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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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wo nach hundertfältigem Mißlingen dennoch
ausgeharret wird im Glauben, und in der
Liebe: da ist es nicht die bloße Sittlichkeit, die
da treibt, denn diese will einen Zweck, sondern
es ist die Religion, die Ergebung in ein höhe¬
res uns unbekanntes Gesez, das demüthige
Verstummen vor Gott, die innige Liebe zu sei¬
nem in uns ausgebrochnen Leben, welches
allein und um sein selbst willen gerettet wer¬
den soll, wo das Auge nichts anderes zu retten
sieht.

Auf diese Weise kann die erlangte Reli¬
gions-Einsicht der Zöglinge der neuen Erzie¬
hung in ihrem kleinen Gemein-Wesen, in dem
sie zunächst aufwachsen, nicht praktisch wer¬
den, noch soll sie es auch. Dieses Gemein-
Wesen ist wohlgeordnet, und in ihm gelingt
das geschickt unternommene immer; auch soll
das noch zarte Alter des Menschen erhalten
werden in der Unbefangenheit, und im ruhi¬
gen Glauben an sein Geschlecht. Die Erkennt¬
niß seiner Tücken bleibe vorbehalten der eig¬
nen Erfahrung des gereiften, und befestigtern
Alters.

wo nach hundertfaͤltigem Mißlingen dennoch
ausgeharret wird im Glauben, und in der
Liebe: da iſt es nicht die bloße Sittlichkeit, die
da treibt, denn dieſe will einen Zweck, ſondern
es iſt die Religion, die Ergebung in ein hoͤhe¬
res uns unbekanntes Geſez, das demuͤthige
Verſtummen vor Gott, die innige Liebe zu ſei¬
nem in uns ausgebrochnen Leben, welches
allein und um ſein ſelbſt willen gerettet wer¬
den ſoll, wo das Auge nichts anderes zu retten
ſieht.

Auf dieſe Weiſe kann die erlangte Reli¬
gions-Einſicht der Zoͤglinge der neuen Erzie¬
hung in ihrem kleinen Gemein-Weſen, in dem
ſie zunaͤchſt aufwachſen, nicht praktiſch wer¬
den, noch ſoll ſie es auch. Dieſes Gemein-
Weſen iſt wohlgeordnet, und in ihm gelingt
das geſchickt unternommene immer; auch ſoll
das noch zarte Alter des Menſchen erhalten
werden in der Unbefangenheit, und im ruhi¬
gen Glauben an ſein Geſchlecht. Die Erkennt¬
niß ſeiner Tuͤcken bleibe vorbehalten der eig¬
nen Erfahrung des gereiften, und befeſtigtern
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[89/0095] wo nach hundertfaͤltigem Mißlingen dennoch ausgeharret wird im Glauben, und in der Liebe: da iſt es nicht die bloße Sittlichkeit, die da treibt, denn dieſe will einen Zweck, ſondern es iſt die Religion, die Ergebung in ein hoͤhe¬ res uns unbekanntes Geſez, das demuͤthige Verſtummen vor Gott, die innige Liebe zu ſei¬ nem in uns ausgebrochnen Leben, welches allein und um ſein ſelbſt willen gerettet wer¬ den ſoll, wo das Auge nichts anderes zu retten ſieht. Auf dieſe Weiſe kann die erlangte Reli¬ gions-Einſicht der Zoͤglinge der neuen Erzie¬ hung in ihrem kleinen Gemein-Weſen, in dem ſie zunaͤchſt aufwachſen, nicht praktiſch wer¬ den, noch ſoll ſie es auch. Dieſes Gemein- Weſen iſt wohlgeordnet, und in ihm gelingt das geſchickt unternommene immer; auch ſoll das noch zarte Alter des Menſchen erhalten werden in der Unbefangenheit, und im ruhi¬ gen Glauben an ſein Geſchlecht. Die Erkennt¬ niß ſeiner Tuͤcken bleibe vorbehalten der eig¬ nen Erfahrung des gereiften, und befeſtigtern Alters.

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/95>, abgerufen am 02.05.2024.