Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

freiung von allem fremden Bande; und so ist
sie ihm denn die Erziehung, als etwas, das
ihm schlechtweg, und ohne weitern Zweck
gebührt, schuldig. Ein Gebiet, um als Antrieb
zu wirken, erhält die Religion nur entweder in
einer höchst unsittlichen, und verdorbenen Ge¬
sellschaft, oder wenn die Wirkungssphäre des
Menschen nicht innerhalb der gesellschaftlichen
Ordnung, sondern über dieselbe hinaus liegt, und
dieselbe vielmehr immerfort neu zu erschaffen,
und zu erhalten hat, wie beim Regenten, welcher
in vielen Fällen ohne Religion sein Amt gar
nicht mit gutem Gewissen führen könnte. Von
dem letztern Falle ist in einer auf alle, und
auf die ganze Nation berechneten Erziehung
nicht die Rede. Wo in der ersten Rücksicht bei
klarer Einsicht des Verstandes in die Unver¬
besserlichkeit des Zeitalters dennoch unabläs¬
sig fortgearbeitet wird an demselben; wo
muthig der Schweiß des Säens erduldet wird,
ohne einige Aussicht auf eine Erndte; wo
wohlgethan wird auch den Undankbaren, und
geseegnet werden mit Thaten, und Gütern
diejenigen, die da fluchen, und in der klaren
Vorhersicht, daß sie abermals fluchen werden;

freiung von allem fremden Bande; und ſo iſt
ſie ihm denn die Erziehung, als etwas, das
ihm ſchlechtweg, und ohne weitern Zweck
gebuͤhrt, ſchuldig. Ein Gebiet, um als Antrieb
zu wirken, erhaͤlt die Religion nur entweder in
einer hoͤchſt unſittlichen, und verdorbenen Ge¬
ſellſchaft, oder wenn die Wirkungsſphaͤre des
Menſchen nicht innerhalb der geſellſchaftlichen
Ordnung, ſondern uͤber dieſelbe hinaus liegt, und
dieſelbe vielmehr immerfort neu zu erſchaffen,
und zu erhalten hat, wie beim Regenten, welcher
in vielen Faͤllen ohne Religion ſein Amt gar
nicht mit gutem Gewiſſen fuͤhren koͤnnte. Von
dem letztern Falle iſt in einer auf alle, und
auf die ganze Nation berechneten Erziehung
nicht die Rede. Wo in der erſten Ruͤckſicht bei
klarer Einſicht des Verſtandes in die Unver¬
beſſerlichkeit des Zeitalters dennoch unablaͤſ¬
ſig fortgearbeitet wird an demſelben; wo
muthig der Schweiß des Saͤens erduldet wird,
ohne einige Ausſicht auf eine Erndte; wo
wohlgethan wird auch den Undankbaren, und
geſeegnet werden mit Thaten, und Guͤtern
diejenigen, die da fluchen, und in der klaren
Vorherſicht, daß ſie abermals fluchen werden;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0094" n="88"/>
freiung von allem fremden Bande; und &#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ie ihm denn die Erziehung, als etwas, das<lb/>
ihm &#x017F;chlechtweg, und ohne weitern Zweck<lb/>
gebu&#x0364;hrt, &#x017F;chuldig. Ein Gebiet, um als Antrieb<lb/>
zu wirken, erha&#x0364;lt die Religion nur entweder in<lb/>
einer ho&#x0364;ch&#x017F;t un&#x017F;ittlichen, und verdorbenen Ge¬<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaft, oder wenn die Wirkungs&#x017F;pha&#x0364;re des<lb/>
Men&#x017F;chen nicht innerhalb der ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen<lb/>
Ordnung, &#x017F;ondern u&#x0364;ber die&#x017F;elbe hinaus liegt, und<lb/>
die&#x017F;elbe vielmehr immerfort neu zu er&#x017F;chaffen,<lb/>
und zu erhalten hat, wie beim Regenten, welcher<lb/>
in vielen Fa&#x0364;llen ohne Religion &#x017F;ein Amt gar<lb/>
nicht mit gutem Gewi&#x017F;&#x017F;en fu&#x0364;hren ko&#x0364;nnte. Von<lb/>
dem letztern Falle i&#x017F;t in einer auf alle, und<lb/>
auf die ganze Nation berechneten Erziehung<lb/>
nicht die Rede. Wo in der er&#x017F;ten Ru&#x0364;ck&#x017F;icht bei<lb/>
klarer Ein&#x017F;icht des Ver&#x017F;tandes in die Unver¬<lb/>
be&#x017F;&#x017F;erlichkeit des Zeitalters dennoch unabla&#x0364;&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;ig fortgearbeitet wird an dem&#x017F;elben; wo<lb/>
muthig der Schweiß des Sa&#x0364;ens erduldet wird,<lb/>
ohne einige Aus&#x017F;icht auf eine Erndte; wo<lb/>
wohlgethan wird auch den Undankbaren, und<lb/>
ge&#x017F;eegnet werden mit Thaten, und Gu&#x0364;tern<lb/>
diejenigen, die da fluchen, und in der klaren<lb/>
Vorher&#x017F;icht, daß &#x017F;ie abermals fluchen werden;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0094] freiung von allem fremden Bande; und ſo iſt ſie ihm denn die Erziehung, als etwas, das ihm ſchlechtweg, und ohne weitern Zweck gebuͤhrt, ſchuldig. Ein Gebiet, um als Antrieb zu wirken, erhaͤlt die Religion nur entweder in einer hoͤchſt unſittlichen, und verdorbenen Ge¬ ſellſchaft, oder wenn die Wirkungsſphaͤre des Menſchen nicht innerhalb der geſellſchaftlichen Ordnung, ſondern uͤber dieſelbe hinaus liegt, und dieſelbe vielmehr immerfort neu zu erſchaffen, und zu erhalten hat, wie beim Regenten, welcher in vielen Faͤllen ohne Religion ſein Amt gar nicht mit gutem Gewiſſen fuͤhren koͤnnte. Von dem letztern Falle iſt in einer auf alle, und auf die ganze Nation berechneten Erziehung nicht die Rede. Wo in der erſten Ruͤckſicht bei klarer Einſicht des Verſtandes in die Unver¬ beſſerlichkeit des Zeitalters dennoch unablaͤſ¬ ſig fortgearbeitet wird an demſelben; wo muthig der Schweiß des Saͤens erduldet wird, ohne einige Ausſicht auf eine Erndte; wo wohlgethan wird auch den Undankbaren, und geſeegnet werden mit Thaten, und Guͤtern diejenigen, die da fluchen, und in der klaren Vorherſicht, daß ſie abermals fluchen werden;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/94
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/94>, abgerufen am 02.05.2024.