine
andere Bewandniß; denn ſonſt wuͤrde Muſ-
ſabelin ſeiner ungluͤcklichen Feindin viel-
leicht mehr angenehme Augenblicke laſſen,
als er Willens iſt. Sieh, wenn der Zwerg
den Spiegel nahe vor Zoraidens Augen
bringt: ſo ſieht ſie ſich, im Glanze ihrer
Schoͤnheit, in den Armen des kleinen Unge-
heuers.
Bei dieſen Worten erhob ſich der Ge-
nius, und fuhr dann fort: Jch laſſe Dich
jetzt allein, edler Held. Überlaß Dich un-
beſorgt der Ruhe in dieſem kuͤhlen Gema-
che; kurz vorher, ehe die Feuerkugel der
Sonne das Bette des Ozeans ſucht, wirſt
Du erwachen. Gehe dann, wohin Deine
Schritte Dich leiten; wenn Du gluͤcklich
biſt, ſo wirſt Du dahin kommen, wo Deine
Gegenwart noͤthig iſt.
Der Genius entfernte ſich ſchnell; aber
Takeddin konnte die Ruhe nicht ſogleich
finden, welcher er ſo ſehr bedurfte. Die
ſeltſamen Abentheuer, die ihm begegnet
waren, gingen vor ſeiner Seele in bunter
Verwirrung voruͤber; Hoffnung und Be-
ſorgniſſe erhoben und druͤckten wechſelnd
ſein Herz, und er ſuchte vergebens die ge-
heimnißvollen Worte zu deuten, worin die
leidige Bedingung verborgen lag. Endlich
aber fuͤhlte er ſich unwiderſtehlich von dem
Schlummer uͤberwaͤltigt, der ihm allerlei
Traͤume zufuͤhrte: bald kam ihm Zoraide
im vollen Bluͤthenſchmucke ihrer Schoͤnheit
mit heiterer Miene entgegen; bald fand er
ſich in der Naͤhe der Sphinxenallee und ſah
den Zauberſtab Muſſabelins gegen ſich auf-
gehoben, waͤhrend ſich die jammernde Zo-
raide in den Armen des ſcheußlichen Zwer-
ges ſtraͤubte.
Mitten in dieſem Traumgeſichte wachte
er auf, und ſah am Eingange des Doms
die Strahlen der ſcheidenden Sonne zittern.
Schnell erhob er ſich, und eilte hinaus.
Aber wohin? Zuruͤck durch die Öffnung,
welche ihn in den reizenden Garten gefuͤhrt
hatte, und ihn wieder in die Naͤhe des
kriſtallenen Thurmes bringen mußte: das
war ſein naͤchſter Gedanke, und mit gefluͤ-
gelten Schritten eilte er voran. Tiefer
und tiefer ſank die Sonne, und eine Mi-
nute noch, ſo war ſie voͤllig von dem
Rande der Gebirge bedeckt. Raſcher ſchlug
ſein Herz; raſcher eilte ſein Fuß. Jetzt
kam er an's Ufer des Sees in der Mitte
des Gartens; er ſah nur noch einen klei-
nen Bogen der glutrothen Sonnenſcheibe,
und jetzt war auch dieſer hinabgeſunken.
Er verdoppelte noch einmal ſeine Schritte,
um die Felſenoͤffnung zu erreichen; aber in
dieſem Augenblicke ſpringt die Heuſchrecke
vor ihm auf, welche von der hellblauen
Schlange lebhaft verfolgt wird. Von den
Empfindungen, die dieſer Anblick in ihm
aufregte, zu heftig ergriffen, verlor er bei-
nahe die Beſonnenheit ſeines Gemuͤthes;
allein bald gefaßt, und nur von Wuth
und Rache bewegt, zog er ſchnell ſeinen
Saͤbel, und ſpaltete die Schlange, die
ziſchend ihren Kopf gegen ihn erhob, bis
auf die Mitte ihres Leibes.
Er ſah nun daſſelbe Schauſpiel, das
ihn ſchon einmal uͤberraſcht hatte. Eine
gruͤne Flamme umwehte die Saͤbelklinge;
aber groͤßer, als das erſtemal, bedeckte ſie
faſt deren ganze obere Haͤlfte.
Schnell, trefflicher Saͤbel! Rathe mir!
rief Takeddin, und wollte die Spitze der Klinge
auf die Spiegelflaͤche des Sees ſetzen; aber
ploͤtzlich kam ihm der erleuchtete Gedanke.
So
So vereinige ſich dann das Unvertraͤg-
liche! rief er laut, und theilte mit dem
flammenden Saͤbel die ruhigen Fluten.
Ploͤtzlich wurde hier das Waſſer aufge-
wuͤhlt, Woge thuͤrmte ſich auf Woge, der
Sturm raſete uͤber die ganze Oberflaͤche
des Sees, ein wilder Donner erſchuͤtterte
die Luͤfte, deren heiteres Blau von furcht-
barer Dunkelheit eingehuͤllt wurde. Nach
einigen Minuten erfolgte eine feierliche
Stille, der Himmel wurde wieder hell und
heiter, laute Freudentoͤne bewegten die
Luft, und Takeddin ſah einen goldenen
Wagen, den ſechs ſchneeweiſſe Schwaͤne
durch den ruhigen Äther zogen. Der Wa-
gen ſenkte ſich herab. Zoraide ſaß in ſtrah-
lender Schoͤnheit an der Seite einer edel-
gebildeten Frau, und ihr gegenuͤber die
ehrwuͤrdigen Geſtalten des Sultans und
der Sultanin. Zu gleicher Zeit erſchien
Maͤhrchen. O
eine lange Reihe von Jungfrauen, die zer-
riſſene ſchwarze Schleier mit lautem Freu-
denrufe erhoben, und von einer andern
Seite her kamen neun und achtzig Juͤng-
linge von edler Geſtalt, welche Takeddin
als ihren Befreier prieſen.
Heil Dir, gluͤcklicher Held, rief Almeſira,
die den weiſſen und den ſchwarzen Stab
in der Hand hielt — Heil Dir gluͤcklicher
Held, den Muſſabelin unter niedere Hirten
verſtieß, um ſeinen Verderber in Dir erzie-
hen zu laſſen. Heil Dir, Prinz Almenor!
Überraſcht ſah dieſer bald auf jene
Gruppen, bald auf die Ausſteigenden, und
eilte dann Zoraiden entgegen auf deren
Wangen die hoͤhere Glut der Freude und
der Liebe brannte.
Sei mir willkommen, o Du Geſpiele
meiner Kindheit! Willkommen o Held, den
ich ſchon lange in gluͤcklichen Traͤumen
ſah! Sey mir geſegnet, mein Retter!
rief ſie lebhaft und ſchloß ihn an den
klopfenden feſſelloſen Buſen.
O 2
Prinz Kanzedir.
Den unſtaͤten Wanderern, welche aus
Habſucht, Neugierde oder aus Unzufrieden-
heit mit ihrem Vaterlande, ſich berufen
glauben, die fernſten Zonen des Erdballs
zu durchſtreifen, glaͤnzte ſonſt, von den
Zinnen des Kaukaſus her, ein praͤchtiges,
mit ſchoͤnen Façaden verziertes, und mit
vergoldeten Kuppeln prangendes Gebaͤude
entgegen, das ſie mit Erſtaunen und Ver-
wunderung erfuͤllte.
Dort ſoll, nach den Sagen der Urwelt,
die holdſelige Fee Panagathe ihren Aufent-
halt immer gehabt, und von dort her ſoll
ſie das Gute, Liebe und Edle, das der
Menſchheit Zierde je geweſen, mit maje-
ſtaͤtiſcher Milde und frohem Herzen den
Sterblichen geſpendet haben. Jhre Schoͤn-
heit und tugendſame Denkart hatten ihr die
Gunſt eines Peri auf ewige Zeiten ero-
bert, und die ſchoͤnſten Tage, welche die
Liebe zu ſchaffen vermag, wurden dort in
jener hohen Luftregion, von der edlen Pan-
agathe verlebt.
Nie wuͤrde die Freuden dieſes himmli-
ſchen Aufenthalts jemals eine truͤbſelige
Stunde geſtoͤrt haben, wenn die Gebieterin
deſſelben nicht das Herz einer Sterblichen
beſeſſen haͤtte und daher, bei der von ih-
rem Peri ihr verliehenen hoͤheren Macht,
es nachdruͤcklicher empfinden mußte, wie ſie
diejenigen nicht den ſtrengen Schluͤſſen des
unerbittlichen Schickſals zu entreiſſen ver-
moͤgend war, fuͤr welche die ſuͤßen Bande
der Verwandtſchaft ihr große Theilnahme
und muͤtterliche Sorgfalt geboten.
Schon lange hatte keiner aus dem
Kreiſe ihrer Hoͤflinge, deſſen kleinſte Zierde
Grazien Genien, Amoretten und Zephire
waren, an ihr einen duͤſtern Blick bemerkt,
der ihre ſanften, ſchoͤnen Zuͤge entſtellte,
oder einen innern Kummer, der ihre ſuͤßen
und bezaubernden Worte verſtimmte. Alles
mußte daher in Beſtuͤrzung gerathen, als
einſt an einem lieblichen Morgen, den ein
heiterer Himmel verherrlichte, ſich die ſchoͤne
Gebieterin des ſchoͤnſten Aufenthalts nie-
dergeſchlagen und in Kummer verſenkt, bei
ihrem zahlreichen Gefolge einfand, das ihr
auf einem friſch begruͤnten Raſen entgegen-
ſah, und frohen Sinnes zu ihrem Em-
pfange bezaubernde Geſaͤnge anſtimmte. Al-
les erſchrack und verſtummte, keiner wagte
es der Gebieterin naͤher zu treten, jeder
fuͤrchtete durch eine Frage ihren Kummer
zu vergroͤßern. Endlich ſammelte ſie mit
einem Wink ihre vertrauten Geſpielinnen
um ſich her und von dieſen wagte es end-
lich Eine das Wort zu nehmen, und ihrer
Gebieterin die Urſache ihres Kummers ab-
zufragen.
Das Ausbleiben Kanzedirs meines Nef-
fen beunruhigt mich ſehr, « begann Pana-
gathe mit geruͤhrter Stimme. »Schon ge-
ſtern glaubte ich, daß er von ſeiner Reiſe
zuruͤckkommen wuͤrde, und noch erfahre ich
nichts von ihm. Muß mir dieſer Juͤngling
bei jeder Gelegenheit Kummer machen?
Will es das Schickſal ſo? — Von den
uͤbeln Eigenheiten, mit denen er geboren
ward, hab ich ihn, trotz der Sorgfalt, die
ich ſeiner Jugend weihete, nicht befreien
koͤnnen. Das Reiſen duͤrft' ihn auch nicht
viel gebeſſert haben. Er theilt dies Schick-
ſal vielleicht mit manchem auf Reiſen gegan-
genen Großen. Von ſeiner Ruͤckkunft ver-
ſprech' ich mir nicht viel Freude. Jndeß
ſein Außenbleiben kuͤmmert mich — Er iſt
mein Neffe und — «Hier hielt die Fee
inne. Jhr Scharfblick entdeckte etwas
in der Ferne hinter einer Staubwolcke.
Sie heftete feſt ihren Blick dahin. »End-
lich ſeh' ich Kanzedir« rief ſie freudenvoll.
»Hier, meine Geſpielinnen, kommt er ſchon
den Weg hinangeſprengt. Wir wollen ihm
doch entgegen.«
Es war wirklich Kanzedir, den aber mit
ſolcher Pfeilesſchnelle ſein Pegaſus trug,
daß er, ehe noch Panagathe ihm einige
Schritte entgegen war, ſchon vor ihr ſtand.
Duͤſter war ſein Blick, zerſtoͤrt ſein Äuße-
res Er gaͤhnte aus weitem Rachen, reckte
die Haͤnde, brummte etwas unter dem Bart
und warf ſich ungeſtuͤm auf einen Raſen.
Freundlich reichte ihm Panagathe ihre
Marmorhand zum Willkommen und den
Roſenmund zum Kuſſe. Jene ſtieß er von
ſich, dieſem grinzte er entgegen.
»Was fehlt Dir Neffe?« redete ſie ihn
ſanft an.
Element! Was mir fehlt? erwiederte er.
»Hat die Reiſe Dich ermuͤdet?«
Die Reiſe mich ermuͤdet? die Welt iſt
fuͤr mich zu klein. Bei allen Stuͤrmen des
Ozeans! mich ſo etwas zu fragen.
Aufgebracht ſprang er von ſeinem Sitze,
eilte in ſein Gemach, warf ſeinen Wams
von ſich, lief im Zimmer auf und ab und
fiel endlich ermuͤdet auf einen Divan zu-
ruͤck, wo ihn ein feſter Schlaf uͤberraſchte.
Mit leiſem Schritte nahete ſich ihm die
Fee und ließ ſich an ſeinem Lager auf ei-
nen Seſſel nieder. Die Verzuckungen, die
Bewegungen und die Seufzer, welche er
hoͤren ließ, verriethen ihr an ihrem Neffen
einen innern Kampf, in welchem er mit
ſich war. Waͤhrend des Schlummers be-
gann die Einbildungskraft in ihm ſich leb-
hafter zu regen. Abenza! rief er, grauſame
Abenza! dies iſt Dein Werk — Fort Kan-
zedir — Dir ſelbſt aus den Augen. — Ein
Dolch! — Hier hob er ſich ungeſtuͤm von
ſeinem Lager, ſtreckte ſeinen Arm aus und
ſtieß mit ſolcher Gewalt einen ihm nahe
ſtehenden Seſſel von ſich, daß ein Zwerg,
welcher ihm eben einige Erfriſchungen be-
reit ſtellen wollte, von demſelben bewußt-
los zu Boden geworfen ward und eine
Spiegelwand, gegen die er flog, in Truͤm-
mer fiel.
»Kanzedir?« rief Panagathe erſchrocken,
»was fehlt Dir? Beruhige Dich.«
Abenza! meine Abenza! rief er entzuͤ-
cket und halb wachend, ſprang von ſeinem
Lager auf, und fiel Panagathen um den
Hals. Endlich ſah er ſie ſtier an. Nein!
Sie iſt es nicht rief er ſchluchzend. Ach!
das Schickſal will mich nicht gluͤcklich ſehen.
— Er ſank auf ſeinen Sitz verzweifelnd zu-
ruͤck. Tantchen! Tantchen! rief er, ich
ſterbe —
»Welche Grille!« fiel Panagathe in be-
ruhigendem Tone ein. »Alle Macht, welche
mir das Schickſal verliehen, alle Kraͤfte
der Natur, die unter meiner Bothmaͤßigkeit
ſtehen, will ich in Bewegung ſetzen, Dir zu
helfen. Was quaͤlt Dich?«
Ach! Deine Macht! Was hat dieſe fuͤr
mein Heil bis jetzt gethan? — was hilft
mir alle Kraft mich den hoͤheren Kreiſen
der Geiſterwelt naͤhern und die tiefſten Ge-
heimniſſe der Schoͤpfung mir entfalten zu
koͤnnen? Was der Heldenmuth, der mich
ganzen Heeren von Raͤubern furchtbar
macht? die ausdauernde Tapferkeit, die
keine Gefahren ſcheuet, der Unſchuld huͤlf-
reiche Hand zu bieten? Was hilft das
Alles mir. Die Welt bewundert mich. Jch
laß uͤberall zuruͤck den Ruf eines maͤchtigen,
großen Mannes; es lodert vielleicht da
oder dort noch auf einem Altar von einem
Opfer, das mir der Aberglaube oder die
Dankbarkeit dargebracht; es erinnert viel-
leicht hier und da ein marmornes Denk-
mal den vorbeiſtreichenden Wanderer an
eine meiner Großthaten: allein fuͤr ſich fin-
det der arme Kanzedir keine Ruhe. —
Achtung, Ehrfurcht, Freundſchaft verſagt
mir kein Sterblicher. Allein Liebe — Liebe,
dieſe ſanfte beſeeligende Empfindung —
ach! dieſe bin ich nicht vermoͤgend, in einem
ſterblichen Weſen aufzuregen.
Wenn ich ſo auf meiner großen Wan-
derung es oft bemerkte, wie manche Sulta-
nin einem Sklaven die herzlichſten Ge-
fuͤhle weihete, nach denen ich, der aus Fuͤr-
ſtenblut Entſproſſene, vergebens ſchmachte,
da wurmte es in mir. Jch konnte mich
lange, lange deshalb beruhigen, ich ertrug
mein Schickſal geduldig und ſtandhaft.
Aber — ſeitdem ich Abenza geſehen, ſeit-
dem ihre großen ſchwarzen Augen mich
getroffen, glimmt ein Feuer in mir, das
keine Geduld, keine Selbſtuͤberwindung zu
baͤndigen vermag. Nein! die Flamme, die
Abenza in mir angefacht, werde ich nur in
ihrem Beſitz oder mit meinem Untergange
verloͤſchen ſehen.
O kaͤnnteſt Du, Tantchen, Abenza! Es
wuͤrde Dir aͤußerſt kraͤnkend ſein, nicht im
Beſitz der Kraft Dich zu ſehen, Deinen
Neffen in einer leidlichern Geſtalt erſchei-
nen laſſen zu koͤnnen. Betrachte mich, ſieh
mein Äußeres, dieſe blinzenden Augen, die-
ſen fletſchenden Mund, dies ſtruppigte
Haar, den hoͤckerigen Wuchs, den plumpen
Fuß, die kreiſchende Stimme, kann dies
in einem Manne vereinigt ein Weib, ein
Weib wie Abenza einnehmen? — Und ich
liebe Abenza, liebe ſie wie man noch nie
geliebt. Waͤr' ich doch wohlgeſtaltet! Alles
gaͤb' ich darum, was Deine Macht, Tant-
chen, mir angedeihen laſſen koͤnnte Alles!
— Abenza waͤr' mein, mit ihr des Sultans
Albinalis Thron, und der Gluͤcklichſte der
Sterblichen waͤr' ich.
Aber itzt, grauſames Schickſal! Abenza
verachtet mich, weiſt mich von ſich, liebt
einen Andern, zieht einen elenden Emir,
der kaum einige Paraſangen Landes zum
Erbe hat, mir, dem Fuͤrſtenſohn, deſſen
Macht keine Graͤnzen kennt, vor — Jch
verzweifle.
Eine Thraͤne des Mitleids entfiel der
edlen Panagathe. Sie kannte die große
Gewalt derjenigen Leidenſchaft, von welcher
ſie ihren Neffen hingeriſſen ſah. Doch
was konnte ſie thun? Jn ihrer Macht ſtand
es nicht, den Beſtimmungen der Natur
vorzugreifen, ſie konnte nicht den Fuͤgun-
gen der Weſen eine andere Richtung geben.
Jm großen Buche des Schickſals ſtand es
verzeichnet: Kanzedirs Geſtalt ſoll kein
weibliches Herz erobern und man mußte
nicht haͤßlicher als Kanzedir ſein, um
den Ausſpruch des Schickſals in Erfuͤllung
zu bringen.
Panagathe dachte nur auf Mittel ſeine
Leidenſchaft zu maͤßigen. Durch Zerſtreu-
ungen und neue Bekanntſchaften hoffte ſie
ſeiner auf Abenza hingewurzelten Einbil-
dungskraft eine andere Richtung zu ver-
leihen und allmaͤhlig die Flammen der Liebe
zu mildern, die ihn zu verzehren droheten.
Sie widerſprach keinesweges ſeinen lei-
denſchaftlichen Äußerungen, ſie ſchien ſie
vielmehr zu billigen. »Wenn Abenza,« ſagte
ſie ihm, »ein Weib iſt, das ihrem Geſchlechte
eine ſolche Zierde verleihet, ſo iſt ſie es
werth von Dir geliebt zu werden. Ver-
zweifle nicht, Neffe! die Zeit, meine Macht
wird vielleicht bei ihr etwas fuͤr Dich ver-
moͤgen.«
Das wolle das Schickſal! erwiederte
Kanzedir und hohlte einen tiefen Seufzer.
»Sei ein Mann. Es iſt die erſte Liebe
die Du pflegſt und dieſe plagt uns Sterb-
liche am heftigſten. Veilleicht will das
Schickſal Deine Geduld pruͤfen. Vielleicht
hat es fuͤr Dich eine Wuͤrdigere —«
Hier merkte Kanzedir wo Panagathe hin-
aus wollte. Wie? Was? — rief er aufge-
bracht. Ein ganzes Heer Feen und Dich
obendrein gaͤb' ich um Abenza —
So
So lieb' ihr der Neffe war, ſo ſehr ſie
ſich verpflichtet hielt ſeinem jaͤhzornigen
Temperamente manches nachzuſehen, mußte
dies Geſtaͤndniß doch ihre Eitelkeit ein we-
nig kraͤnken. Sie ward ernſthaft, faßte ſich
und mit erhabener Stimme fiel ſie ein:
»meine Geduld kennt gegen Dich zwar
keine Grenzen, aber Du gehſt zu weit. Dich
von deinem Verderben zu retten, muß ich
gegen Dich ſtrenger ſein als ich — »Bei
dieſen Worten wollte Kanzedir noch lauter
ſeinen Unwillen aͤußern, allein Panagathe
winkte mit ihrem Zauberſtabe, weg war
ſeine Sprache, ſein Bewußtſein verſiegte,
ein ſanfter Schlummer bemeiſterte ſich ſeiner,
die angenehmſten Bilder fuͤllten ſeine Traͤume.
Nach einigen Stunden erwachte er endlich.
Er fuͤhlte ſich leichter, die Ruhe hatte
ſeine Lebensgeiſter geſtaͤrkt, und dies ſchuf
in ſeinem fluͤchtigen Jdeengange einen ſol-
Maͤhrchen. P
chen Grad von Ordnung, daß ihm einige
laute Äußerungen uͤber ſein Benehmen ge-
gen Panagathe entfuhren.
Dies war was Panagathe erwartete,
und ſie trat nun wieder mit froher Stim-
mung und heiterer Miene zu ihm; fragte
ihn nach ſeinem Befinden und fuͤgte end-
lich hinzu, daß er von ihrer Seite alle
moͤgliche Huͤlfe, ihn von einer verzehrenden
Leidenſchaft zu heilen, erwarten koͤnne.
Den duͤſtern Blick, mit welchem er bei
dieſen Worten Panagathe zu treffen ſchien,
ſuchte ſie ſogleich durch einen Zauber zu
verſcheuchen, den ſie mit einem Wink her-
beifuͤhrte. Ein Fruͤhſtuͤck, das nichts fuͤr
den Gaumen zu wuͤnſchen uͤbrig ließ, ſtand
ploͤtzlich vor Kanzedir. Sylphen in roſen-
farbigen Gewaͤndern reichten ihm die edelſten
Getraͤnke und Amoretten mit goldenen
Schwingen geguͤrtet, umgaukelten mit dem
feinſten Backwerk ſeinen Sitz. Von Ferne
her entzuͤckte ſein Ohr die Harmonie der
Sphaͤren, und um ſeinen Sinnen ein voll-
ſtaͤndiges Schauſpiel zu gewaͤhren ſah er
im Hintergrunde, eine Anzahl jugendlicher
Schoͤnen in wirbelnden Kreiſe ſich bewegen,
von denen jede den Grazien ſelbſt noch
einige Reize leihen konnte.
Scharf nahm Panagathe nun ihren
Neffen ins Auge, ſie beobachtete einen je-
den ſeiner Blicke, um abzuſehen, welchen
Eindruck dies Schauſpiel auf ihn machte;
allein ſie fand ſeinen Blick feſt, er ſchien
kalt, ungeruͤhrt, und endlich rief er mit
einigem Nachdruck. Ach, Tantchen: Alle
dieſe reizende Schoͤnheiten verdunkelt Abenza.
Abenzas Bild findet fuͤr mich nicht ſeines
Gleichen.
Panagathe wollte ſeine Einbildungs-
kraft nicht im hoͤheren Grade zu ſich kom-
P 2
men laſſen. Kaum fand ſie, daß dieſer
Zauber ihn erſchoͤpfte, ſo ſuchte ſie ihn mit
einem andern zu verfolgen.
Auf einen ihrer Winke draͤngte ſich ein
Haufe Genien, Satyren und Faunen um
Kanzedir. Alles ward mit Eifer zu einer
Jagdpartie vorbereitet, die ihres Gleichen
noch haben ſoll. Von allen Seiten ertoͤn-
ten Hoͤrner und Poſaunen, das Wild auf-
zuſchrecken, und in ſchoͤnſter Mannigfaltig-
keit verſammelte ſich Panagathe's Hof, den
Zeitvertreib zu vergroͤßern. Die ſchoͤnſten
Pferde, die gelehrigſten Kuppeln wurden
herbeigefuͤhrt, und ehe man ſichs verſah,
eilte Alles in ſchoͤnſter Ordnung, zu dem
nahegelegnen weitlaͤuftigen Jagdrevier.
Kanzedir war nicht der letzte, und die Fee
war ſehr geneigt aus ſeinem Äußern abzu-
nehmen, daß dieſer Zeitvertreib Veranlaſ-
ſung ſein duͤrfte, ſeiner Einbildungskraft
eine andere Richtung zu geben.
Die Jagd begann. Kanzedir ſcheuete
keine Gefahr. Kleines und großes Wild
nahm er mit gleichem Muth auf die Spur
und beinahe bis zum hohen Mittag war er
unermuͤdet im Verfolgen. Endlich ward
zum Ruͤckzuge in die Hoͤrner geſtoßen.
Kanzedirs Roß ward aufgeſchreckt, ging
mit ihm durch, und fuͤhrte ihn gegen einen
Aſt, der ihn ſo verletzte, daß er bewußtlos
vom Pferde ſank.
Gluͤcklicherweiſe ereignete ſich dieſer
Vorfall nicht fern vom Sammelplatze der
Theilnehmer der Jagd. Man eilte daher
Kanzedir gleich zu Huͤlfe, Alles draͤngte
ſich um ihn. Panagathe war außer ſich,
als ſie ihren Neffen in dieſem Zuſtande er-
blickte. Von allen Seiten wurden Mittel
herbeigeholt, ihn zu ermuntern, und die
vereinigte Sorgfalt bewirkte es endlich,
daß er wieder zu ſich kam. Er ward ſo-
gleich in ſein Gemach gebracht, wo eine
kurze Ruhe ihm zwar ſein voͤlliges Bewußt-
ſein wiedergab, aber in ihm zugleich den
Gedanken an einen Gegenſtand aufregte,
den Panagathe in ihm verwiſchen wollte.
»Jch muß geſtehen Tantchen!« waren
ſeine erſten Worte als er ſich erholt, «Jch
habe mich beluſtigt, es war Alles ſchoͤn,
ſehr ſchoͤn. Allein mein letzter Unfall, wahr-
lich! waͤr mir bei Abenza nicht begegnet.
Nein Tantchen! Gewiß nicht.« Seufzte
er tief. Gleichſam eine duͤſtere Wolke ver-
breitete ſich uͤber ſein Geſicht. Das ſchoͤn-
ſte Mittagsmahl, bei welchem alle Genien
des Lebensgenuſſes den Vorſitz hatten, und
alle ihre Kraͤfte gegenſeitig aufboten, die
Freuden der Tafel zu erhoͤhen, konnte ihn
nicht in beſſere Laune verſetzen. Alles
ſuchte Panagathe vor, um ſeine Einbil-
dungskraft waͤhrend deſſelben zu beſchaͤfti-
gen, allein nichts konnte ſie von ihrem
Ruͤckfall abbringen. Jndem ihn alle Reitze
der Tafel umgaukelten, beſchaͤftigte ihn
nur der Gedanke: Keine Abenza, keine
Freude.
Äußerſt geruͤhrt war die gute Fee von
ſeinen Leiden, und ſie machte es ſich neuer-
dings zur Pflicht, ein Mittel hervorzuſu-
chen, ſie fuͤr ihn zu mildern.
Sie winkte, und zwanzig Genien ent-
fernten ſich, und nahmen ihren Flug nach
den entfernteſten Regionen. Bei allen
Feen verkuͤndeten ſie fuͤr dieſen Abend ei-
nen Maskenball, den ſie mit ihrer Gegen-
wart bei Panagathen verherrlichen ſollten.
Der Abend kam mit großen Schritten
herbei und von allen Seiten ſah man in
Luͤften die wohlthaͤtigen Gebieterinnen der
Peris herbeieilen. Keine erſchien ohne
Begleitung einiger ſchoͤnen Juͤnglinge oder
Maͤdchen, die ſie dem Schooße des fuͤrſtli-
chen oder buͤrgerlichen Haushalts entzogen,
um ihnen ihre Tugenden einzufloͤßen, und
in ihnen den Menſchen neue Werkzeuge des
Wohlwollens zu ſchaffen.
Laͤrmend war das Gewuͤhl und mannig-
faltig der Anblick der in tauſendartigen
phantaſtiſchen Geſtalten ſich herandraͤngen-
den Menge. Sie wogte dahin wie eine
brauſende Flut, und fuͤllte die Luft mit
einem vollſtimmigen Gemurmel. Alles ver-
einigte ſich endlich in einem großem Saal,
der alles Schoͤne, Wunderbare und Praͤch-
tige, das je Menſchenhaͤnde auf ein ſolches
Kunſtwerk verwendeten, durch Panaga-
thes Zauberkraft entfaltete. Die himmli-
ſche Tonkunſt hoͤrte mit ſtaunendem Ohre
ihre Guͤnſtlinge im ſchmelzenden Adagio
und wirbelnden Allegro den gefaͤlligen und
rauſchenden Tanz der jugendlichen Reihen
mit Zauberkraft begleiten- Alles wallte
in Freude, zerfloß in Wonne. Und was
Tanz und Muſik nicht zu vollenden ver-
mochten, das wußte die himmliſche Kraft
der Liebe zu erſetzen, die in den feurigen
Blicken der ſchoͤnen und lieblichen Jugend,
ihre Empfindungen in einem wonnevollen
Kreislauf zu erhalten wußte.
Jn dieſes Getuͤmmel verlor ſich Kan-
zedir. Anfaͤnglich konnte ſich ſeine Einbil-
dungskraft nicht herausfinden. Alle ſeine
Sinne waren in einen ſuͤßen Taumel ver-
ſunken. Seine zur Liebe geneigte Seele
fand in jeder der weiblichen Schoͤnheiten,
welche die Natur hier verſchwendet zu ha-
ben ſchien, einen Gegenſtand ſeiner Be-
wunderung und ſeines Entzuͤckens. Kaum
hatte er ſich aber ein wenig geſammelt,
ſo begann in ihm wieder der Kreis ſeiner ihm
eigenen Empfindungen Raum zu gewinnen,
und ſeine Stimmung fuͤr Abenza blieb nicht
die letzte, welche ſich ſeiner Einbildungs-
kraft aufdrang. Jn einer jeden der hier
verſammelten Schoͤnen ſuchte er etwas auf,
was er an Abenza bewunderte und das
fuͤhrte ihn endlich auf den Gedanken: ob
Panagathe ihm nicht das Vergnuͤgen ge-
macht haben ſollte in dieſem großen Cirkel
ihn umgebender Schoͤnen ihn mit ſeiner
Abenza zu uͤberraſchen.
Der Gedanke draͤngte ſich in ihm mit
allzugroßer Lebhaftigkeit hervor, als daß
er vollends Meiſter ſeiner Sinne bleiben
konnte, und die naͤchſte nur etwas ſeiner
Abenza aͤhnliche Geſtalt mußte ihn in jener
Vermuthung beſtaͤrken. Schon weilte ſein
Auge einige Zeit auf dem Gewebe der man-
nigfachen Schoͤnen, als eine weibliche Fi-
gur in ſolchem Grade ſeine Aufmerkſam-
keit auf ſich zog, daß er keinen Augenblik
zweifelte, in ihr ſeine Abenza zu finden.
Sie ſehen und verfolgen, war bei ihm nur
Ein Gedanke. Er ließ ſie nicht aus den
Augen. Keinen Schritt konnte ſie thun,
ohne daß Kanzedir ihn nicht zu bemerken
ſtrebte. Endlich erreichte er ſeinen Zweck
der Maske ſich ungehindert naͤhern zu
koͤnnen. Sie zog ſich aus dem Gewuͤhl zu-
ruͤck. Er war ſogleich an ihrer Seite und
faßte Muth ſie anzureden.
»Wir kennen uns, ſchoͤne Sylphe!«
waren ſeine erſten Worte. Keine Antwort
erfolgte. »Jch ſollte glauben Sie ſind es
—« fuhr er fort. Die Schoͤne verhuͤllte
ſich etwas mehr, geht auf die Seite und
nimmt auf einem Divan Platz. Kanzedir
ließ ſich an ihrer Seite ſogleich nieder:
»Sie verſtecken ſich vor mir? Spielen ge-
gen mich die Sproͤde?« fuhr er fort. »O
wuͤßten Sie was ich fuͤr Sie empfinde!« —
Die Sylphe hoͤrt ihn gelaſſen an, giebt
keinen Ton von ſich, ſondern antwortet
ihm nur mit einigen Bewegungen, die fuͤr
Kanzedir mehr Bedeutung hatten, als
manche laute Äußerungen. Er ward da-
her immer zudringlicher und beherzter. Er
wollte und konnte ſich nicht laͤnger getaͤuſcht
ſehen und wagte es daher, auf eine ſanfte
Weiſe ihr die Maske abzuziehen.
Wie groß war ſein Erſtaunen als er,
ſtatt Abenza, vor ſich Panagathe ſah.
Panagathe ihrer Seits, welche keinesweges
wußte, daß Kanzedir in ihr ſeine Abenza
verhuͤllt waͤhnte, freute ſich ihrem Neffen
einen augenſcheinlichen Beweis gegeben zu
haben: daß die ſtrenge Liebe, welche er ge-
gen Abenza zu hegen ſchien, nur in ſeiner
Einbildungskraft genaͤhrt werde, und daß
es nur eines andern Gegenſtandes beduͤrfe,
um dieſer eine andere Richtung zu geben.
Das Staunen Kanzedirs zwang Pana-
gathen ein Laͤcheln ab, das ſich aber in ei-
nen maͤchtigen Ernſt verwandelte, als ſie
ihren Neffen entruͤſtet aufſpringen ſah und
entruͤſtet in die Worte ausbrechen hoͤrte:
»Auch Du willſt dieſes Herz zerfleiſchen?
Jſt es Dir nicht genug, daß Abenzas Bild ſelbſt
mich verfolgt, mußt Du noch Deine Zau-
berkuͤnſte aufbieten und mir als Abenza
erſcheinen? Nein! ein ſolches Leben iſt mir
eine Laſt. Verzweifelung rette mich« — und
raſch greift er nach ſeinem Dolch, um ſich
damit zu durchbohren. Allein die Fee
hielt den ungluͤcklichen Stoß auf. »Unbe-
ſonnener!« rief ſie, »was beginnſt Du vor
meinen Augen? vergißt Du meine An-
haͤnglichkeit, meine Liebe zu Dir?«
Abenza oder den Tod! das iſt meine
Loſung; rief Kanzedir entruͤſtet.
»Wohlan! fiel Panagathe ein, haͤltſt
Du Dich ſtark genug, Ungluͤcklicher! uͤber
Dein Schickſal zu walten, ſo wag' einen
Kampf gegen Deine Beſtimmung. Jch
habe bis jetzt Alles aufgeboten, Dich von
Deiner unſeligen Leidenſchaft zu heilen.
Jch kann die Folgen nicht berechnen die ſie
fuͤr Dich haben kann.«
Abenza ſoll mir um keinen Preis zu
theuer ſein, erwiederte Kanzedir. Jch will
gleich fort. Mit der ganzen Welt will ich
kaͤmpfen, um mir den Beſitz meines Gluͤ-
ckes zu verſchaffen — und mit ſchnellen
Schritten wollt er ſich entfernen.
»So lebe denn wohl!« rief ihm die
Fee nach. Der ſanfte Ausdruck ihrer
Stimme ruͤhrte Kanzedir. Er wandte ſich
wieder gegen Panagathe. Mit Abenza,
rief er gefaßt, oder nie ſiehſt Du mich
wieder. Nimm alſo dies vielleicht letzte
Lebewohl. Doch haſt Du noch eine Liebe
fuͤr Deinen Neffen, ſetzte er hinzu, ſo ge-
waͤhre ihm ſeine letzte Bitte: leihe ihm
einen Theil Deiner Zauberkraft.
»Meine Pflicht gebietet mir,« erwiederte
Panagathe, »Dir nichts zu verſagen, was
zu Deiner Rettung dienen kann. Jch will
Dir gern den wichtigſten Talismann an-
vertrauen, der mir zu Theil ward, doch
das ſei Dir geſagt: Du koͤnnteſt vermoͤge
ſeiner Kraft vielleicht Deinen Zweck errei-
chen, allein durch die geringſte Unbeſonnen-
heit Dir groͤßeres Unheil zubereiten, als
Du zu erwarten haſt. Sei daher vorſich-
tig und handle wie ein Mann.« Bei die-
ſen Worten band ſie ſich eine Perlenſchnur
los, uͤbergab ſie Kanzedir und fuhr fort:
»beruͤhrſt Du dieſen Talismann mit Deiner
Linken und winkſt mit Deiner Rechten, ſo
werden Dir alle Kraͤfte der Natur zu Ge-
bothe ſtehen, einen jeden Deiner Wuͤnſche
zu erfuͤllen, doch nur unter der Bedingung,
daß keiner dieſer Wuͤnſche einem andern
Weſen zum Schaden ſei.«
Nicht zum Schaden? Wie? Sollte ich
meine Nebenbuhler bei Abenza nicht in
Pygmaͤen und Eulen verwandeln koͤnnen?
Sollt' ich nicht —?
»Mein Wirkungskreis reicht nur bis an
die Regionen des Wohlwollens. Der
maͤchtigſte Talismann, der mir ward, kann
den Sterblichen nur durch Wohlthun und
Sanftmuth zu ſeinem Zwecke verhelfen.«
Mit Deinem ewigen Wohlthun! dabei
moͤchte man zum Weiſen werden.
»Des Schickſals Wille iſt meine Grenze,
— Willſt Du Dich nicht neuen Gefahren
ausſetzen; ſo entferne Dich nie von Deinem
Talismann und ſorge dafuͤr, daß Du nicht
Veranlaſſung giebſt, Dir denſelben entwen-
den zu laſſen.«
Bei
Bei dieſen Worten ſtand Kanzedir mit
der Perlenſchnur und ſann auf einen ſchick-
lichen, verſteckten und zugleich ſichern Ort
wo er ſie verwahren konnte: ich daͤchte,
ſprach er, es waͤr' am beſten ſie mir um
den Hals zu binden.
»Der Meinung bin ich nicht,« erwie-
derte Panagathe. »Eine ſolche Maͤnnern
ungewoͤhnliche Zierde wuͤrde Vorwitzigen
theils Gelegenheit zu lachenden Witzeleien
geben, theils Hinterliſtige bald auf die
Wirkſamkeit derſelben aufmerkſam machen
und Dich ihrer Habſucht ausſetzen.«
Wohl recht, Tantchen! wohl recht! rief
Kanzedir — doch halt! Mir faͤllt ein —
hier iſt der ſchicklichſte Ort fuͤr unſern Ta-
lismann. Hier in eine Falte meines Tur-
bans ſtecke ich ihn hinein, darin ſoll er
bleiben und Niemand ſoll ihn hier vermu-
then. — Nun, Tantchen! was ſagſt Du
Mahrchen. Q
zu Deinem Neffen? Gelt! er hat Verſtand.
Nicht mehr gezaudert Kanzedir, die Freude
der Menge ſoll auch nicht geſtoͤrt werden.
Leb wohl, Tantchen! Jm Stillen mach' ich
mich auf und davon.
Bei dieſen Worten waren ſchon Kanze-
dirs Gedanken auf dem Wege nach Abinali.
Er beruͤhrte mit ſeiner Linken die Perlen-
ſchnur und mit der Rechten winkte er.
Ploͤtzlich fuͤhlte er ſich nach den obern Re-
gionen gehoben, wo er, auf die Fittige ei-
nes großen Steinadlers hinverſetzt, davon
getragen ward. Jn Luͤften iſt's ſchnelles
Reiſen. Jn wenigen Stunden ward Kanze-
dir da abgeſetzt, wo er zu ſein wuͤnſchte.
Obgleich Kanzedir bei ſeiner Ankunft
noch Alles in ſtockfinſtere Nacht gehuͤllt
fand, ſo gewahrte er doch ſo viel: daß er
grade vor dem Pallaſt des Sultan Zeſchid
ſich befand. Welche angenehme Empfin-
dungen nahmen in ſeiner Seele Platz. Jn
dieſen Mauern war Alles das enthalten
wonach ſein Herz ſchmachtete, in deſſen
Beſitz ſeine Seele einzig und allein dereinſt
Ruhe finden duͤrfte. Jn dieſen Gemaͤchern
lebte Abenza, das einzige Geſchoͤpf dem er
die Zufriedenheit ſeiner Tage weihete.
Sein erſter Gedanke war nun, ſich mit
Huͤlfe ſeines Talismannes ein ſolches An-
ſehen zu geben, wodurch er ſich der Ach-
tung und Verehrung des Sultans und
ſeiner Großen verſichert halten konnte.
Durch dieſe glaubte er ſeinen Nebenbuhlern
mit groͤßerm Nachdruck begegnen zu koͤn-
nen, und leichter zum Herzen Abenzas
Eingang zu finden.
Es koſtete ihn nicht mehr als einen
Wink, ſo erhob ſich ein maͤchtiger mit drei-
zig Façden, zehn Kuppeln und unzaͤhl-
baren Saͤulengaͤngen verzierter Pallaſt,
Q 2
dem des Sultans grade uͤber. Sein Jnne-
res war mit allen dem verſehen was er-
fordert wird, um den Glanz und die Wuͤrde
ſeines Bewohners zu erhoͤhen. Mamelu-
cken, Verſchnittene aller Art, Rieſen,
Zwerge, kurz der ganze Troß von Beglei-
tung und Wache, mit dem man einen
Großen gewohnt iſt, umgeben zu ſehen,
belebten endlich auf den Wink Kanzedirs
dies unermeßliche Gebaͤude.
Kaum glaubte Kanzedir Alles nach ſei-
ner Abſicht geordnet zu haben, ſo zog er
ſich in ſein Schlafgemach zuruͤck, um dem
Tage entgegen zu ſchlummern.
Man kann ſich leicht denken, daß beim
Anbruch deſſelben, der hergezauberte Pal-
laſt die Bewohner Albinalis in außeror-
dentliches Staunen verſetzte, und bei ihnen
aͤußerſt geſpannte Fragen nach dem Beſitzer
deſſelben veranlaßte. Keiner konnte dem
Andern hieruͤber gewiſſe Auskunft geben,
und es gerieth desfalls ein großer Theil
derſelben in furchtſame Bewegung. Einige
ſahen in dieſem Pallaſt ein maͤchtiges Heer
verborgen, das nur dem guͤnſtigen Augen-
blick entgegen ſehe, um der Dynaſtie der
Zeſchiden auf Albinalis Thron ein Ende
zu machen, und dies war Veranlaſſung ge-
nug, durch ein allgemeines Aufgebot alles
ſtreitbare Volk vorerſt unter Waffen zu
bringen, um den Sultan nicht einem Über-
falle, waͤhrend er noch mit ſeinem Haus-
halte in einen tiefen Schlummer verſenkt
war, auszuſetzen. Von allen Seiten zog
ſich daher eine gewaffnete Menge unter
dem Schall der Poſaunen und Trommeln
vor dem Pallaſt Kanzedirs zuſammen.
Dieſes unſelige Geraͤuſch mußte Kanzedir
aus ſeinem Schlummer wecken. Er ſprang
daher von ſeinem Lager auf, und nachdem
ihm einer ſeiner Mamelucken von der Ur-
ſache des Geraͤuſches einige Auskunft ge-
geben, warf er ſich in einen ſeiner Wuͤrde
angemeſſenen Talar und zeigte ſich der
verſammelten Menge am Fenſter.
Kaum erblickte man ihn, ſo erkannten
einige ihn ſogleich fuͤr einen Fuͤrſten, der
vor kurzem einige Zeit an Zeſchids Hof
gelebt. Kanzedir ſeiner Seits verfehlte
aber nicht, durch ſeinen Talismann vor der
Menge eine große Marmortafel herzuzau-
bern, auf welcher er ihr mit brennenden
Buchſtaben die unbeſchraͤnkte Macht an-
zeigte, welche ihm verliehen worden, und
ſie erinnerte, daß es voͤllig von ihrem Be-
nehmen gegen ihn abhaͤngen werde, wenn
ſie ſich vom ihm viel des Guten zu ver-
ſprechen haben wolle.
Jndeß verbreitete ſich auch die Nach-
richt von dem Allem im Pallaſt des Sultans.
Man eilte, dem Sultan beim Erwachen
ſofort die Ankunft des Prinzen Kanzedir
und die wunderbare Macht, mit welcher
ihn das Schickſal verſehen, zu hinterbrin-
gen. Der Sultan ſtand nicht an, einen
Fremden von ſolchem Anſehen und ſolcher
Macht mit gehoͤriger Achtung bewillkom-
men und ſofort foͤrmlich an ſeinen Hof ein-
laden zu laſſen.
Die großen und wunderbaren Dinge,
mit welchen ſich die Einwohner Albinalis
durch die Macht Kanzedirs uͤberraſcht zu
ſehen hofften, verurſachten, daß ſeine
Ankunft auch unter dem Volke eine leb-
hafte Freude bewirkte. Man ſprach von
nichts als von dem wunderbaren Fuͤrſten.
Und die Erfahrenſten und Weiſeſten berath-
ſchlagten auf der Stelle, welche Mittel
angewendet werden muͤßten, um einen
ſolchen maͤchtigen Gaſt ſo zu bewirthen,
daß dadurch Zeſchids Thron und daher
ſeinen Voͤlkern ein groͤßeres Heil vorberei-
tet werde.
Allein eine ganz entgegen geſetzte Em-
pfindung erregte Kanzedirs abermaliger Be-
ſuch bei Abenza und ihrem Geliebten dem
Emir Alhavi. Vermochten Kanzedirs Reich-
thuͤmer ſchon ehemals den Sultan zu be-
wegen, ihn in Beſitz von Abenzas Hand
zu ſetzen, ſo mußte die genialiſche Kraft
mit welcher er jetzt an Zeſchids Thron er-
ſchien, die Liebenden um ſo mehr fuͤrchten
laſſen: daß der Sultan Kanzedir geneigt
zu ſein und ihre Liebe zu ſtoͤren veranlaßt
werden duͤrfte.
Es iſt daher wohl leicht zu denken, mit
welchen Geſinnungen Kanzedir bei ſeiner
abermaligen Erſcheinung an Zeſchids Hofe
von Abenza aufgenommen ward. Jndeß
wird man Abenza ſo viel Klugheit zutrauen,
daß ſie in ihrem aͤußerem Benehmen keine
Veranlaſſung gegeben, weder Kanzedir zu
beleidigen, noch ihrem Vater, im Fall er
mit Kanzedir einige Abſichten haben ſollte,
eine gemaͤchliche Ausſicht zu verrathen.
Abenza war eins von den weiblichen
Geſchoͤpfen, die ihre Schoͤnheit durch einen
gewiſſen bezaubernden Reitz geltend zu
machen wiſſen. Sie wollte nie durch ihre
aͤußere Form abſichtlich gefallen, legte nie
auf dasjenige, was ihren Koͤrper heben
konnte, einen ſonderlichen Werth; ſuchte
nicht durch abgemeſſene Blicke, Worte, Be-
wegungen und Schritte ſich eine Haltung
zu geben, und ſtrebte uͤberhaupt nicht beim
erſten Anblick Bewunderung und ehrfurchts-
volles Wohlgefallen zu erregen. Unbefan-
genheit, edle Nachlaͤſſigkeit, munteres We-
ſen, liebenswuͤrdiges Schwatzen, ſchneiden-
der Witz und anſtaͤndige Offenherzigkeit
waren die Hauptzuͤge ihres Karakters.
Aus dieſem Umriß Abenzas wird man
ohngefaͤhr den Ton abnehmen koͤnnen, in
welchem ſie Kanzedir empfing. Sie kam
ihm nicht mit einer zuruͤckhaltenden Miene
entgegen, ſah ihn nicht mit keuſchem Blick
an und gab ihrem Willkommen keinen zuͤch-
tigen Ausdruck; ſondern mit munterm Schritt,
ſchalkem Blick, mit einem offenen und jovia-
len Laͤcheln ſahen ſie der Sultan, die Gro-
ßen und der ganze Hof auf Kanzedir zu-
eilen, ſeine Hand ergreifen, ihm einen
herzlichen Willkommen ſagen und an ſei-
ner Ankunft frohen Theil nehmen. Es fiel
Keinem der Umſtehenden auf. Sie begeg-
nete Jedem auf dieſe Weiſe und man war
dies Benehmen an ihr gewohnt.
Ganz anders wirkte dies Betragen auf
Kanzedir. Er beſaß noch wenige Kennt-
niß von der Welt, und bei weitem man-
gelte es ihm an der des weiblichen Her-
zens, um berechnen zu koͤnnen, wie viel er
in Abenzas Benehmen fuͤr ſeinen Vortheil
gut zu ſchreiben habe. Einer ſolchen Auf-
nahme war er nicht gewaͤrtig, und es be-
ſeelte ihn in ſolchem Grade augenblicklich
ſeine Hoffnung, daß er Abenzas gegen ihn
ehedem beobachteten Kaͤlte, jetzt eine Be-
deutung zu geben verſucht ward, die ſeinen
Abſichten aͤußerſt ſchmeichelhaft war. Er
glaubte feſt und beſtimmt, daß der Anblick
ſeiner Herrlichkeit und der Ruf ſeiner genia-
liſchen Macht Abenza beſeelten, gegen ihn
Empfindungen zu aͤußern, die ſie bei ſeiner
ehemaligen Anweſenheit nur zu unterdruͤ-
cken vermoͤgend war.
Er begegnete daher Abenza mit einem
ſchmachtenden und zugleich von ſeiner
Wuͤrde beſeelten Äußern. Jn dieſem er-
kannte Abenzas Scharfblick ſogleich ihren
zudringlichen Liebhaber, und ſie freute ſich
im voraus, daß die Stimmung, in welche
ſie ihn verſetzt, ihr oft Gelegenheit darbie-
ten duͤrfte, ſeinem Gefuͤhle ſolche Kraͤnkun-
gen widerfahren zu laſſen, daß es endlich
gegen ihre Reitze abgeſtumpft werden oder
in Ruͤckſicht aller ſeiner Hoffnungen in Ver-
zweiflung gerathen muͤßte.
Zu ſchmeichelhaft war fuͤr Kanzedir die
Vorſtellung, die er ſich von der Neigung
Abenzas gegen ihn gemacht, als daß er
nicht in jedem Umſtande haͤtte Veranlaſ-
ſung finden ſollen, ſich von der Wahrheit
deſſen, was er in Abenza's Herz zu gewah-
ren Gelegenheit hatte, vollſtaͤndig zu uͤber-
zeugen. Die Abweſenheit Alhavis, ſeines
ihm verhaßten Nebenbuhlers, bei einem
feierlichen Mahle, das ſeine Ankunft ver-
anlaßte und zu welchem der Sultan keinen
ſeiner Großen und Guͤnſtlinge einzuladen
vergeſſen zu haben ſchien — die Abweſen-
heit eines Mannes, welchem der Sultan
ſeiner Tochter Hand und ſeinen Thron be-
ſtimmte, mußte ihm eine Vermuthung an
Haͤnden geben, die ſeiner Erwartung und
ſeinen Abſichten ſchmeichelhafter ſein mußte,
als Alles was ihm Verbindliches jetzt vom
Sultan, Abenzan und allen Großen wider-
fuhr.
Er waͤhnte nicht, daß Alhavis Abweſen-
heit nur durch die Liebe Abenzas fuͤr den-
ſelben veranlaßt worden; waͤhnte nicht,
daß ihre Zaͤrtlichkeit gegen ihn, in ihr die
Beſorgniß erregte, Kanzedir duͤrfte aus
Rache ſeine genialiſche Kraft gegen Alhavi
in Bewegung ſetzen, und dieſe ihr den Ge-
danken uͤberwinden hieß, ihren Gelieb-
ten einige Zeit von ſich entfernt und auf
einen ſeiner Landſitze zuruͤckgezogen zu
ſehen; kurz er waͤhnte nicht, daß Alhavi,
durch die lebhaften Äußerungen ſeiner Liebe,
mit denen er Abenza auch in der Ferne zu un-
terhalten wußte, ihm ein unuͤberwindlicher
Nebenbuhler blieb. Allein auch Abenza
ahndete nicht, daß Kanzedir nur in den
Regionen des Guten mit ſeiner genialiſchen
Kraft wirken koͤnne; ſie ahndete nicht, daß
die Tapferkeit Alhavis ihn gegen jede Bos-
heit Kanzedirs zu ſchuͤtzen vermoͤge. So
naͤhren die Sterblichen gegenſeitig vergeb-
liche Hoffnung und Furcht.
Die Abweſenheit Alhavis, das frohe
muntere Weſen Abenzas, der zuvorkom-
mende Blick des Sultans, kurz Alles ſchien
Kanzedir einzuladen, der Erfuͤllung ſeiner
Erwartungen nicht allein entgegen zu ſehen,
ſondern auch alles aufzubieten, was ihm
zu Gebote ſtand, um ſeine Abſichten auf
Abenza und Albinalis Thron zu erreichen.
Kaum war das Mittagsmahl aufgeho-
ben, ſo ſuchte Kanzedir auf eine ſchickliche
Art ſich Abenza zu naͤhern. Die Geſell-
ſchaft zerſtreute ſich in den hinter dem
Pallaſt des Sultans gelegenen Garten.
Kanzedir wich nicht von Abenzas Seite.
Und obgleich der unterhaltende Ton ihm
nicht zu Gebote ſtand, den Abenza an Al-
havi bewunderte, ſo ſuchte er ihn durch
einige Spiele ſeiner Zauberkraft zu erſetzen,
die der Eitelkeit eines jeden andern weib-
lichen Geſchoͤpfes geſchmeichelt haben wuͤrden,
allein auf Abenza den grade entgegenge-
ſetzten Eindruck machten. Sie ließ ihn
dies mit der ihr eignen Laune, und ihrem
ſchalken Blick wohl fuͤhlen, allein derglei-
chen Winke waren Kanzedir zu unver-
ſtaͤndlich.
Bei jedem Schritte Abenzas wußte
Kanzedir alle Schaͤtze Florens um ſeine Ge-
liebte herzuzaubern. Allein ſie, die ſonſt
bei jeder Blumenflur mit Entzuͤcken ver-
weilte, verleitete jetzt ein ſchalker Eigen-
ſinn, die ſchoͤnſten Bluͤthe mit ihrem kleinen
Fuß zu zerknicken. Ließ ſie ſich auf eine
einfache Raſenbank nieder, um ſich auszu-
ruhen, ſo ſah ſie ſich gleich unter einer
Laube, deren Schatten und Wohlgeruͤche
das gefuͤhlloſeſte Weſen zur Ruhe einluden.
Allein eh es Kanzedir ſich verſah, war ſie
von Abenza verlaſſen. Hin und wieder ſah
ſich Abenza von den liebenswuͤrdigſten Ge-
ſtalten, die Kanzedirs Talismann zu ſchaf-
fen vermochte, aufgehalten, die ihr Erfri-
ſchungen und Spielwerke aller Art anbo-
ten, allein bald ſchien ſie ſelbige nicht zu
bemerken, bald ſagte ſie ihnen eine Necke-
rei, die Kanzedir fuͤhlen ſollte, endlich ver-
leitete ſie ihr Muthwille eine Handvoll
Spielereien anzunehmen, die ſie mit ihrer
Marmorhand Kanzedir entgegenwarf, um
ihn gleichſam zu verhindern, die Miene zu
be-
bemerken, mit welcher ſie dieſen boshaften
Zeitvertreib begleitete. Unter ſolchen Ne-
ckereien ſuchte ſie ihre Laune ſo lange zu
erſchoͤpfen, bis ſie einen ſchicklichen Vor-
wand hatte, ſich in ihr Gemach zuruͤckzu-
ziehen.
Ein ſolcher Geiſt wie Kanzedir iſt leicht
zu befriedigen. Er kennt nicht ſo mannig-
fache Ruͤckſichten und hat nicht ſolch feinen
Takt, um in jeder Äußerung die Stimmung
abmeſſen zu koͤnnen, mit welcher ſie ihm
gegeben und er ſie aufnehmen muͤſſe. Sich
nun mehr ſelbſt uͤberlaſſen, ließ er ſeiner
Gedankenreihe vollen Lauf. Allein in ſol-
chen Seelen iſt ſie ſehr kurz, ſie findet bald
ein Ziel. Abenza, dachte er, ſcheint mir
nicht abgeneigt. Jndeß ich muß ſie ganz
fuͤr mich hinreiſſen, muß ganz zur Bewun-
derung ſie gegen mich ſtimmen. Dies war
Alles was er dachte.
Und nun begann er auf ein Mittel zu
Maͤhrchen. R
ſinnen dieſen ſeinen Zweck zu erreichen.
Auch hier hatte er nicht viel zu erwaͤgen.
Sein Geſchmack hatte nicht eine ſolche
Vielfeltigkeit, daß ihm die Wahl ſchwer ge-
fallen waͤre. Erdacht und beſchloſſen war
ein praͤchtiges Feuerwerk, das er unter
Abenza's Fenſtern noch dieſen Abend hin-
zaubern und abbrennen laſſen wollte. Er
zog ſich ſofort in ſeinen Pallaſt zuruͤck und
trug einem ganzen Heere von Sklaven auf,
Abenza, den Sultan, alle Großen und end-
lich ganz Albinali zu dem praͤchtigen Schau-
ſpiele einzuladen, das ſein Feuerwerk ihnen
allen gewaͤhren ſolle.
Der Abend kam heran. Buchſtaͤblich
ward vom Talisman Kanzedirs Wille er-
fuͤllt. Alles war zu dem prachtvollſten
Feuerwerke bereitet. Ein unzaͤhlbarer Hau-
fen von Albinalis Einwohnern ſtroͤmte von
allen Seiten herzu. Der Sultan und alle
ſeine Großen erſchienen mit einer Pracht,
die in dem Auge der großen Menge das
Schauſpiel glaͤnzender und erhabener machte.
Aller Erwartung war aufs Hoͤchſte geſpannt.
Endlich erſchien auch Abenza von Kanzedir be-
gleitet. Die Menge ſtaunte ihn an. Ein jeder
wollte in ihm etwas Himmliſches, Goͤttli-
ches ſehen. Nur Abenza war weit entfernt
etwas von der Art in ihm zu bewundern.
Kaum hatte Abenza Platz genommen,
ſo erfolgte auch Kanzedirs Wink. Das
prachtvollſte Schauſpiel begann, das jedes
ſterbliche Auge entzuͤckte. Alle wunderbare
Erſcheinungen und Wirkungen der Natur,
alles was die Urwelt Großes und Schoͤnes
hervorgebracht, wurde hier in Flammenzuͤ-
gen den Augen der Menſchen dargeſtellt.
Alles war in Entzuͤcken und Erſtaunen ver-
ſetzt. Selbſt Abenza ſchien die Angelegen-
heiten ihres Herzens in dieſen Flammen
aufgehen zu laſſen. Sie ſaß mit dem
großen Menſchenkreiſe in Entzuͤcken verſenkt
R 2
Ploͤtzlich brach ein heller Funke aus die-
ſer Flammenwelt hervor. Aus Furcht er
moͤchte uͤber Abenza ſich niederſenken, ſuchte
Kanzedir ihn mit ſeiner Hand aufzufangen.
Der Funke faßte ploͤtzlich die Bekleidung
ſeines Arms, ward zur Flamme und griff
mit ſolcher Gewalt um ſich, daß alle Um-
ſtehenden, die mit Erfriſchungen angefuͤllten
Pokale, zur Loͤſchung der Flammen, her-
leihen mußten. Abenza, der Sultan und
alle Großen geriethen in Bewegung, eilten
auf Kanzedir zu, und fanden ihn ſo in
Schmerz verſunken, daß man ihn ohnmaͤch-
tig nach ſeinem Gemach tragen mußte.
Jn der That hatte ihm die Flamme den
Arm ſo beſchaͤdigt, daß alle Kunſtverſtaͤn-
digen beim erſten Anblick — ob ich ſagen
ſoll aus Eigennutz oder Unwiſſenheit —
ihn mit einem Achſelzucken betrachteten.
Doch wir wollen Kanzedir vorjetzt den
Wundaͤrzten uͤberlaſſen.
Der Eindruck den dieſer Vorfall auf den
Sultan, Abenza und ganz Albinali machte,
war in der Ruͤckſicht ziemlich gleich. Alles
fand ſich in der Erwartung betrogen, die man
von Kanzedir's genialiſcher Kraft hatte.
Und er mußte daher einen großen Theil
von Anſehen und Ehrfurcht, welche man
ihm ſchuldig zu ſein ſich verpflichtet hielt,
in den Augen aller verlieren. Jhm wider-
fuhr das, was jedem beſchieden iſt, der
nicht die Grenze von dem angiebt, was
man ſich von ihm zu verſprechen hat. Die
wunderbare Weiſe, auf welche Kanzedir ſich
vor ganz Albinali gezeigt, ließ erwarten,
daß er den Wirkungen der Natur nicht
allein eine ganz andere Richtung verleihen,
ſondern auch ſelbſt denſelben nicht unterworfen
ſein koͤnne. Man waͤhnte ihn nicht von Fleiſch
und Blut, glaubte daß es Feuer geben koͤnne,
das nicht brennt, und was mehr derglei-
chen wuͤſte Begriffe waren, mit welchen die
Phantaſie die Menſchen heimſucht.
Fuͤr Keinen hatte aber der Kanzedirn
widerfahrne Unfall angenehmere Folgen
als fuͤr Abenza. Sie ſah ihn an Werth
in den Augen des Sultans und ganz Albi-
nali verliehren, ein Umſtand der ihr Hoff-
nung gab, das Anſehen ihres Geliebten
nicht zu ſehr herabgeſetzt zu ſehen. Vor
allem mußte ſie aber bei dem Gedanken
in eine frohe Stimmung verſetzt werden,
daß ſie, waͤhrend Kanzedir das Zimmer
huͤten mußte, unbeſorgt ihren Alhavi aus
ſeiner Einſamkeit herbeieilen ſehen und mit
ihm, ohne von Kanzedir geſtoͤrt zu werden,
die ſeligſten Stunden nun hinbringen konnte.
Jn der That erſchien am andern Tage
Alhavi wiederum im Cirkel der Großen an
Zeſchids Hof. Eine tauſendjaͤhrige Tren-
nung wuͤrde den ſterblichſt Verliebten keine
berauſchendere Freude beim Wiederſehen
gewaͤhren koͤnnen als Abenza und Alhavi
genoſſen. Und lebten ſie ſonſt nur ſel-
ten Stunden getrennt von einander, ſo
theilten ſie jetzt beinahe einen jeden Au-
genblick ihres Daſeins. Die Freuden der
himmliſchen Liebe ſchufen ihnen eine eigne
Welt, ſie kuͤmmerten ſich daher wenig um
Kanzedir, der indeß mit großen Schritten
ſeiner Beſſerung naͤher kam, und der Stunde
entgegen ſah, in welcher er wieder an Ze-
ſchids Hof und vor Abenza erſcheinen koͤnne.
Der Tag, an welchem er ſeinen Wunſch
befriedigt ſehen ſollte, brach endlich an.
Kanzedir erwachte, und ſein erſter Gedanke
war, wie er wieder vor Abenza auf eine,
einem zaͤrtlichen Liebhaber ſchickliche Art er-
ſcheinen koͤnnte. Er ſann hin und her.
Endlich beſeelte ihn der romantiſche Ge-
danke, Abenza in des Sultans Park, wo
ſie gewoͤhnlich den Morgen zu genießen
pflegte, zu uͤberraſchen.
Gedacht, gethan. Mit raſchem Schritt
eilte er nach dem Park und durchſtrich den
groͤßten Theil deſſelben. Keine Grotte,
keine Laube, keinen Wandelgang ließ er
unbetreten. Endlich vernimmt er ein Lis-
peln. Er horcht auf, naͤhert ſich dem Ort
wo die Stimme ihm herzukommen ſchien,
und trauet kaum ſeinem Auge. Er ſieht
Abenza auf einer Raſenbank gelagert, zu
ihren Fuͤßen Alhavi, den ſie mit vertrau-
tem Blick eben ihre Hand mit Kuͤſſen uͤber-
haͤufen laͤßt.
Eiferſuͤchtige Verzweiflung bemeiſterte
ſich Kanzedirs. Er ſah ſich nun in allen
ſeinen Hoffnungen bei Abenza getaͤuſcht,
und Rache an ſeinem Nebenbuhler ausuͤben
zu koͤnnen, war der erſte Gedanke der ihn
beſchaͤftigte. Allein vergebens naͤhrte er
den Wunſch, Alhavi in einen Krokodill oder
Dornenſtrauch verwandelt zu ſehen. Ver-
gebens beruͤhrte er in dieſer Abſicht wieder-
holt ſeinen Talismann. Alhavi ward
— fuͤr Abenzas Augen liebenswuͤrdiger, fuͤr
die ſeinigen — empoͤrender Nebenbuhler.
»Verdammt!« rief er mit aufgebrachter
Stimme, »Muß meine Macht Alhavi
Gluͤck, und mir Verzweifelung ſchaffen.
Bei dieſen Worten blickte Abenza auf.
Man denke ſich ihren Schrecken. »Alhavi!«
rief ſie mit aͤngſtlichem Tone, »rette Dich.
Jch ſehe Kanzedir.« — Jn dieſem Augen-
blick« rief Alhavi mit entſcheidenden Aus-
druck, »kann mich nur der Tod von Deiner
Seite rufen. — Er ſprang auf, zog ſeinen
Dolch, und ging einige Schritte ſeinem
Feinde entgegen.
Kanzedir erſchrack und zog ſich muthlos
ins Gebuͤſch zuruͤck. Hier hing er ſeinen
Gedanken nach. Keine Grenze ſah er fuͤr
ſeine Leiden. Vergebens ſpannte er die
ihm kaͤrglich zugemeſſene Geiſteskraft an,
um ein Mittel aufzufinden, das ihm ver-
ſprach in Abenzas Armen des Gluͤcks der
Liebe theilhaftig zu werden. So ſchlenderte
er beinahe eine Stunde hin. Die Sonne
brach mit aller Staͤrke hervor. Kanzedir
war ſchon laͤngſt auf einer Ebene fortge-
gangen. Von der Hitze gedruͤckt ſah er
ſich nach einem ſchattigten Baum um. Al-
lein naͤher war ihm ein geſchmackvolles
Gartenhaus des Sultans. Er fand es
offen und trat alſo ohne Anſtand hinein.
Der erſte Gegenſtand, der ihm aufſtieß,
war ein Marmorbild Abenzas. Nie hatte
der Meißel eines Kuͤnſtlers ſo lebhaft, ſo
natuͤrlich und mit ſolcher kuͤnſtlichen Wahr-
heit ſein Urbild darzuſtellen gewußt, als
dieſes. Da war nicht der mindeſte Zug
vergeſſen. Die Statue zeigte Abenza wie
ſie wirklich in Kanzedirs Geiſte lebte. Sein
Auge weidete ſich an dem himmliſchen Reitz,
den der Kuͤnſtler Abenzas Weſen abgeſehen.
Ganz in ſuͤße Betrachtung verſenkt, ſchien
er die Kraͤnkung zu vergeſſen, die ihm
Abenza widerfahren laſſen. Die ſanften
Regungen der Liebe bemeiſterten ſich wieder
ſeiner. Er war ganz Gefuͤhl und ſeine
Einbildungskraft vermochte es, ihn ſo her-
auf zu ſtimmen, daß er gleichſam wachend
traͤumte und in Begeiſterung auf die Sta-
tue hineilte, ſie in ſeine Arme ſchloß und
ihrer Lippe den Kuß der Liebe aufdruͤcken
wollte. Allein, ein kalter Marmor ſtoͤrte
ſeine Taͤuſchung. Er fuͤhlte ſich wie zuruͤck-
geſtoßen. Sein Bewußtſein erwachte, und
er gewahrte nur allzuſehr, daß Abenzas
Bild ihm nicht Abenza erſetzen koͤnne.
Alle ſeine Gefuͤhle wurden in ihm her-
abgeſtimmt. Allein zu abgeſpannt waren
alle ſeine Kraͤfte, um ihn in Verzweiflung
zu bringen. Ein ſanfter Schmerz bemei-
ſterte ſich ſeiner. Mit ſtummem Gefuͤhl
warf er ſich dem Bilde gegen uͤber auf einen
Divan. Ein freieres Gedankenſpiel bemei-
ſterte ſich ſeiner wieder. »Kann und ſoll
Abenza ſelbſt,« dachte er, »mich nicht von
ihrer Liebe heilen; ſo ſoll ihr Bild mir im-
mer gegenwaͤrtig ſein. Hier will ich taͤg-
lich mein Auge an Abenzas Bild weiden.
Jhm gegenuͤber will ich meine Liebe ver-
ſeufzen, bis auch mein Herz zum Marmor
wird. Der Genius der Ruhe ſchien ſich
uͤber ſeine Empfindungen zu lagern; ſo ſtill
und zufrieden blieb er eine kurze Zeit.
Allein ploͤtzlich ſprang er auf. Er ſuchte
um ſich her den holdſeligen Genius der
ihm den Gedanken veranlaßte, welcher
eben ſein ganzes Weſen aufs neue belebte.
»Gluͤckſeligſter Augenblick meines Lebens!
himmliſcher Genius!« rief er, »warum haſt
Du ſo lange gezaudert mich zu beſeeligen?
Abenza iſt mein! dieſer Marmorblock ſoll
ſie mir verleihen. Er iſt nicht der Erſte,
den ein Talisman beſeelte.
Bei dieſen Worten beruͤhrte er mit der
Linken ſeine Perlenſchnur und winkte mit
der Rechten. Welches Wunder! Welcher
Anblick ward ihm zu Theil! — Der Mar-
mor begann allmaͤhlig in Leben uͤberzuge-
hen, das wonnevollſte Schauſpiel entwickelte
ſich vor Kanzedirs Augen, die bleiche Wange
uͤberzog eine Roſenroͤthe, das ſtarre Aug
beſeelte ein Feuerblick, das wallende Haar
ward kaſtanienbraun, der kalte fuͤhlloſe
Buſen hob ſich von dem wallenden Puls-
ſchlag, der ins Ganze Leben und Bewegung
trieb. So ſtand die Bildſaͤule Abenzas be-
lebt vor Kanzedir.
Entzuͤcken ließ ihn kein Wort vorbrin-
gen, nur in Staunen war er verſenkt.
Der ſanfte Blick, das ſuͤße Laͤcheln, der
ausgebreitete Arm des ins Leben uͤbergan-
genen Bildes ſeiner Abenza, Alles dies lud
ihn ein ſich ihm zu naͤhern. Mit Wonne-
gefuͤhl fand er ſich in den Umarmungen
derſelben beſeligt. Einen Strom von feu-
rigen Kuͤſſen druͤckte er dem Roſenmunde
auf, der ganz die Seligkeit ihn fuͤhlen ließ,
deren er ſich in den Armen Abenzas der-
einſt zu erfreuen traͤumte.
Jn dieſem trunkenen Augenblick vergaß
er die Welt, vergaß er Alles was ihm
theuer war, und indem er ganz in Selig-
keit verſunken an Abenzas Buſen hing,
ſtuͤrzt ihm der Turban, welcher ſeinen Ta-
lisman verborgen hielt, ploͤtzlich vom Haupte.
Er achtete deſſen nicht.
Allein kein Augenblick verging, ſo ver-
lor ſich der Zauber. Aus dem Marmor
ſchwand der Lebenshauch der ihn beſeelte,
die Wange verlohr ihr Roth, das Auge
ſein Feuer, der Arm erſtarrte und der
Buſen erkaltete. Kaum fuͤhlt er die wie-
derkehrende Marmorhaͤrte, er blickt auf
und erſchrickt beim Anblick des Marmor-
haupts. Er will ſich los machen, aber
— O unerwartetes Schickſal! — er fand
ſich in den Marmorarmen der Bildſaͤule in
die er ſich geworfen, nun gefeſſelt und trotz
aller aufgebotenen Kraͤfte kann er ſich nicht
losmachen.
Eben war die Stunde herangekommen
in welchem der Sultan von Abenza, Al-
havi und ſeinen Großen begleitet, ſich dem
Gartenhauſe naͤherten, um in demſelben
ein verabredetes Fruͤhſtuͤck einzunehmen.
Betroffen blieben alle beim Eintritt in daſ-
ſelbe ſtehen, als ſie den Zuſtand, in welchem
ſich Kanzedir befand, gewahrten. Vor Stau-
nen konnte Keiner ein Wort von ſich geben.
Noch lag der Turban nicht fern von
der Gruppe. Abenza gewahrte ihn, ſie
trat hervor ihn aufzunehmen, allein er ent-
fuhr ſtracks ihren Haͤnden. Man hoͤrt ein
fuͤrchterliches, dem Donner gleiches Rollen
in Luͤften, und Panagathe zeigt ſich den
Umſtehenden mit dem Turban in ihrer Hand.
Tiefes Stillſchweigen herrſchte im gan-
zen Kreiſe, keiner wagte es die Stille zu
unterbrechen. Endlich begann Panagathe:
»nun, Kanzedir, fuͤhlſt Du die Folgen ei-
ner erzwungenen Liebe. Jn ſolche Feſſel
wirft ſich der Mann, der den Beſitz einer
Weiberhand ſucht, ohne ſich den ihres
Herzens zuerſt verſichert zu haben; Jch werde
Dich befreien. Allein mit Deiner Freiheit
ſuche Abenzas Freiheit nicht zu untergraben.«
Kanzedir winkte, und Abenza flog in
Alhavis Arme.
Straks druͤckte Panagathe ihrem Neffen
den Turban auf, der noch den Talisman
barg. Aus den Marmorarmen der Bild-
ſaͤule geloͤſt, ſah ſich Kanzedir mit ihr in
die Luͤfte gehoben, von wo herab er den Lie-
benden ein: Seid gluͤcklich! zurief. An der
Seite Panagathes verfolgte er den Weg
nach ihrem Wohnſitz, wo wir ihn ein beſ-
ſeres Schickſal erwarten laſſen wollen.