Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Weimar, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

Bedingungen, und die einzigen Bedingungen desselben
sind? und wie kommen wir überhaupt dazu, einen
nothwendigen Zusammenhang zwischen verschiedenen
Sätzen, und ausschliessende, aber erschöpfte Bedingun-
gen derselben anzunehmen?

Kurz, wie lässt sich die Gewissheit des Grund-
satzes an sich; wie lässt sich die Befugniss auf eine be-
stimmte Art aus ihm die Gewissheit anderer Sätze zu
folgern, begründen?

Dasjenige, was der Grundsatz selbst haben, und
allen übrigen Sätzen, die in der Wissenschaft vorkom-
men, mittheilen soll, nenne ich den innern Gehalt des
Grundsatzes und der Wissenschaft überhaupt; die Art,
wie er dasselbe den andern Sätzen mittheilen soll,
nenne ich die Form der Wissenschaft. Die aufgegebne
Frage ist mithin die: Wie ist Gehalt und Form einer
Wissenschaft überhaupt, d. h. wie ist die Wissenschaft
selbst möglich?

Etwas, worinn diese Frage beantwortet würde,
wäre selbst eine Wissenschaft, und zwar die Wissenschaft
von der Wissenschaft überhaupt
.

Es lässt vor der Untersuchung vorher sich nicht
bestimmen, ob die Beantwortung jener Frage möglich
seyn werde oder nicht, d. h. ob unser gesammtes Wis-
sen einen festen Grund habe, oder ob es, so innig
unter sich verkettet auch die einzelnen Theile desselben
seyn mögen, doch zuletzt auf Nichts beruhe. Soll
aber unser Wissen einen Grund haben, so muss jene

Frage

Bedingungen, und die einzigen Bedingungen deſſelben
ſind? und wie kommen wir überhaupt dazu, einen
nothwendigen Zuſammenhang zwiſchen verſchiedenen
Sätzen, und ausſchlieſsende, aber erſchöpfte Bedingun-
gen derſelben anzunehmen?

Kurz, wie läſst ſich die Gewiſsheit des Grund-
ſatzes an ſich; wie läſst ſich die Befugniſs auf eine be-
ſtimmte Art aus ihm die Gewiſsheit anderer Sätze zu
folgern, begründen?

Dasjenige, was der Grundſatz ſelbſt haben, und
allen übrigen Sätzen, die in der Wiſſenſchaft vorkom-
men, mittheilen ſoll, nenne ich den innern Gehalt des
Grundſatzes und der Wiſſenſchaft überhaupt; die Art,
wie er daſſelbe den andern Sätzen mittheilen ſoll,
nenne ich die Form der Wiſſenſchaft. Die aufgegebne
Frage iſt mithin die: Wie iſt Gehalt und Form einer
Wiſſenſchaft überhaupt, d. h. wie iſt die Wiſſenſchaft
ſelbſt möglich?

Etwas, worinn dieſe Frage beantwortet würde,
wäre ſelbſt eine Wiſſenſchaft, und zwar die Wiſſenſchaft
von der Wiſſenſchaft überhaupt
.

Es läſst vor der Unterſuchung vorher ſich nicht
beſtimmen, ob die Beantwortung jener Frage möglich
ſeyn werde oder nicht, d. h. ob unſer geſammtes Wiſ-
ſen einen feſten Grund habe, oder ob es, ſo innig
unter ſich verkettet auch die einzelnen Theile deſſelben
ſeyn mögen, doch zuletzt auf Nichts beruhe. Soll
aber unſer Wiſſen einen Grund haben, ſo muſs jene

Frage
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0024" n="16"/>
Bedingungen, und die <hi rendition="#i">einzigen</hi> Bedingungen de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
&#x017F;ind? und wie kommen wir überhaupt dazu, einen<lb/>
nothwendigen Zu&#x017F;ammenhang zwi&#x017F;chen ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Sätzen, und aus&#x017F;chlie&#x017F;sende, aber er&#x017F;chöpfte Bedingun-<lb/>
gen der&#x017F;elben anzunehmen?</p><lb/>
          <p>Kurz, wie lä&#x017F;st &#x017F;ich die Gewi&#x017F;sheit des Grund-<lb/>
&#x017F;atzes an &#x017F;ich; wie lä&#x017F;st &#x017F;ich die Befugni&#x017F;s auf eine be-<lb/>
&#x017F;timmte Art aus ihm die Gewi&#x017F;sheit anderer Sätze zu<lb/>
folgern, begründen?</p><lb/>
          <p>Dasjenige, was der Grund&#x017F;atz &#x017F;elb&#x017F;t haben, und<lb/>
allen übrigen Sätzen, die in der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft vorkom-<lb/>
men, mittheilen &#x017F;oll, nenne ich den <hi rendition="#i">innern Gehalt</hi> des<lb/>
Grund&#x017F;atzes und der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft überhaupt; die Art,<lb/>
wie er da&#x017F;&#x017F;elbe den andern Sätzen mittheilen &#x017F;oll,<lb/>
nenne ich die <hi rendition="#i">Form</hi> der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft. Die aufgegebne<lb/>
Frage i&#x017F;t mithin die: Wie i&#x017F;t Gehalt und Form einer<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft überhaupt, d. h. wie i&#x017F;t die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t möglich?</p><lb/>
          <p>Etwas, worinn die&#x017F;e Frage beantwortet würde,<lb/>
wäre &#x017F;elb&#x017F;t eine Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, <hi rendition="#i">und zwar die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft<lb/>
von der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft überhaupt</hi>.</p><lb/>
          <p>Es lä&#x017F;st vor der Unter&#x017F;uchung vorher &#x017F;ich nicht<lb/>
be&#x017F;timmen, ob die Beantwortung jener Frage möglich<lb/>
&#x017F;eyn werde oder nicht, d. h. ob un&#x017F;er ge&#x017F;ammtes Wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en einen fe&#x017F;ten Grund habe, oder ob es, &#x017F;o innig<lb/>
unter &#x017F;ich verkettet auch die einzelnen Theile de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
&#x017F;eyn mögen, doch zuletzt auf Nichts beruhe. Soll<lb/>
aber un&#x017F;er Wi&#x017F;&#x017F;en einen Grund haben, &#x017F;o mu&#x017F;s jene<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Frage</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0024] Bedingungen, und die einzigen Bedingungen deſſelben ſind? und wie kommen wir überhaupt dazu, einen nothwendigen Zuſammenhang zwiſchen verſchiedenen Sätzen, und ausſchlieſsende, aber erſchöpfte Bedingun- gen derſelben anzunehmen? Kurz, wie läſst ſich die Gewiſsheit des Grund- ſatzes an ſich; wie läſst ſich die Befugniſs auf eine be- ſtimmte Art aus ihm die Gewiſsheit anderer Sätze zu folgern, begründen? Dasjenige, was der Grundſatz ſelbſt haben, und allen übrigen Sätzen, die in der Wiſſenſchaft vorkom- men, mittheilen ſoll, nenne ich den innern Gehalt des Grundſatzes und der Wiſſenſchaft überhaupt; die Art, wie er daſſelbe den andern Sätzen mittheilen ſoll, nenne ich die Form der Wiſſenſchaft. Die aufgegebne Frage iſt mithin die: Wie iſt Gehalt und Form einer Wiſſenſchaft überhaupt, d. h. wie iſt die Wiſſenſchaft ſelbſt möglich? Etwas, worinn dieſe Frage beantwortet würde, wäre ſelbſt eine Wiſſenſchaft, und zwar die Wiſſenſchaft von der Wiſſenſchaft überhaupt. Es läſst vor der Unterſuchung vorher ſich nicht beſtimmen, ob die Beantwortung jener Frage möglich ſeyn werde oder nicht, d. h. ob unſer geſammtes Wiſ- ſen einen feſten Grund habe, oder ob es, ſo innig unter ſich verkettet auch die einzelnen Theile deſſelben ſeyn mögen, doch zuletzt auf Nichts beruhe. Soll aber unſer Wiſſen einen Grund haben, ſo muſs jene Frage

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_wissenschaftslehre_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_wissenschaftslehre_1794/24
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie. Weimar, 1794, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_wissenschaftslehre_1794/24>, abgerufen am 24.11.2024.